Der Angriff des Kommandos der »Bewegung der arabischen Revolution« auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975

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Der Angriff des Kommandos der »Bewegung der arabischen Revolution« auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975

Wie alles anfing

Zum ersten Mal erfuhr Hans-Joachim Klein von der geplanten Aktion im Frankfurter Stadtwald Anfang November 1975. Dort traf er sich mit mehreren RZ-Mitgliedern. Ihr Anliegen war es, Hans-Joachim Klein für eine Teilnahme zu gewinnen. In groben Zügen – ohne genauere Details – wurde er mit der Idee und politischen Absicht dieser Aktion vertraut gemacht. Das entsprach den Regeln der Klandestinität. Hans-Joachim Klein schien von der Dimension dieses Vorhabens ziemlich überrascht worden zu sein. Schließlich ist ein bewaffneter Angriff auf eine OPEC-Konferenz nicht unbedingt eine Konsequenz, die auf der Hand liegt – nimmt man die Erfahrungen rund um den Frankfurter Häuserkampf, auf die er zurückgreifen konnte. Hans-Joachim Klein bat sich 2 Wochen Bedenkzeit aus.

Zwei Wochen später trafen sie sich noch einmal im Stadtwald….

wo er seine Teilnahme zusagte.

Wenn sich jemand die folgenden Ereignisse für ein Drehbuch zu einem Polit-Thriller ausgedacht hätte, wäre sie oder er sicherlich bei (fast) jedem Sender, bei (fast) jeder Produktionsfirma durchgefallen: zu irrwitzig die Idee, zu unglaubwürdig die Handlung und gar völlig unvorstellbar das Happy End.

Vorbereitungen zum OPEC -Überfall

Anfang Dezember 1975 fährt Hans-Joachim Klein mit Winfried Boese mit dem Zug nach Wien. Zusammen verbringen sie dort eine Woche mit Vorbereitungen für die anstehende Kommandoaktion. Schließlich gelingt es ihnen auch, ein geeignetes Haus 60 km außerhalb von Wien anzumieten, in das sie dann auch alsbald umziehen. Dort treffen sie auch zum ersten Mal die anderen palästinensischen Kommandomitglieder, u.a. »Carlos«. Nach einer Woche kehren sie nach Wien zurück, wo sie sich in einem Appartement einer Kammersängerin einmieten, das sie bis zur Aktion behalten.

Noch eine Woche vor dem geplanten Stichtag hängt die Umsetzung des Plans am seidenen Faden. Denn die ganze Aktion steht und fällt mit Informationen, die von »Leuten aus der libyschen Botschaft« (Hans-Joachim Klein) kommen sollten. Sie versprachen Aufschluss zu geben über die Örtlichkeiten im OPEC-Gebäude selbst, über den Ablauf der dort tagenden OPEC-Konferenz und die Präsenz von bewaffneten Sicherheitsbeamten. Auch die Waffen, die bei der Aktion verwandt werden, sollen von dort bereitgestellt werden. Doch immer wieder kommt »Carlos« von ausgemachten Treffen zurück, die platzten. Die Zeit drängte und die Gründe, warum diese Treffen nicht zustande kamen, blieben im Dunkeln. Aus dieser unsicheren Situation heraus wird beschlossen, die RZ damit zu beauftragen, Waffen aus Deutschland nach Wien zu schaffen. Tatsächlich gelangen die Waffen aus RZ-Beständen ohne Probleme in die Hände des Kommandos, das weiterhin auf heißen Kohlen sitzt. Erst im letzten Augenblick, am Freitag, den 17.12.1975, gelingt doch noch die Kontaktaufnahme mit den »Libyer«. Die Aktion wird um einen Tag verschoben und die Kommandomitglieder machen sich mit den erhaltenen Interna vertraut.

Der OPEC-Überfall am 21.12.1975

Um die Mittagszeit besteigt das 6-köpfige Kommando die Straßenbahn. An der Haltestelle direkt vor dem OPEC-Gebäude steigen sie aus. Ihre Pistolen tragen sie unter ihren Mänteln. Die Maschinenpistolen, der Sprengstoff und die Handgranaten sind in Taschen verstaut.

Da es sich bei dem OPEC-Gebäude um exterritoriales Gelände handelt, wurden die Sicherheitsmaßnahmen mit dem Generalsekretär der OPEC abgesprochen. Diese sahen lediglich zwei Polizeibeamte in Zivil innerhalb des Gebäudes vor und weitere zwei Beamte in Uniform zum Einweisen der Autos auf den Parkplatz vor dem OPEC-Gebäude. Weitere Sicherheitsmaßnahmen wurden von Seiten der OPEC abgelehnt.

Ohne Probleme dringen sie in das OPEC-Gebäude ein. Weder müssen sich die Kommandomitglieder ausweisen, noch werden ihre mitgeführten Taschen kontrolliert. In dem ganzen Durcheinander werden sie offensichtlich für Presseleute gehalten. Innerhalb weniger Minuten haben sie die Situation im Griff und die meisten dort Anwesenden in einem großen Konferenzraum festgesetzt.

Um ca. 13 Uhr erfährt die österreichische Polizei über eine Person aus dem OPEC-Gebäude, dass sich dort ein Überfall ereignet hat. Daraufhin werden acht Polizisten in einem Ford Transit zum OPEC-Gelände beordert. Was sich dort tatsächlich ereignet hat, wissen die eingesetzten Beamten nicht. Mit zwei schusssicheren Westen und zwei Maschinenpistolen bewaffnet nähern sich die Beamten dem OPEC-Gebäude. Zu viert dringen sie in das OPEC-Gebäude ein und werden beschossen. In diesem Verlauf wird auch eine Handgranate gezündet. Von der Aussichtslosigkeit ihres Tuns überzeugt, ziehen sich die Beamten zurück. Bei diesem Feuergefecht werden drei Menschen getötet. Verletzt wird ebenfalls Hans-Joachim Klein, wahrscheinlich durch einen Querschläger. Von anderen Kommando-Mitgliedern wird er in den Konferenzraum gebracht und von einem dort Anwesenden untersucht. Angesichts der Schwere der Verletzung wird sehr schnell klar, dass Hans-Joachim Klein in ein Krankenhaus gebracht werden muss.

Um 13.20 Uhr trifft auch der mit Weisungsrecht ausgestattete Hofrat Werner Liebhard, Einsatzleiter der Wiener Polizei, ein. Nach dem Rückzug der österreichischen Polizeibeamten entspannt sich die Situation vor Ort. Es werden erste Kontakte mit dem Kommando aufgenommen. Mittelsmann ist der algerische Erdölminister. Das Angebot, die vier gefangen gehaltenen Frauen im OPEC-Gebäude gegen vier Kriminalbeamte auszutauschen, wird abgelehnt. Dafür kommt man überein, alle Verletzten zu versorgen, u.a. auch Hans-Joachim Klein. Er wird in ein Wiener Krankenhaus gebracht – verbunden mit der Forderung, dass er am nächsten Tag mit ausgeflogen wird. Im Zuge dieser Verhandlungen werden auch die Forderungen des Kommandos öffentlich:

Die Bereitstellung eines Flugzeuges mit drei Crews für den nächsten Tag. Freier Abzug des Kommandos mitsamt den Geißeln in ein Land ihrer Wahl. Die Verlesung einer vorbereiteten Erklärung im österreichischen Rundfunk.

Im österreichischen Krisenstab wird zwar auch eine gewaltsame Erstürmung des OPEC-Gebäudes erwogen, doch sehr schnell als zu riskant verworfen. Stattdessen wird die Entscheidung getroffen, weitgehendst auf die Forderungen des Kommandos einzugehen. Die Lage entspannt sich. Das Abschlussbankett, das in einem Wiener Hotel stattfinden sollte, wird der neuen Lage angepasst und im besetzten OPEC-Gebäude gereicht. Selbst die Speisekarte trägt den unerwarteten Umständen Rechnung: statt protokollarisch vorgesehenem Schweinefleisch, werden gebratene Hühnchen serviert. Die Nacht verläuft ruhig.

Am nächsten Tag, dem Montag, den 22.12.1975, hält ein Bus mit Vorhängen vor dem OPEC-Gebäude, um das Kommando und die Geißeln zum Flughafen zu fahren. Zuvor will sich das Kommando vergewissern, dass die Erklärung auch tatsächlich im österreichischen Rundfunk verlesen wird – nicht ohne Komplikationen. Das erste Radio, das zur Hand war, funktioniert nicht. Schließlich findet sich doch noch ein weiteres, das die mehrmalige Verlesung der Erklärung zweifelsfrei wiedergibt. Von den ca. 70 Personen, die im OPEC-Gebäude festgehalten wurden, werden ca. 50 Personen freigelassen. Lediglich die elf Erdölminister und das Kommando besteigen den bereitgestellten Bus, um auf Umwegen den Wiener Flughafen anzusteuern. Obwohl die behandelnden Ärzte den Transport von Hans-Joachim Klein für lebensbedrohlich halten, bleibt es bei der Entscheidung, ihn mit auszufliegen. Zusammen mit einem Arzt und zusätzlichen 600 Liter Sauerstoff hebt das Flugzeug, eine DC 9, ab.

Nachdem das Kommando das Gebäude verlassen hat, wird sofort mit der Tatortsicherung begonnen – mit einem Höchstmaß an Dilettantismus. Während österreichische Kriminalbeamte versuchen, ihre Arbeit aufzunehmen, werden sie von nicht genauer bezeichneten anderen (Geheim-)»Diensten« behindert. Dazwischen schießen Pressefotografen unbehelligt ihre Fotos. Ergänzt wird dieser professionelle Akt der Spurenvernichtung durch eine von der OPEC beauftragte Putztruppe, die mit Gründlichkeit all die Spuren beseitigt, die die österreichische Kriminalpolizei erst sichern wollte.

Geplant war eine Zwischenlandung in Tripolis/Libyen. Dort sollte ein voll getanktes Flugzeug bereitstehen – zur Durchführung des zweiten, politischen Teils der Kommandoaktion:

Das Flugzeug sollte mit den elf Erdölministern an Bord die jeweiligen Heimatländer anfliegen, mit dem Ziel, im Gegenzug zu ihrer Freilassung die Verlesung einer pro-palästinensischen Erklärung zu erzwingen. Die Intension dieser Erklärung richtete sich nicht nur gegen einige reaktionäre arabische Regierungen, die der Zusammenarbeit mit den USA und Israels bezichtigt werden. Ziel war vor allem, den palästinensischen Befreiungskampf propagandistisch zu unterstützen: “Die Bewegung des Arms der arabischen Revolution betont, dass die arabische Sache einschließlich der palästinensischen Frage Gegenstand eines einschneidenden Komplotts ist, der die Existenz des Zionismus in unserem Land für rechtmäßig erklären will und die Teilung im arabischen Lager bestärken will. Diese Pläne zielen darauf ab, den arabischen Widerstand und die arabische Solidarität zu zerschlagen. Dadurch werden wir direkt oder indirekt unter amerikanischen Einfluss gebracht, den die reaktionären, verräterischen und defätistischen Regime im arabischen Lager mit Inbrunst ersehnen…Wer auch immer Israel anerkennt oder einwilligt, mit ihm zu handeln oder zu verhandeln, ist ein Verräter und verdient, von den Massen…bestraft zu werden.“ (ID vom Dezember 1975)

Zu den politischen Ziele, die mit der OPEC-Aktion verfolgt werden, führt die »Minimalplattform für ein Programm der nationalen Befreiung« aus: »…keine Verhandlungen, kein Vertrag und keine Anerkennung des und mit dem zionistischen Aggressor-Staat (Israel)… Erklärung des Prinzips der vollständigen Verfügung über den Öl- und Geldreichtum durch Verstaatlichung der Ölmonopole und Übergang zu einer nationalen Öl- und Finanzpolitik, die es dem arabischen Volk ermöglicht, seinen Reichtum für seine eigene Entwicklung…zu benutzen… Wiederaufnahme des Weges zur arabischen Einheit.« (ID vom 21.12.1975).

Entgegen ursprünglicher Planungen landet das Flugzeug in Algier/Algerien, wo sie freundlich empfangen werden. Die österreichische Regierung versucht zwar, die algerischen Behörden dazu zu bewegen, das Kommando festzunehmen und nach Österreich auszuliefern – doch diese verweigert die gewünschte Amtshilfe. Das Kommando kann unbehelligt das Land verlassen. Die elf Erdölminister werden freigelassen.

Warum rückte das Kommando vom zweiten, politischen Teil ihrer Aktion ab? Warum wurde das eigentliche Ziel der OPEC-Aktion fallen gelassen? Diese Fragen bleiben zahllosen Spekulationen überlassen. Eine Erklärung dazu wurde nie abgegeben.

Aus: Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Die Hunde bellen… Von A bis (R)Z, Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre

Unrast-Verlag, Münster, Herbst 2001

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