Wenn Kabarettisten von Bord gehen und Abtrünnige über Bord geworfen werden. Teil II

Veröffentlicht von

Wenn Kabarettisten von Bord gehen und Abtrünnige über Bord geworfen werden.

Teil II

Zensur, Auftrittsverbote, Hetzkampagnen und Kriminalisierungen von störenden bis oppositionellen Meinungen gab es schon immer – sagen einige. Das stimmt. Ist also das, was wir mit dem Corona-Ausnahmezustand erlebt haben und was sich mit dem Krieg gegen Russland verstärkt hat, dasselbe?

Meine These lautet: Nicht die Zensur ist das Besondere, auch nicht die angewandten Methoden, sondern der Personenkreis, der dadurch mundtot gemacht werden soll. Zweiter Teil.
Den ersten Teil finden Sie: Hier.

Birte spielt nicht mehr mit

Teil II

Mit dem Namen Christine Prayon konnte ich nichts anfangen und „Birte Schneider“ als bissige Außenreporterin in der „Heute Show“ hatte ich ungefähr in Erinnerung. Das muss nicht an ihrer Rolle liegen, denn ich habe die „Heute Show“ meistens als rückstandsfreie Ablenkung konsumiert. Die Hauptrolle in dieser Satiresendung nimmt Oliver Welke ein. Manchmal witzig, eben ZDF-Niveau.

Umso mehr beeindruckte mich ein Interview mit der Kontext-Zeitung, die im Stuttgarter Raum präsent ist und aus den Protesten gegen das Mega-Projekt „Stuttgart 21“ hervorgegangen ist.

Corona hat sie aus der Bahn geworfen. Zum einen ganz persönlich, in Form einer Post-Vac-Erkrankung. Aber diese war und ist nicht ausschlagend:

Ich habe mit der Art, wie die großen gesellschaftlich prägenden Themen seit Corona behandelt werden, zunehmend Bauchschmerzen bekommen. Ich habe auch mit den Verantwortlichen dort geredet und betont, dass ich mich nicht daran beteiligen will, Andersdenkende der Lächerlichkeit preiszugeben. Satire darf sich nicht daran beteiligen, den Diskurs zu verengen. Und jetzt findet genau dies wieder statt beim Krieg in der Ukraine. Da werden Narrative und Positionen von Gruppen, die gesellschaftlich in der Hierarchie weit oben stehen, unablässig wiederholt und gleichzeitig wird Stimmung gegen Andersdenkende gemacht. Das hat nach meinem Dafürhalten nichts mehr mit Satire zu tun.

Sie beschreibt dabei auch die Mechanismen der „Ausleitung“. Sie wurde nicht rausgeschmissen. Man lässt sie nur spüren, dass sie sich ändern müsste, also anpassen und mitmachen. Das bekommt sie auch in der Satiresendung „Die Anstalt“ mit. Nein, man schmeißt sie nicht raus:

„Aber man wird halt immer weniger gefragt, bis man irgendwann nicht mehr gefragt wird, und das hat Gründe.“

Und dann folgt eine Begründung, die mich sehr beeindruckt:

Ich habe mich wohl erfolgreich mit meinem Programm und meinen Ansichten aus vielen Sachen rauskatapultiert. Ich glaube zum Beispiel auch, wenn man das große Fass Kapitalismuskritik aufmacht und das wirklich ernst meint, ist man draußen. Nein, ich bin überhaupt keine Freundin mehr von Satiresendungen, egal ob Böhmermann, “Anstalt” oder andere.

Das habe ich in den letzten Jahren selten gehört und das hätte ich nicht von einer Kabarettistin erwartet. Denn sie macht deutlich, wie wenig es um Geschmacks- und Interpretationsfragen geht. Es geht um Systemfragen. Es geht – mehr denn je- ums Ganze.

Sie kommt im Interview auf die Corona-Zeit zurück und die Kontext-Redakteurin will sie ungefragt mit rechten Ideologien in Verbindung bringen und damit erklären, was überhaupt nicht geht.

