Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums

Veröffentlicht von

Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums

Der Kampf gegen den Antisemitismus als Regierungsformat bekämpft nicht den Judenhass, sondern schützt imperiale und postkoloniale Verhältnisse

Wenn es nicht so niederschmetternd wäre, müsste man dankbar sein, über das, was ein Wandbild auf der Documenta 15 in Kassel im Jahre 2022 ausgelöst hat und die VIP-Lounge dahinter zum Toben bringt.

Klar, eigentlich war man ziemlich liberal und offen:

Man lud die indonesischen Künstlergruppe Ruangrupa ein, die Documenta 15 zu gestalten. Auch das Thema Kolonialismus war eigentlich nicht so das Problem. Wenn es lange zurückliegt, kann man sich entschuldigen, ein bisschen Raubkunst zurückgeben und daraus auch noch kulturellen Profit generieren:

Schaut her, wie offen wir mit unserer kolonialen Vergangenheit umgehen, wie selbstkritisch wir doch sind!

Dann platzte die sehr dünne Blase des Liberalismus: Ein Wandbild erzürnte die doch so Guten.

Von unzähligen Motiven hat man sich ganz konkret an zweien gestoßen: Das eine zeigt mehrere soldaten-ähnliche Wesen in Uniform. Hinter ihnen stehen oder fliegen Atomraketen. Die drei Soldaten tragen Helme und haben eine schweinsähnliche Nase. Die Soldaten verkörpern ganz offensichtlich die Einmischungen vom Ausland, die Unterstützung für eine blutige Diktatur im Lande. Der erste Soldat trägt als Inschrift „Asia“, der zweite wird mit „Mossad“ markiert und trägt ein Halstuch mit einem Davidstern darauf. Der dritte Soldat hat als Namenschild „Intel“, ziemlich leicht als Symbol für die wirtschaftliche Einmischung der USA zu dechiffrieren.

Wie kann man nur ein „Schwein“ mit dem Namenszug „Mossad“ ausstatten? Wie kann man nur den Mossad, den israelischen Geheimdienst in der indonesischen Diktatur-Geschichte sichtbar machen?

Noch ein zweites Mosaik in diesem Wandgemälde erregte Zorn: Es zeigt eine Person mit Anzug, gezackten Raffzähnen, einer Zigarre im Mundwinkel und SS-Runen auf schwarzer Hutkrempe.

Bezeichnenderweise stand vor allem das erste Mosaik im Schussfeld, das mit dem „Mossad-Schwein“.

Wer von den herrschenden Medien geleitet und geführt wird, war tatsächlich auch irritiert. Ich auch. Warum muss man ein Schwein als „Mossad“ markieren, was hat der israelische Geheimdienst Mossad in der postkolonialen Geschichte Indonesien zu suchen?

Wenn man keine Ahnung hat und auch nicht nachfragt, wird man schnell im inneren Dialog mit sich zu dem Schluss kommen: Nichts.

Das hat zwar gar nichts mit der Geschichte Indonesiens zu tun, umso mehr mit der eigenen Ignoranz.

Man will sich nicht dabei stören lassen, diese Motive mit antisemitischen Weltbildern und Stereotypen zu verknüpfen, um sich wertegeleitet und völlig entrüstet abzuwenden.

Aber warum hat niemand gefragt, warum die daran beteiligten KünsterInnen dies so gemacht haben? Warum wissen „wir“ sofort, was bei denen abgeht? Warum fragen „wir“ sie nicht erst, bevor wir sie verurteilen?

Warum wird nicht die Geschichte der Künstlergruppe erzählt, die möglicherweise mehr Erklärungen für diese Motive liefert, als alle empörten Kunstexpert*innen zusammen?

Taring Padi ist eine Gruppe, die sich Ende der 1990er-Jahre gegründet hat, aus der Erfahrung der Diktatur Suhartos, die da gerade zu Ende ging. Das war eine sehr harte Erfahrung für Indonesien: Das war ein Diktator, der als der korrupteste Diktator der Welt galt. Es gab da Massenmorde. Suharto wurde von den westlichen Mächten im Rahmen des Kalten Krieges unterstützt, wie das so oft war bei diesen Regimes. Diese Gruppe nutzt Agitprop-Ästhetik, Karikaturen, sehr politische Zeichnungen und Banner dazu, um Kunst in die Gesellschaft zu tragen.“ (Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins ‚Monopol‘, im Interview mit dem NDR vom 24.6.2022)

Die Künstlergruppe hatte sich aber auch klar zu dem Banner erklärt und zur Bedeutung von Bildsprache, worauf Elke Buhr mit keinem Wort eingeht:

Die Banner-Installation People’s Justice (2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z. B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren (…).“

Ist es zuviel verlangt, das Banner in deren politischem Selbstverständnis zu begreifen und zu verstehen? Ja.

Das Bild wurde erst verhüllt. Wenn ich mich recht erinnere, gab es den Vorschlag an die Künstlergruppe Taring Padi, es „nachzuarbeiten“, in Form einer freiwilligen Teilverhüllung. Möglicherweise erkannten die Abmahner*innen, dass man dadurch noch mehr den unverschämten Eingriff erkennen würde. Damit war diese Idee schnell vom Tisch. Wenig später lieferte man bereits den Begleittext zu einem Gemälde, das nun verschwunden ist:

Es handele sich natürlich nicht um Zensur. Es gehe hier um Antisemitismus und sich dagegen zur Wehr zu setzen ist geradezu eine historische, deutsche Pflicht und eben keine Zensur.

Mit diesem Schlagwort hat sich alles Weitere erübrigt? Es reicht, dass zwei (von hundert) Motiven eine antisemitische Bildsprache bedienen (sollen)? Nehmen wir einmal an, das könnte man so sehen: Dann wäre doch der nächste, sehr notwendige Schritt, sich und uns allen die Frage zu stellen:

Spiegelt sich in der antisemitischen Bildsprache die Praxis, der Alltag der KünsterInnen wider? Verfolgen sie Juden, machen sie die Juden für alles Übel in der Welt verantwortlich? Warum interessiert das niemand, fast niemand?

Dafür gab es eine wirklich lebhafte und vielstimmige Diskussion … nicht über diesen massiven Eingriff, sondern darüber, wer mit dafür mitverantwortlich ist, wen man noch köpfen muss, damit so etwas nie mehr vorkommt.

Und diese fliegende Gerichtsbarkeit (ohne öffentliche Verhandlung) war wirklich sehr effektiv:

Nach dem Antisemitismus-Skandal bei der documenta hat die Generaldirektorin der Ausstellung, Sabine Schormann, ihr Amt niedergelegt. Aufsichtsrat und Gesellschafter haben sich mit ihr verständigt, den Dienstvertrag kurzfristig aufzulösen, wie das Kontrollgremium in Kassel mitteilte.“ (zdf.de vom 16.7.2022)

Man habe sich gemeinsam verständigt? Was für eine Mafia-Sprache, wenn man jemand feuert und der Person einen Rücktritt zweiter oder dritter Klasse als Verhandlungsmasse anbietet.

Vom „Hinterhof“ der USA bis zu „Haus und Garten“

Auch wenn es nicht mehr im Gedächtnis sein soll. Das Wandbild soll die koloniale und postkoloniale Geschichte Indonesiens zeigen. Es geht dabei auch um die Diktatur unter General Suharto ab Mitte der 1960er Jahre. Er war der Darling der westlichen „Wertegemeinschaft“:

Der geballte ‚Westen‘ – angeführt von den USA, Großbritannien, Australien bis hin zur Bundesrepublik und Israel – stand dem Putschgeneral Suharto politisch, wirtschaftlich, militärisch eng zur Seite. Auch und gerade, was die geheimdienstliche Unterstützung seitens eben dieser Staaten betraf. Was aus Sicht von Taring Padi und in deren derber Zurichtung einem „Schweinesystem“ entspricht, wo die entsprechenden „Schweine“ ungeschminkt als solche dargestellt werden. Was den Mossad betrifft, so verwaltete er nach der Machtübernahme durch General Suharto die Beziehungen Israels zu Indonesien. Das Wissen um die Massaker und die Hintermänner hinderte den Geheimdienst nicht daran, im Rahmen einer geheimen Initiative namens „Haus und Garten“ wirtschaftliche und sicherheitspolitische Beziehungen zu dem Militärregime in Jakarta aufzubauen.“ (Documenta 15: Enttarnter Antisemitismus oder verkannter Antikommunismus? NDS vom 10.7.2022)

Und was ist mit dem zweiten Mosaik, mit dem Mann im Anzug mit SS-Runen? Warum war diesbezüglich der Proteststurm so leise, ob der Übertreibung, Überzeichnung oder sonstiger Kunstvergehen? Nun, das ist ganz einfach: Man konnte den eigentlichen, politischen Hintergrund nicht ablöschen, mit der Allzweckwaffe „Antisemitismus“.

