Terror – Ihr Urteil

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Terror – Ihr Urteil | Sie entscheiden!

Dass man bei Wahlen selten bis gar nichts zu bestimmen hat, dass bei Wahlen nur die Puppen, nicht die Puppenspieler zur Disposition stehen, hat einer kaum treffender auf den Punkt gebracht, als der bayrische CSU-Ministerpräsident, Horst Seehofer:
Diejenigen die entscheiden sind nicht gewählt und diejenigen, die gewählt werden haben nichts zu entscheiden!“ (in der Sendung ‚Pelzig unterhält sich’ vom 20. Mai 2010)
Das Gefühl, das man in den letzten zwei Jahrzehnten systematisch und mit Liebe zum Detail erzeugt hat, nennt man nun ein wenig mitleidsvoll: Politikverdrossenheit.
Und die, die dann mit der Politikverdrossenheit Politik machen: Populisten.
Und die ihnen folgen: Wutbürger.
Eine schlaue Analyse, gerade von denen, die allenthalten so ratlos sind, wenn man sie fragt: Warum folgt ihnen kaum noch jemand? Warum schrumpfen „Volksparteien“ trotz Korruption, Medien-back up und illegalen Parteispenden auf Zwergengröße?
Nun hat ein öffentlich- rechtlicher Sender die Führung übernommen, sich weit nach vorne gelehnt und zurückgeschaut: Die ARD.
Das Erste Deutsche Fernsehen hat endlich das geschmähte Volk zu Wort kommen lassen, ihm eine Stimme (zurück-)gegeben. Und zwar nicht als poplige Wähler, sondern als Richter!
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„Sie entscheiden!“ hat die ARD für den 17. Oktober 2016 zur Prime time angekündigt und Wort gehalten.

Das hat dieses Volk verdient und es hat Erfahrung darin, wenn das gesunde oder sowie erhaltene Volksempfinden erzogen und dann abgefragt wird.
Natürlich ist das alles nicht ernst gemeint: Ein Spielfilm über einen Fall, der ausweglos, immer falsche Entscheidungen erzwingt … kurz erzählt:
Berlin, Schwurgericht. Zur Verhandlung steht der Abschuss eines Passagierflugzeugs durch den Luftwaffen-Major Lars Koch. Am 26. Mai um 20:53 Uhr geht im nationalen Lagezentrum für Sicherheit im Luftraum die Meldung der Entführung eines Passagierflugzeugs auf dem Weg von Berlin nach München ein. Der Entführer droht, die Maschine auf ein vollbesetztes Fußballstadion stürzen zu lassen.
Die Anklage: Abschuss eines Passagierflugzeugs
Sofort steigt eine Alarmrotte mit zwei Kampfjets auf. Zunächst versuchen sie, das Flugzeug abzudrängen, geben dann einen Warnschuss ab. Auf beide Manöver reagiert die Maschine nicht. Minutenlang fliegen die beiden Kampfjets neben dem Airbus her. Der Befehl zum Abschuss wird auch auf Nachfrage des Piloten Lars Koch nicht erteilt. Schließlich entscheidet er eigenmächtig, die Maschine abzuschießen. Alle Passagiere, darunter auch Kinder, sterben.
Der Prozess: Schuldig oder unschuldig?
Im Prozess geht es um die Frage: Darf man 164 unschuldige Menschen töten, um 70.000 zu retten?“ (Ankündigungstext)

„Terror – Ihr Urteil“

Darüber sollte und durfte das im Sendebereich lebende Volk abstimmen. Und bei allen Klagen über „Lügenpresse“ und „Systempresse“ … wenn die da Oben nach Unten winken und die Abgehängten und Abgefahrenen befragen, dann sind sie wieder alle vereint und zufrieden, und lassen ihrer Volksseele freien Lauf.
Die ARD gibt das Ergebnis bekannt:
 

