Wenn der Verweis auf den Holocaust nicht Staatsverbrechen ächtet, sondern rechtfertigt.

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Wenn der Verweis auf den Holocaust nicht Staatsverbrechen ächtet, sondern rechtfertigt.

Der „Holocaust“ wird fast einhellig als einmalig, als einzigartig hervorgehoben. Aber warum wird der Holocaust immer wieder erwähnt, um die Vertreibung von PalästinenserInnen und israelische Besatzung zu legitimieren? Geht es bei diesem Salto rückwärts darum, alles darunter zu etwas ziemlich Gewöhnlichem zu machen?

 

Die Scho‘ah-Überlebende Ruth Haran aus dem Kibbutz Be’eri sprach im November 2023 von einem „erneuten Holocaust“.

„Der 7. Oktober sollte der israelischen Öffentlichkeit ganz explizit und unmittelbar vermitteln, dass sich ein neuer Holocaust jederzeit wiederholen kann.“ (Deborah Hartmann/Tobias Ebbrecht-Hartmann, taz vom 4.11.2023)

Der Bürgermeister von Metula, David Azoulai, erklärte, dass „der gesamte Gazastreifen leer sein muss. Abgeflacht. So wie in Auschwitz. Möge es ein Museum für die ganze Welt sein, in dem sie besichtigen kann, was Israel tun kann. Niemand soll im Gazastreifen wohnen, damit die ganze Welt das sehen kann, denn der 7. Oktober war in gewisser Weise ein zweiter Holocaust.

Das bestätigte auch der deutsche Generalleutnant der Luftwaffe der Bundeswehr Ingo Gerhartz: „Ich habe in den beiden Tagen, an denen ich hier bin, immer wieder gehört, dass man bei dem, was am 7. Oktober geschehen ist, Parallelen zum Holocaust zieht. Ich kann dies sehr gut nachvollziehen, wenn man die menschenverachtende Brutalität, die Art und Weise, wie Kinder, Frauen und Männer abgeschlachtet worden sind, betrachtet.“ (Jüdische Allgemeine vom 7.11.2023)

Wenn man sich einig wäre, dass der Holocaust tatsächlich einzigartig ist, dann wäre jeder Versuch, ein Ereignis in diese Nähe zu rücken bzw. zu parallelisieren, ein unredlicher Akt. Für gewöhnlich handelt man sich den Vorwurf des Geschichtsrelativismus ein, wenn zum Beispiel Palästinenser ihr Nicht-Leben in Gaza mit dem Holocaust vergleichen.

Wenn dies aber auf „israelischer“ Seite geschieht, dann macht man einmal eine Ausnahme. Warum?

Ein furchtbares Ereignis hat ein Momentum und eine Geschichte

Die erwähnten Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann verweisen in ihrem Essay zu recht auf eine notwendige Kontextualisierung des 7. Oktober, also eine Einordnung, die weit über den einen Tag hinausreichen muss.

Sie schreiben: „Kontextualisierung der Gräueltaten vom 7. Oktober, die nicht in Relativierung mündet, sollte sich zunächst die ideologischen Grundlagen der Hamas und ihrer staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützer bewusst machen und diese als solche benennen.“

Diese Aufforderung ist immens wichtig, wenn man sich Ereignisse nicht wie eine Wurst zurechtschneidet. Doch ihre Aufforderung hat eine sehr bewusste Schlagseite: Warum erwähnen sie nicht, dass eine Kontextualisierung des 7. Oktober ebenso verlangt, dass man sich die ideologischen Grundlagen einer Netanjahu-Regierung und ihrer staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützer (von Ultra-Orthodoxen, Faschisten und bewaffneten Siedlern) bewusst macht und diese als solche benennt?

Der sehr verständliche Wunsch, Unerträgliches einzuordnen

 

Ich frage mich sehr oft, wie ich die Bilder aushalte, die ich seit Wochen aus Gaza sehe, sehen muss? Und immer wieder bemühe ich meinen Verstand, mit der Bitte, das einzuordnen, damit diese Bilder und Eindrücke nicht haltlos durch meine Seele torkeln.

Dann frage ich mich, wie israelische Soldaten einen solchen Krieg führen können, ohne selbst dabei zu sterben, kaputtzugehen. Damit meine ich nicht eine feindliche Kugel oder eine Rakete. Man weiß aus den vorangegangenen Kriegen, dass israelische Soldaten selten sterben und so gut wie immer siegen.

Ich meine das innere Sterben, das erleiden, was man nicht dem Feind antut, sondern den Kindern, den Frauen, den Großeltern, also den meisten, die in diesem Krieg in Gaza sterben.

Das kann kein 7.Oktober, kein einer Tag erklären.

Aber vielleicht ist es der Holocaust, also das, was an Erzählungen, Erinnerungen und Gefühlen übrigbleibt, bei den Israelis, die heute leben und in Gaza das „Selbstverteidigungsrecht“ ausüben, seit über drei Monaten und dabei wesentlich mit sich selbst kämpfen.

Vielleicht ist es genau diese Erinnerung, die ständig wachgehalten wird, um das zu rechtfertigen, was seit fünf Monaten geschieht. Man ruft das aller Schlimmste wach, um das Schlimme zu tun. Man ruft das Einmalige wach, um das zu tun, was dann ja etwas Anderes ist.

„Die Taktik, Palästinenser mit Nazis in einen Topf zu werfen und zu schreien, dass eine weitere Shoah bevorstehe, befreit (…) gewöhnliche Israelis von ‚jeglichen moralischen Beschränkungen, da jemand, der von der Vernichtung bedroht ist, sich von allen moralischen Erwägungen befreit sieht, die seine Bemühungen um seine Rettung einschränken könnten‘. Juden, schrieb Evron, könnten schließlich ‚Nicht-Juden als Untermenschen‘ behandeln und ‚rassistische Nazi-Haltungen‘ wiederholen.“ (Pankaj Mishra)

Die Zitate von Boaz Evron, einem israelischen Kolumnisten, stammen aus dem Jahr 1980.

Dann kann man fast alles tun.

Vor ein paar Tagen drang die Nachricht rinnsalartig zu uns durch, nachdem sie auf ausländischen Sendern verbreitet wurde, dass am 29. Februar 2024 ein UN-Hilfskonvoi in Gaza von Palästinenser geplündert worden sei und dass die Fahrer aus Angst die Menschen überfahren hätten.

 

Dazu zeigte man eine Drohnen-Sequenz der israelischen Propagandaabteilung, die sofort verfügbar war. Man sieht aus großer Höhe Hunderte von Punkten, die sich bewegen. Dazwischen sieht man in Umrissen LKW’s. Dann ist diese Sequenz zuende. Das sollte beweisen, dass die israelische Armee an den über 100 Toten nicht schuld sei.

Die öffentlich-rechtlich-privaten Anstalten stellten diese Militärversion nicht in Frage. Man war dankbar für diese Erklärung.

Man wollte damit ohne moralische Skrupel sagen, dass die Palästinenser an allem, also auch daran selbst schuld sind.

Erst lassen sie sich einschließen. Dann flüchten sie in ihrem eigenen Gefängnis. Dann hungern sie und jetzt plündern sie auch noch und werden Opfer ihrer eigenen Gier.

Mehr moralische Verwahrlosung auf Seiten der Kriegstreiber und Kriegsertüchtiger geht kaum.

Wie bei fast allen Kriegslügen war dies recht leicht zu widerlegen. Das merkt man daran ganz schnell, wenn Gewissheiten alle paar Tage neu angepasst werden. Als unbestreitbar war, dass israelische Militärfahrzeuge in unmittelbarer Nähe waren, erklärte man, dass man – zum Schutz des UN-Hilfskonvois – Warnschüsse in die Luft abgegeben habe. Das stimmt nur dann, wenn Palästinenser für israelische Militärs Luft sind.

Die Ärzte, die noch in Gaza sind, berichten von zahlreichen Schussverletzungen. Und es gibt auch Filmszenen, wo man klar und deutlich Schüsse hört, in unmittelbarer Nähe zu den UN-Lastwagen.

