Über die Geschichte der Neuen Linken nach 1968, das autonome Intermezzo und den Zustand der Linken heute. Teil II

Veröffentlicht von

Über die Geschichte der Neuen Linken nach 1968, das autonome Intermezzo und den Zustand der Linken heute

Zweiter Teil

Den ersten Teil findet ihr hier: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/12/28/ueber-die-geschichte-der-neuen-linken-nach-1968-das-autonome-intermezzo-und-den-zustand-der-linken-heute/

 

Du hast ja gerade beschrieben, dass ihr euch in so eine Art Sackgasse hineinmanövriert habt: bei euch verstärkte Repression die Grünen gehen durchs Parlament. War das die Krise, die wir bereits erwähnt haben? Warum auf einmal L.U.P.U.S.? Warum auf einmal ein theoretischer Klärungsprozess?

Die autonome L.U.P.U.S.-Gruppe wurde während den libertären Tagen deutlich wahrgenommen, da haben wir ganz große Papiere geschrieben. Über diese ganze Politik – Internationalismus, Trikont, Befreiungskämpfe – haben wir auch schon vorher geschrieben, nur das ging dann unter oder man hat es unter anderen Namen publiziert. Es war 1986 nur so, dass wir gesagt haben, wir müssen unsere theoretischen Auseinandersetzungen bündeln, wir müssen eine Debatte anregen und wir müssen natürlich der Sache auch einen Namen geben. Für uns war das damals ungewöhnlich, es gab ja kaum Namen. Und dann natürlich reflektieren: Was ist mit der Politik der Grünen? Mit Parlamentarismus, bewaffnetem Kampf, militanten und basisdemokratische Strukturen? Mit Strukturen, die vielleicht auch so etwas wie eine Partei sein könnten? Das ist alles in der Zeit auf den Tisch gekommen und wir haben versucht, uns durch die verschiedenen Kapitel der Geschichte der Linken durchzuschlagen. Na ja, ich weiß nicht, ob wir in dieser historischen Dimension gedacht haben – aber wir haben schon gedacht, dass es vielleicht eine Chance ist, 1986 diese Debatten zu führen und vielleicht aus der Falle des Militarismus heraus zu kommen; uns nicht mehr in der Repression zu erschöpfen. Zu überlegen, was wir falsch gemacht haben; also abgesehen davon, dass wir eben zu schwach waren. Und es war unser Anliegen, auch organisatorische Strukturen aufzubauen. Das war damals die Intention und die Hoffnung, aber es war völlig klar – ich glaube, da lagen wir nicht falsch –, dass die Bewegungen Mitte der 1980er-Jahre, egal ob Frauenbewegung, Anti-AKW-Bewegung oder antimilitaristische Bewegung, an die Grenzen ihres guten Potentials kamen. Und es ist natürlich sehr spannend, wie man damit umgeht. Also weder die Bewegung zu instrumentalisieren noch umgekehrt eine Struktur oder eine Partei zu schaffen, die über alles hinweggeht. Ich glaube, das ist bis heute aktuell.

Kannst du das Potential einerseits und die Grenzen andererseits noch etwas ausführen? Es wäre auch spannend zu hören, was deine Einschätzung ist, warum es eben nicht gelungen ist, die Grünen einzuholen, ihnen etwas entgegenzusetzen oder sie vielleicht auch wieder ins Boot zu holen. Gab es eine Alternative, einen Schritt, der nicht gegangen wurde?

Ja, es war zu wenig. Aber große Bewegungen, ob jetzt anarchistische im spanischen Bürgerkrieg oder die Rätebewegung 1918/1919 in Deutschland, hatten auch nur eine kurze starke Phase. Oder in der Sowjetunion: Räte versus Partei. Und ja, dieses Bewegungs-Ding – es ist notwendig und es ist automatisch ab einen bestimmten Punkt kontraproduktiv.

Ich glaube, die allergrößte Herausforderung ist zu wissen, wie man mit einer politischen Analyse umgeht. Also zu Fragen: In welchen Verhältnissen bewegen wir uns? Und das heißt weit über das Morgen und das Gestern hinausgehen: Was passiert in den nächsten Jahren? In was für einem kapitalistischen Zyklus sind wir? In welchem Zustand befindet sich die politische Klasse? Das haben wir uns als Autonome nie gefragt. Uns war es völlig egal, was die da oben denken und ob die sich jetzt zerstreiten oder sonst etwas. Heute würde ich sagen, das ist ein ganz großer Fehler.

Bezogen auf die Gegenwart heißt das: Welche Rolle spielt die AfD? Ist sie wirklich das „Rechtsaußen“ oder ist sie die Bereitstellung einer Option, die es schon in den 20er- und 30er-Jahren gab? Das sind Fragen, mit denen beschäftige ich mich heute unheimlich intensiv. Damals ging uns das am Arsch vorbei, weil es doch egal war, was die machen, wir machten, was wir für richtig hielten. Und das ist ein politisch katastrophaler Fehler. Wenn du die Risse im System nicht erkennst, läufst du gegen die Wand. Du musst die Risse im System sowohl politisch als auch ökonomisch als auch ideologisch erkennen. Die musst du mitberücksichtigen und das kann keine Bewegung.

Du hast jetzt von einem Fehler gesprochen, von einer Einsicht, die du retrospektiv gewonnen hast. Ist die Geschichtsschreibung, zu der du und ihr mit euren damaligen Texten aus der L.U.P.U.S.-Gruppe beigetragen habt, nicht gelungen? Denn obwohl die letzten großen Veröffentlichungen der L.U.P.U.S.-Gruppe diese Erfahrungen der vorherigen Jahrzehnte dokumentierten, kommst du zehn Jahre später in einem Interview zu dem Ergebnis, dass nur ein kleiner Teil der Anwesenden auf deinen Veranstaltungen sich auf bestimmte Texte der autonomen Geschichte beziehen kann, während das für den größten Teil alles so exotisch und weit entfernt ist, wie für euch damals die Geschichte des spanischen Bürgerkrieges 193639. Wie erklärst du dir diese Distanz?

Ich glaube, meine Kritik von damals trifft auch nach weiteren zehn Jahren noch zu. Ich habe immer darunter gelitten, dass wir zu sehr auf unsere eigenen Füße schauen und auf die allerletzte Verletzung.

Ein Versuch, die welthistorische Situation einzuordnen, in der wir uns bewegen, ist notwendig. Es reicht nicht zu sagen: „Wir machen das und das ist richtig!“ Wenn Leute zum Beispiel sagen, dass die Startbahnbewegung gescheitert ist und dass das alles gar keinen Sinn gemacht hat: Da musst du kapieren, dass damals 30.000 Leute auf der Straße waren! Dass Fraport eine Regierung ist! Wenn wir damals gewonnen hätten, dann wäre die Hessische Regierung vermutlich zusammengebrochen. Fraport ist die nicht gewählte Regierung! Und darüber muss man sich im Wald, draußen an der Startbahn, Gedanken machen. Also das meine ich, das hat uns gefehlt. Und ich würde sagen, das haben wir ’86 mit den libertären Tagen adressiert. Das war für die damalige Zeit ein ungewöhnliches Ereignis, wo Autonome und Anarchisten, 2.000 bis 3.000 Leute, zwei oder drei Tage diskutiert haben wie blöd, ohne einen Stein zu werfen. Das ist schon eine irre Leistung besonders mit diesen schwierigen Texten und Themen.

Und natürlich ist es eine wichtige Frage, inwieweit man auch das Parlament zu einem politisch umkämpften Raum macht oder alternativ denjenigen überlässt, die prinzipiell gegen uns sind. Und ich würde immer noch sagen, es ist nicht grundsätzlich falsch ist, ein so öffentliches Terrain wie das Parlament zu nutzen. In den 80er-Jahren in Wuppertal haben Autonome einen Wahlkampf gemacht. Die haben das ganze Wahlkampfgeld abgezockt und haben ihre autonomen Inhalte in die Liste der Unwählbaren eingebracht. Sie haben versprochen, im Parlament nie irgendetwas Vernünftiges zu machen, sondern nur das ganze Geld und den Ort der öffentlichen Rede und Widerrede auszunutzen. Wenn man so denken würde, dann wäre für mich auch ein Ort wie das Parlament nicht tabu. Ich meine: Warum diesen Ort den anderen überlassen? Darüber zu diskutieren ist notwendig. Auch um zu wissen, warum man es nicht macht.

Was ich trotzdem ganz wichtig finde, das ist die Erfahrung mit der Ohnmacht, die ganz Viele in den letzten zwei, drei, vier, fünf Jahren gemacht haben; mit dem was sie tun, was nicht klappt, was nicht geht, was von vorneherein aussichtslos ist. Darüber muss man reden und das ist überhaupt nicht schlimm, sich da die Karten auf den Tisch zu legen. So wie ich sage, ’85/’86 war das, was machbar war, ausgereizt. Wir waren da mit den Möglichkeiten, die war hatten am Ende. Das ist nicht schlimm.

Du hast die Partei der Unwählbaren erwähnt, die von Autonomen organisiert wurde. War das die Beerdigung der Autonomen?

Wir haben es allgemein nicht geschafft eine Struktur zu entwickeln, die dauerhaft ist, die nicht bewegungsorientiert, nicht skandalorientiert ist. Ich glaube das ist eine Menschheitsfrage, das ist nicht nur eine Autonomen-Frage. Zum Beispiel: Warum ist Russland, damals die Sowjetunion, das geworden, was es heute ist? Das war nicht nur der Feind. Die entscheidende Frage ist: Welche inneren Strukturen haben dazu beigetragen, dass die Sowjetunion 1989 implodiert, einfach in sich zusammengebrochen ist? Der Grund dafür lag nicht nur im Verhalten des Westens gegenüber der Sowjetunion. Diese Fragen musst du angehen. Woran lag es? Lag es jetzt nur an ein paar verrückten Führern? Nein, es sind Strukturen, die so etwas möglich machen, die dann zu solchen Personen führen, die man anklagt, die Idee zu verraten.

Kommen wir jetzt zu deiner aktuellen Tätigkeit. Du warst in den letzten Jahren viel journalistisch tätig. Zum Beispiel auf deinem Blog, mit dessen Hilfe wir viel über die Geschichte der Autonomen lernen konnte, aber auch gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Exit. Was bedeutet diese Arbeit für dich in Bezug auf deine politischen Ziele?

Ich glaube, da berühren wir sehr viel von dem, was schon angesprochen wurde. Ich sagte es bereits, an diesen Punkt kommen alle Bewegungen. Auch die Autonomen sind an den Rand ihrer Möglichkeiten gelangt. An diesem Punkt jammerst du entweder oder leckst Wunden oder du versuchst zu kapieren: Was haben wir gesehen, was konnten wir nicht sehen? Am NSU/VS-Komplex gibt es eine zentrale Sache, die unglaublich fruchtbar für mich war. Mit faschistischen Gruppierungen hatte man die letzten Jahrzehnte in Frankfurt nie viel zu tun. Es war mehr Hokuspokus und unglaublich viel Energieaufwand für irgendwelche 50, 100 oder 300 Faschisten, die da aufmarschiert sind.

Was mich am Beispiel des NSU interessiert hat, ist eine Geschichte, die für die Linke unglaublich zentral ist: Welche Rolle spielen neofaschistische Gruppierungen im Kontext staatlicher Strukturen, die sie fördern, wie der Verfassungsschutz? Wie sind diese Strukturen genau beschaffen, wenn der Staat über den NSU, eine im Untergrund operierende Gruppe, Bescheid weiß. Wie machen sie das, wie treffen sie ihre Entscheidungen? Da gibt es innerhalb der Linken die verrücktesten Ideen, etwa von einem verselbstständigten Geheimdienst, der macht, was er will. Da sage ich, ok, das ist eine These, die andere These ist, es gibt einen Untergrund im Staat, den tiefen Staat. Das ist ein Begriff, der wissenschaftlich Hand und Fuß hat, in der Wirklichkeit auch.

