Die Primzahl der Proteste

Veröffentlicht von

Rezension von Florian Schmid/Neues Deutschland vom 28.3.2012

Die Primzahl der Proteste
Der Alt-Autonome Wolf Wetzel zieht ein pointiertes Resümee bisheriger Krisenproteste

Am kommenden Wochenende und Mitte Mai demonstrieren linke Gruppen in Frankfurt am Main gegen die Krisenpolitik der EU. Vor zwei Jahren scheiterte noch der Versuch eines Bündnisses »AG Georg Büchner«, mit Massenblockaden das Frankfurter Bankenviertel lahmzulegen. Die Aktion fand nicht statt, weil weite Teile der Linken in der Fixierung auf die Banken eine »verkürzte Kapitalismuskritik« ausmachten. Wolf Wetzel, früher Autor der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe und Mitglied der »AG Georg Büchner«, hat jetzt in einem Buch ein pointiertes Resümee bisheriger Proteste gezogen.

Die außerparlamentarische Linke hat sich in den letzten Jahren kaum gegen Sozialkürzungen und Prekarisierung organisiert, obwohl mit der Agenda 2010 unter Rot-Grün so viele Menschen wie noch nie sozial an den Rand gedrängt wurden. Die Mythen des Postfordismus – Sozialsysteme seien nicht mehr bezahlbar, es gebe ein Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik und die Arbeitslosenzahlen steigen, weil wegen Auslagerung und technischer Entwicklung die Beschäftigung ausgehe – haben laut Wetzel nichts mit ideologischen Fragen, sondern schlicht mit politischen Machtverhältnissen zu tun. Wurden in vergangenen Jahrzehnten in Arbeitskämpfen Mitbestimmung und ökonomische Teilhabe erstritten, gab es in Deutschland zuletzt kaum solche Proteste. Die Linke stritt vielmehr, ob die Systemfrage zu stellen sei oder ob es in Teilkämpfen um reformistische Ziele gehen sollte. Wolf Wetzel sieht derzeit niemanden in der (radikalen) Linken, der diesen tiefen Graben zwischen der Praxis der kleinen Schritte und der Theorie des großen Ganzen überwindet.

Mit Occupy gibt es plötzlich eine ganz neue internationale Protestbewegung. Gleichzeitig konstituiert sich aber auch eine neue konservative Kapitalismuskritik in der Politik und in den Feuilletons. Für Wetzel stellt sich die Frage, ob Occupy als außerparlamentarischer Arm dieses fleißigen Zurückruderns neoliberaler Eliten fungiert. Bisher ist Occupy nur durch sehr allgemeine Forderungen aufgefallen, Konkretes gab es kaum. Wetzel sieht darin die große Herausforderung dieser Bewegung, die er jedoch weniger harsch kritisiert, als das andere aus dem linksradikalen Spektrum tun. Occupy müsse irgendwann direkte Demokratie nicht nur gut finden, sondern praktizieren und explizite Forderungen stellen, schreibt er.

Anders sieht es in Griechenland aus, wo es eine starke und ausdifferenzierte Linke gibt und Massenproteste wie sonst nirgends in Europa. Nur kann das von EU und IWF verhängte Spardiktat dadurch abgewehrt werden? Was würde passieren, wenn die Regierung keine Legitimität mehr besäße? Aus der Parole »Wir zahlen nicht für eure Krise« würde plötzlich ein gesellschaftliches Projekt. Wie würde die griechische Linke reagieren, die sich unlängst bei Straßenschlachten vor dem Parlament gegenseitig mit Holzknüppeln und Molotow-Cocktails attackierte? Wetzel bezieht in seinem Buch dazu nur insofern Stellung, als er diese Szenen deprimierend findet. Seiner Meinung nach geht es in den anstehenden Kämpfen darum, eine »gemeinsame Primzahl« zu finden. Welche das sein könnte, bleibt offen. Vielleicht ist der Protest des M31-Bündnisses an diesem Wochenende ein Anfang. 31 ist jedenfalls eine Primzahl.

 

Wolf Wetzel: »Krise des Kapitalismus und krisenhafte Proteste«, edition assemblage, 122 S., 9,80 €.

Views: 157

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert