Wer etwas in die Luft sprengt, spielt doch keine Rolle! Ach so.

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Wer etwas in die Luft sprengt, spielt doch keine Rolle! Ach so.

Ein Sabotageakt, dessen Urheberschaft fast niemand wissen möchte

 

Das Bundeskanzleramt in Berlin wurde in der Silvesternacht fast vollkommen zerstört. Die Empörung und das Entsetzen waren einhellig und groß. Alle fragten sich: War es ein tragischer Betriebsunfall? Könnte es auch ein gezielter Sabotageakt gewesen sein? Wer steckt gegebenenfalls hinter diesem Anschlag? Wer hätte die technischen Möglichkeiten dazu? Gab es Insiderwissen? Mitten in diese Ungewissheit und Ratlosigkeit meldete sich ein namhafter SPD-Abgeordneter geradezu apodiktisch zu Wort:

Es ist völlig gleichgültig, wie es dazu kam, ob das ein Anschlag war, wer gegebenenfalls hinter diesem Sabotageakt steckt. Das Bundeskanzleramt ist Geschichte. Alles andere ist völlig irrelevant.

Diese Geschichte ist erfunden. Das Folgende nicht:

Am 26. September 2022 wurden drei der vier Stränge der Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 schwer beschädigt. Die beiden Pipelines gehören zu den teuersten und zentralsten Objekten für die deutsche Energieversorgung mit Gas und Öl. Es geht um einen 10 Milliarden Euro Schaden. Sehr schnell waren sich alle Laufstallmedien in drei Dingen einig:

Erstens: Für einen solchen Sabotageakt braucht man sehr viel (gewerblichen) Sprengstoff.

Zweitens: Um in etwa 60 Meter Tiefe Sprengladungen anzubringen, braucht man staatliches Wissen und militärisches Knowhow.

Drittens: Ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, geschweige denn Ermittlungserkenntnisse zu Rate zu ziehen, stand im Laufstalljournalismus die Urheberschaft für diesen Staatsterrorismus fest: Es waren, es müssen die „Russen“ gewesen sein. Wer sonst? oder gar Warum gerade die Russen? kam in diesem Setting nicht vor. All das wiederholte man mehrere Tage, unterlegt mit Satellitenbildern ohne jede Aussagekraft. Selbstverständlich versprach man „lückenlose“ Aufklärung. Diese kennen wir bereits aus anderen Politikfeldern.

Klar, wenn die „Russen“ es gewesen sind und Logik noch halbwegs eine Rolle spielen würde, bekämen wir geradezu stündlich Nachrichten über den Stand der Ermittlungen. Doch genau das ist nicht der Fall.

Man könnte auf dumme Gedanken kommen. Aber bevor wir diesen erliegen, wenden wir uns einem weiteren Anschlag zu: Knapp zwei Wochen später ereignete sich abermals ein Sabotageakt: An den Bahngleisen nahe Berlin und Herne (Nordrhein-Westfalen) wurden Glasfaserkabel zerstört. Es wäre zu stundenlangen Verzögerungen im Bahnverkehr gekommen:

„Nach Angaben von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist der große Stillstand des norddeutschen Bahnverkehrs durch einen mutwilligen Anschlag verursacht worden. ‚Wir wissen, dass an zwei unterschiedlichen Standorten in Deutschland die Kabel vorsätzlich durchtrennt worden sind‘, sagte der FDP-Politiker am Samstagnachmittag. ‚Klar ist, dass es sich um ein gezieltes und mutwilliges Vorgehen handelt‘. Die Hintergründe der Tat seien derzeit aber noch nicht bekannt. Die Bundespolizei ermittele. (…) Die für die Sicherheit des Bahnverkehrs zuständige Bundespolizei nannte am Samstagnachmittag erste Einzelheiten und sprach von Fremdeinwirkung. (…) Aus Sicherheitskreisen hieß es, es seien am Karower Kreuz in Berlin und in Herne in NRW vorsätzlich so genannte Lichtwellenleiterkabel beschädigt worden. Auch das Backup-System sei damit ausgefallen. Die Ermittlungen würden mit Hochdruck in alle Richtungen geführt.“ (faz.de vom 8.10.2022)

 

Kabelschacht an Bahngleisen – Spiegel 10/2022

Klar, das mit dem Hochdruck kennen wir bereits. Und welche möglichen Täter werden hier ins Spiel gebracht? Erraten.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und den Lecks in den Gaspipelines durch die Ostsee wächst allerdings die Furcht vor gezielten Anschlägen auf die kritische Infrastruktur in Deutschland, auch durch ausländische Akteure.“ (s.o.)

Unterlegt wurde diese recht kurze Trigger-Nachricht mit Bildern von ganz vielen Menschen an Bahnhöfen. Ganz zufällig ließ man die Vermutung wie ein Taschentuch fallen, dass (noch) unklar sei, ob Russland dahinterstecke.

Klar, man hat nicht gesagt, dass es die „Russen“ waren, aber man hat sie in diesen Zusammenhang gebracht. Das reicht für allerlei erwünschte Affekte.

Wenig später wurde medial das große Thema „kritische Infrastruktur“ aufgegriffen. Dabei verwendete man dieselbe Methode. Lange genug hat man nahegelegt, dass die Sabotageakte an Nord Stream I und II von den „Russen“ begangen wurden, auch wenn die Ermittlungen dafür nicht das Geringste hergeben. Darauf kommt es aber schon lange nicht mehr an.

Wir müssen mit allem rechnen, nichts ist unmöglich, ist die Botschaft. Jetzt gälte –nach dem ausgerufenen Gesundheitsnotstand – die „kritische Infrastruktur“ zu schützen.

Zur „kritischen Infrastruktur“ zählen neben Stromtrassen auch die Glasfaserkabel, mit denen so gut wie alles, was Datenübertragung anbelangt, zusammenhängt.

Dementsprechend stramm gab der Grünen-Chef Omid Nouripour den Tagesbefehl heraus: „Wer systematisch kritische Infrastruktur unseres Landes angreift, bekommt eine entschlossene Antwort unserer Demokratie. Wir lassen uns nicht einschüchtern“, twitterte er.“ (s.o.)

Man hört den Kriegsmodus heraus und den Mut des Heimatkriegers Omid Nouripour, sich nicht einschüchtern zu lassen … und wie er gekonnt neben die Trommel schlägt.

Die Aufklärung wird zum Staatsgeheimnis

Nun sind über drei Monaten ins Land gegangen. Man könnte und darf erwarten, dass nun reichlich Indizien, Spuren und Auswertungsergebnisse vorliegen.

Was den Sabotageakt am Glasfasernetz der Bundesbahn angeht, so herrscht Funkstille. Für einen investigativen Journalismus wäre es jedoch nicht schwer, mögliche Hinter- und Beweggründe zu eruieren. Denn was die Anschläge auf Glasfaserkabel entlang der Bundesbahngleise angeht, so sind diese nicht neu:

Am 23. Mai 2011 kam es in Berlin zu einer Sabotageaktion gegen eine Kabelbrücke.

Eine Kabelbrücke ist eine oberirdische Kabelführung, die verschiedene Kabel bündelt: Stromkabel, Signalkabel, Telefonleitungen, Glasfaserkabel. Es kam zu Verspätungen im S- und Bahnverkehr. Ticketautomaten und Telefonverbindungen im Festnetz fielen aus. Manchenorts waren Handys ohne Netz:

 

Wer etwas in die Luft sprengt, spielt doch keine Rolle! Ach so?

Wolf Wetzel

Quellen und Hinweise:

Still ruht die Ostsee, jW vom 18.10.2022

Wer verübte Nord-Stream-Anschlag? Bundesregierung mauert noch immer und verweist auf „Geheimhaltungsinteresse“ | NDS vom 12. Dezember 2022

Anschläge auf Nord Stream: Das Informationsinteresse des Parlaments muss zurücktreten, Florian Rötzer, Overton vom 13.12.2022: https://overton-magazin.de/top-story/anschlaege-auf-nord-stream-das-informationsinteresse-des-parlaments-muss-zuruecktreten/

Sabotageakt auf Bahnverkehr: Verkehrsminister Wissing: „Gezieltes und mutwilliges Vorgehen“: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bundespolizei-ermittelt-nach-sabotageakt-auf-bahnverkehr-18372440.html

Nach Bahn-Sabotage: Verfassungsfeindliches Motiv? Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen:

https://www.merkur.de/welt/zugausfall-polizei-news-deutsche-bahn-sabotage-stoerung-bahnverkehr-norddeutschland-technik-zr-91837627.html#id-pageApi-dna

Das stinkt zum Himmel: https://www.jungewelt.de/artikel/436853.explodierte-pipelines-das-stinkt-zum-himmel.html

Kurz.Schluss. Das Grollen des Eyjafjallajökull vom 23.5.2011: https://linksunten.indymedia.org/de/node/40279/

Tatort Ostsee. Nord Stream-Anschläge: Druck auf die Bundesregierung, Ermittlungsresultate vorzulegen, steigt. US-Medien und Regierungsbeamte aus Europa bezweifeln russische Täterschaft, german-foreign-policy.com vom 5.1.2023: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9122

 

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Ein Kommentar

  1. Hi Wolle,

    natürlich sind gewisse Ereignisse immer die Beule im Teppich. Vor allem, wenn man sie selbst auf dem Kerbholz hat.

    Nicht nur die nicht beantworteten Fragen sind putzig, sondern auch die falsch beantworteten. 😉
    Ich verweise da auf die Taucher, die kein geeignetes Material dabei hatten, um in solch Untiefen zu tauchen.

    Und es gibt sogar noch ein plakativeres Beispiel der Zweideutigkeitlichkeit….
    https://de.wikipedia.org/wiki/Iran-Air-Flug_655

    ….ups…

    MH 17 dreht sich im Grab herum!

    Für mich ist das Szenario eindeutig. Hätte man auch nur eine Spur eines Zeichens gefunden, dass „Die Russen“ beteiligt waren, dann hätte man das Format der BILD ändern müssen, um die Schlagzeile in der angemessenen Größe zu präsentieren. 🙂

    Aber da eine Beteiligung eines Verbündeten „weder bestätigen, noch dementieren kann“, gefährden Antworten die innere Sicherheit. …oder sie beunruhigen die Bevölkerung…
    Aber ob nun ein Herr Klein…
    https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kundus
    …es für angemessen hält, eine Frau Albright…
    https://de.wikipedia.org/wiki/Madeleine_Albright
    …den Preis für angemessen hält, spielt doch keine Rolle.

    mfg

    PS: Tote laden ja auch nicht nach 😉

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