ANTIFASCHISMUS – Nur noch Symbolpolitik. Eine Rezension.
„Wolf Wetzels kritische Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Antifaschismus
Von Ulrich Schneider/jW vom 8.4.2024
Wolf Wetzel: Der Anti-Antifaschismus. Antifa, angebliche Nazis, rechtsoffener Staat und geheimdienstliche Neonazi-Verbrechen. Verlag Hintergrund, Berlin 2023, 120 Seiten, 14,80 Euro
Wolf Wetzel ist durch zahlreiche Veröffentlichungen, in denen er sich mit neofaschistischer Gewalt wie dem Münchener Oktoberfestattentat oder dem NSU-Komplex beschäftigte und gleichermaßen die Rolle des Staates und seiner Sicherheitsorgane, insbesondere der Geheimdienste kritisch unter die Lupe nahm, hinreichend bekannt. In seinem jüngsten Band versucht er sich an einem Rundumschlag, beginnend mit der Kontroverse um die Coronamaßnahmen über die Rolle der Geheimdienste im Zusammenhang mit den Neonaziverbrechen, um abschließend Überlegungen zur antifaschistischen Praxis zu formulieren.
Wetzel ist kein Beobachter, der mit ‚guten Ratschlägen‘ die Bewegungen kritisiert, sondern teilnehmender Aktivist, der für seine Polemik – auch gegen frühere Mitstreiter – bekannt ist. So kritisiert er in dem Band antifaschistische Strukturen als blauäugig und in Bezug auf staatliches Handeln mit Illusionen behaftet, und jene, die in der Coronadebatte eine regierungsnahe Haltung an den Tag legten, begreift er als Teil des staatlichen Narrativs. Zwar stellt er in der Polemik gegen das ‚Hamburger Bündnis gegen rechts‘ durchaus berechtigte Fragen, geht jedoch selbst zu wenig kritisch mit den bürgerlichen Protesten gegen die Coronamaßnahmen um, die zwar individuelle Freiräume reklamierten, aber keine gesellschaftlichen Lösungen boten.
In den Kapiteln NSU-Komplex, Oktoberfestattentat und ‚Stay behind‘ gelingt es Wetzel, an diesen Themen die politische Beziehungsnähe von staatlichen Einrichtungen und faschistischem Terror sichtbar zu machen. Zu Recht verwirft er die staatlichen ‚Einzeltäter‘-Thesen und leitet daraus ab, dass weder ‚Verfassungsschutz‘ noch die Bundesregierung gute Ratgeber in Sachen Antifaschismus seien.
Kontrovers dürften seine Überlegungen für die Gegenwart sein. In dem Kapitel ‚Die Angst des Antifaschismus vor seiner eigenen Idee‘ kritisiert er die autonome antifaschistische Bewegung, die es nicht vermocht habe, einen eigenen politischen Ansatz gegen die rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen – um nur die vier Symbolorte zu nennen – zu entwickeln. Dem ‚antideutschen‘ Spektrum bescheinigt er, fast völlig untergetaucht zu sein, während andere Teile der Antifa keinen tragfähigen gesellschaftskritischen Ansatz entwickelt hätten.
In seinem Schlusskapitel fragt er, auf welchem Weg sich die antifaschistische Bewegung befindet und warum es nur um Symbole und Symbolpolitik geht und nicht um die Frage, wie die Linke den antifaschistischen Widerstand begreift. Mit Blick auf die historischen Erfahrungen der Weimarer Republik konstatiert er, dass die Herrschenden sich aktuell keine ‚Kettenhunde‘ zur Sicherung ihrer Machtinteressen halten müssten. Er verkennt jedoch aus der Sicht des Rezensenten die Funktion der AfD, wenn er lapidar bemerkt, dass man die von dieser Partei ausgehende Gefahr als ‚halbwegs gering‘ einschätzen könne. Und so ist dieser Band zwar anregend, und Wetzel stellt oft richtige Fragen, kann aber nur im Ansatz überzeugen.“
Ich möchte Ulrich Schneider erst einmal für seine Überlegungen, Würdigungen und Einwände danken. Ulrich Schneider ist Bundessprecher der VVN-BdA und Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten.
Ich möchte das ausdrücklich in Erinnerung rufen: Als ich zum NSU-VS-Komplex recherchierte, regelmäßig Beiträge vor allem in der Junge Welt und auf den Nachdenkseiten schrieb, zahlreiche Veranstaltungen ab 2013 machte, fiel mir eines besonders auf: „Meine“ politischen Zusammenhänge bzw. Bezugspunkte (wie die Antifaschistische Aktion in Berlin/AAB) lösten sich auf, während ich recht viele Anfrage aus VVN-Zusammenhängen bekam. Das berührte mich, denn es gab politische Differenzen, die kein Geheimnis waren. Dennoch war der gemeinsame (kleine) Nenner, der Antifaschismus, stärker, als die politischen Differenzen, im Hinblick auf die politische Praxis, die man daraus entwickelt.
Silencing oder Differenzen als Herausforderung
Normalerweise wird das Silencing bevorzugt, also das Ignorieren. Unterschiedliche Ansichten sichtbar und diskutierbar zu machen, gehört im Augenblick nicht zu den Stärken der „Linken“. Deshalb schätze ich seine Rezension.
Dass ich auch meine eigenen (ehemaligen) WeggefährtInnen kritisiere, begreife ich als Lob. Denn genau das sollte uns von den anderen unterscheiden, die „Linientreue“ betone, wo auch immer die Linie gerade ist.
Deshalb waren wir vor 40, 50 Jahren gegen einen Antifaschismus, der uns nur vor dem noch Schlimmeren schützen will (den Faschismus/ später den Islamismus/heute russischen „Imperialismus“). Das brachte uns bereits damals auch Kritik ein, notwendige Kritik, die deutlich machte, wie unterschiedlich Antifaschismus war und ist. Denn auch im Kampf gegen den deutschen Faschismus gab es nicht den einen Antifaschismus, sondern sehr unterschiedliche! Und diese sehr gravierenden Unterschiede wurden (auf tödliche Weise) sichtbar, als der deutsche Faschismus besiegt wurde. Den „Sieg“ haben sehr viele AntifaschistInnen mit dem Tod bezahlt, als sie sich nicht damit begnügten, zum Kapitalismus zurückzukehren (Frankreich/Italien/Griechenland).
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Noch nie wurde auf so beschämende Weise klar, wie wenig es mit Antifaschismus zu tun hat, wenn man mit der Regierung gegen „rechts“ demonstriert – wie nach dem Compact-Potsdam-Aufreißer.
Diese Haltung ist übrigens ganz und gar nicht neu. Die autonome L.U.P.U. S.-Gruppe wollte keine machtpolitisch bestimmte Linientreue, sondern „Treue“ zu den Gedanken, zur grundsätzlichen Kritik an Kapitalismus, Faschismus … und Herrschaft. Das schloss immer auch die Kritik an der „guten“ Herrschaft ein, wodurch man automatisch in Konflikt zu GenossenInnen gerät, die das nicht teilten.
Ich bereue diese Haltung nicht. Sie ist essentiell und die Grundlage dafür, darüber öffentlich und umgänglich zu streiten.
Der letzte Absatz von Ulrich Schneider ist dafür ein wichtiges und prägnantes Beispiel. Er schreibt:
„Mit Blick auf die historischen Erfahrungen der Weimarer Republik konstatiert er, dass die Herrschenden sich aktuell keine ‚Kettenhunde‘ zur Sicherung ihrer Machtinteressen halten müssten. Er verkennt jedoch aus der Sicht des Rezensenten die Funktion der AfD, wenn er lapidar bemerkt, dass man die von dieser Partei ausgehende Gefahr als ‚halbwegs gering‘ einschätzen könne.“
Hier geht es in der Tat um Ganze und das ist seit Jahrzehnten ein signifikanter Konflikt:
Wir haben in den 1970er Jahren, aber auch in den 1990er Jahren die größte Gefahr nicht in den Neonazis gesehen, die es damals gab und heute gibt. Für uns war und ist entscheidend, wer ihnen den Weg bereitet. Die Gefahr des Faschismus kommt eben nicht von „rechtsaußen“, sondern von rechtsinnen, in dem man sie – gegen den damals recht starken Antifaschismus und gegen die recht starke autonome Linke – einsetzt. Das bezeichnete man in den 1930er Jahren die „Systemreserve“ in der Funktion von „Kettenhunden“. Man hält sie – die Nazis – an der Leine, man lässt sie (auf die Linke/auf Kommunisten/ Anarchisten) los.
Doch genau dieses Modell „Kettenhunde“ scheiterte. Denn, und das vergessen viele heute in der Debatte. Damals wollten man die Nazis, die NSDAP an der Leine halten und genau das ging in die Hose. Denn die Hunde bissen sich von der Leine los und bissen auch manchen Hundehalter.
Keine Frage ist die Situation seit 2023, mit dem Aufstieg der AfD, eine andere. Es geht nicht mehr um die „Straße“, sondern um die Institutionen, um parlamentarische, politische Macht. Die angebliche „Brandmauer gegen rechts“ (was schon allein begrifflich eine Verhöhnung des Verstandes ist) fängt bereits jetzt Feuer, wenn die nächsten Landtagswahlen anstehen … und nichts ohne die AfD geht.
Genau das, was wir seit 40 Jahren betonen, ist nun eingetreten: Je mehr die bürgerlichen, demokratischen Parteien ihr eigenes System ruinieren, Grundrechte außer Krafts setzen, mit dem Ausnahmezustand agieren und politische Legitimation mit Repression auffüllen, desto mehr arbeiten sie den Postfaschisten in die Hände, die zurecht darauf verweisen, dass das System bankrott sei und nur noch als Farce existiere.
Darin wiederholen sich die Ereignisse in der Weimarer Republik, die zum Aufstieg der NSDAP und zum Wahlsieg 1933 geradezu einluden.
Doch es gibt noch sehr entscheidende Unterschiede zwischen der „Zeitenwende“ anno 2023 und der Weimarer Republik der 1930er Jahre: Es gibt keine politische (und schon gar keine parlamentarische Opposition), die man mit extra-legalen Mitteln beseitigen müsste. Dazu brauchte man damals die NSDAP, dazu braucht man die AfD heute (noch) nicht.
Es spricht einiges dafür, dass die bürgerlichen Parteien (einschließlich der SPD und den Grünen) ein totalitäres Regime begünstigen, in dem es nicht auf die AfD ankommt.
Im Kern geht es aber – bei aller gewagten Prognosen – um ein sehr zentrales Anliegen: Will ich alles darauf setzen, die gegenwärtigen Kriegsregierung zu bekämpfen oder will ich im vermeintlichen „Kampf gegen rechts“ Stand-by Regierungspolitik machen, indem wir die AfD „bekämpfen“, um so die Regierung an der Macht zu halten.
Ich bin der festen Überzeugung: Der beste Kampf gegen die AfD ist die gegenwärtigen Regierung zu bekämpfen, indem wir politische Alternativen sichtbar machen, die der AfD zuwider sind, anstatt ihr mit Regierungstalk in die Hände zu arbeiten.
Und das bringt uns zum ganz zentralen Problem: Wollen wir einen Antifaschismus, der den Kapitalismus als Genese versteht und begreift, oder einen Antifaschismus, der den Kapitalismus (vor dem noch Schlimmeren) in Schutz nimmt.
Wolf Wetzel | 8.4.2024
Quellen und Hinweise:
ANTIFASCHISMUS – Nur noch Symbolpolitik. Wolf Wetzels kritische Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Antifaschismus, Ulrich Schneider/jW vom 8.4.2024: https://www.jungewelt.de/artikel/472899.antifaschismus-nur-noch-symbolpolitik.html
Der Anti-Antifaschismus. Antifa, angebliche Nazis, rechtsoffener Staat und geheimdienstliche Neonazi-Verbrechen. Wolf Wetzel, Verlag Hintergrund, Berlin 2023, 120 Seiten, 14,80 Euro
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