Polizeimord am Duisburger Arbeiter Günther Routhier und die Rote Hilfe. Von Markus Mohr

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Polizeimord am Duisburger Arbeiter Günther Routhier und die Rote Hilfe

 

Günter Routhier war auch dabei

In der Gewalt der Polizei

Er war ihr Opfer, ich sag’ es laut

Grad weil der Richter jeden jagt

Der sich das laut zu sagen traut!

Günter Routhier, ein Arbeiter

Frührentner, wie so mancher, der

Sein Leben im Betrieb ruiniert

„Der ist ein Bluter!“ schrien die Leut’

Das hat die Polizei gehört!

Den Günther Routhier schleppten sie

Die Treppe runter wie ein Vieh

Schleppten ihn ins Präsidium

Schleiften ihn dort – kopfunten – hoch

Brachten ihn um, ja! brachten ihn um

Zwei Wochen später war er tot

Und in der Stadt gab’s ein Verbot

Walter Mossmann, Ballade vom zufälligen Tod in Duisburg, 1976 (Auszug)

 

Am 5. Juni 1974 findet im Arbeitsgericht von Duisburg um 10.30 Uhr der Prozess um die Entlassung des Aktivisten der Partei KPD/ML Hanfried Brenner bei Mannesmann-Hüttenwerke statt. Brenner hatte in der Firma für 22 entlassene Kollegen zu einem gewerkschaftlich nicht konzessionierten Streik aufgerufen und war deswegen fristlos gefeuert worden. In der Mai-Ausgabe der KPD/ML-Betriebszeitung Röhrenkieker war dazu aufgerufen worden, den anstehenden Arbeitsgerichtsprozess zu besuchen und diesen zum „Tribunal gegen die Mannesmann-Kapitalisten und ihre Handlanger“ zu machen. Die Partei erklärte, dass es darum gehe, „den Prozeß revolutionär zu führen, d.h. die Angeklagten müssen die Ankläger sein.“  Im Verhandlungssaal des Arbeitsgerichtes am Sonnenwall ist Platz für 25 Personen. Die Plätze sind etwa zu zwei Drittel besetzt, davon durch neun Beamte des 14. Kommissariats der Polizei (Staatschutz) in zivil, die auf ihren möglichen Einsatz gut vorbereitet waren. Weitere zwanzig Uniformierte sind vor Ort und harren in Wartestellung. Von der Partei werden unmittelbar vor dem Verhandlungstermin in der Hauptgeschäftsstraße vor dem Arbeitsgericht Transparente u.a. mit der Forderung „Sofortige Wiedereinstellung des Kommunisten Hanfried Brenner bei Mannesmann“ aufgespannt.

Nachdem sich das Gericht zu einer Beratung zurückzieht, nutzt Brenner die Gelegenheit in dem gut gefüllten Saal einen Artikel aus dem Zentralorgan der Partei Roter Morgen (RM) vorzulesen. Dann geschieht nach einem zehn Tage später veröffentlichten Bericht im Zentralorgan folgendes: „Auch das (um 13.00 Uhr) wieder einziehende Gericht muß sich den Artikel bis zu Ende anhören. Während das Gericht anschließend verkündet, daß die Anfechtung des Genossen abgelehnt wird, beginnen die Genossen im Saal die Internationale zu singen. (…) Als dann Genosse Hanfried entschlossen das Fenster des Gerichtssaales zur Hauptgeschäftsstraße öffnet und eine Rede an die Passanten auf der Straße beginnt, in der gegen die politischen Entlassungen spricht und den gewaltsamen Sturz der kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsordnung propagiert, springen zivile Polizeibeamte, die bis dahin ruhig im Saal gesessen hatten, auf und begangen gemeinsam mit den Gerichtsdienern ohne Vorwarnung eine üble Schlägerei gegen die Genossen im Saal. Sie blockierten die Eingänge und prügelten wie wild drauf los. Ein Genosse, der sich besonders wehrte, wird von ihnen zu dritt auf den Boden gepreßt, minutenlang schlagen sie auf ihn ein. Eine Genossin wird gefährlich am Hals gewürgt, ins Klo gezerrt und eingesperrt, doch wieder von Genossen befreit. Ein 50-järiger Mann, der mit seinem Sohn zum Prozeß gekommen war, wird ebenfalls von den Polizeischlägern gepackt, in die Stuhlreihen gestürzt, verprügelt, aus dem Saal gezerrt und die Treppe hinuntergestoßen, wobei er mehrmals mit dem Kopf auf den Boden schlägt und schließlich ohnmächtig liegen bleibt. Zivilpolizei und Gerichtsdiener sind in der Überzahl, uniformierte Polizei, die hinzukommt, gelingt es, die Genossen in Handschellen und Knebelketten zu legen. (…) Die (sechs) Festgenommenen wurden in Polizeiwagen zur Wache gebracht. Der verletzte ältere Kollege wurde im Polizeiwagen einfach auf den Boden geworfen, wo er vor Schmerzen immer wieder aufstöhnte. Sein Sohn der dabeisaß weinte, weil er fürchtete, sein Vater, der die Bluterkrankheit hat, stirbt. `Holt doch einen Arzt! Mein Vater, der stirbt!´ Aber die Polizeischläger scherte das nicht im Geringsten: `Was geht er auch in das Gericht´ höhnte der eine. Ein anderer lachte: `Märchenstunde ist morgen. ´ Auf der Wache angekommen, packten sie den Vater, der vor Schmerzen schrie, auf eine nackte Holzpritsche – in eine Ausnüchterungszelle mit gepolsterten Türen, damit man ihn nicht hören konnte. (…) Einer Genossin, die sich wehrte, drohten sie, sie würden ihr alle Finger brechen, ein anderer Genosse wurde währenddessen geschlagen. Und bevor sie schließlich entlassen wurden, wurde einem Genossen noch angekündigt, es würde jetzt Anzeigen hageln: Wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, Gefangenenbefreiung, Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch, Körperverletzung usw. und eine Beleidigungsanzeige gegen eine Genossin, weil sie einen der Polizeischläger `Schwein´ genannt hat.“ (RM Nr. 24 v. 15.6.1974)