Aber was ist es jetzt? Die dritte Möglichkeit, die es beim NSU gibt, ist, dass die Bullen rassistisch, schlampig und blöd sind und dass sie deswegen die Sachen nicht sehen. Diese drei großen Theorien gibt es. Theorien ist großzügig gesagt. Es gibt keine historische Situation für mich, in der man diese historischen Fragen so genau beantworten kann, wie am Beispiel des NSU. Das hat etwas mit den Rissen zu tun, die ich erwähnte. Es gibt manchmal Risse im System, da fällt Licht durch. Die sind am Beispiel des NSU sichtbar geworden. Es gab natürlich auch massive innere Spannungsrisse bei uns: Warum haben wir nicht früher den NSU bekämpft, warum lässt man Migranten einfach umbringen? Aber auch in der Regierung kommen solche Fragen auf den Tisch: Wie kann es kommen, dass wir eine Struktur fördern, begleiten, beobachten, die unseren eigenen Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, umbringt?

Hier müssen wir ansetzen. Ich könnte an bestimmten Punkten sehr genau beantworten: Wie waren die Strukturen? Warum wurde etwas gemacht? Welche Institutionen spielten eine Rolle? Die Polizei spielte zum Beispiel eine mäßige Rolle. Für die antirassistischen Gruppierungen sind es immer die Bullen, die rassistisch sind. Ich versuche ihnen dann immer zu erklären, dass es bestimmte Beispiele innerhalb des NSU-Komplexes gibt, die beweisen, dass es nicht die Bullen waren, auch nicht die rassistischen Bullen. Das ist keine Frage mehr von Spekulationen, Verschwörungstheorien oder irgendwelchen Spinnereien. Nein, in den zehn Jahren ist Material öffentlich geworden, mit denen diese drei Fragen zu beantworten sind. Das ist historisch unglaublich wichtig für uns. Wenn wir uns einer Nazi-Demonstration entgegenstellen oder wenn es einen NSU 2.0 gibt, wie hängt das zusammen, auf was müssten wir uns einlassen, was greifen wir politisch an?

Du hast die antirassistische Linke angesprochen, in der das Problem auf Seiten der Polizei verortet wird. Andere Teile der gesellschaftlichen Linken sehen in politischen Führungspersonen wie Salvini oder Trump Faschisten. Du hast dich mit der Genese und Entwicklung von faschistischen Bewegungen und Gruppierungen auch in deinem Buch zum NSU/VS-Komplex auseinandergesetzt, wie schätzt du die gegenwärtige Rede von einem entstehenden Faschismus ein?

Schön, dass ihr es ansprecht. Zwei Drittel meines Buches zum NSU/VS Komplex ist Recherche für den Versuch, die angesprochenen drei Fragen zu beantworten. Dann gibt es aber noch ein ganzes Drittel, da geht es um Faschismustheorien seit den 20er-Jahren. In Deutschland gibt es exzellente Faschismustheorien. In den 20er-Jahren waren wirklich tolle Leute in linken wissenschaftlichen Apparaten dabei, den aufkommenden Faschismus zu erklären, Theorien zu entwickeln und sie verfügbar zu machen. Ich habe das in dem letzten Drittel dargestellt. Ich sage jetzt nur zur Gegenwart und Präsenz dieser Frage: Bei ungefähr 100 Veranstaltungen, die ich in den letzten fünf Jahren gemacht habe, ist kein einziges Mal dieses letzte Drittel thematisiert worden. Es ging immer um Skandal, es ging immer um die Rolle des Verfassungsschutzes, um Heilbronn, um die toten Zeugen. Das meine ich damit, nur vor die eigenen Füße zu schauen. Das größte Problem ist, das ist durchweg bei allen Veranstaltungen von Norden bis Süden so gewesen, dass es keine Bereitschaft gibt, sich damit auseinanderzusetzen, welche Faschismustheorie das erklären kann, was gerade passiert. Wo sind wir heute? Was ist Trump, was ist Macron in Frankreich, was ist Salvini in Italien? Welche Rolle spielt die AfD? Es gibt keine öffentliche Debatte dieses letzten Drittels. Das könnte ich auch rausreißen aus dem Buch und es würde nicht auffallen. Für mich ist das deprimierend, weil diese Fragen notwendig zu stellen sind – um etwa einzuschätzen, welche Rolle der NSU spielt und andere Gruppierungen, die es ja immer noch gibt.

Das Entscheidende verstehe ich nicht: Es gab den Faschismus, es gibt bei den Herrschenden die Erfahrung mit dem Faschismus und was er hinterlassen hat. Ich behaupte, bei den Beispielen, die wir in Griechenland, Frankreich, Italien und ich glaube auch in Deutschland haben, wird möglichst viel getan, um keine Option in Richtung Faschismus zuzulassen. Also möglichst den Fehler der 20er- und 30er-Jahre zu vermeiden. Das widerspricht überhaupt nicht der Tatsache, dass man sich den NSU hält, dass man die Morde nicht verhindert, dass man diese Stimmung, die dadurch entsteht, die Angst, dass man diese nutzt. Das ist kein Widerspruch.

Wenn du heute über Faschismus reden willst, dann musst du immer davon ausgehen: Er hat ganz viel zerstört, er hat ganz Vieles gar nicht einlösen können. Das ist immer in der Rechnung, wenn in Frankreich nicht Le Pen drankommt, sondern Macron. In Griechenland kam nicht die faschistische Goldene Morgenröte an die Macht, sondern eine „Linke“. Das war in einem gewissen Sinn geduldet bis gewollt; man musste Syriza zurechtschneiden, bis sie reformistisch und brav war, aber man hat nicht auf die Option der Goldenen Morgenröte gesetzt. Eine Linke muss darüber nachdenken, warum das nicht passiert ist. Oder warum die politische Klasse in Frankreich mit La République en Marche eine eigene Partei gründet, wo es eine starke faschistische Partei gibt?

Auf die Situation in den USA übertragen, wo Trump teilweise als Faschist bekämpft wurde und der Wahlsieg Joe Bidens auch von Linken als Erfolg – eben gegen den Faschismus – gefeiert wurde, muss man fragen: Seit wann genügen der Linken sozialdemokratische Wahlerfolge?

Das ist etwas ganz Zentrales: die AfD hier, Le Pen in Frankreich, Trump in den USA, sie retten das System. Bis in die Linke hinein sind sie froh über Joe Biden, der ein imperialistisches Arschloch ist. Unter Trump gab es weniger Kriege als unter Obama. Und Obama war ja bis hin zur Queer-Szene, bis hin zur schwarzen Community eine Lichtgestalt und der lächelt auch so nett! Aber es geht um die Strukturen dahinter, das, worüber wir geredet haben. Joe Biden ist eine Null. Trump ist eine Null. Diejenigen, die nie gewählt werden, die sind immer an der Macht.

Es gibt in den USA ja das geflügelte Wort von dem ehemaligen US-Präsidenten Eisenhower, dass der militärisch-industrielle Komplex das Sagen hat. Auf jeden Fall Personen, die nicht gewählt werden. Die sind bei Joe Biden wie bei Trump am Tisch und es sind dieselben. Aber wenn die Linke meint, sie hätte jetzt den Faschismus bekämpft, indem sie Trump aus dem Weißen Haus gejagt hat, dann verleugnet sie eigentlich all die notwendigen Kämpfe, die wichtig sind, damit ein Joe Biden nicht die Antwort ist.

Die Linke betreibt auch in Deutschland in den letzten Jahren keine eigenständige, oppositionelle Politik, sondern ist im Prinzip im Babywagen der Großen Koalition mitgefahren und merkt gar nicht, wie überflüssig sie sich macht. Aber natürlich heißt es immer: „Wir müssen Höcke verhindern!“ Das erklärt auch gleichzeitig, warum es die AfD auch für die politische Klasse geben muss, weil es sonst ja keinen Unterschied mehr gibt zu „richtig scheiße“.

Ich finde die Verhältnisse auch ohne AfD und Höcke nicht aushaltbar und für eine Gesellschaft, die glücklich sein könnte aufgrund der technischen Möglichkeiten und aufgrund des materiellen Wissens, finde ich es fürchterlich, einen Skandal. So eine Gesellschaft immer weiter fortzuführen, immer wieder zu verlängern und mit ganz viel Ohnmacht und Enttäuschung auszukommen, die man damit produziert – ich finde das untragbar. Ich brauche keine AfD, um mit den Verhältnissen unzufrieden zu sein.

Wir haben viel über die Problematiken einer Partei gesprochen: Wäre es fürchterlich, jetzt eine Partei zu gründen?

