Ist Rechtspopulismus eine Gefahr und Linkspopulismus eine Chance?

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Ist Rechtspopulismus eine Gefahr und Linkspopulismus eine Chance? Teil I

Fliegendes Klassenzimmer Lesson 5

Die Reihe Fliegendes Klassenzimmer ist eine alterslose „Grundschule“. Es geht dabei darum, Begriffe zu erklären und wieder brauchbar machen. Nicht nur werden Begriffe aufgrund biografischer und politischer Einflüsse sehr unterschiedlich verwendet. Wesentliche Begriffe, die die Debatte prägen, sind sehr absichtsvoll gegen ihren eigentlichen Sinn „umgedreht“ worden. Nehmen wir nur einmal die Begriffe „Verschwörungstheorie“, „Rechts-Links“ oder „Querdenken“. In dieser Reihe geht es also weniger darum, zu einer bestimmten Schlussfolgerung zu kommen, sondern recht gründlich einen Begriff auf seinen ursprünglichen Sinn zurückzuführen, um so dazu beizutragen, dass wir nicht aneinander vorbeireden.

Das Wort „Rechtspopulismus“ hat Hochkonjunktur. Ganz besonders gerne wird es für die AfD verwandt. Neu hinzugekommen ist das Gespenst einer „Wagenknecht-Partei“ als Abspaltung von der Partei „DIE LINKE“. Für diese hat man das Wort „Linkspopulismus“ reserviert. Was erklären diese Begriffe? Was verstellen sie? Quo vadis – Teil I.

Das Wort „Rechtspopulismus“, mehr ein Fächer als ein Begriff, ist seit ein paar Jahren in aller Munde. Die etablierten Parteien benutzen ihn besonders gerne und beliebig, wie ein Unkrautvernichtungsmittel, um rechts von ihnen nicht viel hochkommen zu lassen.

Auch viele antirassistische und linke Gruppen reden von „Rechtspopulisten“, wenn sie Parteien wie die AfD zu markieren versuchen und viel Kraft darauf verwenden, diese Partei zu bekämpfen.

Es geht jenseits hektischer politischer Debatten und Abgrenzungen um einen möglichst genauen Umgang mit dem Begriffspaar „Rechts/Linkspopulismus“. Welche Erklärungen, welche politischen und ideologischen Prämissen, welche Deutungs- und Distinktionsmacht stecken dahinter?

Damit ist die trotzige Hoffnung verbunden, eine Debatte anzustoßen, die über das Tagesgeschäft hinauswirkt, um zu einer gemeinsamen Strategiediskussion zu ermutigen.

Das Wort „Rechtspopulismus“ hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Im Wesentlichen wird er machtpolitisch eingesetzt, am aller wenigsten im Sinne einer möglichst präzise umrissenen Begrifflichkeit.

Nicht ganz so häufig werden linke Inhalte und Politiken mit dem Wort „Populismus“ belegt, wenn z.B. die Partei DIE LINKE in Deutschland diskreditieren werden soll.

Das Begriffspaar Rechts-/Linkspopulismus dient also im Wesentlichen als Leitplanke für jene Politiken, die sich dann – welch glückliche Fügung – für die Mitte halten können.

Nun hat das, was die Mitte als Rechtspopulismus markiert, Erfolg, sehr viel Erfolg. In Österreich scheiterte 2016 Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) knapp an diesem Vorhaben. In Frankreich steht die Frontfrau des Front National in der Stichwahl zur Präsidentschaftsamt 2017.

Seit einiger Zeit wird nun auch aus den Reihen der Linken die Frage diskutiert, ob ein Linkspopulismus (wird man seiner verdächtigt) nicht nur eine Beleidigung, sondern vielmehr eine Chance ist. Zugespitzt geht es um die Frage, ob man rechte Theoreme auch links besetzten kann, in diesem Fall die Begriffe „Volk“, „Nation“, „Vaterland“, „nationale Souveränität“ usw. und ob das der Schlüssel sein könnte, aus der Marginalität herauszukommen.