„Ihr Urteil lautet: Freispruch

Die Zuschauer haben abgestimmt und das Ergebnis lautet:

13,1 % schuldig

86,9 % nicht schuldig.“

 
An dieser (Fernseh-)Wahl nahmen über sechs Millionen (Fernseh-)Bürger teil. Fast 90 Prozent von ihnen haben sich für die „Gewissensentscheidung“ eines Luftwaffenpiloten entschieden, einem Stauffenberg 2.0 … und erteilten seiner Entscheidung, das zivile Flugzeug mit 164 Passagieren abzuschließen, die telemagische Absolution.
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Mehr noch: Fast 90 Prozent entscheiden sich gegen das Grundgesetz, gegen das Bundesverfassungsgericht/BVerG, die „Hüter der Verfassung“. Denn dieser Fall lag lange vor dem Urteil des „Volksgerichtshofes“ dem Bundesverfassungsgericht vor. 2005 hatte die damalige Bundesregierung das sogenannte Luftsicherheitsgesetz auf den Weg gebracht, gegen dessen Inkraftsetzung geklagt worden war. Dieses Luftsicherheitsgesetz sollte es der Bundesregierung erlauben, im Falle einer Flugzeugentführung den Notstand zu erklären, um das entführte Flugzeug von der Luftwaffe abschießen zu lassen.
Das BVerG hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 gegen das „Volksvotum“ entschieden:

Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.“ (aus dem Urteil vom 15. Februar 2006).

Knapp zusammengefasst: Die Ermordung von Unbeteilgten, um die vermutete Ermordung von Unbeteiligten zu verhindern, ist verfassungswidrig.
Der zugrunde liegende Fall ist also bewusst gewählt worden und alles andere als fiktiv. Der im Film gezeigte Kampfpilot flog quasi im Geist der rot-grünen Bundesregierung.

 „Das Gericht wurde so zum Volksgerichtshof im Wortsinn.“ (Heribert Prantl, SZ vom 19.10.2016)

 Keine Frage: Das ARD kann nichts für das Volk, für diese überwältigende Entscheidung. Wer der ARD den Vorwurf macht, dass man diese Gesinnung öffentlich gemacht hat, trifft den Falschen.
Viel entscheidender ist das Arrangement des Falles. Welche Alternativen standen zur Wahl?
Im Film-Fall standen sich sicherer und möglicher Tod gegenüber: Entweder exakt 164 Passagiere oder maximal 70.000 Zuschauer eines Fußballspieles. Ein gelungene Übersetzung für die Qual der Wahl: Entweder CDU/CSU oder AfD.

Ein Populisten-Porno

„Mit der Methode Schirach & ARD kann man am nächsten Themenabend auch einen Folterer als schuldlos freisprechen. Schirach und die ARD haben aus dem Thema Terror einen Populisten-Porno gemacht.“ (Heribert Prantl, SZ vom 19.10.2016)
Der Spielfilm, die Abstimmung, die anschließende Diskussion mit Experten bot alles auf, was man gegebenenfalls im Werkzeugkasten des Populismus findet:

  • Ein einsamer und gerechter Mann, der sich von niemand aufhalten lässt.
  • Ein Mann, der sich über das Gesetz, über eine handlungsunfähige Regierung hinwegsetzt, im Namen des Staatswohls.
  • Eine Regierung plus „Entscheidungsträger“, die sich bürokratisch, herzlos und sklavisch an die Gesetze halten.
  • Eine bildmächtige Chiffrierung: Die 164 gesichtslosen Passagiere stehen für den Preis der Freiheit, die 70.000 Fußballfans in der Allianz-Arena für das ‚Wir’, das auf dem Spiel steht.
  • Ein Stauffenberg 2.0, der sich dem Führer widersetzt, um dem wahren Nationalwohl zu dienen.

Ein Meisterwerk populistischen Schaffens.
Dennoch und gerade deshalb, muss man die ARD, die Programmdirektoren und – doktoren in Schutz nehmen: Sie haben etwas geleistet, was ansonsten im Bereich des Raunens, der puren Spekulation geblieben wäre. Sie haben öffentlich-rechtlich ausgetestet, was man mit diesem Instrumentarium machen kann –garantiert pegidafrei.
 Ist die Bevölkerung bereit, endlich soweit, dass sie sich selbst (in Gestalt unschuldiger Opfer/Fluggäste) dem nationalen (Staats-)Wohl opfert? Ist sie bereit, das Grundgesetz, die Schutzrechte gegen Staatswohl außer Kraft zu setzen?
Diese 90 Prozent, die dem zugestimmt haben, sind keine Lappalie. Sie sind viel mehr als der „rechte Rand“, als AfD und Pegida zusammen. Sie zeigen, wie groß, wie beschämend breit die Mehrheit ist, die selbst beim Preis des eigenen Lebens, der Staatsraison opfert.
Und sie zeigen noch etwas:
Es gibt eine Große Koalition der Verfassungsfeinde – weit über den ‚Rechten Rand’ hinaus: Wenn über sechs Millionen Fernseh-WählerInnen eine rechts- und verfassungswidrige Entscheidung treffen, die die damalige rot-grüne Bundesregierung in Gesetz gießen wollte, ist damit ein gesellschaftliches Potential ausgeleuchtet, das für einen Regime Change im eigenen Land bereit ist.
Es ist ein Votum, ein Vertrauensvotum für eine präfaschistische und postfaschistische Staatlichkeit – auch hier in Deutschland.
Wolf Wetzel:
Der Rechtsstaat im Untergrund. Big Brother, der NSU-Komplex und die notwendige Illoyalität“, PapyRossa Verlag, 219 Seiten, 14,90 €
20.10.2016
Der von Herbert Pantl angesprochene Fall „Daschner“, der Versuch, Folter demokratietauglich zu machen, findet sich hier:
Der Fall Jakob von Metzler – mehr als ein (schlechter) Film
Über einen Versuch, Folter demokratietauglich zu machen
 
 

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2 Kommentare

  1. Dieses “Abstimmungsergebnis” ist auf keinen Fall repräsentativ. und sagst höchstens etwas über die ARD-Fernsehzuschauer aus, die eine peinlich-fiktive Gerichtsverfilmung mit der Kombination “Plasberg-Talk” als aktivierende Herausforderung für sich selbst annehmen können.
    Wesentliches dazu hat Thomas Fischer in der “Zeit” geschrieben.
    Schon allein die Kombination von Titel – Story-Inhalt – Casting der Protagonisten – “reale” Abstimmung der Zuschauer – natürlich widersprüchliche Diskussionsteilnehmer …
    Wie kam der “Terrosrist” an Bord und hatte er mehr als ein Messer bei sich? Wo versagt die Sicherheitskontrolle in den Flughäfen? Oder wie wäre die Story mit einem “depressiven” Piloten verlaufen? Warum keine Evakuierung des Stadions? >>> eine billige Dramatisierung, als würden alle zu einem “ersten-Hilfe-Kurs” in Terrorabwehr verplichtet, bei dem ein “Gnadenschuß” eine legitime “Rettungsvariante” ist???
    Ich hör damit auf – is echt nicht mein Ding – lieber Barbara Salesch ins Feulleton …
    Wie wäre denn eine Diskussion über Opfervermeidung bei Katastrophen?
    https://www.heise.de/tp/news/542-Tote-in-Haiti-21-Tote-in-den-USA-0-Tote-in-Kuba-3353575.html
    Ungewollt oder zu anspruchsvoll ???

  2. Seit wann hält sich ‘diese’ Regierung oder aber auch Vorhergehende an Recht und Gesetz … ? Gesetze und Regeln werden nicht von Politikern ‘gemacht’ … siehe auch die Hartz-Gesetze …

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