Palästina-Kongress in Berlin 2024 – besetzt und dann aufgelöst

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Palästina-Kongress in Berlin 2024 – besetzt und dann aufgelöst

Der Palästina-Kongress begann aufgrund von polizeilichen Schikanen zwei Stunden später. Dann hatten die Veranstalter ungefähr 20 Minuten Zeit, ihr Anliegen anzudeuten. Dann ging die Demokratie offline.

Er begann am Freitag, den 12. April und sollte bis zum 14. April 2024 gehen. Im Zentrum sollte die Anklage gegen die Bundesrepublik Deutschland stehen, die mit Waffenlieferungen an Israel gegen ihre eigenen Grundsätze (Keine Waffenlieferung in Konflikt- und Kriegsgebiete) verstößt.

 

Genauso schwer wiegt der Vorwurf, Beihilfe zum Genozid in Gaza zu leisten

 

 

und jede juristische Untersuchung des vorgebrachten Vorwurfes für haltlos zu erklären.

Im Vorfeld machte man alles, um die Durchführung zu erschweren bzw. zu verunmöglichen. Dazu gehörten Hausdurchsuchungen, Kontosperrungen, Kontaktverbote, Betätigungsverbote und Einreiseverbote.

Das traf unter anderem Ghassan Abu Sitteh, einen palästinensischen Arzt mit Spezialisierung auf plastische und rekonstruktive Chirurgie, sowie Rektor der Universität Glasgow. Er wollte seine Erfahrungen auf dem Kongress mitteilen. Später erfährt man, was er in Deutschland bei der Einreise erlebt hatte:

„Heute Morgen um 10.00 Uhr landete ich in Berlin, um an einer Konferenz zu Palästina teilzunehmen. Wie viele andere aus Großbritannien (UK), den USA und Europa war ich gefragt worden, über die 43 Tage zu berichten, die ich in Krankenhäusern in Gaza verbracht habe. Ich habe dort sowohl im Shifa-, als auch im Ahli-Krankenhaus gearbeitet. Bei meiner Ankunft wurde ich an der Passkontrolle gestoppt. Dann hat man mich in den Keller des Flughafens gebracht, wo ich 3,5 Stunden befragt wurde.

Am Ende dieser 3,5 Stunden sagte man mir, ich dürfe deutschen Boden nicht betreten. Dieses Verbot gelte für den gesamten April. Aber nicht nur das. Sollte ich versuchen, mich per Zoom oder FaceTime mit der Konferenz in Verbindung zu setzen, selbst wenn ich außerhalb von Deutschland sei, oder sollte ich ein Video mit meinem Vortrag an die Berliner Konferenz senden, sei das ein Vergehen gegen deutsches Recht. Ich liefe Gefahr, eine Geldstrafe zu erhalten oder bis zu einem Jahr im Gefängnis zu landen. Dann sagte man mir, ich solle einen Rückflug nach England buchen. Mein Pass wurde mir abgenommen und ich erhielt ihn erst zurück, als ich das Flugzeug bestieg.“ (NDS vom 15.4.2024)

Die Kongresseröffnung am 12.4.2024

2.500 Polizeibeamten sollten ein Klima schaffen, das ein gerichtliches Verbot wirkungsvoll ersetzen sollte. Polizeibeamte sperrten den Veranstaltungsort ab. Die Veranstaltung musste daraufhin über fast zwei Stunden verschoben werden. Der Livestream hielt dabei Absurdes fest: Man sah sehr, sehr lange auf ein leeres Podium. Abwechslung boten Polizeibeamte, die durchs Bild liefen und bei mir den Verdacht auslöste, dass es sich um ein anderes Ereignis handeln müsse. Eine Veranstalterin vertröstete mich und alle andere – ohne die Absurdität dieses Dadaismus zu erklären.

Später fragte sich auch ein Teilnehmer im Zuge der Eröffnung des Kongresses, ob es sich um eine Polizeivorführung mit „palästinensischer“ Beteiligung handele oder um einen Palästina-Kongress mit bewaffneter Polizeipräsenz.

Die Veranstaltung begann mit der Verlesung einer polizeilichen Verfügung. In ihr wurde über zwei Seiten festgehalten, was man sagen darf. Die Veranstalter sollten also eine Verordnung vortragen, in der drinsteht, warum sie nichts sagen dürfen.

Sie sollte in deutsch, englisch und arabisch vorgelesen werden. Schriftlich lag sie in deutsch und englisch vor. Ein arabisch-sprechender Mann übersetzte sie spontan ins arabische. Als die „Belehrung“ beendet war, schaute der Veranstalter in Richtung Einsatzleitung und diese schien zufrieden zu sein. Wenig später konnte die Polizeiführung doch perfekt arabisch und monierte, dass ein Satz fehle. Also musste die Verfügung nochmals in arabischer Sprache verlesen werden.

Der Inhalt der Verfügung hatte in Anwesenheit einer massiven Polizeipräsenz „Anstalt“-Charakter: Man dürfe niemanden mit Gewalt drohen, man dürfe nicht zur Vernichtung aufrufen. Man dürfe nicht diesen, nicht jenen Satz sagen.

Das hätte auch eine Passage aus dem Film von Charly Chaplin sein können: Der große Diktator.

Demokratie offline

Man erklärt ganz in Ruhe, dass es Meinungsfreiheit gibt, solange sie mit der Regierung abgestimmt ist und nicht stört. So beschütze man die Meinungsfreiheit vor ihrem Gebrauch.

Danach hatte die erste Referentin das Wort. Sie sprach etwa 10 Minuten.

Dann fror das Bild plötzlich ein: Offline. Ich dachte zuerst an ein „Netzproblem“. Es war aber nicht das instabile Netz, sondern der sehr robuste und geplante Einsatz der Polizei, der für das Folgende verantwortlich war.

Die Besatzer tragen überall Uniform

Im Vorfeld wurde wie erwähnt alles unternommen, um Stimmung für ein Verbotsverfahren zu machen. Man ließ die Berliner Stadtregierung sprechen, die institutionalisierten jüdischen Einrichtungen und die weitgehend staatlich finanzierte „Zivilgesellschaft“

Doch sehr schnell wurde den Verbotskoalitionären (die ansonsten so arg gegen Verbots – und Boykottpolitik sind) klar, dass es dafür keine juristische Handhabe gibt. Also bemühten sie auch kein Gericht, sondern agierten im extra-legalen Raum. Es ging darum, mit allen Mitteln einen Kongress zu verhindern, indem man ihn mit polizeilichen Maßnahmen und Verfügungen unmöglich macht.

Also riegelte man den Veranstaltungsort ab und hinderte die Teilnehmerinnen daran, zu dem Veranstaltungsort zu gelangen. Dann machte die Polizei ein Angebot: Man könne die Blockade aufheben, wenn die Veranstalter akzeptieren würden, dass die Polizei die Veranstaltung wie eine Demonstration behandelt. Das erlaubt polizeiliche Auflagen und die Präsenz von Polizeibeamten im Versammlungssaal. Es handelte es dabei um einen Akt der Erpressung.

Danach agierte die Polizei so, als wäre die Erde eine Scheibe. Die Veranstaltung wurde in eine Polizeivorführung verwandelt.

Ein Veranstaltungsraum für 650 Personen wurde ad hoc auf 250 Personen dekretiert. Plötzlich änderte sich Feuerschutzverordnungen wie aus Geisterhand. Dennoch fanden neben den 250 abgezählten BesucherInnen auch noch 30 bis 40 Polizeibeamte Platz.

Gleichzeitig bestand die Polizeiführung darauf, dass die Pressefreiheit unbedingt gewahrt werden müsse. Also wollte sie auch für nicht akkreditierte Journalisten den Zugang zu der von der Polizei gekaperten Veranstaltung erzwingen.

Damit war klar, wie viele am Kongress teilnehmen „dürfen“, wer unbedingt rein muss und wer da ist, ohne da zu sein.

Die Anwesenheit eines Nichtanwesenden ist der Grund für Auflösung des begonnenen Kongresses.

Der Historiker Salman Abu Sitta, der ebenfalls ein Einreise- und Betätigungsverbot bekommen hatte, wurde per Video zugeschaltet. Das war dann die Begründung für die Zerschlagung eines Kongresses, obwohl das Anwaltsteam die Polizeiführung ausdrücklich darauf hinwies, dass sie dies bereits in einem ähnlichen Fall erfolgreich durchgeklagt hätten: Die Zuschaltung eines Mannes per Video ist kein Verstoß gegen das „Betätigungsverbot“. Oder der Datenfluss wird ab nun Teil einer psychischen Präsenz.

Die Rechtsanwältin Nadija Samour erklärte laut taz: „Jeglicher Versuch, die Versammlung zu schützen, sei von der Polizei torpediert worden. Es habe keine strafbaren Äußerungen gegeben, was die Polizei auch eingeräumt habe.“ (taz vom 13.4.2024)

Aber die Polizei war nicht da, das Recht zu wahren, sondern es überflüssig zu machen. Also konnte die Begründung auch eine Eingebung Gottes sein.

Wenig später besetzten Polizeibeamte den Raum. Sie stellten den Strom ab. Ganz mutig nahm ein Polizeibeamter die drei Mikrofone als Beute an sich. Die Besucher wurden aufgefordert, den Raum „freiwillig“ zu lassen (in Richtung Süden).

Sie begründeten es damit, dass man sich nicht an die Regeln der Besatzer gehalten habe, dass diese sich beleidigt gefühlt haben, und nun das Recht haben, sich selbst zu verteidigen. Plötzlich ist es wieder da, das Recht.

Sie fühlten sich total im Recht und waren solidarisch mit den israelischen Besatzern … und der deutschen Geschichte.

Man versteht sich und versteht viel von Besatzung.

Ein Mann, der in Berlin Bürgermeister werden konnte, bedankte sich in einem Post umgehend bei der Berliner Polizei für den Einsatz:

„Ich danke der Polizei Berlin für das entschlossene Einschreiten bei dieser Hass-Veranstaltung. Wir haben klar gemacht, welche Regeln in Berlin gelten. Wir haben klar gemacht, dass Israel-Hass in Berlin kein Platz hat. Wer sich nicht daran hält, wird die Konsequenzen spüren.“

Dieser Bürgermeister hätte auch nach 1933 seinen Job gemacht.

Verdacht xyz

Auf der Pressekonferenz zur Zerschlagung des Palästina-Kongresses am 13.4.2024 kamen auch die haarsträubenden Begründungen zur Sprache. Aber auch die Rolle der kapital-gedeckten Medien in Deutschland, die viel bis alles dafür taten und tun, alles zu kriminalisieren, was die imperialen Interessen Deutschlands stören könnte. Selbstverständlich gehört dazu auch die führende Rolle bei der Bewaffnung Israels und deren ausdrückliche Weigerung, die israelischen Kriegsverbrechen in Gaza im Hinblick auf ein Genozid prüfen zu lassen.

Zu diesen Medien gehört auch die Frankfurter Rundschau (FR). So titelt diese am 12.4.2024 im Endlosschleifenmodus:

„Wegen Verdacht auf Antisemitismus: Polizei verbietet Palästina Kongress“

Dann folgen schwammige bis verharmlosende Erklärung, die jede/r Journalist/in, die/der nur halbwegs seinen Job ernst nimmt, beim Namen nennen könnte:

„In Berlin hat die Polizei den am Freitag (12. April) begonnenen Palästina Kongress bereits während des ersten Panels verboten. Die Veranstaltung im Stadtteil Tempelhof, die von Freitag bis Sonntag hätte stattfinden sollen, darf nun gar nicht mehr stattfinden.

Zuvor hatte die Polizei den Kongress während einer Videobotschaft des  Historikers Salman Abu Sitta unterbrochen.

Kurz darauf stellte sie den Strom in den Räumlichkeiten der Veranstaltung ab. Ein Video auf Social-Media-Kanälen legt die Vermutung nahe, dass die Beamt:innen hierfür die Tür zum Technikraum aufgebrochen haben.“ (FR vom 12.4.2024)

 

Immerhin bekommt die Redaktion die : (Doppelpunkte) gut hin. Alles andere ist doch ziemlich dumm und komplizenhaft:

Es ist nicht auf Aufgabe der Polizei und die sie führende Stadtregierung, darüber zu befinden, wer auf dem Kongress reden soll und darf.

Und wenn man selbst auf absurde Rechtsbegründungen Rücksicht nehmen will, der weiß, dass eine Videobotschaft nicht mit einem verhängten Einreiseverbot gerechtfertigt werden kann. Selbst die zurzeit praktizierte Rechtsprechung in D. gibt das nicht her.

Die Begründung für die Zerschlagung des Kongresses ist also vorsätzlich gesetzlos. Das wissen auch alle im Berliner Rathaus, in denen untergeordneten Abteilungen, von Polizei bis Medienhof.

Man exekutierte und sekundierte das Exekutiv-„Recht“, das konstitutionelle Rechte bewusst außer Kraft setzt und ein wesentlichen Merkmal für totalitäre Regime ist. Erinnert sei an die „Justizreform“ in Israel oder in Ungarn.

Zu dieser Verdummungsstrategie gehört auch die eingeübte Blödheit: Man bringt einen Vorwurf in den Verdachtsraum der Spekulation, wie die Tatsache, dass die Polizei den Strom abgestellt hatte, weil ihr die Unterbindung des Livestreams am aller wichtigsten war. Man sieht in Videos, die nicht im Darkroom zu sehen sind, wie Polizisten den Raum zur Stromversorgung aufbrechen – was die Polizei auch später bestätigt. Aber der FR-Redakteur raunt sich in ein „mutmaßlich“ hinein.

Umstritten! Ach so. Alles klar

Und dann findet die FR immer wieder in ihrer offenen Sympathie für Rechtsbrüche auch eine messerscharfe Begründung: Der Kongress, die TeilnehmerInnen, die Referenten, die Besucher … seien „umstritten“.

Machen wir es weniger schwammig: Die journalistische Beteiligung an der Vertuschung von Kriegsverbrechen ist nicht umstritten.

Man kann den Inhalt dieses FR-Berichts auch auf drei Satzbausteine und eine Zeichensetzung kondensieren: antisemitisch, mutmaßlich, umstritten und

: : : : : : : 

 

Aufgrund der Zerschlagung des Palästina-Kongresses gab es am 13.4.2024 eine Pressekonferenz und danach eine Demonstration, an der über 2.000 Menschen teilgenommen hatten. Die schwerbewaffnete Polizei fühlte sich von Sprechchören und Gesängen, die sie nicht verstand, angegriffen. Darauf „antwortete“ sie mit neun Festnahmen.

Die ARD berichtete am Abend über vieler- und allerlei und verlor kein Wort über die völlig fehlende Rechtsgrundlage der Zerschlagung des Kongresses und über die Demonstration am selben Tag.

Das nennt man Doppeldeckung. Man hat ausführlich denunziert und alle zu Wort kommen lassen, die den Kongress mit der Propagierung von Hass, Gewalt und Verbrechen in Verbindung bringen wollten, während sie zur Wirklichkeit von Hass, Gewalt und Verbrechen schweigen. Dann hat man rechtsfrei den Kongress besetzt und zerschlagen und ist mit dem Ergebnis zufrieden. Wenn die Veranstalter Jahre später mit der Klage Recht bekommen, dann hat doch alles eine Ordnung.

Man muss nicht nach Nordkorea reisen, um totalitärer Regime zu studieren.

Wolf Wetzel

Publiziert im Magazin Overton am 16.4.2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/palaestina-kongress-in-berlin-besetzt-und-dann-aufgeloest/

Quellen und Hinweise:

Berlin Polizei verbietet Palästina-Kongress mit Yanis Varoufakis: Anja Dierschke erklärt, 12.4.2024, 3:38 Minuten: https://www.youtube.com/watch?v=RnTr0qU5-pg

Hass-Gipfel in Berlin? Oder Palästina-Kongress, Wolf Wetzel, 2024: https://overton-magazin.de/top-story/hass-gipfel-in-berlin-oder-palaestina-kongress/

Wegen Verdacht auf Antisemitismus: Polizei verbietet Palästina Kongress, FR vom 12.4.2024: https://www.fr.de/politik/palaestina-kongress-berlin-hamas-krieg-israel-gaza-polizei-verboten-93008165.html

Staat verbietet Solidarität, jW vom 13.4.2024: https://www.jungewelt.de/artikel/473230.repression-staat-verbietet-solidarit%C3%A4t.html

Waffe der ‘Staatsräson‘, Antisemitismus und politischer Diskurs. Zur Entgrenzung eines Begriffs, Gerhard Hanloser, jW vom 27.3.2024: https://www.jungewelt.de/artikel/472255.begriffsschindluderei-waffe-der-staatsr%C3%A4son.html

Betätigungsverbot“ für Varoufakis? taz vom 13.4.2024: https://taz.de/Palaestina-Kongress-in-Berlin/!6004217/

Yanis Varoufakis: My Berlin speech on Palestine that German police entered the venue to ban – and whose publication here led to my being banned from Germany!

https://www.instagram.com/p/C5s8caVMnpL/

Dieser Mann darf in Deutschland nicht über seine Jugend reden, Karin Leukefeld, 2024: https://globalbridge.ch/dieser-mann-darf-in-deutschland-nicht-ueber-seine-jugend-reden/?utm_source=mailpoet&utm_medium=email&utm_campaign=globalbridge-updates-3

Ghassan Abu Sittah, a British-Palestinian doctor über sein Einreiseverbot und die Drohungen:

https://www.instagram.com/reel/C5rIzyJrfYF/?igsh=MTZsdW14eWppOHJiZw%3D%3D&fbclid=IwAR37IehHu4hFGuZ4qPt0pNROVy-gnSutav1nr3aMPCuoJXZD8aKL2SQbCJo_aem_AcZZ2hJUFG_6_UooLww4L15-07c39oZTw055RPL_Wy3PRwSUWRFptRfM9vzhDBbNWZmgN2UPTdcfeiv61-SkqgE9

Beweise begraben, Zeugen zum Schweigen bringen, Karin Leukefeld, NDS vom 15.4.2024: https://www.nachdenkseiten.de/?p=113863

 

 

 

Palästina-Kongress in Berlin: Besetzt und dann aufgelöst

Wolf Wetzel

 

 

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