Der deutsche Faschismus wurde 1945 zumindest militärisch besiegt. Wie kämpft man heute gegen seine Nachfolger, die mal als Rechtspopulisten, mal als Nazis bezeichnet werden?
Teil I findet sich hier: https://wolfwetzel.de/index.php/2019/01/16/wie-wird-der-nationalsozialismus-geschlagen-emil-goldmann-teili/
Teil II
100 Jahre Antifaschismus
Viele Linke sprechen vom „Rechtsruck“, beklagen eine Verschiebung nach rechts, dies klingt sehr nach parlamentarischer Arithmetik, und wenig nach materialistischer Analyse. Nun könnte es möglich sein, wohlwollend betrachtet, dass die antifaschistische Linke dem Beobachtenden ihre Analyse einfach vorenthält, und nur in ihren Pamphleten plakativ formuliert, was intern tiefgehender gedacht wird. Hoffen wir es. Was unterscheidet die „faschistische Gefahr“ der NPD und NS-Kampfgruppen der 70er Jahre, den „Kampf gegen rechts“ von „Stoppt Strauß“ bis zum militanten Kampf gegen die NS-Sammelbewegung der achtziger Jahre, vom Antifa-Kampf der 90er gegen rassistische Mobilisierung und Pogrome, gegen die Wahlpartei Republikaner, die NS-Kameradschaften, vom sogenannten „Rechtsruck“ heute?
Ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild hatten 1980 in der Sinusstudie dreizehn Prozent der westdeutschen Bevölkerung – ist es ein einfach immer „gleich bleibendes völkisches Lager“ in nur immer unterschiedlicher Verkleidung?
Wenn der (gute und notwendige!) Alarmismus der antifaschistischen Linken immer (scheinbar) den gleichen Sachverhalt referiert, wie kann dann noch überzeugend vor einer neuen, drohenden Gefahr gewarnt werden? Trotzki schildert 1932 am Beispiel der Führung der KPD, wie der oberflächliche, plakative Gebrauch des Faschismusbegriffs analytisch und politisch begrifflos wird. Am 20. Juli wurde die preußische SPD-Regierung von der Papen-Regierung mit Unterstützung des Reichspräsidenten Hindenburg entmachtet (Bemerkung zusätzlich: makaber genug, hatte die SPD seine Wahl doch im gleichen Jahr unterstützt) – die KPD sprach daraufhin vom faschistischen Staatsstreich –nanu, fragt Trotzki, hatte die KPD nicht schon bei Brüning vom Faschismus gesprochen?
„Dabei ist die Verwirrung aber noch nicht zu Ende. Obgleich der Unterschied zwischen Bonapartismus und Faschismus nun deutlich genug zutage getreten ist, sprechen Thälmann, Remmele u.a. vom faschistischen Staatsstreich des 20. Juli. Gleichzeitig warnen sie die Arbeiter vor der nahenden Gefahr der Hitlerschen, d.h. gleichfalls faschistischen Umwälzung. Schließlich wird die Sozialdemokratie dabei nach wie vor als sozialfaschistisch bezeichnet. Die Bedeutung der einander folgenden Ereignisse besteht demnach darin, daß verschiedene Spielarten von Faschismus mit Hilfe „faschistischer“ Staatstreiche einander die Macht abnehmen. Ist es nicht klar, dass die ganze Stalinsche Theorie eigens dazu geschaffen ist, die menschlichen Gehirne zu verkleistern?“ (Trotzki, Der einzige Weg, September 1932)
Warum dann noch Staatsstreiche, wenn der Faschismus schon an der Macht ist, die Brünings, Brauns, Hitlers alle die gleiche „faschistische“ Klassenpolitik vertreten? Warum dann antifaschistisch kämpfen, wenn der Faschismus sowieso schon „gesiegt“ hat? Die Führung der KPD war überrumpelt, überfordert, schwankend zwischen Aktionismus und Realitätsverlust. Mit der SPD war es allerdings nicht besser gestellt, der inflationäre Gebrauch von Faschismusetikettierungen (auch intern bei der Linken beliebt), vernebelte den Blick auf den eigenen politischen Bankrott. Beispielhaft sei die Antwort der KPD auf Trotzkis Einheitsfront-Vorschlag von Ende 1931 erwähnt, mit dem ich diesen Text begonnen habe: im Roten Aufbau Nr. 4, 15.Februar 1932, lehnte Willi Münzenberg stellvertretend für die KPD-Führung Trotzkis Vorschlag unter der Überschrift „Trotzkis faschistischer Vorschlag einer Blockbildung mit der SPD“ als konterrevolutionär ab. Welche Tragödie! Knapp ein Jahr später eilte die KPD am 30. Januar 1933 zur SPD-Spitze, um in letzter Minute einen Generalstreik zusammen auszurufen, was die SPD verweigerte, an dem Tag, an dem Hitler die Reichkanzlei betritt, um sie zwölf Jahre lang nicht mehr zu verlassen. Kurz danach, am 7. Februar 1933, findet die letzte Sitzung des vor kurzem noch so siegessicheren ZK der KPD illegal statt, auf der Ernst Thälmann sprechen konnte. Wenige Wochen später wurde er verhaftet, und nach elf Jahren Haft im August 1944 im KZ Buchenwald erschossen. Willi Münzenberg wurde 1938 mit dem Vorwurf des Trotzkismus (welche böse Ironie!) aus dem ZK der KPD ausgeschlossen, er trat dann im März 1939 selbst aus der Partei aus. Auf der Flucht vor den Nazis kam er im Juni 1940 um, in dem er sich selbst das Leben nahm. Trotzki wurde im August 1940 Opfer eines Mordanschlags durch einen Agenten Stalins.
Die hessische Kampagne gegen die AfD
Am Beispiel einer aktuellen Kampagne möchte ich darstellen, wie die Diffusität der Begriffe zu nicht nur problematischen, sondern kontraproduktiven Ergebnissen führen kann, trotz allerbester Absichten. Eine Genossin machte mich darauf aufmerksam, dass Aufrufe oft nicht wesentlich für Mobilisierung sind, und viele trotz und nicht wegen ihnen zu Demonstrationen gehen. Dem stimme ich zu, doch soll dies heißen, sie nicht mehr ernst zu nehmen? Stehen dahinter nicht oft Strategien und Praxisansätze, die ohne kritische Betrachtung zu einer ritualisierten seriellen Politik führen?
In Hessen gibt es eine Kampagne „Keine AfD im Landtag“. Es ist davon auszugehen, dass diese Kampagne nicht die überzeugten AfD-Wähler erreichen, sondern die Schwankenden beeinflussen will, und den Willen ausdrücken möchte, die AfD als drohende Gefahr zu bekämpfen – ein Absinken unter die 5-Prozent-Hürde würde die AfD empfindlich schwächen, so der Aufruf. Das Motiv den Höhenflug der AfD zu stoppen teile ich unbedingt, und trotzdem halte ich diese Kampagne für verfehlt. Warum?
Seit Monaten liegt die AfD in Hessen zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen. Warum wählt die Kampagne – getragen von Gewerkschaften und der Linken – eine Forderung, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist? Warum ist ausgerechnet der hessische Landtag der Ort, an dem die AfD unerwünscht sein sollte? Und von wem? Die Begründung liest sich so: „Die AfD steht für Sozialabbau. Unter dem Schlagwort der Haushaltskonsolidierung wurden vor über zehn Jahren die schärfsten sozialen Angriffe in der Geschichte des Landes Hessen durchgesetzt. Frauenhäuser mussten schließen, Jugendzentren ihren Betrieb einstellen. Die Arbeitszeit von Landesbediensteten wurde auf 42 Wochenstunden angehoben und die Arbeitszeiten im Einzelhandel durch die Öffnung des Ladenschlussgesetzes unzumutbar verlängert. Die AfD will an dieser Politik nichts ändern.“ (Aufruf) Wer will noch an dieser von Kochs CDU –Regierung durchgesetzten Politik nichts ändern? Die CDU? Die FDP? Auch die SPD in Regierungsverantwortung betrieb, um die Haushaltsausgaben zu senken, einem massiven Stellenabbau, der den Leistungsdruck verschärfte, die Arbeitsintensität massiv erhöhte, und den gesundheitlichen Verschleiß der verbliebenen Arbeitskräfte vorantrieb. Ein eigentümlich konstruiert wirkender Zusammenhang, wie aus einem Flugblatt der Wiesbaden-Demonstration im Jahr 2003 gegen Roland Kochs „Operation sichere Zukunft“ ausgeschnitten, um der AfD vorzuwerfen, was die CDU verbrochen hat.
„Wir sagen: Die AfD spaltet die Gesellschaft und den Widerstand gegen ungerechte Verteilung und Sozialabbau. Rassismus hat noch nie dazu geführt, dass Mietwucher gestoppt, bessere Schulen oder mehr Kitas gebaut wurden oder dass es Erwerbslosen besser ging. Wir brauchen in Hessen keine Sündenböcke, sondern eine solidarische Politik.“
Wählt der Rassist und die Rassistin die AfD, weil er und sie bessere Kitas von ihr erwartet? Spaltet nicht zuerst die Sozialdemokratie den sozialen Widerstand gegen „ungerechte Verteilung und Sozialabbau“? Gäbe es bessere Kitas und einen Mietstopp, verschwände dann der Rassismus?
Apropos „ungerechte Verteilung“: Unter der SPD-Grünen-Bundesregierung von 1998 bis 2003 wurde die Steuerpolitik der CDU/FDP-Regierung ab 1983 ungebremst fortgesetzt. Mit der kalten Progression werden Lohnerhöhungen aufgezehrt, die Lohnsteuer und Konsumsteuern, die die Lohneinkommen der Arbeiterinnen und Angestellten treffen, machen den Löwenanteil am Gesamtsteueraufkommen aus (schwankend zwischen 70 und 77 Prozent), während die hohen Einkommen und Unternehmen entlastet wurden und werden (Körperschaftssteuer von 9,7 auf 2,7 Prozent, Abschaffung der Steuern auf Kapitalverkehr, Gewerbesteuer von 10,6 auf 7,1 Prozent, Anteil veranlagter Gewerbesteuer von 14,1 auf 5,6 Prozent zurückgegangen, die Erbschaftssteuer hat 2011 nur noch einen Anteil von 0,7 %; alle Zahlen von 1961 bis 2011). Dazu braucht es keine AfD. Es reicht eine „bürgerliche Mehrheit“ von Grünen bis zur CDU. Ich bin mir sehr sicher, dass das die Initiator*innen wissen.
Im Aufruf steht zu Beginn „die AfD ist eine völkisch-nationalistische Partei.“ Kurz später dann: „in der AfD gewinnt ein faschistischer Flügel immer mehr Einfluss“, und weiter … “weder Björn Höcke noch Wolfgang Gedeon wurden wegen völkisch-nationalistischer oder antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen.“ Warum soll eine völkisch-nationalistische Partei Mitglieder wegen ebensolcher Äußerungen ausschließen? Wäre die AfD „entfaschisiert“, würde sie diese Bauernopfer bringen? Ist dies der verfassungspatriotische Konsens, den Maaßen Gauland empfohlen hat, Höcke fallenzulassen, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz vorzubeugen? Wenn der Aufruf formuliert, „eine Partei, die Neofaschisten und Antisemiten in ihren Reihen duldet, hat im hessischen Landtag nichts verloren“ – heißt dies im Umkehrschluss, ohne Höcke und Gedeon seid ihr willkommen?
War es da nur folgerichtig bei so viel diffuser Politik, dass das Bündnis, initiiert von „Aufstehen gegen Rassismus“ die FDP nachträglich eingeladen hat, die dankend ablehnte (warum sollte ausgerechnet sie auch bei einer versteckten Wahlkampfveranstaltung „für mehr soziale Politik“ mitmachen wollen?) und die eingeladene CDU aus ähnlichen Gründen fernblieb? Die gleichen Parteien, die aktuell eine jetzt bürgerliche Anti-Antifa-Politik gegen besetzte Häuser und Zentren der radikalen Linken in Hessen und anderen Bundesländern forcieren. Die Kampagne „Keine AfD im Landtag“ hat, zumindest laut den Umfragen, der AfD bisher nicht geschadet. Das aktuelle Wahlergebnis bestätigt diese Einschätzung, die AfD liegt bei ca. 13 Prozent. Der hessische Landtag ist keine antifaschistische Bastion, der defensiv verteidigt werden kann. Überhaupt: wie sollen aus den Parlamenten plötzlich antifaschistische Bollwerke geworden sein? Ist eine hessische CDU, die 1987/88 einen Kommunalwahlkampf mit rassistischen Parolen bestritt, dass niemand mehr wusste, ob die NPD die CDU oder umgekehrt kopierte, die 1999 die völkische „Ausländer raus“-Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durchführte und damit an die Regierungsmacht in Hessen kam, und in ihrer Krise 2008 diese Regierungsmacht gegen eine mögliche rotgrüne linke Regierung unter Andrea Ypsilanti mit „allen schmutzigen Mitteln“ verteidigte, ist diese CDU antifaschistisch? Eine hessische CDU, die nicht nur mit Erika Steinbach, Alfred Dregger, Manfred Kanther, Casimir von Sayn Wittgenstein einen starken deutschnationalen, völkischen Flügel hatte und hat, aus dem Alexander Gauland stammt, eine CDU, die den Verfassungsschützer Temme deckt und damit den Mord der NSU in Kassel nicht aufklären will, die keine Rechten in Reservistenverbänden und bei der Polizei solange erkennt; bis sie die Öffentlichkeit entdeckt hat, ist diese CDU Bündnispartner „gegen rechts“?
Ich möchte an dieser Stelle an Trotzkis Urteil über die Politik des kleineren Übels erinnern. Ist das ein verdünnter Ausfluss der Volksfrontpolitik der Komintern 1936, heute diffus als „breites gesellschaftliches Bündnis gegen Rassismus“ im Aufruf, dem sich letztlich selbst Volker Bouffier anschließen könnte, wäre da nicht die weiche sozialreformerische Rhetorik?
In diesem Aufruf ist die AfD alleinverantwortlich für den Rassismus – wie vergesslich, Genossinnen und Genossen! Die Erinnerung an die „umgefallenen Sozialdemokraten“ (dazu brauchte es nur einen Nasenstüber), denen ihr aktuell nicht wehtun wollt, und ihren „Asylkompromiss“ 1992, der die rassistische Mobilisierung gegen Flüchtlinge mit der Abschaffung des grundgesetzlich garantierten Asylrechts belohnte – das lange Zeit vorsichtige Lavieren der SPD, um die Bundesrepublik keinesfalls als Einwanderungsgesellschaft zu erklären, – man wollte kein Landesverräter sein und sorgte sich um Wählerstimmen, in der Hoffnung, dass sich dies „von selbst“ demographisch lösen würde, und aus Angst vor der CDU und ihrem rassistischen Mantra bis 2005 „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, das die Ungleichheit zwischen „Biodeutschen“ nach völkischem Staatsbürgerrecht und den neuen Staatsbürger*innen (heute 19 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund) zementierte, und ihre Anwesenheit immer provisorisch erscheinen ließ. Noch mehr Beispiele? Wie schwach ist ein solcher Aufruf, der mit wenigen Hieben und Hebeln vom politischen Gegner auseinandergenommen werden kann: Seht, wir sind doch auch nicht anders als CDU und SPD!
Der Kampf gegen die AFD und die konterrevolutionäre Internationale
Ist dann der Kampf gegen die AfD falsch, oder wird er beim Beispiel nur mit Parolen geführt, die wie Blindschüsse an der politischen Situation vorbeigehen?
Noch einmal von vorne: jahrelang gelang es auch aufgrund antifaschistischer Aktivitäten eine Wahlpartei rechts von der Union letztlich zu verhindern – warum dies gelungen ist, fehlt hier der Platz darzustellen– die „rechte Option“ war von den sechziger Jahren (NPD verfehlte mit 4,3 Prozent 1969 knapp den Bundestag), der diskutierten bundesweiten Ausweitung der CSU in den siebziger Jahren, der Konservativen Aktion Anfang der 80er Jahre, der kurzen Blüte der Republikaner Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre, dem BFB (Bund freier Bürger) Anfang der 2000er, in der bundesrepublikanischen Politik Dauerthema und präsent; in den 90ern sah die FAZ die Republikaner als notwendiges Gegengewicht gegen sich etablierende Grüne und die Ostpartei PDS auf der linken Seite. Alle Versuche eine „völkische Alternative“ zu etablieren und zu formen, scheiterten, und führten in den 90 Jahren zu strategischen Diskussionen in der Jungen Freiheit, wie die CDU von innen beeinflusst werden könnte.
Der AfD ist spätestens mit dem Einzug in den Bundestag ein politischer Durchbruch gelungen, und es ist politisch illusorisch so zu tun, als hätte es diesen Stoß durch den lange gehaltenen Kordon nicht gegeben. Die AfD hat eine strategische Führung, die zwei nicht unerhebliche Abspaltungen (Lucke, Petry) ohne schwere Verluste überlebt hat, und ein Auseinanderbrechen der Partei, wie so oft in der jüngeren, rechtsradikalen Parteigeschichte, auch an persönlichen Konkurrenzen, bisher verhindern können. Die AfD führt in den sozialen Netzwerken einen erfolgreichen „Dauerwahlkampf“ um ihre Weltanschauung, getragen von einer Querfront vieler Stichwortgeber und hoch engagierter Meinungsmacher. Sie hat eine feste Wählerbindung von Millionen Wähler*innen hergestellt, die sich unabhängig von aktuellen Ereignissen in der AfD politisch und sozial repräsentiert und aufgehoben sehen. Dieses soziale Reservoir ist nicht heute entstanden, sondern hat sich über die letzten Jahrzehnte entwickelt. Davon müssen wir in einem offensiven antifaschistischen Kampf ausgehen. Damit ist eine neue politische Situation entstanden, die nicht mit der Konstatierung einer nachholenden Entwicklung (mit Hinblick auf den Erfolg rechtsradikaler Parteien in den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Schweiz, Italien, Ungarn, Österreich, Kroatien, Polen, Lettland, Russland, Ukraine, Schweden) normalisiert werden sollte.
„Der Bildung einer Theorie, die Ursprung, Wesen und Funktion der faschistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts erkläre will, stellen sich beträchtliche Schwierigkeiten entgegen. Schwer scheint eine Theorie denkbar, die die Internationalität des Faschismus und die Besonderheiten der jeweiligen nationalen Durchsetzung seiner Herrschaft, die Gründe für den Aufstieg der Bewegungen in fast allen europäischen Ländern, die Ursachen ihrer Siege wie ihrer Niederlagen, die Organisation und Praxis faschistischer öffentlicher Herrschaft, Gestalt und Funktionswandel der Ideologie umfassen und den einzelnen Faktoren gerecht werden soll.“ (Einleitung Faschismus und Kapitalismus, 1968).
Trotz der „nationalen Differenzen“ entsteht das Bild eines zusammenhängenden Phänomens in dieser Epoche der Geschichte, die heute keine europäische Erscheinung ist.
Der ultrasexistische Kandidat der Rechten in Brasilien, der pathologisch antisoziale Donald Trump in den USA, eine iranische Theokratie, für die Antisemitismus zentrale politische Doktrin ist, oder ein per Notstandsgesetzgebung regierender türkischer Präsident mit Großmachtallüren von der Wiederherstellung des Osmanischen Reichs: viele Seiten der gleichen Medaille? Oder sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr?
Vor diesem „weltpolitischen Panorama“ wirkt die gut gemeinte hessische Kampagne nicht wie Fisch und nicht wie Fleisch. Als würde am Hessischen Haus nach einem Deichbruch ein Transparent mit der Parole aufgehängt, „Keine braune Flut in unserem Keller!“ Wie soll der „parlamentarische Einzug der AfD“ verhindert werden: Parteiverbot analog zur NPD durch das Bundesverfassungsgericht? Das wäre eine mögliche Konsequenz – und setzt eine Beobachtung durch den „ehrenwerten“ Verfassungsschutz voraus, den man doch eben noch auflösen wollte. Nur ahnt wahrscheinlich jedeR, dass eine solche Konsequenz wenig erfolgversprechend ist, nicht zu Ende gedacht wurde.
Mich erinnert dies an die „unlogische“ sozialdemokratische Politik, die Hindenburg wählte, um Hitler zu verhindern, und über die Trotzki so polemisierte: „denn solange ein verfassungstreuer Präsident an der Spitze steht, ist der Faschismus ungefährlich. Man muss die Brüning-Regierung bis zur Präsidentenwahlen unterstützen, um im Bunde mit der parlamentarischen Bourgeoisie einen verfassungsmäßigen Präsidenten wählen um damit Hitler für sieben weitere Jahre den Weg zur Macht versperren (zitiert nach einem Artikel im Freien Wort, dem sozialdemokratischen Diskussionsorgan, 1932) … darauf könnte Brüning antworten: “Mit der Polizeimacht könnte ich den Faschismus nicht meistern, selbst wenn ich wollte; doch ich würde nicht wollen, selbst wenn ich könnte. Die Reichswehr gegen die Faschisten in Bewegung zu setzen, hieße die Reichswehr spalten, wenn nicht ganz gegen sich richten; doch die Hauptsache: Den bürokratischen Apparat gegen die Faschisten wenden, hieße den Arbeitern die Hände zu lösen, ihnen die völlige Aktionsfreiheit wiederzugeben; die Folgen wären die gleichen, die ihr Sozialdemokraten fürchtet, und die ich daher doppelt fürchte.“ (Trotzki, 1932)
Der hohe Verfassungsschutzbeamte könnte heute folgendes denken: Liebe verfassungspatriotische Linke, Ihr legt die Entscheidung, ob die AfD rechts ist, in unsere Hände. Dieses Geschenk nehmen wir dankbar an. Ihr habt uns die NSU verziehen. Wir haben euch dagegen nie verziehen. Wir werden Euch vortäuschen, dass wir die Rechten unter Kontrolle haben. Dabei kontrollieren wir viel lieber euch. Wenn die Aufregung sich gelegt hat, werden wir lapidar und auf Seite fünf mitteilen, dass wir nichts rechtes gefunden haben. Aber allerhand auf der linken Seite. Und über eure Naivität lachen.
Der kleine Verfassungsschützer könnte folgendes denken: Hinter euch stehen Millionen, die gegen die Nazis kämpfen wollen. Die Angriffe der Nazis auf Journalist*innen haben viele Medien auf eure Seite geführt. Berufsgruppen solidarisieren sich, Aufrufe verzeichnen 100.000e Unterschriften, Prominente engagieren sich. Und ihr legt die Entscheidung und Verantwortung für den Kampf gegen rechts in unsere Hände! Wie schlecht muss es um euch bestellt sein! Wie mächtig sind dann jetzt schon eure Gegner! Die AfD könnte morgen in der Regierung sitzen, und wenn ihr jetzt in der aktuellen Situation, in der die Massen noch hinter euch stehen, nicht in der Lage seid, einen antifaschistischen Kampf zu führen, wieso sollte ich es an eurer Stelle tun, gegen meine vielleicht zukünftigen Chefs? Es ist Zeit neutral zu bleiben, und an meine eigene Haut zu denken …“
Eine ganz andere Interventionsmöglichkeit wäre, zur Wahl „antifaschistischer Parteien“ aufzurufen, die im Parlament einen „antifaschistischen Block“ mit einer gemeinsamen konkreten, politischen Programmatik bilden. Genau dies macht das Bündnis „Keine AfD im Landtag“ nicht – die Spitzenkandidaten von SPD, Grünen und Linken (bei der Auftaktveranstaltung in Wiesbaden) treten zwar gemeinsam auf, es bleibt jedoch noch bei einem programmatisch leeren, bekenntnishaften und emotionalen „Anti-AfD-Bündnis“.
Unteilbar – die antifaschistische Einheitsfront reloaded – hier sind eure Gegner*innen!
„Chemnitz“ war das Ereignis, dass eine gesellschaftliche antifaschistische Mobilisierung mit unfassbaren Ausmaßen ausgelöst hat. Dieses Ereignis hat bei sehr vielen Menschen das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Kraft der „Unteilbar“-Demonstration bestand weder in ihrem Aufruf, der ähnlich diffus bleibt wie der vorne kritisierte Aufruf aus Hessen, und an vielen Stellen erkennen lässt, dass Kompromissformeln benutzt wurden, um einen Minimalkonsens herzustellen. Die Stärke bestand auch nicht darin, dass die Demonstration in den Tagen davor immer mehr von Regierungspolitikern und Massenmedien unterstützt wurde. Der entscheidende Punkt ist, dass sich ein Bedürfnis ausdrücken wollte, sich kämpferisch „dem Rechtsruck“ entgegenstellen zu wollen, sich mit den Angegriffenen (Flüchtlingen, Migrant*innen) solidarisieren zu wollen. Viele Menschen sind nach langem wieder auf die Straße gegangen, oder haben es das erste Mal getan, um ihre eigene Angst, Unentschlossenheit, Depression und Verzweiflung zu überwinden. Ein zweiter wichtiger Punkt war, dass es das Bündnis schaffte, ohne Redner*innen der Parteien auszukommen, und eine ganz andere Bündnispluralität auf die Bühne brachte. Wenn über die fehlende Repräsentation der ökonomisch Ausgebeuteten, der sozial Ausgegrenzten geklagt wird, wird verschwiegen, dass noch nie nach meiner Erinnerung so viele unterschiedliche Feministinnen, so viele vom Rassismus Betroffene auf einer großen bundesweiten Demonstration das Bild geprägt haben: umgekehrt, es ist das erste Mal, dass nicht von weißen Deutschen beständig über die „Anderen“ gesprochen wurde, sondern dass sie selbst selbstbewusst, kritisch und auf Augenhöhe agierten, nicht als Experten für Migration oder bemitleidenswerte Opfer, sondern als Gleiche, und die sonst „Unsichtbaren“ eine Stimme bekamen und sichtbar wurden. Merkwürdig auch, dass die Kritikerinnen, die finden, dass die soziale Frage bei Unteilbar ausgeklammert worden wäre, die Sprecher*innen vom Ryanairstreik, die Sprecherin des Streiks im Gesundheitswesen, der Krankenschwestern nicht wahrnahmen oder bewusst unterschlugen. Und ist es nicht so, dass der Feminismus die soziale Frage genauso beinhaltet: „Bestreikt werden soll nicht nur die Lohnarbeit, sondern alle Tätigkeiten, die Frauen so häufig unentlohnt und unsichtbar ausführen, und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie oft in unsicheren und gewaltvollen Situationen festhalten.“ (zum Frauenstreik am 8. März 2019, Abschlusskundgebung Unteilbar), genauso wie der Kampf gegen Rassismus:
„Es ist leicht uns zu beschimpfen und auszuschließen, denn viele von uns sind sowieso ganz unten. Wir sind vor Krieg, Hunger, Armut und Elend geflohen. Viele von uns kamen, weil der globale Kapitalismus unsere Leben zerstört hat. Unsere Familien dürfen nicht kommen, weil unsere Liebe und unsere Sehnsucht hier nichts bedeuten. Die Regierung will die Grenzen schließen und uns in neue Lager stecken. Wir wollen ganz sicher kein Mitleid, wir sind Menschen, keine Opfer … Denn mal ehrlich: Wer sitzt in den Unterkünften und hört, wenn nachts die Scheiben klirren? Wer wird auf der Ausländerbehörde schikaniert? Wer wird in illegalen Jobs und in unbezahlten Praktika ausgebeutet? Wer putzt die Teller, die Toiletten und die Eigenheime? Wer lebt und arbeitet seit Jahrzehnten hier und bleibt doch immer nur „Gast“? Nein, für uns geht keine heile Welt unter, weil die AfD jetzt mit 13% im Bundestag sitzt.“ (Aufruf United against Racism, Abschlusskundgebung Unteilbar).
Eine Rednerin von Jugend ohne Grenzen zählte konkret auf, was sie abschaffen wollen: alle Sonder –und diskriminierenden Gesetze für Flüchtlinge wie Residenzpflicht, Studien-und Arbeitsverbot, Lagerunterbringung. In einem Land, in dem 1,1 Millionen Menschen in der Pflege, 875.000 im Reinigungsgewerbe, 416.000 in der Gastronomie arbeiten, wissen alle, was der Niedriglohnsektor ist: weiblich und / oder migrantisch. Das Vorstandsmitglied der IG Metall Hans Jürgen Urban wandte sich gegen eine völkische und rassistische Beantwortung der sozialen Frage: „Die soziale Frage, so tönt der thüringische „AfD-Hetzer Höcke“, verlaufe nicht mehr zwischen oben und unten. Denn, Zitat: „Die neue deutsche soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen.“ Innen und außen meint: „Deutschtum“ als Zugangsberechtigung zu sozialer Sicherung, der Rest guckt in die Röhre. Liebe Freundinnen und Freunde, das ist ein vergiftetes Angebot. Es wendet sich an diejenigen, die durch die Agenda-Politik und Hartz-Reformen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Auf diese Zumutung kann es nur eine Antwort geben: Bleibt uns vom Hals mit eurer völkischen Karikatur eines Sozialstaates. Das hättet ihr gerne, dass wir die Ursache für Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Spaltungen bei denjenigen suchen, die selbst Opfer des Gegenwarts-Kapitalismus sind. Die neue soziale Frage bleibt im Kern die alte. Sie wird auch heute entscheiden zwischen oben und unten, zwischen reich und arm, zwischen denen, die Geld, Eigentum und Macht besitzen und denen, die nichts von dem haben.“ Ernster sind die Vorwürfe, dass Organisationen mit islamistischen Kontakten teilgenommen hätten; Unteilbar spiegelt auch die tiefe Gespaltenheit der Linken zwischen den Polen unkritischer Israelsolidarität und antizionistischer Israelfeindschaft wieder, eine Spaltung, die mindestens seit dem Sechstagekrieg 1967 besteht. Es ist kaum zu erwarten, dass dies in einigen Tagen Bündnisverhandlungen überwunden werden kann, die Pole sind so unversöhnlich weit auseinander, wie eine Friedenslösung entfernt ist. Trotzdem soll dies kein „Freispruch“ für das Unteilbar-Bündnis sein: eine Schärfung der politischen Begriffe und Analyse ist eine Arbeitsaufgabe, die sich stellt: wenn gegen Antisemitismus demonstriert wird, ist es nicht möglich zum Existenzrecht Israels zu schweigen. Wenn gegen Rechtsruck protestiert wird, wieso sollte die israelische Rechte ausgeklammert werden? Dafür, dass der großartige 13. Oktober 2018 nicht zum kleinen Licht im Dunkel wird, der die Vision einer anderen Gesellschaft umrissen hat, tragen alle eine große Verantwortung. Strategisch, politisch, taktisch, organisatorisch. Damit die Hoffnung, die entstanden ist, Wirklichkeit wird.
„Unteilbar“ kann eine großartige Utopie sein, und ist noch keine Realität. Viele haben den Grundgedanken verstanden, als tendenziell richtige Antwort auf die politische Situation und die sozialen Verhältnisse. Das Unteilbar-Bündnis sollte versuchen, seinem Kurs und sich treu zu bleiben. Wenn es gelingen würde, die Faschisierung hier zu stoppen, und die Eingangsfrage auf heute angewandt zu beantworten, wäre es ein Signal, das weit über Europa hinausgeht: das Land, in dem einst die nationalsozialistische Bestie emporstieg, besiegt sie endgültig.
Emil Goldmann 28.Oktober 2018
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