 

Die rote hilfe nennt den Namen des Erschlagenen

Am gleichen Tag als dieser Bericht im Roten Morgen erscheint, verbreitet die als Suborganisation für die KPD/ML aktive Provisorische Zentrale Leitung der roten hilfe★ (PZL) ein Flugblatt (FB), dass auch als eine Pressemitteilung (PM) verbreitet wird. Darin wird der Name des mit seinem Sohn zum Prozess gekommenen. „verletzten älteren Kollegen“ bekannt gemacht: Günther Routhier. Mehr noch: Nun wird von einem „Mordanschlag“ gesprochen: „Inzwischen – zehn Tage später liegt er unter künstlicher Beatmung in der neurochirurgischen Abteilung der Essener Universitätsklinik. Er ringt mit dem Tod und es ist so gut wie sicher, daß er sterben wird.“ Die Rote Hilfe bewertet den Polizeieinsatz im Arbeitsgericht als „einen bewußten und kaltblütigen Mordanschlag“ der wieder einmal beweise, dass „die Kapitalistenklasse und ihr Staat skrupellos über Leichen“ gehe. Je mehr sich der Klassenkampf verschärfe, „umso mehr greift der bürgerliche Staat zum Mittel des faschistischen Terrors.“ Von ihr wird dabei „der Mordversuch an G. Routhier“ in eine Reihe weiterer zeitgenössisch begangener „Verbrechen“ durch den Staatsapparat gestellt, und benennt hier unter anderem:

  • die „Ermordung“ des Taxifahrers Günter Jendrian Ende Mai 1974 während der Fahndung nach der RAF in München „durch ein Killerkommando der Polizei“;
  • den „Meuchelmord an dem türkischen Arbeiter Danes Neset“ in Norderstedt durch die Grauen Wölfe;
  • und den „Mordversuch der Polizei an Thomas Hytrek in Frankfurt“ durch einen Wasserwerfeinsatz im direkten Zusammenhang mit den Protesten gegen Fahrpreiserhöhungen.

Die rote hilfe ★ sieht in diesen „Opfern“ eine „Verpflichtung für jeden zu kämpferischer tätiger Solidarität“ mit der man die „Anstrengungen im Kampf zum Sturz der Unterdrückerherrschaft (…) vervielfachen“ solle. Am Ende ihrer Stellungnahme verspricht die rote hilfe ★ den Opfern und ihren Angehörigen „jede mögliche Unterstützung.“ (FB v. 15.6.1974)

 

Verbotene Demonstrationen und eine Obduktion unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Am Dienstag, den 18. Juni wird Günther Routhier um 11.00 Uhr für tot erklärt. Noch für den gleichen Abend meldet die KPD/ML eine Kundgebung in Duisburg-Wanheim an, die jedoch umgehend von der Polizei verboten wird. Es sei „anlässlich ihres Aufzuges am 1. Mai 1974 in Duisburg-Hamborn sowie auch anlässlich des Arbeitsgerichtsprozesses in Duisburg am 5.6.1974 (…) zu tätlichen Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei gekommen“ heißt es in der Verbotsbegründung und dass sich die „unfriedlichen Absichten“ der geplanten Kundgebung „auch aus der Anmeldung der obigen Veranstaltung (ergäben), in der in höchst provozierender und aufreizender Weise von einem `Mordanschlag der Polizei´ die Rede ist“. (2) Doch die Partei, so steht es dann in einem „Bericht von der Kundgebung am Todestag Günthers“ dachte gar nicht daran „zurückzuweichen.“ Als auf dem Kundgebungsort, dem Michaelsplatz, „zig Mannschaftswagen“ und „zwei Wasserwerfer“ präsent waren, zog sie sich „zunächst vor der Übermacht der Bullen“ zurück, um dann „inmitten der Massen“ in der 200 Meter entfernten Fußgängerzone eine Kundgebung abzuhalten. „Über zwei Megaphone hielt ein Genosse eine mutige Rede über den Mord an Genossen Günther, (und) prangerte die Mordtat des kapitalistischen Ausbeutersystems an.“ (2)

Zwei Tage nach der verbotenen Kundgebung kann man in der Neuen Ruhr-Zeitung (NRZ) einen Artikel um einen „Streit um die Teilnahme“ an einer Neurochirurgischen Abteilung der Essener Universitätsklinik lesen. „Erstmals“ sei gestern „im Klinikum die Polizei zur Hilfe gerufen“ worden, weil einige Medizinstudenten der Hochschule verlangten, an der Obduktion eines Mannes teilzunehmen, der im Artikel als jemand benannt wurde, „der mit der KPD/ML sympathisierte“. Der Mann sei in „der Nacht zuvor im Essener Klinikum an den Verletzungen gestorben, die er sich bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei in Duisburg zugezogen hatte.“ Doch „nach einer Erklärung des ASTA der Gesamthochschule habe der zuständige Arzt die Teilnahme mit der Begründung verweigert, daß die Studenten lediglich ein politisches und kein medizinisches Interesse an dem Fall hätten“ wogegen der ASTA „aufs schärfste“ protestierte. Im letzten Satz des Artikels steht dann vermerkt: „Die Staatsanwaltschaft nach der Obduktion: Tod durch Gehirnblutung. Gewalteinwirkung sei nicht festzustellen.“ (NRZ v. 20.6.1974) Was nicht in dem Beitrag steht: Neben den Medizinstudenten war auch die Vertrauensärztin von Günther Routhier Elisabeth Gedeon von der Obduktion ausgeschlossen worden. Ihr wurde von Oberstaatsanwalt Lindemann mitgeteilt, dass sie die Interessen von Frau Routhier vertrete, „also nicht neutral“ sei, wie Gedeon in einer Stellungnahme ausführte. Sie konnte aber noch beobachten, dass „drei Beamte der Kripo Duisburg, unter ihnen Viefer, der Chef der politischen Polizei“ bei der Obduktion anwesend waren – vermutlich auch deshalb, weil diese von der Staatsanwaltschaft als „neutral“ eingeschätzt wurden. (2)

Ergänzt werden die Beobachtungen von Frau Gedeon durch Aufzeichnungen von Medizinstudenten des Klinikums Essen, die gleichfalls von der Obduktion ausgeschlossen worden waren. Unter der Überschrift „Polizei schützt Spurenbeseitigung“ steht in einer diesbezüglichen Dokumentation vermerkt:

„11.30 Uhr: Der Staatsanwalt, Viefer – politische Polizei (hat G. Routhier auch verhört) und ein weiterer steht vor dem Gebäude. Eine Ärztin, die G. Routhier seit Jahren kennt, und als Vertreterin der Ehefrau zugegen sein soll, wird von Professor Adebar Sekretärin an den Staatsanwalt verwiesen. Der Staatsanwalt erklärt ihr: „Nur der Richter kann über ihre Anwesenheit bei der Sektion entscheiden. Außerdem nützt ihnen das nichts. Sie können das nicht verwerten, das steht dann alles in den Akten, die dem Rechtsanwalt zum Termin zugestellt werden.“

12:00 Uhr: 6 Kommilitonen gehen in die Sektionsräume der Pathologie. Sektionsgehilfe S.: „Sie müssen hier raus Anordnung von Chef!“ Wir bleiben, Prof Adebar (der Gerichtsmediziner, der die Sektion durchführt) kommt. Einer der Medizinstudenten stellt die Forderung auf, daß die Teilnahme der Ärztin gewährleistet wird, damit die Vertuschung dieses Polizeimordes verhindert wird. Adebar: „Jetzt ist es aus. Das ist eine Unterstellung. das ist eine Beleidigung. Mit ihnen rede ich nicht mehr. Ich habe das Hausrecht. verlassen sie sofort die Sektionsräume.“ Der Kommilitone: „Wir gehen nicht. Der Staatsanwalt und die Politische Polizei sind auch da. Holen Sie den Staatsanwalt her, damit der uns zuläßt.“ Staatsanwalt: „Sie müssen hier raus. Pathologieräume sind doch kein Ort für politische Auseinandersetzungen. Für mich ist das keine politische Sache.“ Kommilitone: „Sie entscheiden wer hier teilnehmen darf, lassen sie uns und die Ärztin zu. Wir bleiben solange hier, bis die Ärztin zugelassen wird.“ Der Staatsanwalt bestreitet, daß von Seiten des Rechtsanwalts es Anträge auf seine und der Ärztin Teilnahme gestellt worden sind. Prof. Müller kommt und erklärt, Prof Adebar hätte während der gerichtsmedizinischen Sektion das Hausrecht. Prof. Müller fordert uns auf, den Saal zu verlassen. Kommilitone: „Wenn Sie das Verfahren des Gerichts so unterstützen, beteiligen sie sich an der Vertuschung des Falles.“ Prof. Müller will Anzeige wegen Beleidigung erstatten. Er (…) droht mit Anzeige wegen Landfriedensbruch. Die Polizei rückt an. (…) Der Einsatzleiter der Polizei gibt Anweisung die Ausgänge zu besetzten.“ (3)

Die Neue Ruhrzeitung verbreitet zu dem Geschehen einfach die Version von Polizei und Staatsanwaltschaft: „Die Polizei wehrt sich gegen die Vorwürfe der KPD/ML, den 45-jährigen Genossen Günter R. `ermordet´ zu haben und spricht von einer Verleumdungskampagne. (…) Bei der von der Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktion konnten keine äußeren Verletzungen festgestellt werden (…) Nach dem Ergebnis der Obduktion schließt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die eingesetzten Polizeibeamten aus. Die in Plakaten und Flugschriften aufgestellten Behauptungen der KPD/ML, der Tod des Genossen sei auf das Einschreiten der Polizei zurückzuführen, sind – wie die Polizei betont – unwahr.“ (NRZ v. 22.6.1974)

Am gleichen Tag druckt der Rote Morgen einen Bericht von Pit Routhier, dem Sohn des Getöteten, ab. Er war bei dem Polizeieinsatz im Arbeitsgericht am 5. Juni anwesend und beschreibt detailliert, wie sein Vater von den Polizeibeamten kujoniert wurde: „Die PoPos stürmten rein, packten meinen Vater und schmissen ihn in die Stuhlreihen. Dann kamen ein halbes Dutzend uniformierte Bullen und schnappten meinen Vater, der rief: `Das sind Gestapo-Methoden´ und `Ihr Nazis´. Dann haben die uniformierten Bullen meinen Vater die Treppe heruntergestoßen. Ich hörte wie er fiel und mehrmals gegen das Treppengeländer schlug. Ich habe während dieser ganzen Zeit immer wieder geschrien, daß mein Vater Bluter ist, keiner hörte darauf, nur ein dicker, grauhaariger PoPo sagte: `Dann hätte er zu Hause bleiben sollen! ´ (…) Dann wurden wir einer nach dem anderen nach draußen gebracht. Im Wagen lag mein Vater bewußtlos am Boden. Ich schrie, daß mein Vater in Lebensgefahr wäre. Höhnisches Gelächter der Bullen, und einer sagte: `Märchenstunde ist morgen. ´ Dann sagten die Bullen, wenn wir nicht ruhig wären, würden sie uns zusammenschlagen. Im Polizeipräsidium wurden wir aus dem Wagen gestoßen, (…) Mein Vater wurde zuletzt mit 2 Bullen hereingeschleift und in eine Zelle gelegt. Dabei kam ein Arzt, und ich schrie ihm zu, daß mein Vater Bluter ist. Im Vorübergehen sagte er kurz ja und kümmerte sich nicht darum. 3 Minuten später kam er wieder raus, und ich sagte ihm nochmals, daß mein Vater Bluter sei, doch er ging weiter.“ (RM Nr. 25 v. 22. Juni 1974)

 

Trauerdemonstration unter den Bedingungen einer Polizeidiktatur

Die Partei, ihre rote hilfe ★ aber auch ihre Schwester- und Konkurrenzorganisation KPD (Aufbauorganisation) zusammen mit ihrer Rote Hilfe e.V. (RHeV) mobilisieren für die am Montag, den 24. Juni, geplante Beerdigung zu einer Trauerdemonstration. Dazu verbreitet die rote hilfe★ ein Flugblatt mit der Überschrift: „Polizeimord am Duisburger Arbeiter Günter Routhier!“ In geraffter Form werden darin die Ereignisse im Saal des Arbeitsgerichtes am 5. Juni geschildert und entsprechend interpretiert: „Er mußte sterben, weil er als Sympathisant der KPD/ML an einem Prozeß des kommunistischen Arbeiters Hanfried Brenner gegen die Mannesmann-Kapitalisten vor dem Arbeitsgericht Duisburg als Zuschauer teilnahm“ Nun erklärt man, dass wenn „wir dieses Opfer beerdigen, so werden Tausende an seinem Grab Rache schwören.“ Die rote hilfe★ verspricht, dass sie das Begräbnis von Routhier zu einer „gewaltigen Demonstration gegen die blutigen Untaten der Bourgeoisie, für ein freies, glückliches Leben im Sozialismus, ohne Unterdrückung und faschistischen Terror, ohne Ausplünderung machen“ werde. Jetzt gelte es, „mit den Angehörigen des Opfers dieses abscheulichen Verbrechens die Solidarität zu organisieren!“ und in diesem Sinne ruft sie dazu auf: „Spendet zur Unterstützung der Familie!“ (FB v. 24.6.1974) In einem „in tiefer Verbundenheit“ an die Ehefrau Rotraud Routhier gerichteten Beileidschreiben verspricht die Organisation, dass man das Andenken an den Toten dadurch „verwirklichen“ und „verewigen“ werde in dem man mit „allen Freunden und Genossen der Roten Hilfe, allen Revolutionären und der ganzen Arbeiterklasse“ für die „Errichtung der Arbeitermacht“ kämpfen werde. (Brief v. 21.6.1974) (2)

 

 

Doch damit ist die Polizei in Duisburg unter der Leitung von Polizeipräsident Hans Jürgensen nicht einverstanden. Der von ihr seit dem gewaltsam herbeigeführten Tod von Routhier am 18. Juni eingeschlagene Kurs der brachialen Unterdrückung aller Protestbekundungen in der Stadt wird weiter fortgesetzt. Schon seit dem 18. Juni in Folge wird in Duisburg jeder Flugblattverteiler der greifbar ist, festgenommen. Für die am Montag, den 24. Juni zum Waldfriedhof, Düsseldorfer Straße, geplante Trauerdemonstration durch die Angehörigen ergeht erneut ein Verbot und die Stadt wird durch tausende aus Nordrhein-Westfalen zusammengezogene Polizisten in ein Heerlager verwandelt. Unter der Überschrift: „Ihr Terror macht selbst vor dem Grabe nicht halt“ beschreibt die rh★ Ostwestfalen (Bielefeld) in einem Flugblatt den Ablauf dieser den gesamten Tag andauernden Polizeiaktion: „Am 24. Juni 1974 trugen 5.000 Menschen den von der Polizei ermordeten Frührentner, den Genossen Günther Routhier, Mitglied der KPD/ML auf dem Duisburger Waldfriedhof zu Grabe.“ Als in Duisburg-Wanheimerort um 11.00 Uhr ein Trauerzug zustande kam, „und sich bereits einige hundert Menschen am Abmarschort eingefunden hatten, wurde das Verbot bekannt gegeben. Die Polizei beschlagnahmte sofort Fahnen, Bilder des Ermordeten und Trauertransparente, die im Zug mitgetragen werden sollten. Dabei ging die Polizei mit Knüppelschlägen gegen die Versammelten vor. Mehrere Personen wurden zusammengeschlagen, eine Reihe verhaftet. Als sich gegen 13.00 Uhr in Duisburg-Wanheimerort erneut ein Trauerzug von etwa 2.000 Menschen formierte, wurde er mehrfach von der Polizei eingekeilt und äußerst brutal überfallen. Insbesondere die Spitze des Zuges an der die Angehörigen, Freunde und Genossen des Ermordeten gingen, an der Kränze und andere Trauersymbole getragen wurden, war Ziel der Polizeiangriffe. Diese Angriffe der Polizei wurden von den empörten Rufen von hunderten von Anwohnern und Passanten begleitet: Sie riefen im Chor: `Mörder, Mörder!´“ Doch der Polizei sei es „trotz massiven Einsatzes“ nicht gelungen den Trauerzug aufzulösen: „Ein geschlossener Zug marschierte von der Fischerstraße zum Friedhof.“ Während der ganzen Trauerfeier kreisten zwei Polizeihubschrauber in geringer Höhe über die Grabstätte. „Zwischen 17 und 18 Uhr fuhren zwei Panzerspähwagen am Haupteingang des Friedhofes auf. Unmittelbar nach dem Ende der Beerdigung, „begann die Polizei nach der Beisetzung aufs Neue eine Treibjagd auf Teilnehmer der Trauerkundgebung. Gegen 18.00 Uhr wurden etwa 100 Menschen, die sich auf dem Friedhofstor versammelten, von der Polizei überfallen (…) Etwa um die gleiche Zeit wurde der Friedhof von der Polizei in Kampfanzügen und mit Karabinern durchkämmt.“ Am Abend gegen 20.00 Uhr wurde dann noch von der Polizei eine Versammlung der KPD/ML in der Mercatorhalle verhindert, was bei einer zugelassenen Partei klar gegen geltendes Recht verstieß. Danach begann die Polizei, so wird weiter in dem Flugblatt beschrieben, „eine zügellose Hetzjagd, bei der (…) ganze Polizeibusse (…) dunkel Gekleidete jagten, (sie) einfingen und festnahmen. Mehrfach war der Einsatzbefehl zu hören; `Schnappt alle mit schwarzen Anzügen.´“ Die Roten Helferinnen aus Bielefeld bewerteten den „Terror der Polizei, der wie entfesselt auf alles einschlug, was Trauerkleidung trug,“ als einen „Racheakt für das würdevolle revolutionäre Begräbnis, bei dem Tausende das Versprechen ablegten, (…) alle Untaten an der herrschenden Klasse zu rächen.“ (FB nach dem 24.6.1974)

In einem ähnlichen Sinne informiert auch ein Flugblatt der RHeV über die Ereignisse am Tag der Beerdigung: „Günther Routhier von der Polizei erschlagen! Duisburg von Polizei besetzt – Polizeitruppen überfallen Trauermarsch – 100 Verhaftungen.“ Die NRW-Polizei habe an diesem Tag etwas praktiziert, „was viele nur von faschistischen Regimen kennen“ erklärte die RHeV. Und das alles mit dem Ziel: „Ein Mord an einem kommunistischen Arbeiter soll verschwiegen werden und diejenigen, die dies mit ihrer Teilnahme ans Licht bringen wollten, sollten verfolgt und auseinander geprügelt werden.“ Neben den Forderungen: „Raus mit den Schlägertrupps aus den Gerichtssälen! Bestrafung der Mörder von Günther Routhier!“ rief die RHeV „Arbeiter, Werktätige, Schüler“ und „Studenten“ dazu auf, dass wenn „einer von Euch (…) von der Polizei ermordet“ wird, dann: „Schafft Klassensolidarität!“ (FB nach 24.6 1974)

 

„ … die Rote Hilfe bitten, so weiterzuarbeiten…“ – Facetten der Solidarität

In der Folge erreicht die KPD/ML eine Flut von Solidaritätsadressen und Resolutionen. Der in London lebende Schriftsteller Erich Fried widmet der Familie des Genossen Routhier ein Gedicht unter dem Titel „Märchenstunde.“ Zu dem durch Pit Routhier von einem Bullen überlieferten „Märchenstunde“- Zitat dichtet er u.a.:

„Wenn die Märchenstunde

erst morgen ist

soll vielleicht heute

nur Stimmung gemacht werden

für diese Märchenstunde

Wird es wieder

ein deutsches

Volksmärchen sein?“

(RM Nr. 28 v. 13.7.1974)

Solidaritätsadressen werden auch von Teilnehmerinnen mehrerer Veranstaltungen der RH in Bochum und Mainz sowie durch Kollegen und GenossInnen auf der Veranstaltung der RH in Marburg übersendet. Die Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Wedding Westberlin schreibt einen Brief an Frau Routhier. (2) Die Rote Hilfe Böblingen-Sindelfingen erklärt sich einer Resolution für „gegründet“, weil „wir an der brutalen Ermordung des Kommunisten Günther Routhier und dem faschistischen Terror der Polizei und Staatsmacht bei einer Beerdigung gesehen haben, daß wir jetzt und hier den Kampf aufnehmen müssen.“ Es ist nun nicht mehr an der Zeit zu „warten (…) bis wir eine fertige blitzsaubere RHD (Rote Hilfe Deutschland) haben, sondern wir wollen sofort den Kampf gegen den Staat unterstützen, die proletarische Solidarität stärken, das Vermächtnis des Genossen Günther erfüllen.“ (RM Nr. 28 v. 13.7.1974) Ende Juli gründet sich auch in Münster eine Rote Hilfe mit „40 Genossen und Freunden“, und führt weiter aus: „Die Reaktion der Staatsorgane auf das rasche Erstarken der RH blieb nicht aus. Ein Genosse wurde wegen der Verbreitung der Wahrheit über den Mord an G. Routhier festgenommen. Informationsstände der RH wurden von der Stadtverwaltung verboten. Wenn der Feind uns bekämpft ist das gut und nicht schlecht.“ (rhz★ Nr. 26 v. Sept. 1974)

Und in der Tat: Die Polizei wusste den Feind in den Sommermonaten des Jahres 1974 in der ganzen Bundesrepublik und West-Berlin gezielt zu bekämpfen: Immer wieder werden die Proteste gegen den von der Polizei zu Tode gebrachten Routhier durch Polizeieinsätze attackiert. Beständig kommt es zu Festnahmen bei Kundgebungen „wegen `Beleidigung, ´ weil der Mord (…) beim Namen genannt wurde“ wie es in dem Flugblatt der rh★ Ostwestfalen vermerkt worden war. Am 29. Juni verteilt der Professor für Soziologie aus Münster Christian Sigrist in der Duisburger Innenstadt ein zusammen mit vier weiteren Professoren verfasstes Flugblatt, in dem sich die Unterzeichnenden für eine Initiative zu der Aufklärung des Mordes an Günther Routhier stark machen. Unmittelbar zuvor war es als eine Presseerklärung an die Duisburger Redaktionen der Rheinischen Post, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und der Neuen Ruhr Zeitung übersendet worden. (4) Doch Sigrist wird schon nach 20 Minuten zusammen mit weiteren Flugblattverteilern von der Polizei abgeräumt und festgenommen. Obwohl er sich ausweisen kann wird er 10 Stunden in der Polizeizelle festgehalten. Als sich sein Rechtsanwalt Wolfgang Schmid auf der Polizeiwache auch nach dem Verbleib weiterer Festgenommener erkundigt, passiert folgendes: Es wird ihm zunächst der Notizblock entrissen und er wird zusammen mit zwei weiteren Kollegen festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und fünf Stunden in der Zelle festgehalten. Dagegen erklären Schmidt und sein Rechtsanwaltskollege Hugo Brentzel in einer Pressemitteilung, dass „derartige Maßnahmen (…) eine Ungeheuerlichkeit (darstellen) wie sie bisher nur aus faschistischen Staaten bekannt sind.“ (PM, zitiert nach: Kommunistische Volkszeitung Nr. 14 v. 10.7.1974)

In der Folge werden Flugblätter der Roten Hilfe, aber auch ganze Ausgaben der Zeitungen der Maoisten Roter Morgen (KPD/ML), Rote Fahne (KPD/AO) und die Kommunistische Volkszeitung (KBW) in der von einem Mord der Polizei an Günther Routhier die Rede ist, verboten und beschlagnahmt. Hunderte von Presserechtlichen werden auf Antrag des Duisburger Polizeipräsidenten mit Strafverfahren wegen Verächtlichmachung der BRD, Volksverhetzung und Beleidigung (§ 90a; § 130 und § 185 StGB) überzogen. Diese Strafverfahren führen in den Folgejahren zu einer Vielzahl von Verurteilungen mit empfindlichen Geldstrafen und zum Teil der Androhung von Berufsverboten. Die Unterstützung und Solidarität mit den Delinquenten in dieser Sache wird die Rote Hilfe bis hinein in die erste Hälfe der 1980er Jahre beschäftigen. (5)

Derweil verbucht die rh★ auch mit der Protestkampagne zum Tod des Genossen Routhier einige Organisierungsfortschritte: „Beim Aufbau (…) einer starken zentralisierten Organisation der ROTEN HILFE DEUTSCHLAND, (habe man) große Erfolge erzielt“ steht Ende Juli 1974 in ihrer Rote Hilfe Zeitung (RHZ) zu lesen. In Köln, München, und Münster sei es zu „einer Reihe von Gründungen neuer Roten Hilfen und Aufbaukomitees“ gekommen. „In Duisburg gründete sich ein Aufbaukomitee als Reaktion auf die brutale Ermordung von Günter Routhier.“ Gründungen von neuen RH werden auch für Hannover, Mannheim, Lübeck, Böblingen/Sindelfingen und in Kiel vermerkt. Allein für Kiel werden „vierhundert Teilnehmer zur Gründungsveranstaltung der Roten Hilfe“ vermeldet.

In der besagten Zeitung der Roten Hilfe findet sich auch ein Interview mit Rotraud Routhier, der Witwe des Erschlagenen, die zuvor Strafanzeige gegen die Polizei wegen Mordes an ihrem Mann gestellt hat. Darin formuliert sie ihren Dank für die Unterstützung durch die Rote Hilfe:

„Ich finde erstmal, dass die Gründung der Roten Hilfe eine großartige Sache ist. Ich kann das alleine aus meiner Sicht jetzt schon beurteilen, da mir durch das gesammelte Geld sehr viel geholfen worden ist. Ich möchte die Rote Hilfe bitten, so weiterzuarbeiten und die Bevölkerung aufzuklären und anzuhalten, daß sie mithilft, daß in solchen Fällen die erste Härte gemildert werden kann. Vor allem, weil zu befürchten ist, daß dieser Fall nicht der Einzige bleiben wird.“ (rhz Nr. 25 v. (Juli) 1974)

Markus Mohr

Zum Anhören und Weiterlesen:

  • Walter Mossmann: Ballade vom zufälligen Tod in Duisburg (Für Christian Sigrist 1976), in: : Flugblatt-Lieder Streitschriften, West-Berlin 1980, S. 76 – 79, URL: https://www.youtube.com/watch?v=9-pjoBqL8ZY
  • KPD/ML, Rote Garde: Dokumentation: Genosse Günter Routhier ist tot, die Polizei hat ihn erschlagen, Dortmund, o. J (1974), 220 S
  • KPD/AO: Dokumentation zum Fall Günther Routhier / Günther Routhier wurde am 5.6.74 im Arbeitsgericht in Duisburg von der Polizei zusammengeschlagen / Er starb an den Folgen der Verletzungen am 18.6.74 im Klinikum Essen, Dortmund 1974, 16 S URL: https://archive.org/details/DokumentationRouthier/mode/2up
  • Horst Domdey, Dietrich Kreidt, Jens Scheer, Gerhard Schneider, Christian Sigrist: Am 18.6. starb in der Universitätsklinik Essen der 47-jährige Arbeiter Günther Routhier aus Duisburg, Mitglied der KPD/ML. Er ist das Opfer eines brutalen Prügeleinsatzes der Polizei in einem Arbeitsgerichtsprozess, PM vom 29.6.1974, in: O.N., Wahlaufrufunterzeichner für die KPD, Wir bleiben dabei und wir bleiben drin! / Kampf dem Berufsverbot, o.O. (West-Berlin) o. J. (1975), S. 24- 26 URL: https://www.mao-projekt.de/BRD/BER/REP/Berlin_REP_KPD_1975_Wahlaufruf.shtml
  • Im Februar 1976 wurde in einem gegen einen Aktivisten der Rote Hilfe e.V. geführten Strafprozess in West-Berlin ein diesbezügliches Gutachten des Rechtsmediziners Walter Krauland eingeführt. Darin wurde festgestellt, dass die Verletzungen, die ursächlich zum Tod von Routhier führten auf „stumpfe Gewalteinwirkungen“ durch die eingesetzten Polizeibeamten zurück zu führen waren. Siehe: O.N., Medizinisches Gutachten vor Gericht beweist: Gen. Routhier starb an Folgen des Polizeieinsatzes, in: Rote Fahne Nr. 8 v. 25.2.1976, S. 3, URL: https://www.mao-projekt.de/BRD/ORG/AO/RF/KPD_RF_1976_08.shtml

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2 Kommentare

  1. Danke für den Artikel. Es ist 50 Jahre her, aber ich werde diese Zeit nicht vergessen.
    Viele der damaligen bürgerlichen Genossen sind heute wieder gute Bürger und schämen sich ihres jugendlichen Leichtsinns.
    Ich war ein junger Arbeiter und diese Zeit war die prägendste Zeit meines Lebens.
    Ich habe viel gelernt.
    Ich schäme mich nicht.

    1. Ich danke dir sehr! Und es tut gut, dass die 50 Jahre nichts daran geändert haben. Im Gegenteil: Für sind diese Erfahrungen noch wertvoller und kostbarer geworden. Markus Mohr wird sich freuen.

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