Die Washington Post gehört zu wenigen Zeitungen, die nicht nur israelische Militärnachrichten weiterreichen, sondern – soweit dies geht –selbst recherchieren. Am 1. März 2024 veröffentlichten sie ihren Bericht:

„Verzweiflung und Tod umgeben eine Hilfslieferung im nördlichen Gazastreifen. Es war der Hunger, der Ibrahim al-Rifi am Donnerstag um zwei Uhr morgens aus seinem Haus in Gaza-Stadt vertrieb. Es war Monate her, seit er im vom Krieg zerstörten nördlichen Gazastreifen Brot für seine Frau und seine Töchter finden konnte. Mehl wurde für fast $ 1.000 pro Beutel verkauft, und selbst das Tierfutter, an das sich viele gewandt hatten, ging zur Neige. Einige Leute essen Gras, haben die Vereinten Nationen gesagt. (…) ‚Ich ging, um ihnen Essen zu bringen, und kehrte mit Tod und Blut beladen zurück‘, sagte Rifi.

Dieser Bericht über die Tragödie basiert auf 12 Interviews mit Augenzeugen, Ärzten, Helfern sowie israelischen Militär- und UN-Beamten. Darüber hinaus Analyse von Dutzenden von Videos, einschließlich eines bearbeiteten Videos, das von den israelischen Streitkräften veröffentlicht wurde, zeigt, dass Menschenmengen rannten und sich duckten, während leblose Körper in der Nähe von zwei israelischen Panzerfahrzeugen auf der Straße lagen.“

Es geht nicht um das Überleben der Menschen in Gaza

Wer „Washington Post“ hört, verbindet damit angenehme Erinnerungen. Sie war es, die die „Watergate-Affäre“ in den 1970er Jahren in Gang setzte, um die fortgesetzte Kriegsführung unter US-Präsident Nixon gegen Vietnam und alle nationalen, parlamentarischen und internationalen Gesetze anzuprangern.

Doch die Washington Post ist nicht mehr die Alte. Sie hat nur überlebt, weil sie für schlappe 250 Millionen US-Dollar aufgekauft wurde. Der Mann mit einem laut Forbes geschätzten Vermögen von rund 200 Milliarden US-Dollar hat sie eingesteckt: Der Amazon-Gründer Jeff Bezos, ein Jo Biden Fan.

Wenn also diese neoliberale Zeitung eines Milliardärs diese Recherche macht, dann geht es nicht um Gaza, sondern um US-Innenpolitik, um das Überleben der Jo Biden Regierung. Sie ist materiell von Milliardären und Millionären abhängig und parlamentarisch von Millionen Stimmen von „schwarzen“ und „braunen“ Stimmen. Von alle den Menschen, die eine Kolonialgeschichte haben und dies nicht vergessen.

Und um diese Stimmen geht es, wenn im November 2024 in den USA gewählt wird. Wenn Jo Biden gegen Trump gewinnen will, muss er diese Stimmen gewinnen.

Nur deshalb liefert die jetzige US-Regierung Waffen an Israel, um den Krieg gegen Gaza fortzusetzen und Hilfslieferungen per Fallschirm, um Stimmen im eigenen Land einzufangen.

Diese Doppelzüngigkeit ist nicht neu. Sie passiert jetzt nur gleichzeitig: Die israelische Armee töten mit dem Geld der US-Regierung Hungernde und obdachlose Menschen in Gaza und die US-Regierung wirft Zelte und Nahrungsmittel ab, um sich selbst zu retten.

 

Über Tier- und Untermenschen

Aber was treibt israelische Soldaten dazu, Kinder, Frauen, Männer zu ermorden, die dem Verhungern für ein paar Tage entkommen wollen?

 

Was treibt eine Militärführung an, dieses Vorgehen zu decken und das Bild von den „Tiermenschen“, das sie selbst in die Welt gesetzt haben, zu füttern? Ein Bild, das nah am „Untermenschen“ steht.

 

Was machen die israelischen Soldaten, nachdem sie Hungernde erschossen hatten? Umarmen sie ihre Kinder? Essen sie gut und ausgiebig zusammen zu Abend. Bekommen die Kinder noch einen Gutenachtkuss?