Warum hat niemand von den Empörten nachgefragt, was es mit der Verquickung auf sich hat? Was hat die SS in den 1960er Jahren in Indonesien zu suchen?

Das wäre doch eine spannende Frage, wenn man bedenkt, dass der deutsche Faschismus eigentlich 1945 besiegt wurde und eine umfassende „Entnazifizierung“ eine Wiederholung eines Menschheitsverbrechens verhindern sollte?

Auch das könnte man leicht herausbekommen und zur Diskussion stellen. Dankenswerter Weise hat dies Rainer Werning getan: Man kann diese „Andeutung“ zum Beispiel mit dem Rudolf Oebsger-Röder in Verbindung bringen. Er war ein glühender Ex-Nazi und SS-Obersturmbannführer. Nach 1945, die angebliche die „Stunde Null“ markieren soll, machte er einfach weiter, im Schutz eines anderen hohen Nazis, der es sofort zu ganz viel gebracht hatte: Reinhard Gehlen, ehemaliger Geheimdienstmann im Dritten Reich. Bruch- und nahtlos ging es weiter: Es wurde nach seinem Namen die „Organisation Gehlen“ gegründet, die Vorläuferorganisation des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Dort fand auch Rudolf Oebsger-Röder eine neue/alte Heimat: Er arbeitete „in Jakarta unter dem Namen O. G. Roeder sowohl als BND-Mitarbeiter als auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. In der indonesischen Metropole gelang es ihm, sozusagen als ideeller Gesamtnazi auf dem Archipel, Zugang zu Suharto zu finden und als dessen Berater und Biograph zu wirken.“ (s.o.)

 

Was mit diesem Wandbild sichtbar gemacht werden sollte, sind die vielen Beteiligten, die für die Aufrechterhaltung postkolonialer Verhältnisse gesorgt haben, allen voran die „Wertegemeinschaft“, die jetzt für die Freiheit der Ukraine kämpfen will. Dieses Wandbild macht sichtbar, dass neben der US-Regierung auch die israelische Regierung das diktatorische Regime unterstützt hat.

Das ist genau das Gegenteil von den Grundaxiomen des Antisemitismus: In diesen macht man „den Juden“ für alles verantwortlich, was mit ihnen nicht das Geringste zu tun hat. Im Antisemitismus imaginiert man die Allmacht der Juden, um die wirklichen Machtverhältnisse zu verschleiern.

All das ist in diesem sehr konkreten Fall nicht der Fall: Der Davidstern steht eben nicht für eine imaginäre Macht, sondern für das sehr konkrete Engagement der israelischen Regierung an der Seite einer Diktatur. Ihre Beteiligung an Staatsverbrechen wird nicht als einzigartig dargestellt, um so von allen anderen Beteiligten abzulenken. Genau das Gegenteil zeigt das Bild: Der israelische Staat steht in Reih und Glied mit anderen, die eine der blutigsten Diktaturen nach 1945 mitunterstützt haben.

Wenn all das zur Sprache kommen würde, also auch die aktive Beteiligung westlicher „Demokratien“ an der mehr als 30 Jahre währenden Diktatur in Indonesien, die 500.000 Menschen das Leben gekostet hat, dann ließe sich ohne Fehl- und Querpässe auch über Schweine als „Sinnbild“ für böse Menschen reden und über miss/gelungene und/oder antisemitische „Bildsprache“. Aber eben auch über das, was das Wandbild als Überschrift trägt:

„The expansion of ‚multicultural‘ state hegemony.“

Kann es etwa sein, dass genau dieser Titel die Fassade der Multikulturellen in Deutschland so richtig angeäzt hat. „Multikulturalität“ als Aushängeschild für unentwegte westliche Dominanz und Hegemonieansprüche? Im Namen all jener, die heute mehr denn je, mehr Diversität im Ich-Sein mit ganz viel Krieg fürs Wir-Sein zusammenbringen.

Der Vorwurf, das Wandbild verbreite antisemitische Stereotype deckt nicht antisemitische Denk- und Handlungsweisen auf – er deckt vielmehr die postkoloniale und imperiale Gegenwart in Indonesien zu, schützt nicht die Opfer von Verfolgung und Diktaturen, sondern die Mit-Täter und Mitläufer, in Indonesien … und in Deutschland.

Wolf Wetzel

Publiziert im Overton Magazin am 20.7.2022:

https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-proteststurm-gegen-die-documenta-15-ein-dokument-progressiven-herrenmenschentums/

Quellen und Hinweise:

Documenta 15: Enttarnter Antisemitismus oder verkannter Antikommunismus? Rainer Werning: https://www.nachdenkseiten.de/?p=85666

Moshe Zuckermann zum documenta-Skandal: „Ein typisch deutscher Eklat: https://overton-magazin.de/krass-konkret/moshe-zuckermann-zum-documenta-skandal-jemand-hat-kurz-geruelpst-und-das-erschuettert-das-ganze-land/

Antisemitisches Gemälde auf der documenta: Was steckt dahinter? Elke Buhr im Interview: https://www.ndr.de/kultur/kunst/niedersachsen/Antisemitisches-Gemaelde-auf-der-documenta-Was-steckt-dahinter,documenta208.html

Nach Antisemitismus-Eklat: documenta: Generaldirektorin legt Amt nieder: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/documenta-generaldirektorin-schormann-antisemitismus-100.html

 

 

Der Proteststurm gegen die Documenta 15: Ein Dokument »progressiven« Herrenmenschentums

P.S. : Der weiße Mann im blütenweißen Anzug ist der US-Präsident Gerald R. Ford, der von 1974 – 1977 Präsident der USA war. 1975 begrüßte er Suharto, den Diktator und Massenmörder  auf Camp David.

Von der Bildsprache bis zur Bildlöschung in vier Akten

Akt I

 

Akt II

Akt III

 

 

 

 

 

 

Akt IV

 

 

Views: 605

4 Kommentare

  1. Noch eine Anmerkung zum Ablauf des „Mundtotmachens“ bei der documenta

    Die Aktionen der Propagandamaschinerie sind immer die gleichen:
    Aus einer Mücke einen Elefanten machen, damit der Elefant im Raum übersehen wird, großes Empörtheits-Schaulaufen in Verbund mit Entrüstetheits-Selbstdarstellungen, gefolgt von Beschimpfungen, Verleumdungen und Diffamierungen der selbst zurecht geschusterten vermeintlichen Gegenseite, Forderungen nach Ausstoß aus der Gesellschaft, nach Arbeitsplatzverlust und Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage, Aufstachelung eines Mobs, der in „sozialen Medien“ einen „Shitstorm“ oder Schlimmeres auslöst. Regierung und Staatsfunk Hand-in-Hand.

    Dieser stets gleiche Vorgang wird dann, obendrein, i. S. v. „Nachtreten“, zum Hohn der solchermaßen Geschändeten, durchaus auch noch als „demokratische Debattenkultur“ bezeichnet.

    Erinnert doch irgendwie an mittelalterliche Vorgänge, oder? Dass bislang noch keine Scheiterhaufen errichtet wurden, liegt vermutlich an Klimaschutzbestrebungen.

    Ein PS:
    Die Eröffnungsrede des Bundespräsidenten habe ich zwar nicht live gehört, aber in Ruhe gelesen.
    Auf mich wirkt sie scheinheilig, inhaltlich falsch und ungebührlich, rüpelhaft gegenüber Gästen unseres Landes, die wesentlich an ihrer Bevölkerung begangene Gräueltaten dokumentierten. Gräueltaten, an denen der BND mutmaßlich beteiligt war und von denen ein ehemals Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes (BND, BfV, MAD) möglicherweise gerne ablenken will.

    Das ist mein persönlicher Eindruck und meine Meinung. Muss ich nicht „begründen und belegen“.
    Möchte ich gerne dennoch machen.
    Das ist allerdings zeitaufwendig, denn, dieses (fragwürdige) Kompliment muss man dem Schreiber der Rede machen, sie (die Rede) ist so konstruiert, dass ihre Perfidie die größtmögliche Wirkung entfaltet. (S. Ereignisse nach dieser Rede.)

    PPS: „Die Scheinheiligen“ – wäre das nicht ein brauchbarer Titel für eine mögliche Artikelserie (z. B. zu besonders prägnanten Angehörigen dieser Spezies) eines Leser/innen dieser Seite bekannten, ehrenwerten Journalisten, dessen Namen ich aus Verfasser-Schutzgründen nicht nenne (natürlich auch, um den Verfassungsschutz in die Irre zu führen).

    PPPS: Sehe gerade, dass es einen Film gibt, der so heißt
    https://www.imdb.com/title/tt0296842/
    Was soll‘s, ein guter Titel ist ein guter Titel.

  2. Nachtrag:
    Zitat aus dem Overton-Artikel:

    „Wer von den herrschenden Medien geleitet und geführt wird, war tatsächlich auch irritiert. Ich auch.
    Warum muss man ein Schwein als »Mossad« markieren, was hat der israelische Geheimdienst Mossad in der postkolonialen Geschichte Indonesien zu suchen?
    Wenn man keine Ahnung hat und auch nicht nachfragt, wird man schnell im inneren Dialog mit sich zu dem Schluss kommen: Nichts.
    Das hat zwar gar nichts mit der Geschichte Indonesiens zu tun, umso mehr mit der eigenen Ignoranz.
    Man will sich nicht dabei stören lassen, diese Motive mit antisemitischen Weltbildern und Stereotypen zu verknüpfen, um sich wertegeleitet und völlig entrüstet abzuwenden.
    Aber warum hat niemand gefragt, warum die daran beteiligten Künstlerinnen und Künstler dies so gemacht haben? Warum wissen »wir« sofort, was bei denen abgeht? Warum fragen »wir« sie nicht erst, bevor wir sie verurteilen?“

    Sich nicht selbst ausnehmen und dann sogleich in medias res gehen.

    Finde ich gut.

    1. Danke. Ja, ich habe gelernt, dass man nicht einfach auf der „guten“ Seite ist, sondern immer wieder darum ringen muss, nicht zu den „Bösen“ zu gehören.

  3. „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun.“
    Shakespeare, Kaufmann von Venedig, 3, Aufzug, erste Szene
    (Oder: Den Film „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch anschauen.)

    Heraushebung: „in allen Dingen gleich“!

    Jemanden aufgrund seiner/ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit von jeglicher Kritik auszunehmen, ist auch Rassismus bzw., wie hier seitens der Kunst-Ignoranten in „Hauptstrom“-Medien und Politik vorgetragen, Antisemitismus.

    Menschen können alles mögliche sein, Engel auf Erden wie das Böse unter der Sonne, egal welchem Volk, welcher Religion, welcher „Rasse“ (ich kenne „Hunderassen“, wusste bislang nicht, dass auch Menschen gezüchtet werden) oder welchem Fußballclub sie angehören. Alle Menschen sind ohne Unterschied kritisierbar, da gibt es keine Ausnahmen.

    Und wer den Antisemitismus, der sich durch die europäische Geschichte zieht (der des „Werte-Westen“ samt seiner Westentaschen-Akteure), nicht schlicht und wie es sich gehört zurückweist, sondern für eigene propagandistische Zwecke nutzt, um Kritiker/innen einer staatlichen, also von herrschenden Menschen gemachten Politik zu diffamieren, ist sozusagen doppelt Antisemit: In seiner/ihrer Negierung der Gleichheit von Menschen und in der Verleumdung samt folgender Ausgrenzung von Menschen, die eine menschenrechtsfeindliche staatliche Politik kritisieren.

    An der Reaktion der deutschen „Elite“ auf das Werk indonesischer Künstler kann man ablesen: Eine absolute Ungebildetheit. Dem Bundespräsidenten sollte man ins „Stammbuch“ oder ins „Pflichtenheft“ schreiben, Schulstoff aus der Sek I nachzuholen, Stichwort „Bildinterpretation“ und ihre Voraussetzungen.
    Das fängt harmlos an: Erst einmal hinschauen, genau hinschauen und beschreiben, was man tatsächlich sieht (nein, an der Stelle sind keinerlei Bewertungen, geschweige denn medienwirksame Empörtheits-Äußerungen zulässig). Wer sich für die weiteren Schritte interessiert, kann das Stichwort in der bevorzugten Suchmaschine eingeben (wie wäre es mit, aktuell passend, „Yandex“? Seitenhiebe müssen sein).
    Hausaufgabe für den Bundespräsidenten: „Nimm Stellung zur Frage der Unterscheidung von naiver Kunst, abstrakter Kunst und entarteter Kunst! Begründe und belege.“

    Die Wiederkehr des Verdrängten, im Orwellschen Sprachduktus gehalten: Ein indonesisches Kunstwerk, dass die Kolonialzeit, eine brutale Diktatur und die Machenschaften der „Werte-Westen“ darstellt, gilt als „antisemitisch“, womit eigentlich gemeint ist: entartet.

    Deutschland im Jahr 2022, 80 Jahre nach „Stalingrad“

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert