Sommer der Freiheit – Verboten!

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Sommer der Freiheit – Verboten!

und Leserbiefreaktionen

Für das letzte Wochenende im Juli 2021 hatten verschiedene Spektren der „Querdenker“ zu zahlreichen Demonstrationen in Berlin aufgerufen. Das Motto lautete: „Sommer der Freiheit“.

Die Berliner Versammlungsbehörde hatte eine andere Vorstellung von Freiheit und verbot alle geplanten Demonstrationen, die die Kritik an den Corona-Maßnahmen zum Thema hatten.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) gab sich als Schutzengel aus: „Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz.“

Die Gerichte folgten den Verbotsverfügungen mit Freuden – während sie Gesetze zur „Deckelung“ von Mieten für verfassungswidrig erklärten. Für die Durchsetzung der Verbotsverfügungen bekam der „linke“ Berliner Senat polizeiliche Unterstützung aus vielen Bundesländern. So vereint standen Tausende von Polizeibeamte bereit, die zahlreichen Verbote durchzusetzen. Wie viele DemonstrantInnen dennoch diesen Verboten trotzen konnten, bleibt unklar, denn man berichtete so gut wie gar nicht darüber.

Ein Teil der (institutionellen) Linken war derselben Meinung wie die Regierung und hatte nichts gegen diese Verbotspraxis.

Das „Neue Deutschland“ (nd), eine irgendwie linke Zeitung, titelte ihren regierungsnahen Beistand mit der kriegstauglichen Überschrift:

„Schwurbler-Invasion unerwünscht“ (nd vom 29.07.2021)

Dass sich also Regierung, Polizei und ein Teil der Linken einig sind, ist zwar schwer erträglich, aber nicht neu. Dennoch lohnt es sich, den nd-Beitrag genauer zu lesen. Ein Paradebeispiel für ein ziemlich wahlloses Bewusstsein, für das eklatante Widersprüche kein Problem sind.

Zuerst zitiert nd ausführlich das antifaschistische Bündnis „Berlin gegen Nazis“, das die „Querdenker“ faktisch mit Nazis gleichsetzt. „Berlin gegen Nazis“ hatte sich vorgenommen, Bildungsarbeit für verblödete Querdenker zu betreiben. Dazu entwarf sie eine Plakataktion, die nd freudig vorstellte:

 

Zu den „Denkanstößen“ gehörten diese:

„In welcher Diktatur gilt das Recht auf Meinungsfreiheit?“

„Habt ihr nie gelernt, euch zu artikulieren?“

„Ist die eigene Meinungsfreiheit unantastbar?“

Viel plumper hätte es auch keine Werbeagentur machen können. Ulf Balmer von „Berlin gegen Nazis“ erklärte die Plakataktion so: „Aufgrund der pandemischen Lage wollen Berliner Initiativen und Bündnisse keine Massenproteste gegen die Querdenker*innen durchführen (…) Wir wollen den Gegendemonstrant*innen den Rücken stärken“, betont Balmer. „Ziel ist es, den häufig antisemitisch codierten Verschwörungsideologien der Querdenker*innen und anderen zu widersprechen und sie zu hinterfragen.“ (nd vom 29.07.2021)

Dass mit diesen platten Faschismus- und Antisemitismusandeutungen nicht im Geringsten die heterogene Zusammensetzung der Querdenker beschrieben ist, sondern ein Wunschgegner, den man ganz nahe an Nazis heranschreibt, findet man im selben nd-Artikel Nahrung: Dort kommt die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“ (MBR) mit ihrer Einschätzung zu Wort:

Das klassische rechtsextreme Milieu ist dagegen weniger sichtbar“, sagt Felix Müller. Man sehe sogar gewisse Abgrenzungsbewegungen. So soll der Organisator Ballweg vor Kurzem von Rechten in verschwörungsideologischer Manier als ‚Freimaurer‘ diffamiert worden sein. In der Einschätzung der Mobilien Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin heißt es: „Am bekannten Narrativ einer vermeintlichen ‚Corona-Diktatur‘ halten die Organisator*innen trotz weitreichender Lockerungen der Pandemiemaßnahmen fest und versuchen, nun vor allem über eine angeblich bevorstehende Impfpflicht Ängste zu schüren.“

Auch Peter Novak hat in seinem Beitrag für Telepolis seine Eindrücke zu den Querdenkerfragmenten zusammengefasst:

 

 

Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehört nicht dem rechten Spektrum an. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass man sich auf einer Demonstration der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre bewegt. Verschiedene Generationen und Kulturen waren vertreten, Punks liefen neben Angehörigen irgendwelcher religiösen Kleingruppen. (…) Schon am Samstag konnte man auf dem Nettelbeck-Platz in Berlin-Wedding die Koexistenz verschiedener Ideologiefragmente innerhalb der „Querdenken“-Bewegung beobachten. Dort hatten verschiedene Gruppierungen aus dem Umfeld der Corona-Maßnahmen-Kritiker ihre Stände aufgebaut. Während sich die „Freie Linke“ sehr kapitalismuskritisch gab, beschworen andere das freie Unternehmertum.“ (telepolis vom 01. August 2021)

Juckt so etwas das Bündnis „Berlin gegen Nazis“ oder stört das nur, weil man sich diesen billigen Feind nicht nehmen lassen will? Warum fragt die nd-Redaktion nicht nach? Warum interessiert sie sich nicht für diesen eklatanten Widerspruch?

Die Querdenker werden zurecht dafür kritisiert, dass sehr viele, sehr disparate und widersprüchliche Beweggründe zusammenkommen und nebeneinanderstehen.

In der Tat fehlt nach einem Jahr ein Klärungsprozess, eine Agenda, auf die sich eine Mehrheit einigen kann. Denn man kann nicht gleichzeitig links und rechts anspielen.

Dennoch gibt es einige Klarstellungen, die partout nicht wahrgenommen werden wollen, weil man sich genüsslich an die „Corona-Leugner“ gewöhnt hat:

Die Querdenken-Demonstrationen sind keine Anti-Corona-Demos, sondern Demos für die Wiederherstellung unserer Grundrechte, da wir die Maßnahmen der Regierung unter wissenschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten für vollkommen unangemessen halten.“ (https://querdenken-711.de)

Ganz offensichtlich braucht man aber „Corona-Leugner“ als Gegner, weil man ansonsten sehr genau begründen müsste, warum gerade eine Linke bei der „Wiederherstellung unserer Grundrechte“ nicht dabei ist.

Wie „rechtsoffen“ ist die Linke?

Und wie disparat ist die Linke? Wie widersprüchlich und zusammenhangslos? Bekämpft man die Querdenker, weil sie (so gut wie) Nazis sind oder müssten die Gründe endlich präzisiert werden? Nicht anders verhält es sich mit dem in Querdenker-Kreisen geäußerten Vorwurf einer „Corona-Diktatur“. Ich kenne keine präzise Analyse aus Querdenkerkreisen, die sich wirklich die Mühe macht, die Merkmale für eine Diktatur zu benennen, eine entsprechende Staatsanalyse vorzulegen. Der Vorwurf hat vor allem spektakulären, sensationellen Charakter. Denn wenn es sich um eine Corona-Diktatur handelt, dann muss man fragen, was dann noch Demonstrationen für eine Funktion haben sollen, warum man Gerichte anruft, um das Demonstrationsrecht zu verteidigen? Die totale Widersprüchlichkeit ist nicht zu übersehen – und auf Dauer so wenig glaubhaft wie das, was die Regierung verkündet.

Aber wie ist dann der Ausnahmezustand, die massiven Grundrechtseinschränkungen zu werten? Haben darauf die Teile der Linken eine Antwort, die so gerne alle anderen für Schwurbler halten und selbst nur von Solidarität schwurbeln, ohne dass sie wirklich sichtbar, erlebbar wird?

Was ist mit der Zero Covid-Initiative? Warum ist sie mehr oder weniger gescheitert? Warum spricht man nicht über das eigene Versagen, über die eigenen Widersprüche, die man weder fair, noch produktiv diskutieren kann?

Warum gibt es keine breite öffentliche Debatte, Kapitalismus und Pandemie zusammenzudenken und daraus konkrete politische Schritte abzuleiten?

Eine hervorragende Möglichkeit wäre doch zum Beispiel, massiv für die Freigabe der Eigentumstitel auf Impfstoffe einzutreten, bei gleichzeitiger Zulassung aller Impfstoffe. Damit würde Solidarität einen Sinn bekommen, denn bisher ist der Impfstoff doch vor allem für die Privilegierten dieser Weltordnung da, zu denen auch alle impfwilligen Linken in Europa zählen. Das würde auch dem Gedanken eines Internationalismus gerecht, der für die Bekämpfung einer Pandemie essentiell ist. Man stelle sich vor, man würde in diesem Sinne zu internationalen Großdemonstrationen aufrufen, und damit ein Faktum ins Zentrum rücken: Der Kapitalismus ist ein (An-)Treiber der Pandemie: Er schafft nicht nur fortgesetzt die Bedingungen für eine Pandemie, sondern maximiert dabei auch die Umstände, die die nächste Pandemie (ob als Virus, als Klimakatastrophe oder Krieg) geradezu unausweichlich machen.