Dass es in einem Krieg auch, also auch dazu kommen kann, dass versehentlich Zivilisten getötet werden, ist Bestandteil eines Krieges, wenn man alles daransetzt, dass die „Lösung“ ein Krieg ist.

Aber diese Situation am 29.2.2024 hat nichts mit einem außer Kontrolle geratenen Kriegsgeschehen zu tun. Sie ist die Umsetzung dessen, was einige in der israelischen Regierung laut und unmissverständlich angekündigt hat: Die Auslöschung von Gaza.

 

  • „Es ist ein ganzes Volk, das verantwortlich ist … Wir werden kämpfen, bis wir ihr Rückgrat brechen.“ (Präsident Jitzchak Herzog am 14. Oktober 2023)
  • Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“ (Verteidigungsminister Yoav Gallant am 9. Oktober 2023)
  • „Ich möchte der Welt sagen, was man über mich in Israel längst weiß: Gaza ist mir egal. Gaza ist mir im wahrsten Sinne egal. Sie können im Meer schwimmen gehen.“ (May Golan, Ministerin für die Förderung des Status von Frauen von Israel, am 13. Oktober 2023 im Interview mit ILTV)

 

Was nach der ethnischen Säuberung und der Zerstörung kommen soll, ist auch kein Geheimnis. Wenn es nach dem israelischen Finanzminister und Faschisten Bezalel Smotrich geht, der sich selbst als „faschistischer Schwulenhasser“ (https://archive.is/mFUoh)” bezeichnet und die Existenz der Palästinenser leugnet, sagte am 1. Februar 2024,

  • dass die Erlaubnis humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen gegen die Ziele des israelischen Krieges verstößt: „Ich habe diesbezüglich mit Netanjahu gesprochen und das wird sich bald ändern.” (https://twitter.com/QudsNen/status/1752959438128927207)

 

Dem schließt sich eine post-palästinensische „Vision“ an: Er präsentierte den Plan zum Bau von 7.000 Siedlungsprojekten in Gaza. Bis heute ist von denen, die beständig und beliebig auf den Holocaust verweisen, nichts gekommen, was diese einflussreichen Worte und die daraus folgenden Taten charakterisiert.

 

Der „dritte“ Holocaust?

Wenn das, was an einem Tag, am 7. Oktober 2023 in Israel passiert ist, das Massaker an Zivilisten und die Geiselnahme von etwa 150 Zivilisten, ein „zweites Holocaust“ ist, dann stellt sich die Frage, wie man die folgenden fünf Monate im besetzten Gaza, mit der fast kompletten Zerstörung der zivilen Infrastruktur, mit dem bewussten Aushungern der Bevölkerung, mit dem über 30.000 ermordeten Menschen in Gaza, mit den über 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht (ohne Fluchtmöglichkeiten) … wie man das in die Geschichte der Völkermorde einordnet?

Man ahnt, wenn man die Logik nicht austauscht, sondern strikt beibehält, was dies bedeuten würde.

8.3.2024

Publiziert im Magazin Overton am 12.3.2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/wenn-der-verweis-auf-den-holocaust-nicht-staatsverbrechen-aechtet-sondern-rechtfertigt/

 

Quellen und Hinweise:

UN-Gedenken. 7. Oktober als Wiederholung des Holocaust, Israelnetz vom 30. Januar 2024: https://www.israelnetz.com/7-oktober-als-wiederholung-des-holocaust/

Einfach weitermachen ist unmöglich. Seine genozidale Botschaft unterscheidet den 7. Oktober von früheren Angriffen auf Israel: Sie steht in direktem Zusammenhang mit dem Holocaust: https://taz.de/Essay-zum-Angriff-der-Hamas/!5967960/

Desperation and death surround an aid delivery in northern Gaza, washingtonpost.com vom 1.3.2024: https://www.washingtonpost.com/world/2024/03/01/gaza-aid-delivery-stampede-shots/

Ist der Gazastreifen ein Konzentrationslager? Wolf Wetzel, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/02/21/der-krieg-der-israelischen-armee-in-gaza-besiegt-nicht-den-terror/

Ein wütender Kommentar von Ana Kasparian zu dem mörderischen Angriff auf hungernde Menschen in Gaza vom 1.3.2024 im Kanal „The young turks“: https://www.facebook.com/PalestinianStreetNews/videos/792421562904074/

 

 

 

Nachtrag/Ergänzung

Ein sehr aufmerksamer Overtonleser hat auf ein paar wichtige Aspekte aufmerksam gemacht, die man dazu denken kann und sollte. Der Leser hat ein paar Sätze (kursiv) herausgegriffen, um dann seine Ergänzungen und Anmerkungen anzuschließen.

Besonders fand ich seinen Verweis auf die Kolonial- und antikoloniale Geschichte, in der sich auf sehr besondere Weise Adorno imperialistische Rechtfertigungen und ideologische Rechtfertigungsdiskurse überschneiden.

 

„Aber warum wird der Holocaust immer wieder erwähnt, um die Vertreibung von PalästinenserInnen und israelische Besatzung zu legitimieren?“

Warum? Na, weil schon Adorno und Horkheimer gestern und ihre antideutschen Jünger und „Antifas“ (ungleich Antifaschisten) heute ihren Hass gegenüber den Freiheitskämpfen und Revolutionen der kolonialisierten Verdammten mehr schlecht als recht verbergen konnten. Wie heißt es bei Adorno?

‚Das faschistische Wunschbild heute verschmilzt ohne Frage mit dem Nationalismus der sogenannten unterentwickelten Länder (…). Einverständnis mit denen, die in der imperialistischen Konkurrenz sich zu kurz gekommen fühlten und selber an den Tisch wollten, drückte schon während des Krieges in den Slogans von den westlichen Plutokratien und den proletarischen Nationen aus.‘

Genau – die Verdammten dieser Erde und den Versklavten der Peripherie (von der Palästina eben ein Teil war und ist) treibt nicht der Wunsch nach Gerechtigkeit an, sondern bloße Gier am „imperialistischen Tisch“ teilzuhaben.

Das Zitat stammt aus dem Jahr 1959. Wie Losurdo deutlich macht, hat drei Jahre zuvor Nasser den Suezkanal nationalisiert und die Araber dazu aufgerufen das koloniale Joch abzuschütteln. Dafür wurde er dann von Anthony Eden (seinerzeit der Sunak Großbritanniens) als „islamischer Mussolini“ tituliert. Schon damals wurde also Ägypten, ein Land, das seine nationale Souveränität und territoriale Integrität zurückgewinnen wollte, als faschistisch und seine Unterstützer, die UdSSR und die VR China, als antisemitisch und strukturell mit den faschistischen Ländern konvergent erachtet, während die wahrhaftig antisemitisch, faschistisch und kolonialistisch agierenden Länder als feine Herren präsentiert wurden. Den Opfern unterstellte man neben blanker Gier also auch noch schlicht Faschismus.

Und was hat das jetzt mit dem Holocaust zu tun? Nun, Zitat Losurdo: ‚Mit dem Nazismus und dem Schrecken der „Endlösung“ abzurechnen, würde also bedeuten, sich von der antikolonialen Revolution zu distanzieren.‘

Genau darum geht es. Die antikoloniale Revolution gegen den Westen soll abgewürgt werden. Damals wie heute. Die Werte von 1789/1917 (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) sollen neutralisiert werden. Damals wie heute. Wie heißt’s bei Heine?

Es ist eine alte Geschichte / Doch bleibt sie immer neu

Stabil.

Das bestätigte auch der deutsche Generalleutnant der Luftwaffe der Bundeswehr Ingo Gerhartz.

Gerhartz, Gerhartz… ach ja, Kongo-Otto! Äh Luftwaffe-Ingo. Der, der mit Taurus die Krimbrücke vernichten (vulgo einen Beitrag zur Beseitigung russischer Untermenschen leisten) will, nicht wahr? Die moderne Wiederkehr der Richthofens.

Die „menschenverachtende Brutalität, die Art und Weise, wie Kinder, Frauen und Männer abgeschlachtet worden sind“, die das Post-Maidan-Regime den Bewohnern des Donbass, die Israelis den Bewohnern von Gaza und dem Westjordanland (nicht erst seit „drei Monaten“ und nicht erst seit 10/07!) und der gesammelte Westen der Peripherie seit Äonen angedeihen lässt, ließ ihn selbstverständlich kalt. Denn das sind keine Menschen, sondern Verdammte der Erde. Sie sind die undermen oder schlicht subhuman scum, die Luftwaffe liebt es ja heutzutage so mit englischen Floskeln um sich zu schmeißen wie ihre Vorväter mit Bomben. Kurzum: es sind zu neutralisierende Objekte, aber keineswegs als gleichwertig zu erachtende Menschen. Die alte Logik eines so rassistischen wie imperialistischen Regimes. Die alte Logik der stolzen (deutschen) Rechten. Und eben beileibe nicht nur auf Israel beschränkt. Diese Denke ist für den gesamten Westen konstitutiv, da sie systemimmanent ist.

Wenn dies aber auf „israelischer“ Seite geschieht, dann macht man einmal eine Ausnahme. Warum?

Weil Israel Teil des kollektiven Westens ist, wenn auch in einer besonderen Form. Würde es nicht dazu gehören, würde kein Schwein nach den Opfern der Shoa krähen. Die Opfer des Porajmos kennt man ja auch nicht und die Opfer des Genozids von Leningrad sind vergessen worden, beziehungsweise man wirft Russland – dem Rechtsnachfolger der Sowjetunion, die diesen kolonialistischen Vernichtungskrieg abwehren musste – vor sie zu instrumentalisieren. Unsere Leute instrumentalisieren natürlich nie was. Wir sind ja die Guten, der Wertewesten. Dieselbe Täter-Opfer-Umkehr wie oben bei Ägypten.

Ich frage mich sehr oft, wie ich die Bilder aushalte, die ich seit Wochen aus Gaza sehe, sehen muss? Und immer wieder bemühe ich meinen Verstand, mit der Bitte, das einzuordnen, damit diese Bilder und Eindrücke nicht haltlos durch meine Seele torkeln.

Wissen Sie, Herr Wetzel, ich bin ein zu alter Hase, um mich darüber noch sonderlich aufzuregen. Diese Haltung ist traurig, ich weiß (zumal ich halb so alt bin wie sie), aber nach all den Leichenbergen und Lügenkampagnen des Westens in den letzten Jahrhunderten, den Fotos aus Mỹ Lai, Abu Ghuraib, Belgrad – um nur ein paar Beispiele zu nennen – wundert einen schlicht nichts mehr. Oder den Verdrehungen wie Trnopolje (noch jemandem ein Begriff?).

Diese Bilder und die dazu gelieferten O-Töne sind Signaturen des Westens, die Hintergrundmusik des Systems in dem wir leben (müssen). Sie sind schlicht Alltag. Wie die Obdachlosen, deren Verrecken in einer Unterführung zum städtischen Ambiente gehört. Wie die Tränen der Würgergeld beziehenden Mutter, die ihren Kindern erklären muss, dass schon wieder „Toastbrotzeit“ ist. Oder die weggeworfenen Leben, die in den Wüsten dieser Welt verrecken oder im Dschungel oder im (Mittel)meer, entwurzelt von den Sanktionen, Bomben und sonstigen guten Werten der uns Beherrschenden und verlockt mit der Aussicht in unseren Fabriken und Paketzentren schuften zu dürfen…

So traurig und widerwärtig ist das alles. Ich wünsche Ihnen viel Kraft sie am haltlos durch die Seele torkeln zu hindern.

Dann frage ich mich, wie israelische Soldaten einen solchen Krieg führen können, ohne selbst dabei zu sterben, kaputtzugehen.

