Über PEGIDA, AfD und GROKO … und darüber hinaus

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Über PEGIDA, AfD und

GROKO und  … darüber hinaus

 

Seit ein paar Jahren quälen uns PEGIDA-Versionen und Medien mit dem Phantomschmerz besorgter Bürger. Kaum eine Stadt wird von diesen PEGIDA-Applikationen verschont.

Am 19.10.2015 demonstrierten ca. 20.000 PEGIDAisten in Dresden – 15.000 dagegen und Tausende Polizisten schützten diese Aufstellung zwischen Hell – und Dunkeldeutschland. Das politische Establishment demonstrierte mit einem Bein für ein „weltoffenes, tolerantes“ Deutschland, während es mit beiden Beinen fast genau das in Gesetze und Verordnungen gießt, was PEGIDA ohne Sprachperücken fordert.

Auch Frauke Petrys Aussage von der AfD, man müsse Flüchtlinge an der Grenze notfalls erschießen, sorgte für große Empörung, während man sich an über 20.000 Flüchtlinge längt gewöhnt hat, die im Mittelmeer ertrunken sind. Die dafür Verantwortlichen sind dabei in aller Regel nicht laut und schrill. Sie rufen nicht „Hurra“. Sie sorgen nur dafür, dass es passiert – dass es nicht verhindert wird.

Wie damit umgehen? Worin besteht Einigkeit zwischen PEGIDAfD und GROKO? Wie groß ist der Unterschied zwischen dem, was die AfD denkt und dem, was die Regierungparteien tun? Benutzen die Regierungsparteien uns und PEGIDAfD gar gleichermaßen?

Wiederholt sich hier etwas, was in den 90er Jahren mit der in Regierungskreisen angestifteten „Asyldebatte“ (Das Boot ist voll) begann, in Pogromen (der Straße) aufging und 1993 mit der de facto Abschaffung des Asylrechts (§16 des GG) gekrönt, also belohnt wurde?

In der Tat: Vieles erinnert an die Pogrom-Zeit Anfang der 90er Jahre, an das Wechsel- und Zusammenspiel von oben und unten, an die erschöpfende Dynamik, die hektische Skandalisierung und ihre stille Systematisierung.

Damals ging es den Regierenden darum, das Asylrecht in seinem Kern abzuschaffen. Kein Neonazi, keine Wutbürger hatten dieses Thema auf dem Schirm. Es war eine Debatte, die von oben in Gang gesetzt wurde und ganz gezielt und gewollt eine reaktionäre Mobilisierung der Straße erreichen wollte. Die Regierenden täuschten Handlungsunfähigkeit vor (wir sind an die bestehende Gesetzeslage gebunden) und die da unten verstanden: Jetzt müssen wir handeln – quasi mit Regierungsauftrag. Dann passierte das, was einer solch hoheitlichen Aufforderung folgen muss: Pogrome an vielen Orten, über 150 Ermordete. Dann meldete sich die Regierung mahnend zu Wort und bot sich als Erlöser an: Wir schmieden einen nationalen (parteiübergreifenden) Konsens, schaffen das Asylrecht ab … und ihr geht wieder nach Hause und lasst uns machen.

Die „Lichterketten“ des anständigen Deutschlands (also in die Gegenwartssprache übersetzt: Helldeutschland) begleiteten diesen Verstaatlichungsprozess zivilgesellschaftlich. Das Ergebnis zeigt bis heute Wirkung: Was Bürger und Neonazis über mehrere Jahre ungeordnet gemacht hatten, wurde nun institutionalisiert: 1993 wurde mit einer satten Zweidrittelmehrheit (also auch mit den Stimmen der SPD) das bestehende Asylrecht ruiniert und demontiert.

Die öffentlich geförderten Pogrome verschwanden und plötzlich konnte auch die Polizei wieder rassistische Straftaten aufklären und neonazistische Gruppierungen von der öffentlichen Bühne verweisen. In dieser regierungsamtlich geförderten Pogromstimmung entstanden der NSU und auch das Konzept eines neonazistischen Untergrundes.

PEGIDA bis AfD – eine gut ausgeleuchtete Seitenstraße?

Tausende, Zehntausende stellen sich seit ein paar Jahren gegen diese verschiedenen PEGIDA-AfD-Applikationen. Und während wir mit einem Teil der politischen Klasse Stellung beziehen, vollzieht diese ganz leise – und ohne massive Proteste – weitere Verschärfungen: Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, die „größte und umfassendste Veränderung des Asylrechts seit Anfang der neunziger Jahre“, so der damalige Innenminister Thomas de Maizière von der CDU ganz stolz.

Und während wir uns über den Hass der PEGIDAfDisten auf Flüchtlinge aufregen, kündigte die deutsche Bundesregierung „Transitzonen“ entlang der Grenze an, die jetzt „Registrierungszentren“ heißen. Wenig später kommen „Ankerzentren“ ins Gespräch, in und/oder außerhalb Europas, um den „Asyl-Tourismus“ (Markus Söder, bayrischer Ministerpräsident) zu unterbinden. Oder weniger verkehrs- bzw. verwaltungstechnisch formuliert: Hier wird PEGIDA in GROKO-Fassung Realität.

Anders gesagt: Während wir gegen PEGIDAfD und ihren Wahn demonstrieren, verschiebt die Bundesregierung den Rechtsstaat in Registrierungs- und Ankerzentren. Diese schaffen nichts anders als Zonen der Entrechtung (z.B. Residenzpflicht), das Eindampfen von nationalen und internationalen Rechtsgarantien.

Und selbst dort, wo sich nicht einmal PEGIDAfD herantrauen, an Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, da ist die deutsche Bundesregierung mehr als sprachgewandt: So brachte Bundesinnenminister de Maizière die Einschränkung „subsidiärer Schutzrechte“ für syrische Flüchtlinge ins Spiel. Mir Erfolg: Was ein Recht war, ist nun ein Gnadenakt: Das würde bedeuten, dass deren Aufenthaltsberechtigung befristet wird, ein Familiennachzug ausgeschlossen wird.

Lassen wir uns in eine Seitenstraße abdrängen, wo wir uns an PEGIDAfD aufreiben dürfen, damit auf den Hauptstraßen alles störungsfrei durchgewunken werden kann?

Haben wir Angst, auf die Hauptstraße zu gehen, weil wir ahnen, dass wir dort in die Fußtapfen eines Godzilla treten – wie im NSU-Fall, wo die Konfrontation mit dem Staatsanteil am neonazistischen Terror zu einer „Schockstarre“ geführt hat?

Dass sich Jakob Augstein, Herausgeber der Wochenzeitung Freitag diesem Fußabdruck nähert, ist erstaunlich und erfreulich: in seinem Beitrag „Im Zweifel links. Der Faschismus lebt“ weist er zu allererst die plumpen Erklärungsversuche für das PEGIDAfD-Syndrom zurück:

„Die Rechten werden mit Abscheu betrachtet und als Idioten beschimpft. Der Verfall der bürgerlichen Kultur wird beklagt. Die Fähigkeit zum Gespräch wird vermisst. Das Internet wird beschuldigt. Oder die verfehlte Erziehung. Aber das sind nur die Symptome, nicht die Ursachen. Nach den Ursachen wird erstaunlich wenig gefragt. Das liegt daran, dass wir das Denken in sozioökonomischen Begriffen verlernt haben. Oder es nicht wagen.“

Man reibt sich die Augen: Jakob Augstein verweist auf sozioökonomische Veränderungen, also auf kapitalistische Ursachen. Ein Blick, den sich viele Linke ersparen und sich stattdessen mit Ideologiekritik gegenseitig überbieten.

Er verweist auf die über fünfzehn Millionen Menschen, die prekär leben bzw. in der permanenten Angst, ihren prekären ‚Wohlstand‘ zu verlieren. Dafür macht er nicht die Menschen verantwortlich, sondern einen Kapitalismus, das herrschende System:

Und was bleibt (…), wenn es das einzige Versprechen, das ihm eigen war, nicht hält: das Versprechen des materiellen Wohlstands? Nichts. Und von diesem Nichts zum Faschismus ist es nur ein kleiner Schritt. In Dresden und anderswo tut eine wachsende Zahl von Menschen gerade diesen Schritt.“

Ob die 20.000 in Dresden und anderswo tatsächlich diesen einen Schritt gemacht haben, soll hier nicht ausgeführt werden.

Augstein beendet seine Einschätzung mit dem Satz: „Wir haben aufgehört, an eine bessere Welt zu glauben.“

Ob es diese bessere Welt im Kapitalismus gibt, geben kann, sagt er nicht. Genauso wenig sagt er, worum diese „Koalition der Angst“ nicht jene angreift, die ihre Leben ruinieren, sinnlos und perspektivlos machen. Haben die vielleicht genau so viel Angst wie wir – in die Nähe des besagten Fußstapfens zu kommen?

Ich weiß, das ist eine unerträgliche Annäherung. Wir können uns davon am besten distanzieren, indem wir es – mit unseren bescheidenen Mitteln – anders machen.

Wenn wir aufhören, das hier Angerissene vom Rand aus zu betrachten, sondern vom politischen und ökonomischen Machtzentrum aus, wenn wir das reaktionäre Rollback von der Mitte aus betrachten, um von dort aus die Rolle und Bedeutung der Neonazis, der PEGIDAfDisten zu bestimmen.

Nicht die Fragen trennen uns: Wie lebe ich? Wovon leben wir? Welchen Preis zahlen wir – welchen zahlen andere? Wieviel schlucken wir, wieviel nehmen wir in Kauf, damit es nicht uns erwischt?

Es müssen die Antworten sein, nicht die gute Gesinnung, die uns unterscheidet, unterscheidbar macht. Die PEGIDAfDisten machen die Flüchtlinge, die Fremden für ihren mickrigen Lohn, für unbezahlbare Wohnungen, für sprachlose Ehen und schlechtes Wetter und nun auch noch für die schlecht spielende Nationalmannschaft verantwortlich.

Ihnen das auszureden, ist so erfolgreich, wie einen Nagel in eine Wand zu schlagen, die es nicht gibt.

Es geht darum, die realen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu benennen und sich ihnen entgegenzustellen. Das wäre mehr als berechtigte Ideologiekritik. Es wäre ein gemeinsamer Kampf um ein „besseres“ Leben, das sich nicht gegen unten „behauptet“, sondern gegen oben durchsetzt.

Gelänge es uns wieder, soziale, gesellschaftliche Fragen emanzipatorisch zu beantwortet, wäre die „konformistische Rebellion“ der PEGIDAfDisten das, was sie ist: die widerlichste Form, Demütigungen zu ertragen, indem man in der Jagd auf schutzsuchende, um Menschenwürde kämpfende Menschen zu sich selbst findet.

Wolf Wetzel

2018

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