Rubikon – Warum es ganz schwierig ist, nicht zu scheitern

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„Telepolis“ über die Verwerfungen bei „Rubikon“. Darf man das?

Der Chefredakteur vom Online-Magazin „Telepolis“ Harald Neuber hat den Versuch gewagt, über die Verwerfungen bei „Rubikon“ zu schreiben. Das heißt in diesem Fall: ein Online-Magazin nimmt zu einem anderen Online-Magazin Stellung.

Geht das?

In der Regel gilt unter Online-Magazinen, früher nannte man das Organe der Gegenöffentlichkeit, dass man nicht übereinander schreibt, dass man sich in politische Streits und Zerwürfnisse nicht einmischt. Zu schnell schreibt man sich nahe an den Verdacht, dass man nur einen Konkurrenten treffen will, der gerade strauchelt.

Und in der Tat findet man einige Kommentare im Telepolis-Forum, die diesen Verdacht äußern und Telepolis genau das vorwerfen, was man Rubikon vorwirft: Zensur, undurchsichtige Kriterien von Kommentar-Löschungen, politische Einflussnahme.

Ganz schnell schießt das Bild hoch: Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steine werfen.

Aber vielleicht wird erst so das „Glashaus“ sichtbar, in dem viele „alternative“ Medien sitzen!

Genau darauf zielen einige Kommentare im tp-Forum, dass das doch überall so (oder ähnlich) sei, ob bei KenFM, bei den NachDenkSeiten oder eben bei Rubikon.

Das führt dann in der Regel zu einem Art „Waffenstillstand“. Man kann auch sagen, dass auf diese Weise ein Schweigekorridor entsteht, der die Struktur einer politischen Korruption hat: Halte die Füsse still, sonst trete ich dir deine weg.

Ein langer Schweigekorridor hat sich entwickelt

Ich bin ganz anderen Meinung: Dieses Verschweigen struktureller Probleme vergrößert die Bereitschaft zur Verschleierung und zu sinnlosen Entgleisungen und endet in Streits, die in aller Heftigkeit in einer kleinen Seitenstraße geführt werden, während die Hauptstraße völlig aus dem Blick gerät.

Das wird auch an der Antwort von Jens Wernicke von Rubikon deutlich, die er auf die Telepolis-Anfrage gibt, wie er zu dem Vorwurf der Machtmonopolisierung stehe:

„Nicht alle Intellektuellen, die gerade in dieser schweren Zeit ihre Stimme erheben könnten und sollten, sind dazu bereit oder willens, die Klarheit und Entschlossenheit, mit welcher der Rubikon die Manipulationen und Lügen der Regierungen dekonstruiert, mitzutragen. Die vorgebrachten Diffamierungen entbehren jeder Grundlage und jedes Beleges – es handelt sich teilweise sogar um falsche Tatsachenbehauptungen.“

Die Antwort ist Verschleierung pur, bei gleichzeitiger Inszenierung einer Schlachtordnung, in der er grundlos auf der Seite der Aufrechten, der Guten kämpft (als Anführer), während die anderen sich wegducken und de facto desertieren.

Auf den Vorwurf, der die strukturellen Bedingungen anspricht, antwortet er mit keinem einzigen Wort.

Aber genau das ist ein Grund mehr, dass man darüber redet, dass man die Debatte darüber führt, ohne mit Steinen zu werfen! Denn ich kenne kein einziges Medium (mit einer gewissen Reichweite), dass egalitär, basisdemokratisch und selbstkritisch funktioniert.

Auch wenn wir alles dafür tun, es auszublenden, es nicht zu thematisieren:

Die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus machen auch vor guten Absichten nicht Halt. Wenn das Kapital von ganz wenigen kommt, die ein solches Projekt ins Leben rufen oder finanzieren, dann ist der Zugriff der Wenigen auf den Inhalt, auf die politische Ausrichtung immanent.

Dazu braucht es keinen bösen Charakter oder besonderen cäsarische Eigenschaften, sondern nur das ungebrochene Recht auf Rendite, die in diesem Fall vor allem eine politische Rendite ist.

Genau deshalb wäre jede Diskussion um die Person Jens Wernicke falsch und selbstentlastend. Denn „Rubikon“ würde nicht bis heute so funktionieren, wenn nicht ganz viele AutorInnen dies genau so hinnehmen – mit dem inneren Mantra ausgestattet. Woanders ist es auch nicht (viel) besser.

Wenn man das weiß, wenn man das zulässt, dann geht es eben nicht um „Rubikon“, sondern um eine gemeinsame Diskussion, wie man damit umgeht, was man daran ändern kann und will.

Wenn es also der Chefredakteur Harald Neuber wagt, über „Rubikon“ zu schreiben, dann hat er das Glashaus im Kopf und die Steine, die geradezu warten, in diese Richtung geschleudert zu werden. Das kann man in einigen Kommentaren im tp-Forum nachlesen.

Und bereits das ist ein guter, lohnenswerter Sprung nach vorne. Man weiß, ganz viele wissen, dass das ein heißes Eisen ist. Das wissen eben nicht nur die Chefredakteure. Das wissen auch alle Autor*innen, die kontinuierlich für Online-Magazine schreiben. Was kann man schreiben, was geht zu weit? Man weiß, dass es überall eine „rote Linie“ gibt, aber niemand sieht sie am Boden, klar gezogen und für alle, von allen Seiten aus sichtbar.

Von daher bin ich für den Versuch von Harald Neuber dankbar, dass er mit diesem Beitrag über recht heiße Kohlen läuft.

Wenn es nicht – und da sind viele Kritiker des Mainstreams nicht viel anders – um eine kurze, sehr kurzsichtige Empörung gehen soll, dann wäre diese erst ein Anfang, ein längst überfälliger Anfang.

Und wenn es weder um das Ego eines Jens Wernickes geht, noch um das Ego eines Kritikers, dann geht es in der Auseinandersetzung nicht darum, Steine zu werfen, sondern sich gemeinsam auf den Weg zu machen, nicht länger in Glashäusern zu verbringen.

Ich hatte für den Telepolis-Beitrag von Harald Neuber ein paar Thesen beigesteuert, die ich nun in Gänze zur Diskussion stellen möchte:

Rubikon – Warum es ganz schwierig ist, nicht zu scheitern

Das Magazin-Projekt „Rubikon“ fand 2017 Bedingungen vor, die schon damals sehr zerrüttet und fragmentiert waren.

Es trotzdem zu wagen, gegen die widrigen Umstände und gleichzeitig gegen den Strom schwimmen zu wollen, ist eine große Anstrengung – die nicht viele in Kauf nehmen.

Es geht dabei nicht nur um die finanziellen Mittel, die ein solches Projekt benötigt. Es geht auch um ein politisches Selbstverständnis, auf das man eben nicht einfach „aufsetzen“ kann, sondern erst in einem Prozess entwickeln muss.

In aller Regel – und das war auch bei Rubikon der Fall – steht am Anfang keine (verschworene/erfahrene) Gemeinschaft, sondern vor allem Einzelpersonen, die ein gemeinsames Selbstverständnis erst finden müssen.

Und dann gibt es etwas, was fast in jeder politischen Diskussion übergangen wird: Die ökonomischen Eigentumsbedingungen sind auch in einem „linken“ Projekt nicht verschwunden, sondern bilden eine mächtige (und gegebenenfalls ausschlaggebende) Grundströmung, die alles andere (also eben auch die guten Vorsätze) hinwegschwemmen kann.

Wer heute, angesichts der traurigen Zerwürfnisse in und um Rubikon schon alles (besser) wusste, also das Scheitern schon vorausgesehen hat, ist mehr als überheblich. In der Regel sind das Menschen, die noch nie ein Projekt aus dem Boden gestampft haben.

Wer ebenfalls, gerade in Corona-Zeiten, die jetzige Situation damit erklärt, dass Rubikon in Sachen Corona ein Organ der „Querdenker“ wurde und sich am besten selbst abwickelt, berührt sicherlich ein Dilemma von Rubikon und verschweigt zugleich das Versagen der Linken.

Selbstverständlich kann und soll ein Projekt auch Positionen einnehmen, die im Wesentlichen von der Annahme ausgehen, dass die Corona-Maßnahmen wenig mit dem Virus, mit den medizinischen Notwendigkeiten zu erklären sind, sondern i.w. mit einem autoritären Staatsverständnis, das sich – für Rubikon -auf eine „Merkel-Gesundheits-Diktatur“ zubewegt.

Ich teile diese politische Einschätzung nicht, aber ich halte sie für eine linke Debatte absolut notwendig. Die Argumente, die dafür angeführt werden, die politischen Analysen, die dafür ins Feld geführt werden, sind immens wichtig und verteidigenswert.

Ich halte es für ganz falsch, Rubikon deshalb verächtlich zu machen, zu denunzieren (Verschwörungstheorie, Aluhutfantasien, Schwurbler etc.). Diese Positionen würden vielmehr dazu auffordern und herausfordern, eine andere/bessere Staatsanalyse vorzulegen, als einfach nur die Corona-Maßnahmen abzunicken und das auch noch mit Solidarität in Verbindung zu bringen.

Was man im Sinne des Projektes „Rubikon“ kritisieren muss, ist die Weigerung bei Rubikon, diese notwendige Debatte, also auch den Widerspruch dazu, selbst zu führen. Diese fehlende Souveränität, mit den Gegenargumenten zu streiten, dabei einem gemeinsamen Umgang zu (er-)lernen, in dem (historischen) Wissen, dass die Linke gerade kein Garant für vorausschauende Analysen und Prognosen ist, ist sehr bedauerlich – und das Gegenteil von dem, was zu Beginn den Reiz an „Rubikon“ ausgemacht hat. Dazu gehörte unter anderem der redaktionelle Grundsatz, dass ein Beitrag, der auf heftige Kritik (in der Redaktion) stößt, nicht einfach im Mülleimer landet, sondern veröffentlich werden soll, mit der „Garantie“, dass eine Gegenposition dazu formuliert wird.

Dieses Problem hat aber nicht nur Rubikon. Und genau das vergessen so viele mit Vorsatz, die „Rubikon“ zum Teufel wünschen.

Wer noch eine Vorstellung von einer Linken hat, die in ihren Grundsätzen erkennbar ist und im Dissens, der darin möglich und fruchtbar sein muss, der sollte für Rubikon genauso eintreten, wie für KenFM, die ganz sicher nicht von staatlichen Institutionen angegriffen werden und mundtot gemacht werden sollen, weil sie sich lächerliche Verschwörungsphantasien austauschen.

Für deren Publikation, für deren Recht auf Öffentlichkeit einzutreten, und dies gegen jede Form der Repression zu verteidigen, wäre die Basis, sich inhaltlich mit ihnen zu streiten.

Wolf Wetzel

  1. Juni 2021

Quellen und Hinweise:

Im Kriegsjournalismus, Harald Neuber: https://www.heise.de/tp/features/Im-Kriegsjournalismus-6063717.html?seite=all

Austrittserklärung von Daniela Dahn, Rainer Mausfeld, Hans See und Jean Ziegler als Beiratsmitglieder im Onlinemagazin „Rubikon“: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/05/24/austrittserklaerung-von-daniela-dahn-rainer-mausfeld-hans-see-und-jean-ziegler-als-beiratsmitglieder-im-onlinemagazin-rubikon/

 

 

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3 Kommentare

  1. Lieber Wolf, auch ich danke dir sehr fuerdeine ausgwogene Analyse und das aus Erfahrungen von 2 Seiten:

    Rubikon: Dort bin ich seit lagem gesperrt, weil ich fuer das unbedingte Selbstbestimmungsrecht der Voelker, auch der PalaestinenserInnen, eintrete. Das fand Jens Wernicke furchtbar.

    Telepolis: Florian Roetzer hat sofort meinen Kommentar zu einem Text von ihm geloescht, weil ich Wolfgang Wodarg zitierte. Und, 2 Tage spaeter, erscheint dieser Text mit Wolfgang Wodarg als Gastautor bei tp. Einige Tage passierte nichts, bis ich nachfragte, was denn nun mit der Loeschung meines Kommentars sein. Die Antwort von Florian Roetzer: Ja, das haette sich wohl jetzt erledigt.

    Damit will ich nur darauf hinweisen, wie sehr sich doch zumeist der Inhalt vom Etikett unterscheidet.

    Und Harald Neuber jetzt Chefedakteur bei tp? Ich kenne sehr gut seine verwaschenen Positionen aus Amerika21 und wie wenig er in der Lage ist, wirklich genau hinzusehen.

    mit lieben gruessen, willi
    Asuncion, Paraguay. willi.uebelherr@gmx.de

  2. Vielen Dank für diesen Text, Wolf!

    Tatsächlich ist das Nachtreten deren, die „es schon immer gewusst haben“, nicht nur kurzsichtig, sondern auch ziemlich narzisstisch. Nichtsdestotrotz war bereits der Beginn des Rubikon mit einer gewissen Menge „schmutziger Wäsche“ begleitet (konkret will ich dazu nichts sagen, um keine weiteren Gräben aufzutun).

    Interessant sind die Namen derer, die sich vom Rubikon verabschiedet haben. Denn gerade ihnen – inklusive dir! – traue ich ein hohes Maß an Selbstreflexion zu, sodass der Weggang sicher keine spontane Idee war, sondern im Laufe der Zeit gereift ist.

    Inhaltlich sind Medien wie Rubikon wichtig, auch und gerade wegen der teilweise recht drastischen Meinungen. Doch diese sind wichtig, um einen konstruktiven Diskurs zu führen.
    Allerdings nur, wenn sie selbst sich daran auch beteiligen.

    1. Lieber Tom,
      ach wie schön wäre es, wenn es noch viel mehr gäbe, die über Brücken gehen können, ohne die Gräben zu leugnen, die dadurch nicht verschwunden sind. Denn man kann auch durch den Fluss schwimmen, ohne die Brücke aus dem Auge zu verlieren, die wir alle brauchen, selbst dann, wenn wir ganz fantastisch schwimmen können.
      Das freut mich sehr, sehr.

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