Über „Coronaleugner“ und „Putinversteher“ – wider einer Platzanweisung

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Von „Coronaleugnern“ bis zu „Putinversteher“. Wo stehst du?

 Wer sich jetzt wundert, wer sich wie zu dem Krieg in der Ukraine äußert und positioniert, wer die „Zeitenwende“, die auch durch die (Rest-)Linke geht, verstehen will, der sollte den Corona-Ausnahmezustand nicht beiseiteschieben, sondern mitberücksichtigen.

In den zwei Corona-Jahren hat man gerne und mit Herzblut an einer Front geschmiedet, bei der man sofort merken sollte, wo die „Guten“, wo die „Bösen“ sind.

Auf der einen Seite waren die „Guten“, die die Schwachen, die Schutzbedürftigen schützen, die selbstlos, empathisch und solidarisch sind. Damit hat man die Corona-Politik im Großen und Ganzen geteilt und mitgetragen.

Auf der anderen Seite hat man die „Bösen“ positioniert und ausgestattet: Das waren dann „Coronaleugner“, Egoisten, Sozialdarwinisten und Verschwörungstheoretiker und so gut wie Nazis.

An diese „Front“ hat man sich gehalten, denn sie war extrem bequem und extrem selbstgerecht. Von Regierung bis zu Teilen der Linken war man auf der Seite der Guten, die jetzt zusammen den Schwächsten zur Seite stehen.

Diese Frontstellung war wichtig, denn so konnte man jede Kritik an der Corona-Politik, an den Bedingungen des Ausnahmezustands zertreten und denunzieren, und damit auch das eigene Mittun kaschieren.

Und je mächtiger dieses Frontbild wurde, desto schwerer wurde es, sich dem zu entziehen. Ob man wollte oder nicht, hinterlegte man eine andere Meinung mit dem dazugehörigen Front-/Feindbild. Auch mit Freunden, die ich sehr lange kenne und schätze, ging es mir so. Wir mussten aufpassen und uns sehr anstrengen, unsere Widersprüche, unseren Dissens nicht einer Frontseite zuzuordnen.

Soweit ich das überblicken kann, ist es vielen so ergangen. Nur in sehr selten Fällen ist es gelungen. In der Regel zerbrachen die Freundschaften, wobei die Frage durchaus berechtigt ist, ob die Risse nicht schon vorher da waren und jetzt nur unüberwindbar groß wurden.

Nun steuern wir vom Corona-Ausnahmezustand in Richtung Kriegs-Ausnahmezustand. Der bereits zwei Jahr eingeübte Frontverlauf wird gerade aktualisiert und ‚überschrieben‘. Wer vorher „Corona-Leugner“ war, wird jetzt (zusätzlich) „Putinversteher“ oder einfach ein „Russenfreund“. Und die sind je nach Hinterlegung: chauvinistisch, nationalistisch, kommunistisch und dann doch auch irgendwie Nazis.

Wer also jetzt den (Welt-)Frieden (erstmals in Europa) in Gefahr sieht und nun der Ukraine beisteht, den russischen Angriffskrieg verurteilt, ist wieder auf der Seite der „Schwächsten“ und übt Solidarität. In diesem Kriegsbild ist Russland ganz besonders brutal und skrupellos, ersetzt (internationales) Recht durch Gewalt und überfällt die wehrlos und friedliebende Ukraine.

 

Dass dieser Frontverlauf voller Strohballen ist, die man ansteckt, um alle anderen Gründe im Rauch verschwinden zu lassen, ist nicht neu.

Ein sehr guter Freund, mit dem ich auch in Corona-Zeiten um Wahrnehmungen, Zuweisungen und Unterstellungen gestritten habe, um ohne diese Hinterlegungen an unsere Meinungsverschiedenheiten heranzukommen, schrieb mir, dass er es –auch emotional – nicht aushalte, warum ich die nationalistische, chauvinistische Politik Russlands nicht erwähne. Er würde mir zwar nicht unterstellen, dass ich ein „Putin-Freund“ sei (das würde mir in den vielen Unterstellungen noch fehlen), aber die „Auslassungen“ würde ihn nachdenklich machen.

Was ein Freund, den ich seit etwa 30 Jahren kenne, denkt, lässt mich vermuten, dass das anderen noch ‚leichter‘ fällt. Wie ordnet man meine Texte zum Ukraine-Krieg ein? Wo gehört der Autor hin? Was sagt das Nicht Gesagte?

Da den Blog sehr viele unterschiedlichen Menschen lesen, die neu „dazugekommen“ sind oder eine andere politische Biografie haben, halte ich es für sehr notwendig, mich selbst auszuweisen, bevor andere dies tun. Denn und das ist meine Erfahrung der letzten 40 Jahren: Es kommt nur bedingt darauf an, was ich sage. Viel mächtiger ist das, was man dem Gesagten ‚hinterlegt‘ – und das im guten wie im bösen Sinne.

Deshalb einige Klarstellungen von meiner Seite. Denn es geht mir wie allen anderen auch, die das, was man in öffentlich-rechtlichen und Privat-Anstalten an Kriegspolitik geboten wird, nicht für die Wahrheit halten, Widersprüche zu benennen und Zusammenhänge herzustellen.

Dabei muss man sich einer Bedingung klar sein: Wie in jedem Krieg sind wir vor allem mit dem Kriegsnebel konfrontiert. Wir wussten nicht, was ganz genau in Vietnam passiert ist.

 

Was Jahrzehnte ohne ethnischen Wahnsinn ausgekommen ist, nannte der deutsche Außenminiser Kinkel ein “Völkergefängnis”, das man stürmen muss.

Wir wussten nicht genug, um zu wissen, was den Jugoslawien-Krieg (1999) ausgelöst hat! Wieviel „Freiheitswille“ steckte in den Unabhängigkeitsbestrebungen aus dem Völkerverbund auszuscheren? Wie entscheidend war das Interesse westlicher Staaten, die Bundesrepublik Jugoslawien (die einen „dritten“ Weg zwischen Kapitalismus und „Staatssozialismus“ versuchte) zu zerschlagen? Wir wissen noch weniger, was genau in der Ukraine passiert/e. Was hat sich in den letzten acht Jahren an der „Kontaktlinie“ zwischen der Ukraine und den abtrünnigen Gebieten ereignet? Wir wissen nicht mit letzter Gewissheit, wer die Verhandlungen (Minsk I und II) sabotiert und hintergangen hat.

 

 

 

 

All das hat uns gelehrt, nicht im Krieg die Wahrheit zu suchen, sondern in den Bedingungen davor. Dazu gehört das Wissen, das wir heute über den Vietnam-Krieg (1960er bis 1970er Jahre), über den Jugoslawien-Krieg (1999) über den Irak-Krieg (2002) haben.

Und es gibt noch eine recht bittere Erkenntnis, die man bei dem, was ich heute sage, vorausschicken muss: In den 1970er und in den 1980er Jahren konnten wir uns auf eine Seite stellen, wenn es um den Krieg in Vietnam ging, wenn es um Befreiungsbewegungen ging, die die Diktaturen bekämpften, die mit westlicher Hilfe an der Macht gehalten wurden.

All das ist mehr oder weniger Staub der Vergangenheit. Grob gesagt, geht es im 21. Jahrhundert nur und vor allem um Kriege zwischen kapitalistischen Staaten. Es gibt (für uns/mich) nicht einen Grund, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, das zur Sprache zu bringen, was zwischen diesen Kriegsparteien zerrieben wird, was von beiden Seiten gar nicht erwünscht ist. Eine Vorstellung, eine Vision jenseits dieses dystopische Kapitalismus. Und wenn man ganz unerschrocken und optimistisch ist: Gerade „ihre“ Kriege sind doch ein geradezu tödlicher Beweis dafür, dass es etwas jenseits dieser Kaptalismen geben muss.

Jenseits ihrer Kriegslogik

Ich möchte ein paar Stationen kurz beschreiben, die unseren/meinen politischen Standort bestimmt und geprägt haben.

In den 1980er Jahren, als es noch die „Systemkonkurrenz“ (Ostblock-Westen) gab, fand ein mörderisches „Wettrüsten“ statt, das sich ganz nahe an einem Atomkrieg herangearbeitet hatte.

 

In Deutschland sollten atomare Pershing II Raketen stationiert werden, also an die Grenze zum Ostblock. Dazu gehörte die erfundene „Raketenlücke“, die suggerieren sollte, dass der Westen bedroht sei. Das Gegenteil war der Fall: Man wollte die Sowjetunion „totrüsten“, um das System zum kollabieren zu bringen. All das geben die Gewinner dieses „kalten Krieges“ gerne zu.

Damals gab es eine breite und vielschichtige Bewegung, die sich gegen die Stationierung wehrte. Niemand von denen, mit denen wir zusammen waren, hatten dabei die Sowjetunion, ihr Verhältnis zum „sozialistische“ Ostblock im Blick. Wir hatten die Raketen nicht gezählt, wir haben nicht am „Gleichgewicht des Schreckens“ herumgerechnet. Wir hatten einzig und alleine die deutsche Bundesregierung im Blick, der wir vieles zutrauten, nur keine friedlichen Absichten.

Mitte der 1990er Jahre begannen die „Unabhängigkeitskriege“ in der Bundesrepublik Jugoslawien. Wir haben sie kaum wahrgenommen, wir waren vor allem mit den deutschen Verhältnissen beschäftigt: Das Wiedererstarken des Nationalismus, dieses Mal im Gewand eines „gesunden Nationalstolzes“, mit den Pogromen, mit dem Erstarken neofaschistischer Organisationen. Erst als uns dämmerte, dass ein Krieg gegen Jugoslawien bevorstand, unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung, versuchten wir uns schlau zu machen. Das war wirklich sehr mühsam und wir hatten die Geschichte der einzelnen Abspaltungen nicht in petto. Und wie in allen anderen Kriegen auch konnten wir die einzelnen Vorwürfe, die den herbeigesehnten Krieg begründen sollten, nicht überprüfen. Ob es sich dabei um Massaker handelte, den “Hufeisenplan” oder um ein “KZ in Pristina” … wir mussten uns mit recht schwachen und wackligen Gegenbeweisen zufriedengeben. Wir wussten nur eines und das ganz sicher und diese Gewissheit lag vor dem Krieg:

 

 

 

Deutschland tat viel dafür, wieder militärisch im Geschäft zu sein, als imperiale Macht aus dem Schatten der “Scheckheftdiplomatie“ herauszutreten. Das Ziel war klar und eigentlich deutlich artikuliert. Man wolle wieder „außenpolitische Normalität“ erlangen, wozu ein wenig schamvoll auch Kriege umschrieben wurden.

 

Auch in diesem Fall war unser Widerstand gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien 1999 mit der Rolle der deutschen Bundesregierung und der Rolle der NATO verknüpft. Wir haben also nicht für das politische System in Jugoslawien das Wort ergriffen, sondern gegen die deutsche Bundesregierung.

Dass wir in allen Annahmen und Mutmaßungen recht behalten sollten, dass der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien mit ungeheuerlichen Kriegslügen gespickt war, dass die Verhandlungen für eine „friedliche Lösung“ eine Farce waren (Rambouillet), dass es sich um einen Angriffskrieg handelte, der nichts weiter als ein Kriegsverbrechen darstellt, all das erfuhren wir später, als die Kriegstreiber all ihre Ziele erreicht hatten.

Man könnte diese kurze Skizze erweitern, um den „Krieg gegen den Terror“ der nach 9/11 im Jahr 2001 in Gang gesetzt wurde, und der bis heute in Form von offenen und verdecken Kriegen weitergeht, von Afghanistan (2001), über den Irak (2003) bis nach Libyen (2010) und Syrien (2014).

Eine einzige Spur der Verwüstung, der Zerstörung, der Lügen. Nie, aber auch nie ging es um die Menschen, um die Befreiung von Unterdrückung und Armut, um die „Befreiung der Frauen“, um die Verteidigung von Menschenrechten.

All das ist bekannt. All das kann man – heute – sehr gut belegen und beweisen.

Es ist dieses Wissen, das mich heute sicher macht, wenn ich zu dem Krieg in der Ukraine Stellung beziehe. Dazu muss ich nicht in den Donbass reisen. Dazu muss ich nicht die zahllosen Kriegsdetails kennen und zuordnen. Ich muss auch nichts über die wahren Motive der russischen Regierung wissen. Es reicht, es reicht mehr denn je zu wissen: Russland ist ein kapitalistisches Land, die Ukraine ist ein kapitalistisches Land. In beiden Ländern geht es nicht um das Wohl der Menschen.

Die Ukraine, also die an die Macht geputschte Regierung will ein Bauer auf dem Schachbrett der EU und NATO werden/sein. Und Russland, also die russische Regierung will auf dem Schachbrett nicht länger Bauer sein.

Und noch etwas ist ganz sicher. Dafür muss man nichts über den aktuellen Kriegsverlauf wissen: Weder Deutschland, noch die EU, noch die NATO haben irgendein Problem damit, Gewalt über das (internationale) Recht zu stellen. Sie brechen das (internationale) Recht seit Jahrzehnten. Was ihnen nicht gefällt, wenn es andere auch tun, ohne ihre Zustimmung dafür einzuholen.

Und noch etwas kann man ganz ruhig und sicher sagen. Weder die deutsche Bundesregierung, die EU, noch die NATO beschützen hier und heute (und gestern) die (europäische) Friedensordnung. Sie beschützen einzig und alleine ihren Alleinanspruch auf Rechtsbrüche, auf Völkerrechtsbrüche, auf verdeckte und offene Kriege.

Das macht, um zum Schluss zu kommen, den Angriffskrieg Russlands nicht zu einer „Sonderoperation“, um die Ukraine zu „entnazifizieren“. Das zeigt nur, dass sich Russland jetzt stark genug fühlt, nicht länger Bauer auf dem Schachbrett der anderen zu sein.

Aber, und das ist sehr wichtig: Wer jetzt den Angriffskrieg Russland anprangert und in der Reihe derer steht, für die Angriffskriege und Kriegsverbrechen zur Selbstverständlichkeit gehören, ist nicht solidarisch mit den Opfern in der Ukraine, sondern solidarisch mit einer Kriegspolitik, die sie mitbeschützen.

 

Die britische Kulturministerin Nadine Dorries erwähnte, dass es neben den beiden Kriegsfronten (Ukraine-Russland) noch eine „dritte Front im Ukraine-Krieg“ gäbe. Die befindet sich außerhalb des (unmittelbaren) Kriegsgebietes, also dort, wo sich die Menschen ein Bild von diesem Krieg machen, in der EU, in den USA und eben auch in Deutschland. Und diese „dritte Front“ wird nicht von Bomben und Toten geprägt, sondern von all dem, woran man hier hängt, was man hier verteidigen möchte. Wenn ich mich nicht täusche, ist die „dritte Front“ in Deutschland fast schon vorgegeben: Diejenigen, die die Corona-Politik in den letzten beiden Jahren kritisiert haben und erlebt haben, wie die deutsche Bunderegierung und ihre medialen Transmitter mit diesem Protest umgehen, sind skeptisch, sehr skeptisch, was die jetzt ausgebende Regierungslinie zum Krieg angeht: Sie weigern sich, „Putin“ zum Irren zu machen und die „Ukraine“ zum Opfer. Das machen sie nicht, weil sie ganz genau Informationen über den Krieg und die darin artikulierten Interessen haben. Sie machen es vor allem, weil sie der deutschen Bundesregierung nicht mehr glauben, also ihr auch nicht abnehmen, dass es ihr dabei um Frieden und Gerechtigkeit gehe.

Und diejenigen, die in den letzten beiden Jahren die Corona-Politik im Großen und Ganzen begrüßten (oder gar mehr forderten), die stehen auch heute in der Mehrheit hinter dem Regierungsnarrativ vom herrschsüchtigen, chauvinistischen „Putin“. Auch die treffen diese Entscheidung nicht, weil sie im Kriegsnebel besser durchblicken, sondern weil diese Positionierung ihre Haltung hier widerspiegelt.

Zum Schluss noch etwas sehr Persönliches.

Man ist schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, auch von Freunden, dass man doch (jetzt) die Opfer dieses Krieges sehen müsse, dass alles andere entweder gerade nicht wichtig sei oder gerade nicht zähle.

Schließlich ginge es jetzt um die Verhinderung eines Atomkrieges. Damit soll gesagt werden, dass es jetzt etwas Wichtigeres gäbe, als das, was wir ansonsten für wichtig halten.

Ich weigere mich ausdrücklich, meine schmerzlichen Mitgefühle für Opfer eines Krieges auf jene zu konzentrieren, die mir Kriegsherren und – frauen als ‚legitime Opfer‘ anbieten. Ich finde es vielmehr widerlich, jenen zu folgen, die für die Millionen von Opfern kein Wort, kein Bild haben, wenn es ihren Kriegszielen dient.

Um mit meiner Wut in Europa zu bleiben. Kann sich irgendjemand daran erinnern, dass wir jeden Tag die Opfer des Bombenterrors der NATO zu sehen bekamen, die 70 Tage, siebzig Tage lang in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien der „Luftkampagne“ der NATO ausgesetzt waren? Haben wir sie in ihren Schutzräumen gesehen, in Kellern, in U-Bahnstationen? Haben wir damals Mütter und Kinder gesehen, die 70 Tage lang diesem Angriffskrieg ausgesetzt waren?

Wie unerträglich ist es, wenn man diese Tage im Jahr 1999 im Fernsehen miterlebt hatte, wenn man heute die Opfer zeigt, die man damals als „legitime Ziele“ ausgeblendet und zum Verschwinden gebracht hat.

Und es gibt keine Entschuldigung – gerade auch mit Blick auf meine Freunde, dass sie etwas „vergessen“, was Jahre, Jahrzehnte unser gemeinsames Wissen war – ohne wirkliche Not.

Wolf Wetzel                                                   9.3.2022

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