Christine Prayon macht hingegen genau das, was zu einer notwendigen Hinterfragung dazugehört:

Ich habe Fragen, was die Impfstoffe angeht, ich habe da Unsicherheiten und zu manchem womöglich noch gar keine Meinung. Aber es war immer unmöglicher, Fragen beantwortet zu bekommen, sich wirklich gut eine Meinung bilden zu können über Informationen, weil ja nur noch die und die geladen sind. Und die anderen darf man sich nicht anhören, weil die sowieso auf obskuren Kanälen, oje, auf keinen Fall anklicken. Diese Verunmöglichung eines Diskurses verschärft nur die Spaltung. Wie wenig bedarf es mittlerweile, um als rechts gebrandmarkt zu werden. Wann bin ich rechts, wann bin ich eine Verschwörungstheoretikerin, eine Schwurblerin? Ich habe Fragen, ich habe Kritik, ich möchte mich äußern dürfen, ich möchte auch zuhören dürfen, ich möchte auch den hören, der für das Letzte gehalten wird. Ich kann mit Satire, die das verunmöglicht, nichts mehr anfangen. Das ist ein Simulieren von Freiheit. Und seit Stuttgart 21, seit dem Demokratietheater, das ich dort miterlebt habe, sehe ich, dass vieles ausgehöhlt ist. Mir fällt es seitdem schwer, auf das Grundgesetz zu pochen oder den Rechtsstaat.

Und am Ende spricht sie ein Thema an, das uns alle beschäftigt und worüber so wenig gesprochen wird: Was machen wir, wenn wir uns aufgeregt haben, wenn wir etwas nicht länger aushalten … wollen:

Was hilft es uns, dass wir wissen, was bei Stuttgart 21 gelaufen ist? Ist doch alles da, die Lügen, die Korruption. Wir wissen doch auch, was beim NSU passiert ist. Wir kennen die ganzen Skandale, wir sehen das alles, und was folgt daraus? Natürlich ist Aufklärung nötig, die soll auch nicht aufhören. Für mich war nur der Punkt, dass das, was normalerweise für die Aufgabe des Kabaretts gehalten wird, also die Kritik am Bestehenden, dass das alleine mich nicht interessiert, wenn man nicht gleichzeitig darüber redet, was noch möglich ist. Und wenn man auch nicht gleichzeitig über die tieferen Ursachen spricht. Für mich ist es immer Ausdruck eines kranken Systems. Wie soll ich jemandem vorwerfen, dass er sich bereichert hat, wenn das innerhalb des Systems verlangt wird? Oder finden Sie, dass der Kapitalismus auch nur eines der gewaltigen Probleme unserer Zeit in den Griff kriegt? Und auch mit einem grün angepinselten Kapitalismus werden wir die Erde nicht retten.

 

Kein Friede

Am 16. Juli 2023 sollte die Veranstaltung „Frieden in planetaren Grenzen – gemeinsame Sicherheit heute“ im Mainzer Haus der Kulturen stattfinden, die von der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“

  1. V. (NatWiss) geplant war. Dazu wurden unter anderem die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz eingeladen.

Ulrike Guérot habe ich bereits vorgestellt. Gabriele Krone-Schmalz war von 1987 bis 1991 als ARD-Korrespondentin in Russland tätig. Sie tat dies im Geist der „Entspannungspolitik“ gegenüber der Sowjetunion und in dem Wissen, dass wir heute dorthin zurückkehren, wogegen Willy Brandts „Ostpolitik“ in den 1970er Jahren ankämpfen musste: Diese wurde als Verrat (an „deutschen Interessen“) gebrandmarkt. Gabriele Krone-Schmalz war oft ein gern gesehener Gast in Talkshows. Seit der „Zeitenwende“ wird sie weder eingeladen noch gehört.

