Wir haben uns den 3. Weltkrieg verdient
Es gibt gute und verständliche Gründe, die Weltkriegsgefahr kleinzureden und als Alarmismus abzutun. Dieselben halten jedoch die „Reichsbürgerbewegung“ für eine echt große Gefahr, die bis zum Umsturz reicht. Wie passt das zusammen?
Teil I findet sich hier: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/wir-haben-uns-den-dritten-weltkrieg-verdient/
Teil II
„Nichts wird gründlicher vorbereitet, als plötzlich ausbrechende Kriege.“ (Verfasser unbekannt)
„Wir können dabei zusehen, mitmachen oder desertieren.“ (Verfasser mir bekannt)
Air Defender 23 | Nato-Manöver 2023
Air Defender 23 war laut Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius „die größte Verlegungsübung von Luftstreitkräften seit Gründung der NATO“. Rund 10.000 Soldaten mit 250 Flugzeugen aus 25 Staaten operieren vom 12. bis zum 23. Juni 2024 in der Bundesrepublik, vor allem im deutschen Luftraum.
Zentrales Aufmarschgebiet ist Deutschland. Man kann und würde gerne abwinken, denn es gab schon zahlreiche militärische Manöver. Dieses Mal hat es eine in dreifacher Hinsicht eine besondere Bedeutung:
Die Manöver reichen ganz nahe an das Kriegsgebiet heran, an den Krieg in der Ukraine. Neben dem Übungsgeschehen in Deutschland sind „Flugoperationen“ ins Baltikum sowie in Richtung Schwarzes Meer geplant.
Zweitens ist das Szenario, auf das man sich hier einschießen will, an Wahnvorstellungen kaum zu überbieten.
Man kann von einem Napoleon-Hitler-Syndrom sprechen:
„Deutschland, in einem fiktiven Jahr der Zukunft: Die jahrelange Konfrontation der NATO mit dem östlichen Militärbündnis OCCASUS hat den Boden der Bundesrepublik erreicht. Spezialkräfte der Organisation Brückner und andere Truppen von OCCASUS konnten von Osten nach Deutschland eingeschleust werden. Nun halten Luft- und Bodenkräfte die gesamte Region Klebius besetzt, etwa ein Viertel des Landes. Und der nächste taktische Zug ist bereits absehbar: Die OCCASUS-Allianz versucht nach Norden zur Ostsee vorzustoßen und den Rostocker Hafen in Besitz zu nehmen. Dabei nutzt sie eine Mischung aus Sabotageaktionen und den Einsatz von Spezialkräften, die aus der Luft unterstützt werden. Die Folge: Das westliche Bündnis löst den Verteidigungsfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages aus.“
Man muss sich schon ganz besonders dummstellen, um im Jahre 2023 nicht zu kapieren, worum es bei diesem Manöver geht:
Zum einen geht um eine „Verteidigung“, die seit Jahrhunderten schon eingeübt ist: Russland greift demnach an, steht so gut wie vor Paris oder Berlin, und von Napoleon bis Hitler ruft man dann zum „Verteidigungskrieg“ auf, der dann vor Moskau oder Stalingrad verloren wird.
Das Szenario, das hier vorangestellt wurde, stammt nicht von der Satirezeitschrift „Titanic“, sondern findet sich auf der Homepage der Bundeswehr:
Um es klar und unmissverständlich zu sagen: Weder Russland, noch die Sowjetunion waren irgendwann einmal dabei, Deutschland zu überfallen. Sie brauchten auch keinen Hafen, wie den in Rostock. Wenn jemand einen guten und einen berechtigten Grund hat, sich zu schützen, dann war es die Sowjetunion, dann ist es Russland.
Dass diese Wahnvorstellung so lange aufrechterhalten wird, dass sie allen Wirklichkeiten trotzt, liegt eben nicht nur an den „kalten Kriegern“, an der Mischung aus Ewiggestrigen und Viertes Reich-Träumen. Denn was die Nazis mit der „Operation Barbarossa“, den Krieg gegen die Sowjetunion 1941 machten, war eben nicht nur ein faschistischer Traum, sondern eine ganz selbstverständliche imperiale Ideologie, die vom national-bürgerlichen Kaiserreich bis in die Sozialdemokratie hineinreichte.
Wenn heute Grüne und SPD gar nicht genug von der Kriegsrhetorik gegen Russland bekommen, dann müssen sie nicht auf faschistische Lebensraumideologien zurückgreifen: sie können bürgerlich bleiben, ganz im Sinne des Zweites Reiches (1871-1918).
Dieses Luftmanöver weist eine weitere Besonderheit auf: Zum ersten Mal führt die deutsche Bundeswehr das Ganze an. Bislang stellte die Bundesrepublik nur das Gelände, die Flughäfen, also die Logistik. Nun steht die deutsche Bundeswehr wieder an der Spitze. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis von viel Kleinarbeit und ideologischen Neubestimmungen. Galt die Brandts-Entspannungspolitik der 1970er Jahre noch als wegweisend, um das Gebot „Nie wieder Krieg“ in Regierungshandeln umzusetzen, so erfahren wir heute, vom aktuellen SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, wie nun die deutsche Geschichte neu planiert wird:
Am 21. Juni 2022 hielt der „Genosse“ Lars Klingbeil auf der Tiergarten-Konferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Grundsatzrede vor Seinesgleichen. In seinem neuen Deutschland-Bild habe es „nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“. Jahrelang hat man bestenfalls „Verantwortung“ übernommen. Jetzt übernimmt man an der Front das Führungskommando. Heute versteht man vielleicht auch besser, wie Lars Klingbeil auf die knapp 80 Jahre kam. Mit dem letzten Jahr vor dieser enthaltsamen „Zurückhaltung“ war das Jahr 1941/42 gemeint. 1941 begann der Krieg gegen die Sowjetunion, unter dem Decknamen „Barbarossa“.
Dieser Krieg wird sich so nicht wiederholen. Denn selbstverständlich hat man aus dieser militärischen Niederlage gelernt. Jetzt sterben keine deutschen Soldaten. Noch lässt man ganz sicher andere sterben.
Manöver als Selbst-Therapie
Der Krieg muss nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen werden, sondern auch im Kopf. Dafür hat die NATO einen neuen Namen gefunden: Die kognitive Kriegsführung (Cognitive Warfare)
Wenn zum Beispiel die Volksrepublik China vor Taiwan Manöver abhält, dann sind diese eine Provokation, die die eh schon vorhandenen Spannungen verschärfen. Wenn China dort Manöver abhält, dann ist das selbstverständlich eine Drohgebärde, die den imperialistischen Charakters Chinas offenbart.
Wenn die NATO dies nahe dem Kriegsgebiet zur Ukraine macht, dann ist das etwas ganz Anderes. Dann wird der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, ganz esoterisch:
„Diese Übung ist im Signal gegen niemanden gerichtet. Es ist ein Signal an uns, nach innen gerichtet. In die NATO hinein.“
Auch die SPD wird ihrer Rolle gerecht. Wenn es um imperiale Interessen ging (und geht), dann kannte sie keine „Klassen“-Freunde mehr. Sie fiel den Millionen von Menschen in den Rücken, die weder für einen deutschen, noch einen französischen Imperialismus sterben wollten. 1914, als es noch möglich war, den Ersten Weltkrieg zu verhindern, ihn in eine Revolution gegen jeden Imperialismus zu wenden, bewilligte sie die Kriegskredite mit, die die anschließenden Kriegsverbrechen ermöglichen konnten.
Auch 1933, als man der NSDAP zur Macht verhalf, war noch nicht alles zu spät. Der Krieg war noch weit weg, aber man konnte die Vorbereitungen darauf mitbekommen, sowohl was die gigantische Aufrüstung angeht, als auch die kriegerische Rhetorik. Damals wäre sogar ein Generalstreik noch im Bereich des Möglichen gewesen. Doch stattdessen beruhigte und beschwichtige man sich selbst. Die NDSAP würde sehr schnell ihre Sympathie verlieren, wenn sie an der Macht wäre. Und der Krieg, na ja, das lege sich schon wieder. Schließlich könnte es ja auch ganz friedlich ausgehen.
Für einen Umsturz braucht es keine Reichsbürger
Nun ist die Frage sehr berechtigt, warum dann die Ampelregierung so rabiat gegen die „Reichsbürgerbewegung“ vorgeht. Man machte sie für den „Sturm“ auf den Berliner Reichstag 2020 verantwortlich. Man nimmt die Umsturzabsichten ernst. Statt – wie sonst üblich – Beschwichtigungen und Relativierung standen und stehen nun Repressionen und Schreckensszenarien ganz oben auf der Agenda. Das passt doch gar nicht zusammen. Oder doch?
Meine These hat zwei Anker: Zum einen stellt die „Reichsbürgerbewegung“ keine Gefahr dar. Sie spielt im Kontext faschistischer Bestrebungen und postfaschistischen Neuorientierungen keine Rolle. Der Rassemblement national (RN), also die ehemalige faschistische Partei Le PEN in Frankreich, oder Fratelli d’Italia der aktuellen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni rekurrieren wenig auf die glorreiche faschistische Vergangenheit. Meine Prognose ist eher, dass sie auf eine totalitäre Lösung im bestehenden System zusteuern – mit den etablierten Parteien zusammen.
Die Ministerpräsidentin Meloni ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Lange galt sie als eine treuen Mussolini-Anhängerin, die man meiden müsse. Jetzt tourt sie zusammen der EU-Kommissionspräsidenten Von der Leyen (CDU) durch die Welt, um Konzentrationslager im Ausland für Flüchtlinge zu akquirieren.
Für deutsche Reichsfantasien und imperiale Kriegsziele braucht man keine Reichsbürger
Die Reichbürgerbewegung ist diesbezüglich ausdrücklich regressiv und operettenhaft unterwegs. Man will das Kaiserreich zurückhaben, samt autoritär-imperialem Gestus im Geiste der ersten Reichsgründung 1871.
Wenn also die rot-grün-gelbe Regierung mit großartigen Bilder von der Festnahme Heinrich XIII. Prinz Reuß, mit Bildern von Hausdurchsuchungen und gefundenen „Waffenlagern“ ihren entschlossenen „Kampf gegen rechts“ simuliert, dann markiert sie etwas als „rechts“, was der wirklichen Gefahr von „rechts“ die beste Deckung geben soll.
Die „Reichbürger“ sind aber auch aus einem politischen, geostrategischen Gesichtspunkt ein ideales Zupfhuhn. Sie haben immer noch ein groß-deutsches Reich im Kopf, das der Nabel der Welt sein soll: Am deutschen Wesen wird die Welt genesen …
Dieser Imperialismus ist tot, weil die Welt heute eine ganz andere ist. Deutschland kann keinen „Sonderweg“ mehr gehen, sondern muss sich innerhalb der neuen imperialen Weltordnung verorten.
Der bevorstehende Weltkrieg ist kein Systemkampf mehr, also einer zwischen Kapitalismus und Kommunismus/Sozialismus. Es ist ein Kampf zwischen kapitalistischen Staaten, den die bisherigen hegemonialen Mächte im Westen verlieren würden, wenn nach kapitalistischen Regeln „gespielt“ werden würde.
Die alten imperialen Mächte (USA/Frankreich/England/Deutschland) können ihre dominante Rolle nur noch bewahren, in dem sie Krieg führen: zuerst gegen Russland, dann gegen die Volksrepublik China.
Geradezu symbolisch für diesen Entscheidungsprozess ist die Sprengung von Nordstream I und II 2022. Man darf aus gutem Grund darüber spekulieren, ob die Kappung der „Nabelschnur“ zu Russland mit oder ohne deutsches Einverständnis geschehen ist.
Man kann aber auch dem Oberst a.D. Roderich Kiesewetter genau zuhören, der in diesem Terrorismus-Fall auffallend gleichgültig und offensiv rechtsstaatsfeindlich agiert:
„Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter erklärte in einem aktuellen Interview mit ‚Welt‘, es sei ‚egal‘ ob die Ukraine die Nordstream-Pipelines zerstört habe, die Sicherheit der Ukraine sei trotzdem ‚in unserem Interesse‘.“ (multipolar-magazin.de vom 17.8.2024)
Fakt ist in beiden Fällen, dass die Schröder-Linie, mit „beiden“ Seiten Geschäfte zu machen (und zwar hoch profitabel), tot ist und damit die Schlachtordnung eindeutig.
Das neue Weltkriegsdesign
Der bevorstehende Weltkrieg zwischen den alten imperialen Mächten, den UFED-Staaten (USA/Frankreich/England/Deutschland) und den BRIC-Staaten (Brasilen/Russland/Indien/China) muss jedoch gelabelt werden. Man kann ja nicht sagen, dass zwei kapitalistische Blöcke die Welt in Schutt und Asche legen wollen – weil es um Profite geht, die man mit „friedlichen“ Mitteln nicht mehr sichern kann.
Also muss man erklären (können), warum sich dieser Weltkrieg auch für Millionen von Menschen lohnt, die bereits in Friedenzeiten eher prekär als auskömmlich leben.
Wenn man die materiellen Bedingungen der Menschen nicht ändern kann und will (denn nur deren Verarmung macht den Reichtum der Wenigen möglich), dann müssen andere „kostenlose“ Insignien und Additive her, die die Verarmung erträglich machen.
Wenn man daraufhin die Bilder und Berichte anschaut, die man über China und Russland geliefert bekommt, dann sind es genau diese Additive:
- Hier, im Westen, leben wir queer, LSBTIQ*-freundlich, tolerant, gegendert und extrovertiert.
- Dort, in Russlands und China, leben die Menschen mucksmäusenstill, hetero-normativ und traditionell.
- Hier, also im Westen, leben wir folglich frei, liberal und bunt.
- Dort leben die Menschen unter autoritären, oligarchen und autokratischen Systemen duldsam und unsichtbar.
Dieses Image braucht und hypt der Westen, von Love Parade bis sonst was, damit das eigentlich binäre verschwindet: Ein System, das immer unerträglicher wird, auch wenn es drei, vier Klos und 100 Geschlechter gibt.
Wir sollten also auf keinen Hitler 2.0, auf keinen Kaiser Wilhelm 3.0. warten.
Es werden die Baerbocks, die Strack-Zimmermanns und die Kiesewetters sein.
Wolf Wetzel
Quellen und Hinweise:
„Die ganze Welt wartete darauf. Jetzt ist es soweit: die Ukraine stößt mit deutschen Leopard-2-Panzern gegen die Russen vor! Erstmals wurden die deutschen Kampfpanzer auf dem Schlachtfeld gesichtet, sie nehmen den Kampf gegen die russischen Invasoren auf. Die Offensive läuft!“ (BILD/JULIAN RÖPCKE vom 08.06.2023)
Das westliche Bündnis im Kampf gegen die Occasus-Allianz, bundeswehr.de vom 1.6.2023: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/luftwaffe/aktuelles/gopolitisches-szenario-bei-air-defender-23-5630164
Sie wissen, was sie nicht wissen, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2022/08/16/sie-wissen-was-sie-nicht-wissen/
80 Jahre Zurückhaltung, Wolf Wetzel: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/80-jahre-zurueckhaltung/
Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Jonas Tögel, Westendverlag 2023
„Krieg ist Frieden“ – oder: 2024 ist 1984, Leo Ensel: https://globalbridge.ch/krieg-ist-frieden-oder-2024-ist-1984/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_source_platform=mailpoet&utm_campaign=globalbridge-updates-3
Wall Street Journal: Deutsche Stellen waren vorab über Nord-Stream-Sprengung informiert, multipolar-magazin.de vom 17.8.2024: https://multipolar-magazin.de/meldungen/0087
Vorstoß der Ukraine in Kursk. Kommentar: Russland ist nicht unverwundbar, Thomas Franke | 13.08.2024: https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-ukraine-russland-kursk-nato-krieg-deutschland-100.html
Wolf Wetzel
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