Wer will schon ewig und immer glänzend sein.

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Wer will schon ewig und immer glänzend sein.

Es ist sehr anstrengend, zwischen den Stühlen zu sitzen. Ganz selten ist es ein aparter, reizvoller Ort. Dieses Mal, wie so oft, nicht. Ich gehe im Schwanheimer „Wald“ spazieren. Man ist ganz schnell durch. Dann kommt man auf eine Wiese. Sehr bald setze ich mich auf eine Bank, öffne die Jacke, breite die Arme aus und genieße die Sonne, die Wärme, die letztes Sonnenstrahlen Mitte Oktober.

Wenig später lege ich mich hin und wandere in meinen Gedanken zwischen dem Augenblick und ungefähr 40 Jahre Geschichte. Am Anfang haste ich eher, dann werde ich langsamer, bis die Gedankenkugel stehen bleibt, nicht mehr ausholt. Das ist ein sehr schöner Augenblick.

Ich setze mich wieder auf. Auf der Bank neben mir nimmt ein Pärchen Platz. Er weiß, sie fast schwarz, ich würde auf Lateinamerika tippen. Die beiden schätze ich um Ende 30.

Wir kommen ins Gespräch. Sie sind gerade nach Frankfurt-Schwanheim gezogen und glücklich, eine halbwegs bezahlbare Wohnung gefunden zu haben – für 650 Euro, für etwa 50 qm. Jetzt versuchen sie sich in der neuen Umgebung zu orientieren, fragen nach dem Flughafen.

 

Ich zeige nach oben, folge dem Kondensstreifen und sage: „Der ist gleich hinter dem Wald. Quasi um die Ecke.“

„Wir haben gar nicht gedacht, dass es hier so schöne Flecken gibt.“

„Nun ja, das liegt vielleicht daran, dass es hier die Schwanheimer Dünen gibt, irgendetwas aus der Eiszeit, also ganz lang her, jetzt aber eine Attraktion, mit Sand und Dünen eben. Wahrscheinlich liegt es daran, dass es hier noch diese Wiese gibt. Sonst ständen hier Häuser und Luxusappartements.“

Wir kommen vom Hölzchen zum Stöckchen. Über die explodieren Mieten, zur Finanzmetropole Frankfurt, zu den vielen Menschen, die verdammt viel arbeiten und genau so verdammt wenig Geld verdienen, also sich Frankfurt gar nicht leisten können.

„Die fahren jetzt zwei Stunden zur Arbeit, weil sie hier nichts Bezahlbares finden.“

„Ja, da haben wir wohl Glück gehabt.“

Dann folgen wir dem großen Geld. Er erwähnt die „Pandora Papiere“, die gerade veröffentlicht wurden. Ich lege die „Panama Papers“ daneben, die ein paar Jahren zuvor veröffentlicht wurden.

„Der Skandal ist doch nicht, was in den ‚Pandora Papieren“ drinsteht, sondern der Umstand, dass sich nichts, rein gar nichts geändert hat. Es gibt nicht das geringste Interesse daran, etwas zu ändern.“

Der Mann schaut mich fragend an: „Wie meinen Sie das?“

„Weil alle daran beteiligt sind, also die, die viel Geld und viel Macht haben. Schauen Sie, wenn eine große Firma Bestechungsgelder ausgibt, dann verbucht sie das ja nicht in ihren Bilanzen. Oder?“

„Das wäre nicht besonders schlau. Da haben Sie recht.“

„Also anonymisieren dieses Geld, um es in einem passenden Augenblick ins Spiel zu bringen, ohne dass jemand die Spur des Geldes zurückverfolgen kann. Und das machen Regierungen und Geheimdienste nicht anders.“

Dieses Mal zieht er die Augenbrauen hoch.

„Wenn eine Regierung etwas heimlich unterstützen möchte, eine verdeckte Operation zum Beispiel, dann ist das nicht besonders clever, wenn man dies im Haushalt ausweist.“

Der Mann schmunzelt zustimmend.

„Und bei Geheimdienste ist es nicht anders. Viele Aktionen bewegen sich, sagen wir es einmal vorsichtig, im Graubereich. Dafür hat man schwarze Kassen und die bewegen sich in demselben System, das im so genannten legalen Bankensystem zirkuliert und keine Spuren hinterlassen soll.

Und schließlich fragt der Mann: „Na ja, mit Corona wird ja alles noch schlimmer. Das vergiftete Klima. Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen ist. Irgendetwas stimmt doch da nicht.“

Wir reden über Angst, etwas Falsches zu sagen, über das Hinnehmen, über die duckmäuserische Stimmung.

„Na ja, ich will jetzt nichts vergleichen.“ Er schaut mich prüfend an. Ich mache mit meinen Augenlidern ein aufforderndes Zeichen. Nur zu.

„Ich frage mich jetzt, ob es damals, als der Faschismus immer stärker wurde, ähnlich zuging?“

„Und?“

„Ich habe mich an mein Schulwissen erinnert. Und da kamen die Nazis über Nacht, aus dem Nichts. Jetzt frag ich mich schon, wie sie an die Macht kommen konnten. Wie konnten die aufrüsten und später Krieg führen? Das war doch alles mit dem Versailler Vertrag verboten, oder?“

„Dann hat Corona doch einen Sinn.“

Der Mann schaut mich irritiert an.

„Nein, das war ein Scherz. Ich bin nur immer wieder überrascht, wie vieles man plötzlich in Frage stellt, wenn das Fundament einen Riss bekommen hat. Für einige war und ist die Pandemie und die Corona-Maßnahmen der Auslöser.“

„Eigentlich habe ich längst aufgehört, mich für Politik zu interessieren. Aber jetzt stolpere ich von einer Frage zur nächsten.“

„Was die Zeit vor dem Faschismus angeht, so ist das wirklich ein sehr spannendes Thema. Und wenn man genau Ihren Fragen nachgeht, kommt man zu verblüffenden Antworten, an denen nichts Geheimes ist. Sagt Ihnen die ‚schwarze Reichswehr‘ etwas?“

„Nein.“

„Die ‚schwarze Reichwehr‘ war sozusagen die Antwort auf den Versailler Vertrag, der Deutschland de facto entmilitarisieren sollte. Deutschland sollte nie mehr einen Weltkrieg anzetteln können. Das wollten aber ganz viele und ganz Mächtige in Deutschland nicht. Dazu gehörten die meisten politischen Parteien, also bürgerliche. Die Nazis haben das nur noch übernehmen und fortsetzen müssen.“

„Aber woher kam das Geld? Das sind ja Millionen …“

„Die kamen von denen, die schon den Ersten Weltkrieg angezettelt und ausgestattet hatten. Die Schwerindustrie, die Rüstungsindustrie, die ja nur einen Krieg verloren haben, aber nicht ihr Vermögen und ihren Einfluss. Kennen Sie den Film Babylon?“

„Nein, nein.“

„Das ist ein gut gemachter, atmosphärisch eindrucksvoller Film. Dort wird das Thema der schwarzen Reichswehr auch angerissen. In einer Sequenz des Filmes treffen sich Industrielle Banker, Politiker und hohe Offiziere auf einem herrschaftlichen Gutshof, um die verbotene Aufrüstung abzusprechen und zu koordinieren.“

„Und das hat niemand mitbekommen, also die heimliche Aufrüstung?“

„Das war selbst damals kein großes Geheimnis. Schon gar nicht im Ausland. Man hatte genug Informationen über die geheimen Aufrüstungsvorhaben.“

„Dann hätte man das doch stoppen können. Das verstieß ja gegen den Versailler Friedensvertrag, oder?“

„Ja, aber die meisten westlichen Staaten, wie Frankreich, England und die USA sahen den heimlichen Aufrüstungsplänen sehr wohlwollend entgegen. Denn es richtete sich ja, in den Augen aller, vor allem gegen die ‚rote Gefahr‘, gegen die Sowjetunion. Der Antikommunismus war weit verbreitet, man setzte und vertraute auf die alten Eliten. Und all das wurde auf den Weg gebracht, lange bevor die NSDAP an die Macht gebracht wurde. Und, um auf die Schule zurückzukommen. Das will man in der Schule nicht vermitteln und außerhalb noch weniger.“

Puhh. Das ist alles gar nicht schön.“ Er schaut nach oben, der Himmel ist blau. Es ist ein wirklich schöner Tag.

„Wie halten Sie das alles aus, diese Enttäuschung, die Ohnmacht. Das muss doch extrem frustrierend sein?“

Ich atme tief durch.

„Deshalb gebe ich auch alle paar Monate auf, um dann doch wieder weiterzumachen.“

Ich versuche, mich auf einen Stuhl zu setzen.

„Man muss beides können, also versuchen, es zu können. In das schwarze Loch zu schauen und nach oben, zum blauen Himmel und den Tag genießen.“

An der Antwort kann ich noch feilen.

Wir verabschieden uns. Wir haben bestimmt über eine halbe Stunde miteinander geredet und wir waren zusammen erfreut, über diese zufällige Begegnung.

Ich gehe ins Café und überfliege die Zeitung und bleibe an einem Interview mit der Bestsellerautorin Arundhati Roy hängen. Sie spricht über ihre Wut, wie sie mit ihr umgeht, und den Verhältnissen in Indien, die dieser Wut tagtäglich Nahrung gibt.

Am Ende des Interviews wird sie gefragt:

„Sie haben also Hoffnung?“

Sie antwortet: „Man muss lernen, Hoffnung von der Vernunft zu trennen. Und Hoffnung ist eine Lebenseinstellung. Selbst wenn man alles verliert, hofft man.“

Und dann kommt die letzte Frage:

„Aber die Wut macht einen doch auch fertig, auf Dauer.“

Ja. Aber im Leben geht es doch auch darum, sich zu verausgaben, nicht wahr? Diese Narben, die Schläge, die wir einstecken. Wer will schon ewig und immer glänzend sein?“ (Sie werden kommen, da bin ich mir sicher, Interview mit Arundhati Roy, SZ vom 15. Oktober 2021)

 

Wolf Wetzel                                                   17. Oktober 2021

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