Es gibt genug, die daran kaputtgehen. „Breaking the Silence“ hat schon seit Jahren viele Beispiele dessen gesammelt und da ging es oft nur um die „normale“ alltägliche Kolonialbesatzung. Aber die meisten sind doch schon lange innerlich gestorben. Wenn nicht werden sie irgendwann verrückt. Die Soldaten wuchsen nun einmal in diesem System auf, haben ihr Ureigenes als Kinder verdrängt oder verdrängt bekommen. Die zurückbleibende seelische Leere wird gefüllt mit Opiaten und Surrogaten wie Konsum, Ideologie und Hass – und eben dem Glauben die Auserwählten zu sein und den als Feind markierten Anderen (in diesem Fall: die Palästinenser) für alles verantwortlich machen und – vor allem – ihn ausmerzen zu dürfen. Ihn opfern zu dürfen, wenn er schon nicht Opfer sein darf.

Vielleicht ist es genau diese Erinnerung, die ständig wachgehalten wird, um das zu rechtfertigen, was seit drei Monaten geschieht. Man ruft das aller Schlimmste wach, um das Schlimme zu tun.

Nun solche nationalen Mythen und Erinnerungen – und hier haben wir es im Sinne von Vamık D. Volkan mit einem gewählten Trauma zu tun – werden gerne bei Kriegseinsätzen beschworen. Dies gilt insbesondere für Gruppen, deren Angehörige in der Vergangenheit Subjekt kollektiver Viktimisierungserfahrungen war. Die Erinnerung an diese Erfahrungen kann politisch aufgeladen sowie generationenergreifend tradiert werden und wird durch neuerliche Bedrohungsakte in Krisenzeiten schlagartig revitalisiert. Jener Prozess kann in der „Idealisierung des Opferstatus“ münden sowie die Eigengruppenbevorzugung und Abgrenzung nach außen enorm verstärken.

Aber die anderen westlichen Länder sind da auch keinen Deut anders. Es liegt aber m.E. eben weniger an der konkreten Erinnerung als an dem System. Die Erinnerungen und sonstige Ideologien sind austauschbar, das Prinzip, nach welchem das System verfährt, dagegen das immergleiche. Das immergleiche Widerwärtige.

Man wollte damit ohne moralische Skrupel sagen, dass die Palästinenser an allem, also auch daran selbst schuld sind.

Ja natürlich sind die Palästinenser an allem schuld. Sie sind der Andere. Ihr Problem ist weniger was sie sagen oder tun als was sie sind. Ihr Problem ist, dass sie schlicht da sind. Sie sollen aber nicht da sein, sie sollen verschwinden. Nach Jordanien (das ist doch Palästina, sagen viele in Israel), nach Ägypten, nach dahin wo der Pfeffer wächst. Oder eben ins Feuer.

Wie bei fast allen Kriegslügen war dies recht leicht zu widerlegen.

Das spielt aber schlicht keine Rolle. Man muss eine Lüge nur oft genug wiederholen, um sie wahr zu machen. Der vorgebliche „Fakt“ spielt dann keine Rolle mehr. Nicht die Wahrheit bestimmt, was im Geschichtsbuch steht oder in den Abendnachrichten kommt, sondern jene, die das Buch oder die Nachrichten schreiben.

Wer „Washington Post“ hört, verbindet damit angenehme Erinnerungen.

Nein, definitiv nein. Die WaPo hat schon immer unter den Bedingungen des herrschenden Regimes geschrieben und die Interessen bestimmter Kapitalseiten vertreten. Das hat nicht erst mit der sog. „neoliberalen Wende“ oder dem „Washington Consensus“ eingesetzt. Mit den Punkten, dass es um Innenpolitik (wenn auch weniger im etatistischen als im systemischen Sinne) geht, mögen Sie gleichwohl nicht unrecht liegen.

wie man das in die Geschichte der Völkermorde einordnet?

Na, als Kollateralschäden natürlich. Die undermen hätten ja rechtzeitig „fortziehen“ oder beim Bombenalarm in den Keller gehen können. Ach, sie hatten keinen Keller? Na, dann zur Seite springen. Ach, ging nicht? Nun, dann eben irgendetwas anderes. Und wer nicht fortzieht ist ohnehin selber schuld. Denn der Westen und seine Satelliten machen eben keine Fehler, Schuld ist immer nur der Andere selbst.“

 

Wenn der Verweis auf den Holocaust nicht Staatsverbrechen ächtet, sondern rechtfertigt

 

 

 

 

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