Palästinakarte 1826

Von der Landkarte gestrichen

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Von der Landkarte gestrichen

Viele kennen ihn noch, den filigranen, wendigen Fußballspieler Mesut Özil, der auch für die deutsche Nationalmannschaft gespielt hatte. Damals liebten ihn auch Deutsche, obwohl er ein Türke ist. Das verzeiht man ihm, das trägt man ihm nicht nach, wenn er sich erkenntlich zeigt: Für die Deutschen Fußball spielen und ansonsten – am besten – den Mund halten. Diese Nichtssager und Mitläufer gehören zum deutschen Profifußball. Erst recht einer, der hier Fußball spielen „darf“.

Doch Mesut Özil spielt nicht nur Fußball, sondern hat auch eine Meinung, Also keine Fitnesstipps und sonstigen Blablah, sondern politische Ansichten.

Auch das geht in Deutschland, wenn sie der politischen Klasse gefallen, diese nicht stören.

Das ist anders bei Mesut Özil. Man hat sich sehr darüber aufgeregt, dass sich Mesut Özil mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan gezeigt hatte.

Ich kann dem türkischen Staatspräsidenten nichts Positives abgewinnen. Ich würde nicht neben ihm auf der Ehrentribüne sitzen wollen.

Aber ich will damit nicht den Heuchlern in die Hände fallen. Gerade in Deutschland, wo man – auf ganz stille Weise – hervorragend mit dem Erdogan-Regime kooperiert. Der Milliardenschwere Flüchtlingsdeal gehört u.a. dazu. Darüber verlieren jene, die nun Mesut Özils Nähe zum Staatspräsidenten kritisieren, kein Wort.

Aber nun scheint Mesut Özil noch einen draufgelegt zu haben:

 

 

Er hat auf seinem Instagram-Kanal eine Landkarte gepostet, auf der Israel durchgekreuzt ist – ersetzt durch das Wort Palästina.

 

 

Die Jüdische Allgemeine vom 31.7.2024 weiß dies sofort einzuordnen:

„Für Zweifel bleibt, nicht nur wegen der Vorgeschichte, kein Raum: Die auf der Landkarte ausgestrichenen Gebiete umfassen ausdrücklich das israelische Kernland und nicht nur die 1967 von Israel eroberten Gebiete, die auf der Karte farblich anders gekennzeichnet sind.

Bereits Ende Mai hatte Özil eine ähnliche Kachel auf Instagram gepostet. Darüber hinaus beschäftigt sich der Ex-Fußball-Profi (er beendete seine Karriere 2023 in der Türkei) auch anderweitig mit dem Nahostkonflikt. So postete er eine Kachel, die Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in orangefarbener Gefängniskleidung zeigt, mit der Aufschrift: ‚Kriegsverbrecher. Kindermörder und Genozid. Satanyahu‘.“

Bleiben wir zuerst bei der Sache: Für die jüdische Allgemeine sind große Teile Palästinas (Westjordanland, Gaza, Golanhöhen und Ost-Jerusalem) „eroberte Gebiete“ und keine besetzten bzw. annektierten Gebiete. Das hat zwar nichts mit internationalem Recht zu tun, sondern im besten Fall mit einer militärischen, imperialen Logik. Im anderen Fall gehören die „eroberte“ Gebiete nach biblischem, religiösem Selbstverständnis zu Israel. Das unterstreichen die israelische Armee, das israelische Kriegskabinett und die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten jeden Tag – und seit Monaten mit immer offenerer, ungebremster Gewalt.

Wer also so hemmungslos mit dem Status besetzter Gebiete in Palästina umgeht, regt sich tierisch darüber auf, dass jemand das Mandatsgebiet Palästina eben also ein Land Palästina versteht – weil die Aufteilung (1948) selbst ein kolonialer, imperialistischer Akt gewesen ist. Es gibt nicht den geringsten Grund, dies selbstverständlich hinzunehmen.

Über den virtuellen Strich und den faktischen Strich in dieser Geschichte

Mesut Özil hat mit einem virtuellen Strich Israel durchgestrichen und durch Palästina ersetzt.

Was er tatsächlich damit symbolisch gemeint hat, ist nicht wichtig. Man könnte ihn fragen, zu einer öffentlichen Diskussion einladen. Warum macht man das nicht?

Diejenigen, die die Herren bleiben wollen, und für die unter ihnen reden und selbstverständlich wissen, wie man diejenigen zu verstehen hat, über die man redet, wissen es besser:

Das Wort „Palästina“ steht für so vieles, für so viel Unterschiedliches, wie das Wort „Israel“. Man müsste darüber offen diskutieren! Wie ethnisch darf, muss „Israel“ sein? Wie ethnisch soll „Palästina“ sein? Wie bestimmend, exklusiv ist es, wenn man „Israel“ meint? Wie exklusiv ist „Palästina“ zu verstehen bzw. zu denken?

Bemerkenswert und beherrschend ist doch nicht der virtuelle Strich von Özil auf einer Karte!

Seit 1948 existiert der reale Strich, der Palästina ausgelöscht hat, auch mit Blick auf die imperiale Teilungserklärung. Dem haben keine „Özils“ oder Palästinenser einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern jene imperialen Mächte, die bis heute kein Interesse dran haben, dass es ein Palästina gibt.

Und wie verhält sich die israelische Staatsregierung? Sie machen – im Gegensatz zu Mesut Özil – keinen virtuellen Strich, sondern einen fetten, blutigen Strich. Man unternimmt alles, damit es kein Palästina gibt! Das ist der Strich, über die sich jene aufregen sollten, die sich über Özils virtuellen Strich echauffieren!

Wer macht einen realen Strich unter das Leben von Hunderttausenden Palästinenser, die seit 1948 vertrieben wurden? Wer redet unverblümt davon, der „Nakba“ (Vertreibung) 1948 eine zweite Nakba folgen zu lassen?

Wer macht einen realen, tödlichen Strich durch das Leben von zehntausenden Palästinensern, die seit Oktober 2023 abgeschlachtet wurden?

Wer macht einen Strich durch das Leben von Millionen Menschen in Gaza, die seit Monaten nur noch durch eine Trümmerlandschaft ziehen, mehr vom Tod, als vom Leben begleitet?

Ich bin diese Heuchelei derer leid, die dies hinnehmen, begrüßen und möglich machen – und geradezu aufblühen, wenn sie sich über den virtuellen Strich eines Mesut Özils aufregen „dürfen“.

 

Wolf Wetzel

 

Quellen und Hinweise:

Mesut Özil streicht Israel von der Landkarte, Jüdische Allgemeine vom 31.7.2024: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/mesut-oezil-streicht-israel-von-der-landkarte/

„Diverse“ Bundesregierung und diverse Wolfsgrüße, Wolf Wetzel, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/07/30/diverse-bundesregierung-und-diverse-wolfsgruesse/

Der eliminatorische Nationalismus. Zwischen Krieg und Krieg in Gaza um Palästina, Wolf Wetzel, 2023: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/11/29/der-eliminatorische-nationalismus-zwischen-krieg-und-krieg-in-gaza-um-palaestina/

 

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