22.3.2010 – Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel – Ein Rück- und Ausblick

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Vorwort

Mehrere Wochen dauerte der Krieg der israelischen Armee im Gazastreifen 2009 – genauso lange stritt sich ein Teil der deutschen Linken darüber, ob diese Militäroperation ein legitimer Selbstverteidigungsakt war oder ein Krieg1 im Rahmen fortgesetzter Besatzungspolitik. Obwohl keine der beteiligten Streitfraktionen auch nur den geringsten Einfluss auf den Ausgang dieses Krieges hatte, stritt man sich bis zur letzten Tinte, ohne dass die Bereitschaft zu erkennen war, die unterschiedlichen Positionen öffentlich zu diskutieren. Ein Großteil traf die Entscheidung, angesichts des schwierigen und komplexen Themas und des völlig vergifteten Klimas sich rauszuhalten. Seitdem herrscht bleierne Stille. Man hat sich zerstritten, man geht sich aus dem Weg, man führt Selbstgespräche in vertrautem Kreis.


In dieses Schweigen platzte der angekündigte Besuch des US-Professor Norman Finkelstein, der mit der Feststellung, dass der ›Holocaust‹ nicht nur von Gegnern der israelischen Staatspolitik instrumentalisiert wird (›Völkermord an den Palästinensern‹, ›Holocaust im Gazastreifen‹), sondern auch von Protagonisten und Befürwortern der israelischen Staatspolitik für große Aufregung sorgte2. Ein Verweis, der so berechtigt ist wie die lange Geschichte der Instrumentalisierung der Shoa: Anfang der fünfziger Jahren verglich der erste Ministerpräsident Israels Ben Gurion den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser mit Adolf Hitler. Während des Libanonkrieges 1982 erklärte der israelische Ministerpräsident Menachem Begin, die Alternative zur israelischen Besatzung in Beirut sei ein neues Treblinka. Um die Einebnung von Geschichte komplett zu machen wollte Menachem Begin auch Arafat zum »Hitler« machen und als »Biest auf vier Beinen« gesehen haben. Anlässlich der Bombardierung von Beirut 1982 wurde der dortige Bunker von PLO-Chef Yassor Arafat in Israel folgerichtig als »Hitler-« bzw. »Führerbunker« tituliert und Begin wollte allen Ernstes »Hitler aus seinem Bunker« holen.

Die Relativierung und Instumentalisierung macht nicht einmal vor inner-israelischen Machtkämpfen Halt: So schreibt David Ben Gurion in seiner Biographie, dass er, wenn er die krächzende Stimme seines politischen Rivalen Begin im Radio hörte, an Adolf Hitler denken musste. Und als der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin in den 90er Jahren Friedensverhandlungen mit der PLO einleitete, wurde er von seinen religiös-orthodoxen und reaktionären Gegnern als Puppe in SS-Uniform durch die Straßen (vor-)geführt.

Der israelische Soziologe Moshe Zuckermann kommentiert entsprechend bitter diese wohl inszenierte Empörung:

»Starker Tobak für zarte deutsche Seelen, die weder wollen, daß ihre ehrlich gemeinte ›Wiedergutmachung‹ in Verruf gerate, noch daß der Fetisch ›Israel‹, den sie sich als Schuttabladeplatz für ihre schuldbeladenen Befindlichkeiten erkoren haben, demontiert werde. Seelenökonomisch günstiger, vor allem aber ideologisch lohnenswerter ist es da, Finkelstein gleich als (jüdischen) ›Antisemiten‹ und ›Geschichtsrevisionisten‹ zu apostrophieren, womit sich denn die notwendige Auseinandersetzung mit seinen Aussagen erübrigt. Es ist schon merkwürdig, mit welcher Unbeschwertheit nichtjüdische Deutsche heutzutage Juden als ›Antisemiten‹ zu schmähen sich anmaßen, wenn diese die wackligen Prothesen ihrer über ›Juden‹ und ›Israel‹ gewonnene Identität ins Wanken bringen.«3

Angesichts der Vorwürfe, Finkelstein sei ein Antisemit und Geschichtsrevisionist ahnte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Ungemach und bestand im Namen der Ausgewogenheit darauf, dem Professor4 ein angemessener Widersacher an die Seite gestellt wird. Die Veranstaltung wurde abgesagt, die Gegner einer Einladung des US-Professoren feierten dies als ›großen Sieg‹ und israelische Wissenschaftler Moshe Zuckermann verfasste eine  ausgezeichnete Widerrede.

Die Parallelisierung des ›Holocaust‹, die Vergangenheit als immer gegenwärtiges Kontinuum und die Enthistorisierung Israels, die nicht mehr die widersprüchliche Geschichte seiner Staatsgründung, die unterschiedlichen Machtblöcke, die Widersprüche zur Besatzungspolitik in Israel selbst zum Gegenstand hat, sondern all dies zu einem »Fetisch«5 zusammenschiebt, immunisieren sich gegenseitig. Die Anbetung der Ohnmacht.

Dass die deutsche Linke selbst daran mitgewirkt hat, nicht erst seit dem Gaza-Krieg 2009, sondern seit 1967, soll im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen, mit dem Versuch, einen Ausblick zu wagen, der den gesellschaftlichen Verhältnissen in Israel und Palästina Rechnung trägt.

Angesichts des militärischen Einmarsches der israelischen Armee in den Gazastreifen (Operation ›Gegossenes Blei‹) im Jahr 2009 loderten die Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Linken wieder auf:

Wie soll und kann sich eine deutsche Linke zu diesem Krieg verhalten? Ist eine grundsätzliche Kritik an der Besatzungspolitik der israelischen Staatsführung einseitig? Ist Widerstand gegen die israelische Besatzung legitim? Handelt es sich bei der Operation ›Gegossenes Blei‹ um einen Selbstverteidigungsakt des israelischen Staates? Ist eine Kritik an der hermetischen Abriegelung des Gazastreifens, ihre wirtschaftliche Erdrosselung eine Sympathiekundgebung für die regierende Hamas?

Diese und ähnliche Fragen sind weder neu, noch schnell zu beantworten. Sie beschäftigen die deutsche Linke seit Ende der 60er Jahre.

Neu an diesem Konflikt ist vor allem, dass sich die Solidarität mit den Opfern des Gaza-Krieges auffallend flach und unpolitisch darstellte, während antideutsche Gruppierungen ein Kriegsrecht für den Staat Israel reklamier(t)en, das selbst internationales Recht auf eine Art und Weise unterschreitet, was es als ›linkes‹ oder gar ›kommunistisches‹ Argumentationsmuster so noch nicht gab. Eine gesellschaftliche Vision, die über Unterdrückung und imperiale Logiken hinausweist, scheint auf beiden Seiten kaum noch auf.



»Die Verbindungen mit denen, die vor uns am Werk waren, war immer gleichbedeutend mit der Eröffnung des Wegs ins Zukünftige…. An nichts Kommendes können wir glauben, wenn wir Vergangenes nicht zu würdigen wissen.« Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands, Edition Suhrkamp, 1988, Zweiter Band, S.37

Vielleicht hilft ein wenig Abstand zu den Bildern und Eindrücken des Gazakrieges 2009, ein Blick zurück in die Geschichte der deutschen Linken, um zu verstehen, dass der Israel-Palästina-Konflikt eben kein Streitpunkt von vielen ist, sondern zurecht ein Besonderer und äußerst komplexer.

Unter dem Eindruck des ›Sechs-Tage-Krieges‹ 19676 und des militärischen Sieges Israels verfasste die damalige Konkret-Autorin Ulrike Meinhof eine politische Stellungnahme, die nicht nur für die ›68er‹-Generation weitsichtig und mutig war, sondern bis heute Bedeutung für die Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Linken haben sollte:

»Für die europäische Linke gibt es keinen Grund, ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in die Gegenwart und schließt den Staat Israel ein, den britische Kolonialpolitik und nationalsozialistische Judenverfolgung begründet haben. Die Menschen, die heute in Israel leben, die Juden nicht nur, auch die Araber, waren nicht Subjekt, sondern primär Objekt dieser Staatsgründung. Wer den Bestand dieses Staates glaubt zur Disposition stellen zu wollen, muß wissen, daß nicht die Täter, sondern wiederum die Opfer von damals getroffen würden.« (Konkret, 7/1967)

Wenn man diese grundsätzliche Positionierung zum (unhintergehbaren)Ausgangspunkt jedes politischen Engagements gemacht hätte, würde sich die Solidarität mit den Überlebenden des Holocaust und die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, der Kampf gegen Antisemitismus und die Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. Unter diesen Voraussetzungen würden eine radikale Kritik an der Politik des Staates Israels nicht nur die Legitimität des palästinensischen Widerstandes betonen, sondern gleichermaßen die reaktionären Implikationen benennen, die es innerhalb der verschiedenen Fraktionen des palästinensischen Widerstandes gab und gibt, genau so wie die reaktionären (Großmacht-)Interessen arabischer Bruderstaaten.

Was sich verzwickt anhört, lässt sich an einem Konfliktpunkt halbwegs verständlich darstellen: Wenn israelische Siedler im besetzten Westjordanland als Juden angegriffen werden, dann muss eine Linke gegen Antisemitismus Stellung beziehen. Wenn israelische Siedler als Soldaten eines biblischen Sendungsbewusstseins, das jordanisches Territorium für Judäa und Samarien7 hält, angegriffen werden, dann muss sich eine Linke auf die Seite der Angreifer stellen.

Die Weigerung der radikalen Linken, sich dieser Schwierigkeit zu stellen, wurde nicht nur mit der Beteiligung von Mitgliedern der RZ- und ›Bewegung 2.Juni‹ an der Entebbe-Flugzeugentführung eines palästinensischen Kommandos 1976 offensichtlich. Sie ist lediglich spektakulärer Ausdruck einer Palästinasolidaritätsarbeit der 70/80er Jahre, in der die Identifikation mit dem palästinensischen Befreiungskampf all zu oft die Unfähigkeit verbergen half, der Aufforderung Ulrike Meinhofs an die radikale Linke gerecht zu werden. So verwundert es nicht, dass die gescheiterte Entebbe-Aktion weder innerhalb noch außerhalb der Palästina-Solidaritäts-Komitees Anlass für eine kritische Selbstbestimmung militanter Positionen gegenüber Israel war, sondern Schweigen. Erst Mitte der 80er Jahre sorgten zwei Ereignisse für Verwirrung und hitzige Debatten innerhalb der radikalen Linken: zum einen anlässlich der Aufführung des Fassbinder-Stückes ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ im Jahre 1985. Zum anderen der 1987 verfasste Aufruf ›Boykottiert Israel, Waren, Kibbuzim und Strände‹ aus militanten Zusammenhängen in den besetzten Häusern in der Hamburger Hafenstraße. Auch wenn diese wichtigen Auseinandersetzungen die Lokalität des Anlasses überwanden, so blieben die Versuche, die bisherige Politik der radikalen Linken gegenüber Israel und dem palästinensischen Befreiungskampf neu zu bestimmen, marginal und brüchig. Eine neue Offensivität ergab sich daraus nicht. Im Gegenteil. Die Infragestellung antiimperialistischer Strategien und nationaler Befreiungskämpfe, die wackligen Annäherungen an die eigenen nationalen Bedingtheiten machte nicht Mut, sondern sorgte für breite Verunsicherung.

Als der US-alliierte Krieg gegen den Irak 1991 begann, konnte zwar die Losung ›Kein Blut für Öl‹ für kurze Zeit eine breite Anti-Kriegs-Bewegung zusammenführen und -halten. Als jedoch die irakische Regierung Israel mit Krieg und Giftgasangriffen drohte und Scud-Raketen auf israelischem Territorium einschlugen, machte die deutsche Staatslinke aus der ›Lehre von Auschwitz‹ eine Kriegswaffe8 und rief dazu auf, Israel mit allen Mitteln zu verteidigen. Sie brachte die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel in Stellung und trat damit in die Kriegskoalition gegen den Irak ein. Weder der richtige Verweis auf die imperialistischen Ziele der westlichen Kriegskoalitionäre, noch der Verweis auf die antiimperialistischen Solidaritätsbewegungen in arabischen Nachbarstaaten konnte das moralische und politische Leck stopfen.

Wie verhält sich die radikale Linke angesichts der Drohung, Israel militärisch zu vernichten und geo-politisch von der Landkarte zu löschen? Hat auch die radikale Linke eine Verantwortung gegenüber dem Staat Israel – und wenn ja, welche?

Dass die radikale Linke darauf keine gemeinsam-tragende Antwort hatte, hängt mit der paradox anmutenden Aufforderung zusammen, die Ulrike Meinhof 1967 formulierte und seitdem weitgehendst unbeantwortet blieb. Dass die radikale Linke dieses Versäumnis nicht zum gemeinsamen Ausgangspunkt machte, trug mit dazu bei, dass die Antikriegsbewegung 1991 politisch nicht verhindern konnte, dass die Staatslinke die Solidarität mit den Opfern des Holocaust in eine Kriegserklärung gegen den Irak münden ließ.

Glücklicherweise blieben nicht nur Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit zurück. In vielen Städten und Gruppen wurden zum ersten Mal (linke) jüdische Positionen diskutiert, die sich taktisch nicht vereinnahmen ließen, sondern uns mit dem Vorwurf konfrontierten, dass in bestimmten antizionistischen Argumentationen reaktionäre Denkmuster und ein versteckter Antisemitismus zum tragen kommen. Nicht weniger wichtig waren gewichtige Stimmen innerhalb des palästinensischen Widerstandes, die Kritik an reaktionären, patriarchalen und autoritären Strukturen des ›nationalen Befreiungskampfes‹ übten. Bis in die 90er Jahre hinein betrachte die radikale Linke Israel nicht von der eigenen Geschichte, sondern von palästinensischen Stellungen aus. Man übernahm deren Argumente, zitierten ihre Analysen (wie z.B. die von ›Al Karamal‹, Ali Hashash oder Karam Khella9), teilten ihren Hass gegen das israelische »Siedlerprojekt«, verurteilten im selben Wortlaut den Zionismus als rassistische Herrschaftsideologie eines imperialistischen Staates. Im selben Atemzug rangen wir uns jede Art von Verständnis und Erklärung für die inneren Strukturen des palästinensischen Widerstandes ab, für deren Forderungen nach einem eigenen palästinensischen Nationalstaat (zwei Nationen – zwei Staaten10) oder für die militärische Ausbildung von Neonazis in palästinensischen Ausbildungslagern. Was an Israel bedingungslos kritisiert wurde, wurde mit Blick auf den palästinensischen Widerstand im Namen der Solidarität mit den ›Opfern der Opfer‹ zu rechtfertigen versucht.

David und Goliath – oder: Der Opfer(aus-)tausch

Die massive Kritik an der imperialistischen Politik Israels, der linke Blick auf Israel, der diesen Staat im Wesentlichen nur noch als ›Brückenkopf‹ des kapitalistischen Westens wahrnehmen konnte, die offene und/oder verdeckte Infragestellung des staatlichen Existenzrechtes Israels markieren Positionen, die die deutsche Linke erst nach 1967 eingenommen hatte. Vor und bis 1967 existierte in der heranwachsenden 68er Protestbewegung ein positives Bild von Israel. Israel galt ohne Wenn und Aber als ›Heimstätte der Überlebenden des Holocaust‹. Die Staatsgründung Israels 1948 erschien als unbestrittene Konsequenz aus einer europäischen Staatengeschichte, in der seit Jahrhunderten Menschen jüdischen Glaubens verfolgt wurden, ihres Lebens nie sicher sein konnten. Die staatliche Existenz Israels galt der Linken als lebender, unauslöschlicher Beweis für die begangenen und im Wiederaufbaudeutschland verdrängten Naziverbrechen. Ein sicherer und zu schützender Ort für die ZeugInnen des in der Geschichte einzigartigen Versuches, ein ganzes Volk industriell auszulöschen.

Dass diese Heimstätte nicht in Europa, oder in Deutschland selbst liegen sollte (und konnte), dass biblische und imperiale Erwägungen den Ausschlag gaben, dass in dieser ›Wiedergutmachung‹ ein weiteres Staatsverbrechen11 bereits angelegt war, wurde damals kaum bzw. gar nicht problematisiert. Das war nicht zufällig, sondern zwingend. Denn in der linken Wahrnehmung Israels spiegelte sich mehr ein deutsches Verhältnis wider, als dass die Bedingungen dieser Staatsgründung selbst – der im Kolonialstil praktizierte Akt der Staatsausrufung 1948, die geo-politischen Ziele vieler israelischer Staatsgründer, die weit darüber hinausgingen – mit zum Ausgangspunkt der Solidarität gemacht worden wären. In dieser innerdeutschen Auseinandersetzung spielten die Überlebenden als Menschen mit unterschiedlichsten Herkünften, Vorstellungen und politischen Konsequenzen kaum eine Rolle. Das Gewicht bekamen sie, die Sympathie verdienten sie sich als Opfer, unterschiedslos. Das, was die deutsche Linke mit den Opfern der Nazi-Verbrechen verband, was sie in ihr Überleben hineinprojizierte, hatte selten etwas mit diesen zu tun. Anstatt sich den Handelnden, den AkteurInnen politischer Prozess in Israel zu nähern, blieb die deutsche Linke bis 1967 der eigenen Opfer-Metaphysik verhaftet: Die jahrhundertelange antisemitische Verfolgung, das seit Menschengedenken durch Vertreibung und Pogrome geprägte jüdische Leben, ohne ›Heimat‹, sprich nationalstaatliches Privileg, bestimmte den Blick auf Israel. Doch die Staatsgründung Israels 1948 war nicht nur ein imperialer, kolonialer Akt: So unterschiedlich die Motive der Staatsgründung innerhalb der israelischen GründerInnengeneration auch waren, eines einte sie zweifellos: Nie wieder Opfer sein, nie wieder Diskriminierung,Vertreibung und Vernichtung wehrlos gegenüberstehen. Anstatt sich diesem politischen Bewusstsein zu stellen, die unterschiedlichen – religiösen, nationalistischen, rassistischen bis hin zu sozialistischen – Positionen wahrzunehmen, die Machtverhältnisse innerhalb des israelischen Staates, imaginierte man die Opfer in einen paradieschen Zustand: Man bewunderte den bewaffneten Kampf um nationale Selbstbestimmung (der Film ›Exodus‹ war die cineastische Übersetzung dafür), die ›Fruchtbarmachung der Wüste‹, die Aufbauleistung Israels. Viele sahen im Kibbuz-System die Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaftsutopie, das Ende kapitalistischer Ausbeutung, die Gleichberechtigung von Frau und Mann innerhalb kollektiver Lebensformen – ein gemeinsamer Kampf um den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Diese Bewunderung und Unterstützung spiegelte weniger die israelischen Verhältnisse wider – diese Projektionen mussten vielmehr gegen die sozialen und politischen Verhältnisse dort behauptet werden.

Der Sieg der israelischen Armee 1967 im ›Sechs-Tage-Krieg‹ stellte nicht nur die linke Opfer-Metaphysik auf den Kopf, sondern auch die innerdeutschen Israel-Frontlinien. Von ›BILD‹ bis Frankfurter Rundschau, von Ex-Nazi-Mitgliedern bis zu ehemaligen WiderstandskämpferInnen, von CDU bis SPD wurde der Präventiv-Krieg gefeiert, der israelische General Moshe Dayan eingebürgert und als neuer ›Rommel‹ bewundert.

Aus Ex-Nazis und Rassisten wurden philosemitische Bewunderer des Staates Israel … und die deutsche Linke wechselte hastig und kopflos die Stellung, und solidarisierte sich fortan mit den ›Opfern der Opfer‹.

Die verlorene Unschuld der Opfer

Mit dem israelischen ›Blitzsieg‹ 1967 über scheinbar weit überlegene (arabische) Feinde begann der Antisemitismus in Deutschland paradoxe Wege zu gehen.

Das rechtschaffene Deutschland sprach fortan nicht mehr vom ›Judenstaat‹, dessen Existenz eine Bedrohung für all jene darstellte, die ihre Karriere im Nazi-Deutschland bruchlos in das neue Nachkriegsdeutschland überführen konnten. Mit der geradezu überschwänglichen Lobpreisung israelischer Kriegskunst, mit den daraus abgeleiteten Zuschreibungen wie Tapferkeit, Entschlossenheit, Wagemut, Disziplin, Wille und Glaube an den Sieg wurde innerhalb der rassistischen Konstruktion von Wesenheiten eine philosemitische Umdeutung vorgenommen.

Das, was der deutsche Antisemitismus dem ›Juden‹ zuschrieb, wurde nun in die Gestalt des ›Arabers‹ verschoben: Die Bilder von barfüßigen, arabischen Soldaten, von Tausenden in der Wüste zurückgelassenen Militärstiefeln, von um ihr Leben flehenden Soldaten, die kopf- und führungslos in der Wüste herumirrten, zeigten mehr als einen Kriegsgegner. Sie visualisierten den ewigen Verlierer, seine Rückständigkeit, seine Unzivilisiertheit, seine Aussichtslosigkeit. Israel wurde zum Symbol der Überlegenheit westlicher Zivilisation – umgeben von einem Orient, der gegen die Moderne vergeblich anzurennen versucht.

Auch für die deutsche Linke wurde der Sechs-Tage-Krieg 1967 zum entscheidenden Wendepunkt ihrer Israel-Solidarität. Plötzlich war die deutsche Linke nicht mehr mit Opfern, sondern mit einem strahlenden Sieger konfrontiert – von der westlichen Welt maßgeblich unterstützt, von dem seit Jahrhunderten antisemitisch geprägten Europa bewundert.

Lassen wir einmal beiseite, ob sich Israel ›nur‹ gegen seine Feinde verteidigte, oder, ob es der erste offizielle Expansionskrieg Israels war, um die ›biblischen‹ Grenzen militärisch herzustellen. Fest steht jedenfalls, dass Israel infolge dieses Krieges fremde Territorien besetzte, die dort lebenden Menschen vertrieb bzw. israelischem Besatzungsrecht unterwarf und durch gezielte Besiedlungen de facto zu israelischem Staatsterritorium machte.

Für viele Linke12 wurde aus dem Staat Israel, als Heimstätte der Überlebenden des Holocaust, ein Staat, der selbst imperiale (Kriegs-) Ziele verfolgt. Aus Opfern wurden TäterInnen, aus Vertriebenen Vertreiber, aus Verfolgten Verfolger, aus Unschuldigen wurden Schuldige. Aus David wurde ein Goliath.


Nun, die Geschichte der Herrschenden ist voll von Beispielen, in denen einstig Verfolgte mit Eroberung der Macht (z.B. die UdSSR oder Algerien), mit Gründung eines eigenen Nationalstaates (z.B. Jugoslawien oder Polen), mit dem siegreichen Befreiungskampf (z.B. Vietnam) selbst die Logik von Herrschaft und Ausbeutung reproduzierten. Im besten Fall hätte sich die Linke – im Nachhinein – erklären können, wie es dazu kommen konnte. Im schlechtesten Fall – der im Zuge der internationalistischen Solidaritätsbewegung der 60er und 70er Jahre eher der Normalfall war – hätte sich die Linke einfach enttäuscht abwenden können, ohne viel Aufsehens, wie später, in anderen (Zweifels-)Fällen auch (z.B. Vietnam, Portugal, Chile, Iran, usw.).

Doch Israel wurde auf ganz eigenartige Weise zum Sonderfall internationalistischer Solidarität. Alles, was sonst die Regel war, wurde über den Haufen geworfen. Alles, was woanders auch konsequent gewesen wäre, wurde exklusiv an Israel exekutiert. Alles, wofür man woanders noch Verständnis hatte, wendete sich am Beispiel Israel in ungeahnter Weise dagegen. Für diesen ›Sonderfall‹ internationalistischer Solidarität lassen sich zwei Erklärungen anführen:

1. Es liegt an der Besonderheit der Staatsgründung Israels, die mit anderen Nationalbewegungen und Staatsgründungen kaum zu vergleichen ist.

2. Es ist dem besonderen Verhältnis der radikalen Linken zur deutschen Geschichte des Nationalsozialismus geschuldet. Anstatt die politische und historische Verantwortung selbst zu übernehmen, wurde sie den Opfern übertragen.

Ich möchte die Eigenartigkeiten linker Kritik an Israel auf drei Punkte konzentrieren, die sich durch fast alle Argumentationen jener Jahre durchziehen.

1. Ich kenne keinen Fall internationalistischer Solidarität, wo die Linke aus Enttäuschung die Seite so bedingungslos und kritiklos wechselte.

Wenn ich an den erfolgreichen Befreiungskampf in Algerien oder Vietnam denke, kann ich mich nicht daran erinnern, dass die radikale Linke zum Kampf gegen die neuen Machthaber und Unterdrücker aufgerufen hätte. Die minoritäre Kritik an den neuen Machthabern löste weder eine Solidarität mit den Opfern der Opfer aus, noch gab es massive Bemühungen, der neuen Staatsmacht den Kampf anzusagen. Der focussierte, verengte Blick auf den Kampf gegen Fremdherrschaft, gegen imperiale Groß- und Kolonialmächte verdrängte zu oft die (selbst-)kritische Frage, wofür die ›Opfer‹, die Unterdrückten kämpften, welche Vorstellungen sie von Gesellschaft und Befreiung hatten, was in ihrem Kampf gegen den Feind darüber hinauswies …

All diese Kritik schien die Solidaritätsbewegung an Israel nachzuholen. Sie kritisierte zu Recht das israelische Vorgehen gegenüber PalästinenserInnen als rassistisch, sie verurteilte zu Recht die Besetzung fremder Territorien als kolonialistisch, erkannte zu Recht in der massiven wirtschaftlichen und militärischen Aufrüstung Israels durch die USA, Deutschland usw., seine Brückenkopf-Funktion für den westlichen Imperialismus. All das wäre so richtig, wenn sich nicht – im selben Atemzug – der Unschuldsblick auf den palästinensischen Widerstand, auf das neue Objekt internationalistischer Solidarität wiederholt hätte.

Ende der 60er und ganz massiv in den 70er Jahren entstanden überall in der BRD Palästina-Solidaritätsgruppen, die von nun an einen kontinuierlichen und dominanten Bezugspunkt für die internationalistische deutsche Linke darstellten. Anstatt die Solidarität daran zu messen, was über das Opfer-Sein, über den Kampf gegen Fremd-Herrschaft hinausweist, fand in vielen Palästina-Gruppen lediglich ein Objekt(um-)tausch statt: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Rolle der palästinensischen Bourgeoisie ähnlich scharf thematisiert wurde, wie die der zionistischen Organisationen für Israel. Es wurde kaum der Frage nach der ›arabischen Allianzen‹ im Kampf gegen den Erzfeind Israel nachgegangen, der Frage nach den Motiven und Zielen reaktionärer arabischer Nationalstaaten, die mit Millionenbeträgen den palästinensischen Befreiungskampf unterstützten. Nachfragen, die in Bezug auf ›zionistische Allianzen‹ und Geldgeberinteressen für das ›Siedlerprojekt‹ Israel selbstverständlich erschienen. Und auch die Fragen nach den inneren Strukturen der verschiedenen Befreiungsorganisationen (PFLP/DFLP), nach der Rolle der Frau im palästinensischen Befreiungskampf13, nach den Gesellschaftsvorstellungen wurde allzu oft als Spaltung, denn als Stärke eines Widerstandes begriffen.

2. Mir ist kein Land bekannt, dem die radikale (deutsche) Linke mit der Kritik an kapitalistischen und imperialistischen Wirtschaftsstrukturen zugleich das ›staatliche Existenzrecht‹ abgesprochen, aberkannt hätte.

Ich kann mich an keine einzige Diskussion, an keine einzige Grundsatzdebatte der 70er Jahre erinnern, die die Kritik an einem kapitalistischen, imperialen System mit der Aberkennung nationaler Eigenständigkeit verknüpfte. Mir ist nicht bekannt, dass die Kritik an der US-Ausrottungspolitik gegenüber IndianerInnen, an der gewaltsamen Landnahme und Besiedlung, an der Versklavung der Schwarzen auf das Existenzrecht dieses Siedlerstaates USA zielte.

Was die deutsche Linke nirgendwo auf der Welt machte, vollbrachte sie einzigartig am Staat Israel. Sie diskutierte, stritt und bestritt (in relevanten Teilen) schließlich das Existenzrecht des Staates Israel. Wenn die deutsche Linke überall auf der Welt den Kampf gegen das Verbrechen eines Staates nicht nur zu einem Kampf gegen die Herrschenden gemacht hätte; wenn die deutsche Linke das Staatswesen selbst als ein Akt des Verbrechens begriffen hätte, egal, wer die Macht darin ausübt; wenn die Kritik der Linken den Gewaltakt jeder Staatsgründung gemeint hätte, dann hätte die Kritik am Staat Israel exemplarischen Charakter gehabt. Doch all dies tat die deutsche Linke weder theoretisch noch praktisch. Für die meisten deutschen Linken galt das marxistisch-leninistische Konzept der Staatsübernahme. Mit der Revolution war nicht die Zerschlagung, sondern die ›Eroberung‹ des Staatsapparats gemeint. Alleine, angesichts dieser sozialistischen und kommunistischen Staatsverehrung eines Großteils der deutschen Linken hätten die anarchistischen Anwandlungen auffallen bzw. stutzig machen müssen. Doch bei näherem Nachgehen der Argumente, die gegen das Existenzrecht des Staates Israel ins Feld geführt wurden, kommt ganz und gar nichts Anarchistisches zum Vorschein. Der Prozess um die An- bzw. Aberkennung von Staatsrechten wurde exklusiv am Beispiel Israel vollzogen – ein nationalistisches Schauspiel!

Aus den Argumentationsfiguren, die das Bestreiten eines Existenzrechtes Israels untermauern sollten, seien ein paar Wesentliche herausgegriffen:

Voraussetzung für einen Anspruch auf einen eigenen Staat sei »ein Territorium, auf dem die Menschen seit geraumer Zeit leben«14. Folglich hätten Jüdinnen und Juden aufgrund der jahrhundertelangen Diaspora diesen Anspruch verwirkt.

Anspruch auf einen eigenen Staat darf demnach nur erheben, wer auf ein »Volk« verweisen kann, was für Jüdinnen und Juden nicht zutrifft: »Das Judentum ist der Ausdruck für eine Religion, wie auch das Christentum, der Islam und der Buddhismus. Dies ist eine Bezeichnung für eine Religion, und nicht die Bezeichnung für ein Volk.« (Karam Khella)

Eine linke Staatsbewilligung setze zudem voraus, dass eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache existiere – beides wurde wegen erwiesener kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit bestritten.

Die Nichterfüllung vorgeblicher Kriterien für ein nationalstaatliches Anerkennungsverfahren mündete in dem Gesamturteil, »dass die ›jüdische Nation‹, abgesehen von der mythologischen Komponente, künstlich geschaffen wurde … Das Ziel … war nie das Wohlergehen der jüdischen Menschen und schon gar nicht das der PalästinenserInnen, sondern immer nur der Staat.«15

Mehr ideologischen Ballast kann ein linkes Staatsrechtsverständnis kaum mit sich führen! Was sich als radikale Kritik am Staat (Israel) ausgab, war nichts weiter als die schlichte Reproduktion bürgerlicher, abendländischer Staatsideologien. Sie kritisierte nicht die Konstrukte einer Nationenbildung, den Mythos von dem einen Volk – sie machte sie zur Bedingung linker Anerkennungspolitik.

Und was das »Wohlergehen«, Staatsauftrag jenes linken, apologetischen Staatsrechtsverständnisses anbelangt, lässt sich im Umkehrschluss eines bitter feststellen: Wenn die Linke ihre Staatskritik wirklich ernst gemeint hätte, dann wäre doch zuallererst das Existenzrecht des Staates BRD zu bestreiten gewesen, anstatt diese ›neue‹ Staatskritik einzigartig an Israel zu exekutieren.

In der ganzen Kritik am Staat Israel, in der Bestreitung seines Existenzrechtes kam keine radikale Staatskritik zum Ausdruck, sondern ein linker Nationalismus, der Israel nur vorwarf, seine Staatsgründung nicht im Zuge der europäischen Nationalstaatenbildung vor 200 Jahren vollzogen zu haben.

Eine Linke, die die eigene nationale Verfasstheit vergisst, indem sie selbstverständlich vom Existenzrecht des Staates BRD ausgeht, betreibt mit dieser Staatskritik Herrschaftspolitik und nicht Herrschaftskritik. In der Ab- und Anerkennung von Nationalstaatlichkeit behauptet sich nicht die Kritik, sondern das Konstrukt von der ›natürlichen‹ Nation.

Wenn die Kritik an der Staatsgründung Israels eine Kritik an der kolonialen und imperialistischen Staatenbildung überhaupt gewesen wäre, hätte die Linke zudem nicht übersehen können, dass auch die meisten arabischen Staaten auf dem Reißbrett der Ex-Kolonialmächte entstanden waren (von Jordanien, über Syrien bis zum Irak). Sie alle haben soviel und sowenig mit kulturellen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten zu tun wie Israel. Der einzige Unterschied zwischen den arabischen Staatsgründungen und der israelischen Staatsgründung besteht im Zeitpunkt: Letztere liegt nur 60 Jahre zurück.

3. Ich kenne keine ›Opfer‹, denen die Linke so andeutungsvoll bis vollendet eine Mitschuld an ihrer eigenen Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung nachzuweisen versuchte, wie den Überlebenden des Holocaust.

Galten sie bis 1967 als Inkarnation der ›unschuldigen Opfer‹, so wurde zwanzig Jahre nach der Staatsgründung Israels in der deutschen Linken nachgeholt, was die einstige Solidarität nur gestört hätte. Die Verdächtigungen waren nicht neu, um so mehr deren Einfügung in linke Argumentationsfiguren. Dabei ging es nicht darum, die Überlebenden zu begreifen, sondern ihnen die einst verliehene Unschuld zu nehmen, sie mit den TäterInnen ähnlich machen, um sie als ›falsche‹ Opfer abzustoßen.

20, 25 Jahre nach der militärischen Zerschlagung des Dritten Reiches deckte die Linke die Zusammenarbeit zionistischer Organisationen mit dem Naziregime auf. Aus Israel, einst Heimstätte der Überlebenden des Holocaust, wurde nun ein von den Nazis gefördertes ›Siedlerprojekt‹: »Die zionistische Weltbewegung« war es, »die mit Nazideutschland zusammenarbeitete, um die Rassenpolitik der Nazis maximal zur Organisierung einer breit angelegten Emigration nach Palästina auszunutzen. Die deutschen Faschisten wieder unterstützten die Kolonialisierungspläne der Zionisten.«16 Die organisierte Flucht nach Palästina wurde nicht mehr als sichere Rettung vor Antisemitismus und drohender Vernichtung verstanden, sondern als »verbrecherische Allianz zwischen Zionismus und deutschem Faschismus.«17

Als letzter Akt der Entwürdigung der Opfer wurde ihnen schließlich die Beteiligung an ihrer eigenen Vernichtung vorgehalten: »Die Zionisten riefen zum Stillhalten und zur Zusammenarbeit mit dem Naziregime auf. Sie leiteten den von den Nazis installierten ›Judenrat‹ und beteiligten sich somit unmittelbar an der Auswahl der zur Tötung ausersehenen Opfer.«18

Selbst wenn Opfer ihre letzte (Über-)Lebenschance in der Zusammenarbeit mit den Nazis gesucht hätten: Was ändert das an der Tatsache, dass das Naziregime sie umgebracht hatte und nicht sie sich selbst? Und auch die Tatsache, dass zionistische Organisationen mit Nazis kooperiert haben (vor allem zu einer Zeit, als die Nazis noch die Politik der »forcierten Auswanderung« von Jüdinnen und Juden verfolgten), ändert nichts daran, dass der Nationalsozialismus und eben nicht zionistische Staatsgründungspläne den letzten Beweis dafür lieferte, dass ein ›Volk ohne Staat‹ der Willkür aller (europäischen) Staaten ausgeliefert war und ist.


Ausblick

Vielleicht eignet sich dieser historische Rückblick dazu, furchtbare Fehler nicht zu wiederholen, die eigene politische Parteinahme nicht über die Opfer zu begründen, sondern mit den politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der ProtagonistInnen dieses Konflikts:

  1. Seit ein paar Jahren stehen sich innerhalb der radikalen Linken lautstark zwei Positionen sprachlos gegenüber: Die von antideutschen Gruppierungen dominierte ›Pro-Israel‹- Haltung und die von anti-imperialistischen Gruppierungen dominierte ›Pro-Palästina‹-Solidarität – die schlechteste und niedrig-schwelligste Kopie der 68er-Konstellationen: Nicht die Ideen und politischen Praxen der Protagonisten, sondern das jeweils schlimmere Gegenüber (vorbürgerlicher ›Gottesstaat‹, ›islamischer Faschismus‹ versus spätbürgerlicher Kolonialismus, israelisches Besatzungsregime) begründet – in der Regel – diese ethnifizierte Parteinahme. Für eine radikale Linke, die an der Überwindung des Bestehenden festhält, käme es hingegen darauf an, die Parteinahme gerade nicht daran zu bestimmen, wer weniger grausam an den bestehenden Verhältnissen festhält. Vielmehr geht es darum, sich auf die Seite, an die Seite emanzipatorischer Prozesse zu stellen. Diese sind in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland gleichermaßen minoritär.
  2. Eine radikale Linke solidarisiert sich nicht mit ›Opfern‹, sondern mit politischen und gesellschaftlichen Zielen, die über jede Art von Herrschaft und Ausbeutung hinausweisen.
  3. Eine radikale Linke sollte internationales Recht (insbesondere das UN-Völkerrecht) nicht unterschreiten, sondern darüber hinausweisen. Die Besetzung fremder Territorien ist nirgendwo ein ›Selbstverteidigungsakt‹, sondern Ausdruck einer imperialen Logik.
  4. Der Kampf gegen Besatzung ist überall auf der Welt legitim. Die Legitimität dieses Widerstandsrechtes begründet sich in der Besatzung – sie besagt nichts über die politischen Ziele. Maßstab für eine radikale Linke kann jedoch nicht das im Völkerrecht verankerte Recht auf Widerstand sein, sondern die Mittel und Ziele, die über (Fremd-)Herrschaft hinausweisen.
  5. Für eine radikale Linke misst sich die Legitimität der Mittel weder an der Grausamkeit des Feindes, noch am Schrecken, den sie verbreiten können. Wer gezielt ›Unbeteiligte‹, ›Zivilisten‹ angreift bzw. zur Geisel militärischer Auseinandersetzungen macht – ob aus Gründen der militärischen Unter- oder Überlegenheit – macht sich gleich und nicht unterscheidbar.
  6. Es gibt keinen Grund für eine radikale Linke, sich mit der gegenwärtigen Staatsführung in Israel oder mit ›Hamas‹ bzw. der ›palästinensischen Autonomiebehörde‹ zu solidarisieren. Wer einen politischen, gesellschaftlichen Konflikt in Worten und Taten ethnifiziert, wer politische Ziele einer militärischen Logik unterordnet, wer nur das Fremde an Herrschaft meint, bekämpft nicht Herrschaft, sondern reproduziert sie.
  7. Wer den Krieg der israelischen Armee im Gazastreifen mit Methoden und Zielsetzungen des deutschen Faschismus vergleicht (Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen 1941-4419, die Behauptung eines ›Holocaust am palästinensischen Volk‹), kritisiert nicht das militärische Vorgehen der israelischen Armee. Er beweist nur einen unerträglichen Umgang mit dem Begriff ›Faschismus‹.
  8. Die Linke ist nicht nur in Deutschland schwach und einflusslos – sondern auch im Nahen Osten. Doch sie hat hier das Privileg und die Chance, denen zu widersprechen, die nur noch auf komplementäre Weise der Logik des Krieges das Wort reden (sei in Form eines imaginierten Rechts Israels auf ›Selbstverteidigung‹ oder das Recht der Hamas, Vergeltung zu üben). Wer zurecht den Methoden und Zielen der Hamas widersprechen will, der möge sich nur für einige Momente vorstellen, was passieren würde, wenn nur die Hälfte der Summe, die für diesen israelischen Einmarsch ausgegeben wird, für die Verbesserung der Lebensbedingungen im Gazastreifen ausgegeben werden würde … Eine von vielen Möglichkeiten, die gesellschaftliche Basis der ›Hamas‹ zu schwächen, anstatt durch die Eskalation der Lebensbedingungen im Gazastreifen ihre Macht zu stärken.
  9. Wer einen Krieg beenden will, sucht sich den Feind nicht aus, sondern verhandelt mit ihm. Seit 2002 existiert ein solches Friedensangebot: »Es gibt nur eine Lösung: Ende der Besatzung, Auflösung der israelischen Siedlungen, Errichtung eines palästinensischen Staates. Das muss natürlich (…) mit einer Sicherheitsgarantie für Israel verbunden sein… Der neue saudische Friedensplan ist wichtig. Die Saudis machen Israel ein Angebot, das es noch nie gab: Im Falle eines Rückzuges von den 1967 besetzten Gebieten wird Israel nicht nur von einzelnen Staaten wie Ägypten und Jordanien, sondern von der gesamten arabischen Welt völkerrechtlich anerkannt – das wäre nicht nur ein Waffenstillstand, sondern ein echter Friede. Außerdem bietet Saudi-Arabien… einen Kompromiss für Jerusalem und eine faire Regelung der Frage der palästinensischen Flüchtlinge an, das heißt ohne ein pauschales Rückkehrrecht, das Israel als jüdischen Staat bedrohen würde.« (Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, Konkret 5/2002).

2007 bekräftigte die Arabische Liga den Friedensplan von Doha. Alle israelischen Regierungen lehnten diesen Friedensplan bis zum heutigen Tag ab. Auch die Erklärung der ›Hamas‹ im Jahr 200620, einem solchen Friedensplan zuzustimmen, änderte an der absurden Behauptung der israelischen Staatsführung nichts, es gäbe keine Verhandlungspartner für einen Frieden. Ob die arabischen Staaten, die Palästinensische Autonomiebehörde von Abu Mazen und Hamas diesen Friedensplan unterschreiben würden (entgegen aller gegenteiligen Äußerungen), kann man nur herausbekommen, wenn auch die israelische Staatsführung diesem Friedensplan zustimmt.

Wolf Wetzel                                                                                           22. März 2010

Grundlage dieses Textes ist ein Beitrag, den wir erstmals 1991/92 verfasst hatten: ›Die verlorene Unschuld – zum Teufel mit den Opfern – Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel‹ in: Geschichte, Rassismus und das Boot, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Edition ID-Archiv, 1992

Literatur:

Die Auseinandersetzung um die oben geschriebenen Positionen ist in einer Broschüre sehr ausführlich dokumentiert: ›Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina‹, Redaktion Arbeiterkampf, Hamburg 1988

Grundlage dieses Textes ist ein Beitrag, den wir erstmals 1991/92 verfasst hatten: ›Die verlorene Unschuld – zum Teufel mit den Opfern – Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel‹ in: Geschichte, Rassismus und das Boot, autonome L.U.P.U.S.-Gruppe, Edition ID-Archiv, 1992

Eine fantastische Arbeit zur israelischen Staatsgründung und zu den Gründungsmythen verfasste der israelische Historiker Tom Segev: Die siebte Million, Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Rowohlt 1995

Die Erinnerung an die Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges formte das historische Bewusstsein Israels. Die brillante Analyse »Die siebte Million« von Tom Segev beschreibt dieses Phänomen. Einerseits wurde die Erinnerung an die Shoah ein Pfeiler der israelischen Identität, andererseits instrumentalisierte der Zionismus diese Erinnerung, um seine nationalistische Politik zu legitimieren.

1»Der Gazakrieg in diesem Frühjahr 2009 war gar kein Krieg mehr im herkömmlichen Sinne, sondern nur die Umsetzung der zuvor von General Eisenkot angekündigten “Dahiyeh Doctrine“. Man werde dem Gegner mit “unproportionaler Härte” begegnen: “We will wield disproportionate power against every village from which shots are fired on Israel, and cause immense damage and destruction.” Israel als Gewinner zu bezeichnen, nur weil die Verlustratio etwa 1:1000 zu Ungunsten der Palästinenser beträgt, wäre reiner Zynismus.« http://www.transatlantikblog.de/2009/11/30/benjamin-netanjahu-westbank-siedler-siedlungen-obam/

2 »Die moralische Herausforderung, die sich für die Deutschen ergibt, könnte nicht größer sein. Sie besteht darin, einerseits der Verantwortung gerecht zu werden, die ihnen aus den Verbrechen des ›Dritten Reichs‹ gegen das jüdische Volk erwächst, es andrerseits aber auch nicht zuzulassen, daß ihnen aufgrund dieses schrecklichen Vermächtnisses das Recht abgesprochen wird, aktuelle Verbrechen anzuprangern, nur weil diese von einem Staat begangen werden, der sich selbst als jüdisch definiert. Sich dieser Herausforderung zu stellen, ist in Wahrheit die würdigste Form der Holocaust-Erinnerung.« Norman G. Finkelstein

3 Moshe Zuckermann, Zur aktuellen Kontroverse um Norman G. Finkelstein, jW vom 2.3.2010

4Sein Anliegen untergräbt jedoch Norman Finkelstein selbst, wenn er die israelische Staatspolitik mit »Hitlers Nationalismus« vergleicht und dies mit der Notwendigkeit rechtfertigt, »die Leute aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln«. http://www.palaestina-portal.eu

5Moshe Zuckermann, Zur aktuellen Kontroverse um Norman G. Finkelstein, jW vom 2.3.2010

6 Er dauerte vom 5. bis 10. Juni 1967 und führte zur Besetzung des Gazastreifens, der Sinai-Halbinsel, der Golanhöhen, des Westjordanlandes und Ostjerusalems.

7 »Der Begriff ›Judäa und Samarien‹ ist Gegenstand einer innerisraelischen Kontroverse. Während rechtsgerichtete Kreise tendenziell den Bezirk als integralen Bestandteil Israels betrachten, lehnen andere, tendenziell linksgerichtete Kräfte diese Ansicht ab. Im offiziellen israelischen Sprachgebrauch wird ›Judäa und Samaria‹ als geografische Bezeichnung für das gesamte Westjordanland verwendet.« http://de.wikipedia.org/wiki/Bezirk_Judäa_und_Samarien

8Saddam Hussein wurde als »Hitlers Wiedergänger« (Hans Magnus Enzensberger, Der Spiegel, Nr. 6, 04.02.1991) in den Orient exportiert.

9In Deutschland lehrte Karam Khella in Marburg, Stuttgart, Bremen und Hamburg.

10 Forderung der DFLP/ Demokratische Front zur Befreiung Palästinas

11Auf dem 20. Zionistischer Kongress hielt Ben-Gurion eine Rede, in der er die zukünftigen Grenzen Israels biblisch markierte und den UN-Teilungsplan zur vorübergehenden Etappe erklärte: »Nachdem wir auf einem Teil von Eretz-Israel einen Staat gegründet haben, werden wir eine starke Armee schaffen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Armee eine der besten in der Welt sein wird. Dann werden wir, sei es durch Gewalt oder andere Mittel, den anderen Teil annektieren. Das Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Eretz-Israel, sondern ›Eretz-Israel‹ als jüdischer Staat.« zit. nach Reuven Moskovitz, FR vom 7.6.2004

12 Ob die im Folgenden wiedergegebenen Positionen innerhalb der Palästina-Solidarität minoritär waren oder mehrheitlich geteilt wurden, kann ich nicht beurteilen. In diesem Text geht es darum, Positionen nachzuzeichnen, die durchaus den Vorwurf eines ›kruden‹ Antiimperialismus rechtfertigen.

13 Das Buch von Raymonda Hawa Tawil ›Mein Gefängnis hat viele Mauern. Eine Palästinenserin berichtet‹, 1979, ist diesbezüglich sehr lesenswert.

14Intifada-Komitee Mainz/Wiesbaden, zitiert nach AK vom 21.10.1991

15Intifada-Komitee Mainz/Wiesbaden, zitiert nach AK vom 21.10.1991

16Immer rebellieren, zitiert nach ›Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina‹, Redaktion Arbeiterkampf, Hamburg 1988, S. 50

17Ali Hashash, in ›Palästina – Kampf der Gegensätze‹, S. 55

18Immer rebellieren, s.o., S. 50

19 Uri Avnery, http://www.jungewelt.de/2009/01-13/014.php

20 »Aber ich muß betonen, daß Hamas einen palästinensischen Staat nur innerhalb der Grenzen von 1967 etablieren wird, das schließt die Westbank, Gaza und Westjerusalem mit ein…

Habe ich Sie richtig verstanden, daß Hamas bereit wäre, mit Israel zu verhandeln und es in den Grenzen von 1967 anzuerkennen, bevor es den großangelegten Landraub in Palästina begonnen hat?

»Gut, daß das klar geworden ist … wegen einer Reihe von Faktoren akzeptieren wir jetzt einen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967. Aber das bedeutet nicht, daß wir Israel anerkennen werden. Wir sind allerdings bereit, mit Israel Frieden zu schließen.« Interview mit Margi Chaled Meschaal, politische Chef der Hamas-Bewegung, nach jW vom 16.12.2006

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8 Kommentare

  1. Ich kenne Wolf Wetzel nicht, und ich freue mich, eine kritische linke Stimme zu hören. Ich möchte dazu, von den Arbeits- und Wohnrechtskämpfen, die innerhalb von Israel existieren, eine neue Strategie zur Lage im Nahen Osten vorschlagen.
    Die „Zwei-Staaten-Lösung“ basiert auf dem merkwürdigen Gedanken, alle Israelis (die Privilegierten) seien Unterdrücker, und die Errichtung eines palästinensischen Staates würde alle Palästinenser von der Unterdrückung befreien.
    Ist jeder Privilegierter ein Unterdrücker?
    Derjenige, der nicht bis zum Kinn, sondern nur bis zum Nabel in der Scheiße sitzt, hat ein viel besseres Leben. Er kann den Kopf drehen, er kann frei atmen, er kann sogar seine Arme bewegen! Er kann tatsächlich mit seinen Armen rudern und sogar, wenn er Glück hat, einem armen Teufel, der bis zum Kinn in der Scheiße sitzt, eine runterhauen, wenn dieser genug nahe ist. Macht ihn eine solche Tat zum Unterdrücker?
    Ich glaube, es ist falsch zu versuchen, diese Frage zu beantworten. Viel wichtiger ist die Frage: Wie schaffen wir es, dieses Regime in den Mülleimer zu schmeißen. Denn wenn wir diesem Regime nicht an den Kragen gehen, gibt es auch keine Befreiung für die Palästinenser. Das ist der Fluch, der uns Molotow mitgegeben hat, seit 1947: die Zwei-Staaten-Lösung.
    Eine ausführlichere Version meiner Meinung hier:
    http://abumidian.wordpress.com/deutsch/eine-neue-strategie/

    1. Herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Ich glaube auch, ich bin mir ganz sicher, dass Unterdrückung und Befreiung keine Frage der Enthnie oder des Glaubens ist, sondern eine Frage, Herrschaftsverhältnisse nicht hinzunehmen, egal in welchem Land und für welchen „guten“ Zweck auch immer.

      Wolf Wetzel

  2. hört, hört, wenn ich mich an unserer einzige Begegnung vor so acht Jahren erinnere, dann hast du deine Positionen doch ein wenig geändert. Das ist erfreulich.

    Ich fand vieles in dem Text richtig, würde aber an manchen Stellen andere Schlussfolgerungen ziehen:

    „Vielmehr geht es darum, sich auf die Seite, an die Seite emanzipatorischer Prozesse zu stellen. Diese werden in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland gleichermaßen unterdrückt.“

    Der erste Satz ist richtig, der zweite falsch. Natürlich werden überall emanzipatorischer Prozesse unterdrückt. Auf den Kommunismus müssen wir halt noch etwas warten. Was aber absolut falsch ist, ist das Wörtchen „gleichermaßen“. Du setzt damit die Liquidierung von und Knieschüsse auf Fatah-Aktivisten im Gazastreifen damit gleich, dass in die Talkshows in Israel nur selten Kommunisten eingeladen werden.
    Das ist doch gerade das Problem, Antideutsche oder Leute wie ich würden konstatieren, dass es in den Palästinensischen Gebieten eben keine emanzipatorischen Prozesse gibt oder wenn, sie nur mit der Lupe gefunden werden können. In Israel ist zumindestens die Möglichkeit dafür da.

    „Eine radikale Linke solidarisiert sich nicht mit ›Opfern‹, sondern mit politischen und gesellschaftlichen Zielen, die über jede Art von Herrschaft und Ausbeutung hinausweisen.“

    Genau und wo gibt es diese in den Autonomiegebieten? Ich würde es wirklich gerne wissen. Hälst du die Fatah für emanzipatorisch deren Militanten Schulbusse in die Luft sprengen. Die PFLP, die rein gar nichts mehr mit Marxismus oder ähnlichem zu schaffen hat? Die Raketen auf Israel schießt, die vollkommen willkürlich vom Kleinkind bis zum Soldaten irgendwen treffen können? Die Selbstmordanschläge und dabei beliebige Menschen trifft? Wo sind denn die emanzipatorischen Prozesse? Ich würde es wirklich gerne wissen. 97% der Wähler stimmen in den Autonomiegebieten für Gruppen, die mensch gemessen an ihren Aktionen wohl nur als faschistisch bezeichnen kann. Über zwei Drittel befürworten Selbstmordanschläge. Wo sind diese Prozesse?

    „Eine radikale Linke sollte internationales Recht (insbesondere das UN-Völkerrecht) nicht unterschreiten, sondern darüber hinausweisen. Die Besetzung fremder Territorien ist nirgendwo ein ›Selbstverteidigungsakt‹, sondern Ausdruck einer imperialen Logik.“

    Nein, eine radikale Linke sollte internationales Recht nicht als Maßstab für irgendwas nehmen. Sie ist ja radikal, deshalb kann das von mehreren bürgerlichen Staaten geschaffene Recht nicht etwas sein, woran wir uns orientieren.

    „Wer zurecht den Methoden und Zielen der Hamas widersprechen will, der möge sich nur für einige Momente vorstellen, was passieren würde, wenn nur die Hälfte der Summe, die für diesen israelischen Einmarsch ausgegeben wird, für die Verbesserung der Lebensbedingungen im Gazastreifen ausgegeben werden würde“

    Das ist ein falsches Denken, auch massig Geld und eine Erhöhung des Lebensstandards würde doch nur dazu führen, dass die Menschen sehen, ok der Weg des Terrors hat Erfolg. Diese Behauptung einer trivialen Wechselbeziehung müßte zumindestens ausreichend belegt werden.

    „Eine von vielen Möglichkeiten, die gesellschaftliche Basis der ›Hamas‹ zu schwächen, anstatt durch die Eskalation der Lebensbedingungen im Gazastreifen ihre Macht zu stärken.“

    Die Hamas ist aber schon vor der Abriegelung des Gaza-Streifens so stark geworden und hat ihre Macht seitdem nicht ausgebaut, also so ganz plausibel find eich diese Behauptung nicht.

  3. Das ist mal wieder typisch… der gehaltvollste Text zum Thema Nahost der letzten Wochen wird auf indymedia nicht einmal ansatzweise diskutiert und droht im OpenPosting-Bereich unterzugehen. Lieber bezieht man in endlosen Grabenkämpfen Stellung gegen die jeweils andere Seite, anstatt sich einmal mit dieser überaus gelungenen, kritischen Betrachtung auseinanderzusetzen.

  4. hallo, ich habe gerade deinen artikel zum israel-palästinakonflikt gelesen und konnte in vielen teilen dem dort geschriebenen zustimmen. als jemand, der aus der antiimp-ecke (fremdkategorisierung!) kommen soll, kann ich auch viel von dem nachvollziehen, was du an kritik an den positionierungen der 70er und 80er jahren hast.
    bei manchen punkten habe ich aber den eindruck das du minderheitenpostionen zur mehrheitshaltung umdichtest. meinerseits kann ich nur für internationalistische gruppen sprechen, die sich an den politischen inhalten der pflp/dflp orientierten und diese hatten einzig und allein probleme mit der einseitigen annerkennung des staates israel, ohne das dieser entweder die politische und ökonomische gleichstellung der palästinenser, noch eine eigenstaatlichkeit der palästinenser einleiten.
    daran hat sich meiner meinung auch nichts geändert. ausgangspunkt war außerdem immer die un-resolution 242 (du erinnerst dich bestimmt).
    da der radikalen linken palästinas (vor oslo) immer eher eine einstaatenlösung vorschwebte, gab es keinen grund in den von dir erwähnten nationalstaats-schemen zu denken. gleichzeitig kursierten bei uns auch zeitschriften, wie z.b. challenge, die von der israelischen linken getragen wurden. auch ein austausch (einladung zu veranstaltungen) mit ehemals in nazi-deutschland verfolgten juden, die mitlerweile in israel lebten gab es. ich kann mich da an diskussionen mit dem antifaschistischen kämpfer hans lebrecht erinnern (bindeglied zwischen dkp und der kommunistischen partei israels), die uns zu dem punkt führten, die linke beider blöcke in ihrer arbeit für einen gerechten frieden zu unterstützen.

    …und soviel hat sich seit damals nicht verändert. das bewusstsein, dass nur eine stärkung der linken in nahost dahin führt, steht meiner meinung auch jetzt im fokus.

    das heisst aber nicht, dass wir auf neutralistische positionen zurückfallen, wie bei der hessen-demo. kriegsverbrechen und die ziele die dahinterstehen müssen klar benannt werden. dies geschieht auch von den linken beider seiten. eine weitere regression (religiosität, abbau von frauenrechten etc.)in der palästinensischen gesellschaft, kann auch nur dadurch verhindert werden,dass die linke gestärkt wird. dies gilt in palästina genauso wie in der unterstützung anderer antiimperialistischer kräfte auf dem gesamten globus. dazu ist es notwendig einen eigenen blick auf die internationalen kämpfe zu richten und nicht (wie es früher häufig der fall war – plo, fsln usw. – als letztes bsp. pkk) blind den größeren u. einflußreichen befreiungsorganisationen hinterher zu laufen. manch einer hat vergessen, das es im befreiungskampf um befreiung geht – als internationalistisch geführter kampf, mit kritik und selbstkritik, statt mit demagogie und selbstüberschätzung.

    hier noch ein link mit linken postionierungen und berichterstattung zum gaza-krieg:
    http://neues-auf.anderslautern.de/index.php?n=Politik.Internationales#toc1

    Ich schreibe dies nicht in die indymedia-ergänzungen (wo ich den text zuerst gelesen hatte), da eine produktive diskussion bzw. auseinandersetzung dort (meiner meinung nach) nicht möglich ist. falls ein wirkliches forum für eine produktive auseinandersetzung mit palästina/israel entsteht bin ich gerne dabei.

    ciao
    mmm/al-redaktion k#lautern u. http://meckiemessermuzak.blogsport.de/

    Natürlich freuen wir uns wie immer über Lob, Kritik und Anregungen
    redaktion_nospam_@anderslautern.de

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