Dazu gehören auch folgende Feststellungen, die erkennbar machen, dass der Krieg lang vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 begann:

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung von Warschauer Pakt und Sowjetunion waren die USA die alleinige Supermacht, und eine Zeitlang sah es so aus, als könnten sie ihre Ordnung weltweit durchsetzen. Das geopolitische Interesse der USA war es seitdem, dafür zu sorgen, dass kein Rivale auf der Weltbühne auftaucht, der sie in derselben Weise herausfordern könnte, wie die Sowjetunion es getan hatte. Eine solche kritische Masse könnte erreicht sein, wenn es Russland gelänge, Weißrussland und die Ukraine zu schlucken, so stand es 1992 in Papieren des Pentagon, die maßgeblich Paul Wolfowitz entworfen hatte, später stellvertretender Verteidigungsminister unter George W. Bush. Der heutige Konflikt ist sicher vielschichtig. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn diese Hintergründe nicht auch eine Rolle spielen würden.

Und auch die Rolle Deutschlands beleuchtet sie, wenn sie auf die Abkommen Minsk I und II zu sprechen kommt, an denen die deutsche Bundesregierung mitgewirkt hatte:

Nehmen Sie nur die Berichterstattung über Minsk 2. Wer sich mit dem Abkommen nicht auskennt, muss den Eindruck bekommen, es seien vor allem Russland und die Separatisten, die blockieren. In Wahrheit setzt aber auch die Ukraine zentrale Teile des Abkommens nicht um, weil es in einem Moment der militärischen Schwäche ausgehandelt wurde und Kiew auf einen besseren Deal hofft.

Das sagte sie in einem Interview vom 10. Februar 2022, als sie noch nicht wissen konnte, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wenig später zugab, dass diese Abkommen nur geschlossen wurden, um „Zeit zu kaufen“, also sie zu brechen.

Träger des Veranstaltungsorts waren die Malteser, die es als „unvereinbar mit dem Wertekompass des Hauses der Kulturen und der MW Malteser Werke gGmbH“ gesehen hatten, eine solche Veranstaltung in ihren Räumlichkeiten stattfinden zu lassen. Sie kündigten den Vertrag mit der Begründung, die von NatWiss organisierte Veranstaltung würde, „pro-russische Propaganda, Verschwörungsmythen und Halbwahrheiten“ verbreiten. Als „Beweis“ lieferte diese katholische Hilfsorganisation die beiden Referentinnen.

Die Veranstaltung musste nach Wiesbaden verlegt werden.

Wenn man bedenkt, dass das, was die beiden Referentinnen heute vortragen, jahrzehntelang der „Wertekompass“ deutscher Regierungen war, dann bekommt man eine Ahnung davon, mit welchen Knallfröschen hier gehandelt wird und wie viele dies in dem katholischen Umfeld schweigend bis lobend hinnehmen.

Fassen wir zusammen: Alle hier Gebrandmarkten und über Bord Geworfenen haben weder zum bewaffneten Kampf aufgerufen, noch zum Sturm auf die Bastille, pardon zum Sturm auf das Bundeskanzleramt.

Auch die Systemfrage wurde – mit Ausnahme von Christine Prayon – nicht gestellt. Sie alle haben vehement den politischen Monotheismus in Frage gestellt, indem sie Krieg und Frieden nicht für dasselbe halten, indem sie These und Antithese nicht als Zeitverschwendung abtun, sondern als Grundlage von Erkenntnisgewinn verstehen, was man bei passender Gelegenheit gerne auch mal als Errungenschaft der Aufklärung preist.

Und, jetzt komme ich auf das Besondere an dieser Zensur und Selbstzensur:

Sie trifft (im Wesentlichen) keine eh schon Marginalisierten, am Rand Lebende oder an den Rand Gedrängte. Sie gehörten all zum politischen und kulturellen Establishment. Sie waren eine/r von ihnen, also das, was man als „lebendige Demokratie“ angepriesen hatte. Damit ist mehr als eine Verschiebung der Feindmarkierung gemeint. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass selbst die Risse im System größer werden.

Dazu gehörten einst auch „Der Scheibenwischer“ und Gerhard Polt, selbst wenn man deren Kritik gerade so noch weglächeln konnte.

 

Gründung des Clubs der widerspenstigen LebensKünste

 

Im Wald zwei Wege boten sich mir dar,
und ich ging den, der weniger betreten war.
Und das veränderte mein Leben.

 

(Robert Forst, in „Der Club der toten Dichter“ (USA, 1989)

 

Wir bedauern all dies, wir kritisieren es. Aber wir alle lassen es zu, dass es Erfolg hat. Wir lassen uns den Raum nehmen, den wir für Diskussionen und das Zusammenkommen brauchen. Wir lassen uns die Personen nehmen, denen wir zuhören wollen, mit denen wir diskutieren wollen.

Solang wir uns die Finger wund schreiben, solange wir ein paar Tränen vergießen und dann weitermachen, wird sich das fortsetzen.

Sie werden die Abtrünnigen weiterhin markieren, an den Pranger stellen, über sie herfallen, sie persönlich fertigmachen, ihnen ihre beruflichen Möglichkeiten einschränken. Sie werden nicht mehr eingeladen, sie werden ausgeladen. Veranstaltungen mit ihnen werden „abgesagt“. In aller Regel müssen sie damit alleine, ganz alleine klarkommen.

Was nehmen sich irgendwelche Stadtherr*innen heraus, um festzulegen, was wir hören, was wir sehen dürfen.

Es geht nicht mehr darum, sich darüber aufzuregen und dann alles mitzumachen.

Wir müssen dafür sorgen, dass sie uns sehen, dass wir sie hören können, dass wir zusammen sein wollen – ein Grund mehr, das durchzusetzen, wenn ihnen das nicht passt.

Es ist aller höchste Zeit, nicht länger einen Platz auf der immer schmaleren Bank zu suchen, sich nicht (noch) kleiner zu machen, sondern die Bank aus dem Fenster (und aus dem eigenen Kopf) zu werfen.

 

Wolf Wetzel

Teil I publiziert im Magazin Overton am 25.7.2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/wenn-kabarettisten-von-bord-gehen-und-abtruennige-ueber-bord-geworfen-werden/

 

Birte hat sich rauskatapultiert

Quellen und Hinweise:

Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2022/07/20/der-proteststurm-gegen-die-documenta-15-ein-dokument-progressiven-herrenmenschentums/

Offener Brief an Markus Lanz, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2022/06/14/offener-brief-an-markus-lanz

Die Stadt, der Müll und die Abfuhr | vorläufiger Schlussakt, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/05/16/die-stadt-der-muell-und-die-abfuhr-vorlaeufiger-schlussakt/

Malteser unterbinden Veranstaltung mit Guérot und Krone-Schmalz im Mainzer Haus der Kulturen, NDS vom 14. Juli 2023: https://www.nachdenkseiten.de/?p=101037

Serdar Somuncu verabschiedet sich von der Bühne: „Ey, ich hab’ keinen Bock mehr“, RND vom 10.05.2023: https://www.rnd.de/kultur/serdar-somuncu-verkuendet-abschied-von-der-buehne-ey-ich-hab-keinen-bock-mehr-BEZ4TTFP5RCN3FVTLY5MH2K7HI.html

Birte spielt nicht mehr mit, Kontext-Interview mit Christine Prayon vom 28.06.2023: https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/639/birte-spielt-nicht-mehr-mit-8943.html

Facebook zerschlagen, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2019/05/01/facebook-zerschlagen/

Krone-Schmalz: „Offenbar reicht bei vielen weder die Bildung noch die Fantasie aus, um sich die Schrecken des Krieges vorzustellen“, NDS vom 10. Februar 2022: https://www.nachdenkseiten.de/?p=80630

 

Views: 270

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert