A Mentsh is Mentsh – und ein Glitch

Veröffentlicht von

A Mentsh is Mentsh – und ein Glitch

ergänzte Fassung

Der international anerkannte Professor für Holocaust und Genozid Studien wurde eingeladen. Omar Bartov führte in seinem Beitrag aus, dass die Anklage gegen Israel wegen Verdachts des Völkermordes begründet ist. Eine solche Einladung in Deutschland ist ungewöhnlich. Und eine „Panne“ bei der Aufzeichnung ebenso.

In der Bundeskunsthalle in Bonn fand am 12. März 2024 eine Veranstaltung unter dem Titel: „A Mentsh is Mentsh“ statt

Eingeladen wurden

  • Omar Bartov (Professor of Holocaust and Genocide Studies)
  • Carolin Emcke (Publizistin)
  • Hito Steyerl (Filmemacherin und Autorin)

Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Nicole Deitelhoff und Meron Mendel.

Die Bundeskunsthalle hat diese zweite Gesprächsrunde so angekündigt:

„A mentsh is a mentsh ist der Titel dieser Gesprächsreihe mit Nicole Deitelhoff und Meron Mendel über den Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Post-Kolonialismus. Terror und Krieg in Nahost belasten das gesellschaftliche Klima – auch in Deutschland und Europa. Antisemitische Vorfälle häufen sich – selbst in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten. Wie soll man damit umgehen? Wie soll man Konflikten und Sensibilitäten, realen und imaginierten Verletzungen, Unschärfen und Widersprüchen begegnen? Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch? (…)

In unserem zweiten Gespräch über die Auswirkungen des 7. Oktober auf Kunst und Kultur werden wir uns vor allem mit solchen Dynamiken des kommunikativen Handelns beschäftigen – und nicht zuletzt mit der Frage, welche Wege aus den blockierenden Konfrontationen und eskalierenden Situationen herausführen könnten.“

Die Veranstaltung wurde in Echtzeit gestreamt und aufgezeichnet. Letzteres wurde auf YouTube hochgeladen und hatte die Länge von 1.31 Stunden.  Man kann, also man konnte sich das anschauen und hätte nichts besonders Auffälliges entdecken können. Alle eingeladenen Gäste werden vorgestellt und kommen zu Wort. Man fällt sich nicht ins Wort und lässt sich ausreden. Das Gesprächsklima ist aufmerksam und freundlich. Tatsächlich wurde jedoch einiges von dem, was Omar Bartov zum Genozid-Vorwurf gesagt hatte … gelöscht. Das merkt man an keiner Stelle.

Omar Bartov selbst hat darauf in einer Twitter-Nachricht aufmerksam gemacht, mit den Worten:

„It has been pointed out to be that some of my words in this conversation around min 38, apparently referring to potencial genozid in Gaza was edited out. I checked and that is indeed the case. This is very troubling and will hopefully corrected.“

Man muss es vorsichtshalber ins deutsch übersetzen, um zu verstehen, was er genau damit meint:

„Man hat mich darauf hingewiesen, dass einige meiner Worte in diesem Gespräch um die Minute 38, die sich offenbar auf den potenziellen Genozid in Gaza beziehen, herausgeschnitten wurden. Ich habe das überprüft, und das ist tatsächlich der Fall. Das ist sehr beunruhigend und wird hoffentlich korrigiert.“

Als dies auch die Bundeskunsthalle bzw. die Verantwortlichen erreicht hatte, war man mit einer X-Meldung vom 15.3.2024 zur Stelle:

„In der Tat ein ärgerlicher Glitch. Es handelt sich keineswegs um Zensur, sondern um einen Aussetzer des Livestreams. Wir werden die Aufzeichnung ohne diese technische Panne so schnell wie möglich hochladen.“

Um auch diese Antwort zu verstehen, muss man wissen, was „Glitch“ bedeutet:

„Als Glitch werden kleine oder minimale Fehlfunktionen, Fehler, Macken und Pannen in der Informationstechnik, bei Software und Computern bezeichnet. Ein „Glitch“ entsteht meist durch äußere Umstände …“

In welchem Zustand sich diese Republik befindet, macht diese Episode deutlich. Das Format ist freundlich, die formulierten Absichten ehrenwert. Man will Diskussion, verschiedene Positionen zu Wort kommen lassen, fair miteinander umgehen … und der Frage gerecht werden:

„Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch?“

Man muss ebenfalls erwähnen, dass der Moderator Meron Mendel (auch Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt) ein bedächtiger und sympathischer Mensch ist.

In seiner Anmoderation hatte er auf einen Offenen Brief („The elephant in the room“) hingewiesen, in dem zahlreiche UnterstützerInnen sowohl die geplante „Justizreform“ kritisiert hatten und dabei auch auf die Besatzung hingewiesen hatten, also den unsichtbaren Elefanten, der ständig mit im „Raum“ ist, wenn es um eine Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes gehe. Der Offene Brief wurde ein paar Monate vor dem 7. Oktober 2023 verfasst. Man kann jetzt sagen, der Elefant ist ausgebrochen, kommentierte Meron Mendel diese fatale Entwicklung.

Dieser „Offene Brief“ ist deshalb so besonders, weil genau diese beiden Umstände auch in Israel auseinanderfallen:

Da gehen Hunderttausende gegen die Netanjahu-Regierung, gegen Regierungskriminalität und den geplanten Verfassungscoup namens „Justizreform“ auf die Straße, wochenlang und sehr ausdauernd. Aber sie thematisieren nicht die Besatzung, die dieselbe Regierung mit reaktionärem und postfaschistischem Eifer fortsetzt.

Wenn man all das halbwegs berücksichtigt, ist dieser Zensur-Umgang auf eine besondere Art deprimierend, in doppelter Hinsicht. Die Begründung ist haarsträubend: Warum soll eine Technik ausnahmsweise dann „versagen“, wenn jemand über den potenziellen Genozid durch Israel spricht. Die Begründung stinkt zum Himmel. Denn wenn es ein Glitch gewesen wäre, dann ist zum einen erstaunlich, warum es diese „Panne“ nur und ausschließlich bei den Ausführungen zum möglichen Genozid in Gaza gab. Zum anderen würde der Glitch doch irgendwo passieren, aber doch nicht Millisekunden genau am Ende eines Satzes, also so, dass man das nicht merken kann/soll.

Aber vielleiht ist der Glitch ja im doppelten Sinne ein „Übertragungsfehler“.

Der Elefant ist ein Dauergast

Zum zweiten wäre doch eine wirklich ehrliche Antwort notwendig gewesen, wenn man den eigenen Worten gerecht werden will.

Offensichtlich ist der innere Druck mit Blick auf die „deutsche Staatraison“ bereits so groß, dass der „Elefant“ nicht nur in Israel präsent ist, sondern auch in Deutschland durch die Medienhäuser, Museen, Theater, Studios und Köpfe trampelt.

Das einzugestehen wäre eine ermutigende Ausnahme, die eine Diskussion über unsichtbare Elefanten und Scheren im Kopf beflügeln könnte.

Das Gespräch, das man (mit Glitches) sehen kann, ist 1:31 Stunden lang: https://youtu.be/HU5QB06LqPs

Offensichtlich fehlten in der ersten Version etwa vier Minuten, denn die neue Version, die am 15.3.2024 hochgeladen wurde, ist 1:35 Stunden lang:

https://www.youtube.com/watch?v=ZeQqoiR2TfU

Es lohnt sich sehr, sich die Zeit für seine Ausführungen (ohne Glitch) zu nehmen.

Und es ist mehr als notwendig, diese verschiedene Formen von Zensur öffentlich zu machen und zusammen dafür zu sorgen, dass genau das zur Sprache kommt, was dem „Glitch“ zum Opfer fällt.

Glitch bedeutet auch glitschig

In diesem Zusammenhang muss man erwähnen, dass diese Glitch-Version zum Handwerkzeug der politischen und militärischen Propaganda gehört: Das israelische Militär hatte es vor ein paar Wochen einmal mehr exerziert, als es darum ging, die über 100 Ermordeten im Kontext einer UN-Hilfslieferung den Hungernden selbst anzulasten: Man überließ den Medien ein paar Videoschnipsel einer Drohne, die das ganze Massaker am 29. Februar 2024 im Blick hatte. Zahlreiche „Glitches“ wurde vorgenommen, um es so aussehen zu lassen, als wären dort nur Menschen wie Ameisen um ein paar LKWs herum unterwegs.

Dank der Washington Post konnten diese Manipulationen sehr schnell aufgedeckt werden. Denn die Sequenzen, auf denen israelische Panzer und Tote im Umfeld dieser Panzer zu sehen waren, fielen den „Glitches“ zum Opfer. Als das herauskam, reagierten das israelische Militär mit immer neuen Adaptionen: Mal hat man den UN-Hilfskonvoi beschützen wollen. Dann habe man doch „in die Luft“ geschossen. Am Ende wurde man angegriffen und habe sich verteidigt.

Der noch größere Elefant namens Völkermord

Dass es bei der Videoaufzeichnung ein Glitch gab, nur an der Stelle, wo Omar Bartov die Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof wegen des Verdachts des Völkermordes ausführt und diesen substantiiert, hat zwei eminent wichtige Gründe.

Zum einen ist die Person Omar Bartov selbst. Er ist international angesehen, sehr geschätzt, als Experte für Völkermorde. Man kann ihn also nicht als Scharlatan antun.

Zum anderen, und das ist noch schwerwiegender, liegt es am Vorwurf des Genozids selbst.

Der Israel-Palästina-Konflikt wird in seiner mildesten, westlichen Version als ein Konflikt dargestellt, in dem zwei Raufbolde aufeinander einschlagen. In dieser Version sind beide schuld daran, dass der Kampf nicht aufhört bzw. „friedlich“ gelöst werden kann. Das kann man geradeso verstehen, wenn man nur darauf achtet, dass beide Seiten „unfaire“ Mittel einsetzen (Bombardierungen – Selbstmordanschläge). Doch diese angebliche Äquivalenz hört bereits dort wo, wo man die Besatzung miteinbezieht. Denn Palästina hat keine israelischen Gebiete besetzt bzw. annektiert.

 

Mit dem Vorwurf des Genozids ist hingegen die Theorie der beiden Raufbolde gänzlich obsolet. Denn dieser setzt voraus, dass eine Seite gar nicht die Chance hat, sich zu wehren, also den Gegner davon abhalten kann, das zu tun.

Dieses eindeutige Ausgeliefertsein ist im Kontext des Gaza-Krieges 2024 unbestritten. Israel macht, was es will. Weder lässt sich die israelische Regierung von den USA, noch von europäischen Bedenken von den Kriegszielen abbringen. Die militärischen Fähigkeiten der Hamas spielen keine Rolle.

Dabei muss erwähnt werden, dass es bei dem Strafverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag darum geht, einen möglichen Genozid zu verhindern. Es geht darum, eine Absicht nachzuweisen, also nicht um den Nachweis, dass es einen Genozid gab. Dazu schreibt die taz überraschend klar:

„Gemessen an anderen Genozidverfahren ist das Kernelement der ‚Absicht‘ in der Klage sehr gut dokumentiert.“ (taz vom 6.1.2024)

Um diesen zu verhindern, forderte der Ankläger aus Südafrika, dass das Gericht in einem Eilverfahren einstweilige Verfügungen anordnet, die das sicherstellen sollen. Dazu gehöre u.a. eine ausreichende Ernährung in Gaza, die Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung, die Gewährleistung medizinischer Hilfen. Dazu zählt auch, Untersuchung in Gaza zuzulassen. Fakt ist, dass Israel alle angeordneten Schutzmaßnahmen ignoriert. Im Gegenteil: Seitdem hat sich die Lage in Gaza auf ein bisher unbekannte Weise verschlimmert.

Diese Situationsbeschreibung wird in den staatsnahen Medien wird fast komplett ausgeblendet. Eine Berichterstattung über den Internationalen Gerichtshof, über den Stand der Dinge findet nicht statt. Dass die deutsche Bundesregierung zudem an der Seite des „Beklagten“ in diesem Gerichtsverfahren steht, also bis heute den Vorwurf des Genozids für gänzlich abwegig hält und stattdessen weiterhin Waffen liefert, macht diesen Vorgang sehr brisant.

Es gibt ein Land auf der Erde, weit weg, das die Bundesrepublik Deutschland wegen „Begünstigung zum Völkermord“ vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt hat. Begründet wird dieser Schritt mit der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung Israels durch Deutschland und der Streichung der Mittel für das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA.

In Europa, auf dem Kontinent der Ex-Kolonialherren liegt das Land der Kläger nicht. Es handelt sich um den mittelamerikanischen Staat Nicaragua. Dieser hat eine lange Geschichte der Diktatur hinter sich, die vom Westen, allen voran von den USA gestützt und an der Macht gehalten wurde. Selbst nach dem Sturz der Diktatur Somozas ließen die USA ihren „Hinterhof“ nicht los, sondern organisierten Terroranschläge gegen die neue Regierung der Frente Sandinista.

All das kann ganz aus Vorsehung zu besagtem „Glitch“ beigetragen haben.

Zurück zur Minute 38 plus

Ab dieser Minute hat Prof. Omar Bartov Auslassungen entdeckt und moniert. Denn hier sagt er etwas, was über die „Gewaltspirale“, die auf beiden Seiten angetrieben werde, hinausgeht. Weit hinaus.

Er vergleicht die israelische Regierung mit der Ideologie der Hamas und führt dazu die Parole: „From the river to the sea“ an, die gerade von israelischer Seite seit fünf Monaten in die Tat umgesetzt werde.

Nach dieser etwa fünf-minütigen Rede ergreift sofort die Moderatorin Nicole Deitelhoff das Wort. Ja, es gäbe „rechtsextreme“ Kräfte in der Regierung. Aber das sei nicht die Regierung.

Prof. Omar Bartov (Minute 41:00) widersprich sehr deutlich: Es gehe darum, das zu bewerten, was die israelische Regierung, das israelische Militär seit fünf Monaten machen, „on the ground“. Und genau dies nähere sich dem, was man Genozid nennt.

Daraufhin leitet der zweiter Moderator Herr Mendel liebevoll und geschickt von diesem deutlichen Dissens ab und will wieder moralische Verhaltensfrage ansprechen.

Dass diese Feststellung von Professor Omar Bartov diametral der „bedingungslosen Solidarität mit Israel“, der deutschen Staatsraison widersprechen, ist der entscheidende, „glitschige“ Grund. Das kann man mit keinem „technischen“ Problem aus der Welt schaffen.

Aber man sich dabei gehörig blamieren.

Wolf Wetzel

 

Nachtrag

Ich hatte Meron Mendel am 19.3.2024 folgende Mail geschickt:

“Sehr geehrter Herr Mendel,

ich habe einen Beitrag für das Magazin Overton zu dem zweiten Gesprächskreis am 12. März 2024 in der Bonner Bundeskunsthalle geschrieben. Es geht um die sehr gute Gesprächsrunde und um den besagten „Glitch“ bei der Videoversion, die auch der Genozid-Forscher Omar Bartov angemahnt hatte.

Da ich mich bemühe, den (indirekt) Betroffenen das zur Kenntnis zu bringen, um sich gegebenenfalls zu äußern und ich zudem Ihre Art und Weise zu Diskussionen einzuladen schätze, möchte ich Ihnen diesen Link schicken.

Als Journalist und politisch engagierter Mensch weiß ich sehr wohl um den schmalen Korridor, in dem man sich (institutionell) bewegt und ich weiß, dass Sie einige Minenfelder betreten haben (wie mit dem Offene Brief: „Der Elefant im Raum“).

Wenn ich also all die vielen Jahre Erfahrung und Intuition zusammennehme, dann handelte es sich bei diesem „Glitch“ um einen weiteren Elefanten, der eben noch um einiges größer ist als die bekannten.

Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen.”

Eine Antwort bekam ich nicht oder doch: Denn ihre eigene Frage, der sich die beiden ModeratorInnen stellen wollten, ist damit beantwortet:

„Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch?“

Und noch eine “Antwort” gab es: Der erste “verglitchte” Version wurde noch am selben Tag herausgenommen. Soviel Zeit hat man sich dann doch genommen.

Quellen und Hinweise:

STUDIO BONN – A mentsh is a mentsh – Kunst & Kultur nach dem 7. Oktober: https://www.youtube.com/watch?v=ZeQqoiR2TfU

Twitter-Account von Omar Bartov: https://twitter.com/bartov_omer

Wenn der Verweis auf den Holocaust nicht Staatsverbrechen ächtet, sondern rechtfertigt, Wolf Wetzel, 2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/wenn-der-verweis-auf-den-holocaust-nicht-staatsverbrechen-aechtet-sondern-rechtfertigt/

Anklage wegen Völkermord: Mit der Waffe des Rechts, taz vom 6.1.2024: https://taz.de/Anklage-wegen-Voelkermord/!5981347/

 

A Mentsh is Mentsh – und ein Glitch

Wolf Wetzel 19.3.2024/22.3.2024

 

Visits: 94

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert