Recht|s bewährt
Hunderttausende sind auf der Straße. Dieses Mal zählt sogar die Polizei die Teilnahme nicht klein. Alle kommen, die Bundesregierung, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Prominenten, die Omas gegen rechts, die LINKE, und die vielen anderen.
Alle sind gegen rechts – die CDU, die Bundesregierung, die BILD-Zeitung, die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die Influencer*innen.
Damit es wirklich ein halluzigenes Erlebnis wird, wenn man zusammen gegen rechts aufsteht, kam es in Bautzen/Sachsen am 27. Januar 2024 zu folgendem denkwürdigen Ereignis: Auf der Bühne des „Bündnisses gegen rechts“ stand ein Mann, so um die 50 Jahre, in Jeans, Winterstiefeln und einer recht verknitterten Outdoor-Jacke und ließ die Teilnehmer wissen:
„24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche arbeiten meine Polizistinnen und Polizisten, Staatsschützer und Verfassungsschützer für unsere Demokratie. Aber ich darf Ihnen stellvertretend für die sagen: Zehntausende, Hunderttausende Verfassungsschützer auf der Straße, die denen zurzeit helfen, so wie Sie. Das gab‘s noch nie. Das ist Verfassungsschutz.“
Sofort dachte ich an einen Stand-Up-Komiker, der den rechten bis neofaschistischen Sachsensumpf persifliert. Ich hatte mich getäuscht. Der Mann ist der CDU-Innenminister Armin Schuster in Sachsen. Man hätte, man könnte Buhh-Rufe erwarten können, wenn jemand Demonstrantinnen zu IM’s des Verfassungsschutzes macht und den Inlandgeheimdienst zur Speerspitze im Kampf gegen „rechts“ kürt. Nichts von alledem: Es gab Applaus, nicht für den Komiker, sondern für den obersten Dienstherrn des Verfassungsschutzes.
Bodenlos
Es gab ja in den letzten Jahren genug Grund, massenhaft gegen rechts auf die Straße zu gehen. Gegen den NSU-Terror, gegen einen Verfassungsschutz, der nichts davon wusste und alles tat, um das Wissen zu leugnen.
Die NSU 2.0-Zelle der Polizei, die Nazifreunde im KSK und in der Bundeswehr. Da ging es, da geht es Mord, um Beihilfe, um Staatsterrorismus.
Der Protest war dünn, die Medien schmallippig, die Regierung abgetaucht und abwinkend.
Aber jetzt! Warum jetzt?
Kann es sein, dass es gar nicht um den Kampf gegen rechts geht, sondern um den Schutz des Bekannten?
Kann es ein, dass sehr viel rechts ist und sein kann, wenn man sich daran gewöhnt hat, wenn man sich darauf verlassen kann?
Susan Bonath hat dazu einige bemerkenswerte Gedanken geäußert:
„Wenn deutsche Medien nur Gutes über Demos schreiben und sich mit Teilnehmerzahlen übertrumpfen, ist irgendetwas faul. Bei den Protesten „gegen rechts“ ist das regelmäßig so. Am Wochenende seien in Deutschland laut Meinungsschlachtschiff Tagesschau insgesamt 250.000 Menschen auf der Straße gewesen. Sogar Springers Welt „berichtete“ verzückt von „mehr als 100.000“ Teilnehmern und zitierte, den Eindruck von Neutralität erweckend, wohlwollende O-Töne von Politikern.
Das rechte Establishment
Da stimmt doch etwas nicht. Denn wenn das Volk mal auf die Straße geht, kommt das in aller Regel weder bei den Öffentlich-Rechtlichen noch beim Springer-Verlag gut an. Ultrarechte Kriegspropaganda, häufig unbelegte Gräuelmeldungen darunter, ist bei ihnen zum Programm geworden. Insbesondere die Springer-Zeitungen sind zudem Gewohnheitstäter im Verbreiten von rassistischer und sozialdarwinistischer Hetze. (…)
Die Scheinopposition
Realpolitisch unterscheidet sich die angebliche „Brandmauer“ aus Union, FDP, SPD und Grünen tatsächlich nur noch in Nuancen von der AfD. Ihre Worte klingen meistens etwas freundlicher, auch wenn sie oft das Gleiche meinen. Und die Großsponsoren der Parteien entstammen verschiedenen Kapitalklüngeln.
Ansonsten sind sich alle ziemlich einig: Die NATO ist so alternativlos wie Aufrüstung, Reichenschutz und Abbau von einst hart erkämpften Sozial- und Arbeitsrechten. Den Wert von Menschen bemisst man durch die Bank weg nach ihrem Nutzen für das Kapital. (…)
Betrachtet man das aus dem Blickwinkel der „kleinen Leute“, wird schnell deutlich: Das rechte Establishment bekämpft eine rechte Scheinopposition. Es ist ein Spiel der Mächtigen und ihrer Vertreter um politischen Einfluss. Alle Seiten instrumentalisieren Teile der Bevölkerung für ihre Sache. (…)
Der Mythos von der Mitte
Der Erfolgskurs dieser Scheingefechte beruht auf Propaganda, die ein Gebilde schuf, das es in Wahrheit gar nicht gibt: die angebliche „bürgerliche Mitte“, die weder rechts noch links sei, sondern vernünftig. (…)
Mancher kommt dabei sogar auf die Idee, diese ominöse „Mitte“ oder nur die Ampel für politisch links zu halten. Dies würde allerdings bedeuten, dass sie sich für Gleichwertigkeit aller Menschen einsetzen und gegen Herrschaft, Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung kämpfen würde. Dass das Gegenteil der Fall ist, liegt auf der Hand. (…)
Teilen und Herrschen
So führt das politische Establishment seinen Pseudokampf „gegen rechts“, um einen Buhmann in Gestalt der AfD herbeizuzaubern. Erfolgreich verschleiert es damit seine eigene ultrarechte, gegen die Bevölkerungsmehrheit gerichtete Agenda und verdeckt die echte Frontlinie zwischen oben und unten. Und „die da oben“ haben gerade die Nase sehr weit vorn.
Wenn also Rechte wie die Ampelparteien zum Protest „gegen rechts“ trommeln und sich sogar ultrarechte Hardliner wie Friedrich Merz begeistert dazugesellen, sollte das Volk hellhörig werden. Dann riecht es gewaltig nach Propaganda für das altbekannte Spiel der Mächtigen: Teilen und Herrschen.“
(Mit Rechten „gegen rechts“: Die Ampel und ihre Scheinopposition, Susan Bonath, RT vom 21.1.2024: https://freedert.online/meinung/193472-mit-rechten-gegen-rechts-ampel)
Wolf Wetzel 22.1.2024
Quellen und Hinweise:
Von „Wir sind ein Volk“ zum Pogrom, von der Abschaffung des Asylrechts zum „nützlichen“ Ausländer – Ein Rückblick auf 20 Jahre Deutschland, Wolf Wetzel, 2007: https://wolfwetzel.de/index.php/2007/08/02/vom-pogrom-der-abschaffung-des-asylrechts-zum-nuetzlichen-auslaender/
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