Wäre das fürchterlich? Eine solche Option würde voraussetzen, dass es eine ganz starke außerparlamentarische Bewegung gibt, die organisiert ist, die strukturiert ist, die stark ist; die die Partei führt. Also nicht die Partei für die Bewegung, sondern umgekehrt. Das was die Partei von außen politisch organisiert, müsste sich eigenständig organisieren, so könnte es Ausdruck in einer Partei finden. Wobei man dann aus den Erfahrungen der Grünen lernen muss, denn die Idee am Anfang, mit dem Spiel- und dem Standbein, war nicht schlecht. Im Prinzip haben sie ja ein imperatives Mandat eingeführt, mit den zweijährigen Perioden. Ich glaube auch, dass man bei einer Partei oder einer Struktur, die wir finden müssten, bestimmte Sachen verhindern kann, dass man sehr wohl aus den Erfahrungen lernen kann.

Der NSU, Walter Lübcke, Aufklärung, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und rassistische Gruppierungen stellen uns vor die Frage: Wie gehen wir damit um? Ich glaube, dass ganz viel notwendig wäre, um zu kapieren, welche Rolle spielte der NSU, welche Rolle spielen staatliche Institutionen, welche Rolle spielen die politischen Parteien, die darum wissen, was da passiert oder nicht passiert? Welche Rolle spielt die AfD? Das habe ich ja gerade schon beschrieben – jetzt zum Abschluss kann man ja ein bisschen böse werden –: Für die Linke ist es gut, dass es die AfD gibt, denn so muss sie sich nicht mit der Politik auseinandersetzen, die sie aus Ohnmacht hinnimmt.

Die AfD ist dagegen ein Kindermädchen, die haben gar nicht die Macht. Wenn ich den Rassismus und den Nationalismus bekämpfe, dann ist es natürlich wichtig, die AfD da einzuordnen. Aber noch wichtiger ist es, die Wirklichkeit zu begreifen. Wer hat zurzeit die Macht, für rassistische Verhältnisse zu sorgen, etwa an den Außengrenzen, wo Monat für Monat Tausende sterben, wo mit faschistischen Regimen zusammengearbeitet wird, um die Außengrenzen zu sichern? Jahr für Jahr werden die Fluchtursachen organisiert und es entstehen Verhältnisse, die nicht nur an den europäischen Außengrenzen zu sehen sind. Die AfD hat an keinem einzigen Punkt einen Fuß in der Tür, die Regierungsparteien schon. Ich glaube, man kann manchmal in einer Nebenstraße noch eine kleine Schlacht führen, aber man muss wissen, wo die Hauptstraße ist. Man kann sich manchmal in einer Seitenstraße verstecken, aber ganz wichtig ist es, dass man weiß, wo die Hauptstraße ist. Ich glaube diese Diskussion um das kollektive Wissen, was wir uns erst aneignen müssen, die fehlt ganz stark, das vermisse ich sehr.

 

Wolf Wetzel war Mitglied der ehemaligen autonomen L.U.P.U.S.- Gruppe, welche unter anderem durch die Startbahnbewegung 1980-1991, die Anti-AKW-Bewegung, die Häuserkampfbewegung und die Libertären Tage in Frankfurt a. M. 1986 geprägt war. Er ist seit 1991 journalistisch und publizistisch tätig. Zuletzt erschien 2015 sein Buch „Der Rechtsstaat im Untergrund: Big Brother, der NSU-Komplex und notwendige Illoyalität“ im PapyRossa Verlag.

Das Interview wurde am 12. Februar 2021 von Tom Schmidt und Anne Koppenburger geführt. Sie sind Mitglieder der Platypus Affiliated Society.

Ich möchte mich ausdrücklich für diese Idee, die Zeit und die viele Arbeit bedanken, die sich Tom Schmidt und Anne Koppenburger gemacht haben, um das doch sehr lange Gespräch in eine überschaubare Fassung zu bringen.

Es ist auch dort veröffentlicht: The Platypus Affiliated Society, Playtypus Review Ausgabe #17/2022:

https://platypus1917.org/2022/01/06/interview_wolf_wetzel/

 

Views: 469

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert