Die Bunderegierung erklärt (sich):
„3. Bevölkerungsschutzgesetz “Das Virus ist dynamisch, wir müssen es auch sein”
Eine sichere Rechtsgrundlage für notwendige Schutzmaßnahmen in der Pandemie – die hat der Bundestag mit Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im 3. Bevölkerungsschutzgesetz geschaffen. Eindämmungsmaßnahmen müssen stets befristet sein und gut begründet werden. Die Mitspracherechte des Parlaments bleiben.
Mit Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im 3. Bevölkerungsschutzgesetz wurde präzisiert, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 ergriffen werden können. “Das Virus ist dynamisch, wir müssen es auch sein”, betonte Bundesgesundheitsminister Spahn im Deutschen Bundestag. Grundsätzlich gilt: Corona-Schutzmaßnahmen sind nur möglich, da das Parlament eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt hat.
Das Gesetz sieht außerdem vor, dass Maßnahmen, die Grundrechtseinschränkungen beinhalten, an Inzidenzen (also die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen) gebunden werden. Besonders schwere Einschränkungen von Grundrechten – wie Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Ausgangsbeschränkungen und Zugangsverbote zu Pflegeeinrichtungen – sind an besondere Voraussetzungen gebunden – beispielsweise daran, dass andere Maßnahmen nicht geholfen haben.“ (bundesregierung.de vom 18. November 2020)
Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geändert worden ist.
Wer möchte nicht dynamisch sein, in diesen und in allen anderen Zeiten. Bleibt nur noch – genau so dynamisch- die Frage:
Den Gesetzestext findet man hier: http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2693/269319.html
Den Vergleich des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1933 haben öffentlich manche aus dem Querdenkerspektrum gezogen. Ob sie nur davor gewarnt haben oder es mit dem Ermächtigungsgesetz gleichsetzen, kann hier offenbleiben. Die Reaktionen von staatstragend bis links waren diskussionslos zurückweisend.
Nun hat auch die AfD diesen Vergleich im Bundestag wie ein Ticket gezogen, um sich als Opposition zu gerieren.
Das hat sofort heftige und merkwürdig vereinte Reaktionen ausgelöst – ohne jede Begründung, ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung.
Ich kenne keine Diskussion, auch nicht in der Linken, die die verschiedenen Ausnahmezustände verglichen hat und schon gar nicht, welche “legalen Brücken” in der deutschen Geschichte erst zur Demontage von Grundrechten, zu einer “untergesetzlichen Parallelrechtsordnung“ (Heribert Prantl/SZ) geführt haben, was dann in einer Diktatur mündete.
Im Zuge der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der Partei DIE LINKE Jan Korte mit Blick auf die Bezugnahme zu dem Ermächtigungsgesetz 1933 durch die AfD:
“Ahistorische Vergleiche wies der Linke-Politiker gleich zu Beginn seiner Rede zurück: ‘Das ist kein Gesetz, das in die Diktatur führt’. Wer das behaupte, verhöhne die Opfer von Diktatur und diejenigen, die ‘gefoltert, geknechtet und ermordet’ wurden. ‘So weit unten darf man nicht ankommen‘, rief er in Richtung der AfD.” (Junge Welt vom 20.11.2020)
Man bekommt sofort das Gefühl, dass man sich zuallererst und zuvorderst von der AfD distanzieren will. Muss das die Partei DIE LINKE? Dass die AfD nichts gegen eine Diktatur hat, aber ganz viel, wenn sie nicht von ihr angeführt wird, versteht sich doch fast von selbst.
Aber dann ist erst recht eine Debatte in der Linken notwendig, was dieser Corona-Ausnahmezustand mit anderen Ausnahme/Notzuständen gemeinsam hat, was ihn aus welchen Gründen und Umständen von anderen Notverordnungen unterscheidet. Darum dieser “Anstoß”.
Die Debatte ist eröffnet:
“Natürlich darfst du das so nennen. Nur ist das klug?
Warum es meiner Ansicht nach abzulehnen ist, die Notverordnung mit dem Ermächtigungsgesetz zu vergleichen : weil das Ermächtigungsgesetz historisch und im kulturellen Gedächtnis eng mit dem Beginn einer totalitären Diktatur des nationalsozialistischen Regimes verbunden ist – und dies ist eine völlig falsche politische Assoziation.
Eine Notverordnung allerdings ist seit der Antike bekanntlich in politischen Verfassungen vorhanden. Die Diktatur war ursprünglich in der republikanischen römischen Verfassung ein zeitlich begrenztes und durch die Verfassung bestimmtes Amt zu einem bestimmten Zweck insbesondere im Fall äußerer Bedrohung, bei denen die (demokratischen) Organe versagten – richtig ist, dass auch historisch dies ein rechtliches Einfallstor für unkontrollierte macht war, Julius Cäsar wollte die Diktatur auf Lebenszeit.
Der Paragraph 48 der Weimarer Verfassung war der Dooropener für die Aushebelung von Gewaltenteilung, Grundrechten, dem Parlament, der Verfassung, und ermöglichte mit den legalen nationalsozialistischen Staatsstreich – in diesem Sinn verglichen in den 60er Jahren die Gewerkschaften und die studentische APO die Notstandsgesetzgebung der großen Koalition von CDU/CSU/SPD mit dem Ermächtigungsgesetz.
Jedoch auch die Notstandsgesetzgebung von 1968 war nur ein Baustein einer autoritären parlamentarischen Demokratie und keine Vorbereitung einer Diktatur: und genau so sollte sie auch kritisiert werden.
Emil Goldmann”
Die vorangegangenen 17 Corona-Briefe finden sich hier: https://wolfwetzel.de/index.php/2020/09/12/corona-briefe/
Wolf Wetzel
Views: 774