In Frankreich hat dies nach Meinung einiger Beobachter auch Jean-Luc Mélenchon, der linke Präsidentschaftskandidat der Partei „La France insoumise“ (das aufsässige Frankreich) gemacht. Für den Soziologen Didier Eribon ist es „problematisch“, wenn man, „wie Mélenchon es tut, dem rechten einen linken Populismus entgegensetzen will. Das ‚Volk’ gegen die ‚Eliten’ zu stellen, Begriffe wie das ‚Vaterland’, das sich gegen die ‚Eliten’ erheben soll, im Wahlkampf zu verwenden, bedeutet, das gleiche Vokabular zu benutzen wie die Rechtsextremen. Man bringt damit Begriffe oder besser, Affekte in Umlauf, die man nur mit größter Vorsicht verwenden sollte, weil sie sich ganz schnell mit Bedeutungen aufladen lassen, die man vermeiden wollte. (…) Wenn ich höre, wie Jean-Luc Mélenchon auf Veranstaltungen, bei denen die französische Fahne geschwenkt wird, die Nation verklärt und von einem ‚großen mächtigen Land’ spricht, das ‚seinen Platz in der Welt’ wiederfinden soll, dann wird mir ziemlich unwohl. Das sind gefährliche Phantasmen, mit denen man die nationalistischen Leidenschaften eher befeuert, als sie zu bekämpfen.“ (Didier Eribon, faz.net vom 18.4.2017)

Bei der Präsidentschaftswahl 2012 errang Mélenchon rund elf Prozent der Stimmen, 2017 waren es 19,58 Prozent. Ist dieser Anstieg einem „linken“ Nationalismus zuzuschreiben?

Machen wir uns an die Arbeit.

Populismus. Ein Schlagwort, das in jeder zweiten Diskussion auftaucht. Was soll damit gemeint sein? Vom lateinischen Wortstamm her bedeutet „populus“ nicht mehr als „das Volk“. Eine Bezugnahme darauf kann in einer Demokratie, in der gemäß Deutschlands Verfassung die Macht vom Volk ausgeht, nicht schlimm, eher ehrenwert sein?

Wie bei vielen anderen Begriffen auch, geht es hier mehr um die Assoziationsketten, die mit dem Wort „Populismus“ in Gang gesetzt werden, die den eigentlichen Wortsinn buchstäblich verschlucken.

Denn was der Wortstamm hergibt, gilt nicht für das Schlag-Wort „Populismus“. Fast niemand möchte damit gebrandmarkt, disqualifiziert werden. Darin sind sich mittige und linke BenutzerInnen weitgehend einig. „Populismus“ hat einfach einen ganz miesen Ruf. Trotz dieser Überschneidung ist es wichtig, zu unterscheiden, wer diesen Begriff für was verwendet:

Fast das gesamte politische Establishment verwendet ihn. Manchmal, aber dazu gibt es in Deutschland kaum Anlass, teilen sie ihren Bannstrahl in „Rechts- und Linkspopulismus“ auf.

Ab und an trifft es dann die Partei „Die Linke“, die mit einer Dressurpeitsche durch die politische Manege geführt wird, wenn einzelne Vertreter (ganz besonders gerne wird dafür Sahra Wagenknecht herausgegriffen) zum Beispiel eine deutliche Erhöhung der Vermögensteuer, also einer Steuer für Reiche fordert. Das sei „populistisch“.

Ebenso wird Sahra Wagenknecht dafür abgestraft, dass sie unter anderem in einem Stern-Interview vom 5. Januar 2017 gesagt hatte:

Es gibt eine Mitverantwortung (an dem Anschlag auf den Weihnachtmarkt in Berlin 2016, d.V.), aber sie ist vielschichtiger. Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputt gesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen wäre. Ebenso fatal ist die Außenpolitik: die von Merkel unterstützten Ölkriege der USA und ihrer Verbündeten, denen der Islamische Staat erst seine Existenz und Stärke verdankt.“

Die Mär vom schwachen Staat, hier die „kaputt gesparte Polizei“ bedient gewollt reaktionäre Theoreme, die sich nicht vom Gerede vom „starken Staat in schwierigen Zeiten“ des damaligen Innenministers De Maizière/CDU unterscheiden. Und wer von „unkontrollierter Grenzöffnung“ 2015 redet, ohne das politische Kalkül zu erwähnen, das nichts mit der ausgerufenen „Willkommenskultur“ zu tun hat, der will reaktionäre Ressentiments bedienen, anstatt ihnen den Boden zu entziehen.

Interessanterweise sind diese Aussagen nicht Gegenstand des Populismusvorwurfes. Das Mediengewitter über die Mitverantwortung der Regierung für Terror war hingegen gewaltig und führte schnurstracks zur Totalitarismustheorie light:

„Die Aussage von Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei mitverantwortlich für den Anschlag in Berlin, mache „wieder mal deutlich, dass die Linkspartei eine rote AfD ist“, sagte Tauber. „Sahra Wagenknecht und Frauke Petry sind das doppelte Lottchen des Populismus in Deutschland.“ (welt.de vom 8.1.2017)

Ganz allgemein und diffus steht „Populismus“ für „einfache bis gar keine Antworten“, für „billige Anklagen“, für nicht bezahlbare Versprechungen, für fehlende Differenzierungen, demagogisches Auftreten und schlechtes Benehmen. Im Durchschnitt verraten diese Zuschreibungen also mehr über die Absender, nur sehr bedingt etwas über die Adressaten.

Wie gesagt, der Begriff „Populismus“ wird auch in linken, sehr oft auch in antifaschistischen Zusammenhängen verwendet. Und das schon ab Ende der 1990er Jahre, als „neu-rechte“ Parteien aus dem Boden schossen, wie z.B. die Partei Rechtsstaatlicher Offensive in Hamburg, auch Schill-Partei genannt, die dort von 2001 bis 2004 an der Regierung beteiligt war. Es ging also darum, dieses neue politische Phänomen einzuordnen. Mit dem Begriff „populistisch“ sollte die Lücke zwischen bürgerlichen und neonazistischen Parteien/Positionen (NPD, Republikaner usw.) geschlossen werden.

Was ist von dieser Seite mit „Populismus“ gemeint?

Zum einen wird sehr deutlich darauf verwiesen, dass die scheinbar artikulierte Systemkritik (die da oben, die Parteibonzen etc.) nie die Grundlagen des Systems meint, den Kapitalismus, sondern nur deren „Auswüchse“ (Korruption, Vetternwirtschaft). Es geht um die Fiktion, um die Reinkarnation eines sauberen, ehrlichen Kapitalismus, wofür es ehrliche und rechtschaffene Unternehmer und Politiker geben muss – wofür sich die „Populisten“ halten.

Das hat zwangsweise zur Folge, dass die laut vorgetragene Kritik an sozialen Ungerechtigkeiten, an Klassengegensätzen immer und konsequent rassistisch (auf-)gelöst wird: Die Ausländer, die Flüchtlinge sind (an allem) schuld. Die Flüchtlinge bekommen alles in den Arsch geschoben, die Ausländer nehmen uns die Arbeit, die Wohnung, die Handtaschen weg und so weiter.

Die ‚soziale Frage’ wird aus ihrem ursächlichen, also dem kapitalistischen Kontext gelöst und ethnifiziert.

Für diese Art von Politik ist das „Volk“ eine wesensmäßige Erscheinung, eine ethnische Größe. Sie ist nicht nur rassistisch determiniert, sie suggeriert auch eine Homogenität, ein harmonisches Eins-Sein, das die Leugnung gesellschaftlicher und sozialer Antagonismen voraussetzt.

Ähnlich wird die nationale Frage beantwortet und verschoben. Die angeblich fehlende „nationale Souveränität/Identität“ wird nicht im Kontext imperialer Zusammenhänge und Ansprüche verortet, sondern in Scheinwelten extrapoliert: Lange Zeit war es die „jüdische Weltverschwörung“, die naht- und sinnlos in die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ überging. Heute müssen „Putin“ und „Russland“ und die Machtansprüche Chinas fast die ganze Last der Verschwörung tragen. Flankiert wird diese eingeforderte Souveränität Deutschlands mit dem Vorwurf, man stünde unter der Knute der US-Regierungspolitik und müsse sich aus diesem Joch befreien. Das kommt im Kern dem reaktionären Theorem nahe, Deutschland sei immer noch „besetzt“ und müsse sich folglich „befreien“.

Es wird sicher aufgefallen sein, dass viele dieser Theoreme auch von bürgerlichen Parteien bedient und bespielt werden. Denn, was heute als Vokabular der Populisten ausgegeben wird, war schon Jahre und Jahrzehnte zuvor das Vokabular der bürgerlichen Mitte: „Die „kommunistische Gefahr“, der man sich erwehren müsse, galt bis zum Ende der Sowjetunion als Garant für Aufrüstung und Kriegsrhetorik. „Überfremdung“, „Scheinasylanten“ und die Gefahr einer „Asylantenflut“ gehörten Anfang der 1990er Jahre zum selbstverständlichen Sprachgebrauch bürgerlicher Politiker und der ihnen nahestehenden Medien.

Vielleicht hilft hier als Unterscheidung folgende Trennlinie:

Was für bürgerliche Parteien optional ist, ist für populistische Parteien essenziell.

 

Poder popular versus Herrschaft

Avanti popolo (Liedanfang von Bandiera rossa, verfasst von Carlo Tuzzi, 1908)

In der Namensnennung steckt es bereits drin: el pueblo, das Volk. In vielen lateinamerikanischen Ländern hat die Bezugnahme auf das Volk keinen ethnischen, nationalen Charakter, sondern drückt den Gegenpol zur Herrschaft, zur Machtelite aus.

„Poder popular“ bedeutet im lateinamerikanischen Verständnis „Volksmacht“, also die Rückgewinnung gesellschaftlicher Macht, ein Ende der Fremdbestimmung. Diese bezog sich sowohl auf die nationalen Eliten, als auch auf postkoloniale/imperialistische Abhängigkeiten. Im Zentrum dieses Kampfes stand die Selbstbestimmung, sowohl in gesellschaftlicher Beziehung, als auch im Kontext imperialer Abhängigkeiten.

Vor allem formuliert er einen gesellschaftlichen und machtpolitischen Antagonismus. Wer also für die „poder popular“ eintrat, hatte keine ethnische, angebliche homogene Größe vor Augen. In vielen Ländern Lateinamerikas, die von Diktaturen geprägt waren, galt sie als strategische Größe:

El pueblo unido jamas sera vencido … Das geeinte Volk wird niemals besiegt. Das Volk war also keine ontologische Größe, sondern stand für einen politischen Prozess, der alle jene zusammenbringen wollte, die unter der Diktatur litten – im klaren Wissen, dass das „Volk“ keine mystische, sondern eine strategische Größe ist.

Was nach dem Sturz der traditionellen Eliten folgt, blieb und bleibt oft unklar, verschwommen und vielstimmig. Für die einen ist es die Übernahme desselben Systems in guten Händen (good governance), ein personales Verständnis.

Für die anderen, die meist in der Minderheit waren und sind, bedeutet die Verwirklichung von „poder popular“ auch ein Bruch mit den (post-)kolonialen und kapitalistischen Strukturen, also irgendetwas in Richtung Sozialismus, also auch ein Angriff auf den Kapitalismus selbst.

Populismus versus Eliten

In Westeuropa ist die Verwendung des Begriffes „Volk“ sehr kontrovers. In Frankreich wurde er zum Beispiel lange als Synonym für „die Arbeiterklasse“ verstanden, als Synonym für die Unterdrückten und Ausgebeuteten.

In Deutschland ist die Verwendung des Begriffs „Volk“ vor allem mit seiner nationalistischen und faschistischen Konnotation verknüpft. „Volk“ steht hier nicht im Gegensatz zur Herrschaft der Wenigen (Mächtigen), sondern für eine lustvolle, bejahende Unterwerfung.

Die faschistische Losung: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ brachte diesen Dreiklang in Einklang. In diesem Kontext wurde –zurecht – der Begriff des „Völkischen“ als herrschaftsaffine und herrschaftssuchende Beschreibung eingeführt.

Mit der politischen Aufarbeitung des deutschen Faschismus wurde zumindest ein bedeutender Anteil des „Volkes“ beim Zustandekommen des Dritten Reichs in Gestalt begeisterter Selbstunterwerfung evident, eine positive Bezugnahme auf „das Volk“ so gut wie unmöglich.

Umso bemerkenswerter in diesem deutschen Kontext ist die Losung derer, die in der ehemaligen DDR auf die Straße gingen. Lange galt dort die Parole: „Wir sind das Volk“, womit man der DDR-Führung streitig machen wollte, dass sie im Namen des Volkes handele.

Gegen Ende der 1980er Jahre wurde daraus die Parole: „Wir sind ein Volk“, womit ein deutlicher politischer Richtungswechsel und eine gewaltige Deutungsverschiebung markiert war. Aus einem Bezug, der einen machtpolitischen Gegensatz von oben und unten anzeigen wollte, wurde ein Begriff, der die ethnische „Einheit“ beschwor, also das Innen gegen das Außen definierte. Das verstand die politische Klasse im Westen sofort und feierte diese Wendung ausgelassen. Seitdem wird das, was zum Ende der DDR beigetragen hat, als „friedliche Revolution“ kategorisiert.

 

 

Ist Rechtspopulismus eine Gefahr und Linkspopulismus eine Chance?

Quellen und Hinweise:

Diese Debatte führten auch Didier Eribon, französischer Philosoph und die Gewerkschaftsvertreterin Christina Kaindl, unter dem Titel: Die Rückkehr der Rechten am 30.11.2016, die aufgezeichnet wurde:

https://www.youtube.com/watch?v=awxAwWsJkKc&app=desktop

 

Einen sehr guten Beitrag zum „Linkspopulismus“ in Südamerika hat Gaby Weber geschrieben: Wohltäter der Armen oder eine bürgerliche Krankheit? Der sogenannte Linkspopulismus in Südamerika, https://www.gabyweber.com/dwnld/aktuelles/populismus.pdf

 

Der Aufschwung der AfD, Johannes Schillo: https://overton-magazin.de/top-story/der-aufschwung-der-afd/

 

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