Gegen Gesundheitsausweis und Impfpflicht

Für diese in Teilen der deutschen Linken als Schwurbler-Befindlichkeiten ausgepreiste Haltungen gingen in Frankreich am selben Wochenende weit über 200.000 Menschen auf die Straße.

 

Sebastian Chwala, der seit Langem die Entwicklung in Frankreich verfolgt und dokumentiert, schreibt dazu:

„Auch diesen Samstag versammelten sich in Frankreich zehntausende Menschen (offizielle Zahlen gibt es bisher nicht), um gegen die Einführung eines ‚Grünen Passes‘ (Impfung), dessen Nachweis faktisch alle sozialen Bereiche umfasst, sowie eine weitreichende Impfverpflichtung für Beschäftigte zu protestieren. Weite Teile der Gesellschaft, inklusive Teile der linken Gewerkschaften, lehnen dies inzwischen ab, da eine Kultur der allgemeinen Überwachung befürchtet wird. Auch die Beschäftigten des Gesundheitswesens fühlen sich ungerecht an den Pranger gestellt, wo doch seit Jahren ein Kampf um bessere Personalausstattung und gegen die Schließung von Stationen und Klinken im Land geführt wird. Deshalb nehmen die Streikaufrufe in dieser Branche zu. Auch viele Gastwirte fürchten um ihre Existenz, wenn der ‚pass sanitaire‘ ab dem 9. August (der oberste Verfassungsrat wird am 5. August über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden) auch für Kneipen und Restaurants zu Plicht wird. Mehr als zwei Drittel der Hotels in Paris haben bereits angekündigt, im August schließen zu wollen, da man massive Umsatzeinbuße befürchtet und die Beschäftigten nicht verpflichten möchte, als Hilfspolizei zu agieren.“

Es gibt ganz offensichtlich mehr als das, was von Teilen der deutschen Linken (sichtbar) übriggeblieben ist. Würde dieser Teil der deutschen Linken auch gegen Leute vorgehen, die gegen Gesundheitspass und Impfpflicht zu Hunderttausende auf die Straße gehen? Würden sie auch in Paris an der Straße stehen und die DemonstrantInnen als „Schwurbler“ und „Verschwörungstheoretiker“ diffamieren?

Wolf Wetzel

 

Leserbriefreaktionen:

Auf den NachDenkSeiten finden sich einige Leserbriefe zu dem Beitrag: https://www.nachdenkseiten.de/?p=74947

Sie sind aus mehreren Gründen lehr- und hilfreich: Anstatt zu spekulieren, was die Menschen zu den Querdenkerdemos bewegt, kann man ihnen einfach mal zuhören. Man bekommt mit, dass sich viele als Linke äußern und erklären, und mit welchen Enttäuschungen sie zu kämpfen haben.

Zweitens bekommt man mit, wieviel Fragen im Raum stehen, wie vieles ungekärt ist, wie vieles erst zusammen diskutiert werden müßte.

Drittens stellt sich die Frage, warum die Linke nicht genau dort ihr Wissen und Erfahrungen einbringt, nicht als Lehrmeiser und Linienrichter, sondern als Menschen, die vielleicht geeignetes Werkzeug zur Verfügung stellen und vielleicht dabei auch lernen, wie vieles auf allen Seiten seit Jahren nicht mehr diskutiert wurde und wie bitter es sich rächt, dass in den letzten Jahren eine kontroverse, offene, produktive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen vermieden und ausgeschlagen wurde.

7. August 2021

 

 

Quellen und Hinweise:

Es gibt eine interessante Studie von der Universität Basel zu der „Querdenkerbewegung“, die zum Nachdenken anregen kann: Politische Soziologie der Corona-Proteste. Grundauswertung vom 17.12.2020: https://idw-online.de/de/attachmentdata85376

Schwurbler-Invasion unerwünscht, nd vom 29.07.2021: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155040.querdenker-schwurbler-invasion-unerwuenscht.html

Berlin: Gegner von Corona-Maßnahmen demonstrieren trotz Verbot, Peter Novak vom 01. August 2021: https://www.heise.de/-6152447

Sebastian Chwala, Facebook-Account: https://www.facebook.com/profile.php?id=100006703337622

Das Virus ist dasselbe, aber die politischen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sind deutlich andere, Interview mit Sebastian Chwala: https://www.nachdenkseiten.de/?p=72633

Die endlose Geschichte der Ausnahmezustände. Der Ausnahmezustand schützt nicht unsere Freiheit, sondern ist (immer) eine Einübung für deren Abschaffung: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/04/21/die-endlose-geschichte-der-ausnahmezustaende/

Eine leicht gekürzte Version findet ihr hier:

Sommer der Freiheit – Verboten!

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