Der Verfassungsschutz und die Sozialwissenschaft Gegnerbestimmung Teil II. Von Markus Mohr

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Der Verfassungsschutz und die Sozialwissenschaft

Gegnerbestimmung Teil II. Von Markus Mohr.

Mehr als 300 SozialwissenschaftlerInnen widersprechen ihrer Indienstnahme durch die Agenturen der inneren Sicherheit.

Einerseits genießt die Institution Verfassungsschutz (BfV) keinen guten Ruf.

 

Und das zu Recht, die Ungeheuerlichkeit der bis heute in Teilen unaufgeklärten Causa NSU spricht hier Bände. Gerade in diesem Bezug ist an das sogenannte „System Fritsche“ zu erinnern: Darunter ist das 22 Jahre lang anhaltende Wirken des Klaus-Dieter Fritsche zu verstehen, der in seinen Funktionen als langjähriger Vize-Präsident im BfV und danach als Staatssekretär in der Innenpolitik wie kein anderer die Sicherheitspolitik der BRD geprägt hat. Von Fritsche war Mitte Oktober 2012 im Berliner Untersuchungsausschuss zum NSU in einem vorbereiteten Statement die Verweigerung rückhaltloser Kooperation der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung des NSU-Komplexes mit der Aussage:

Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren“ begründet worden. (1)

Er brüskierte damit nicht nur die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschuss, sondern suspendierte damit auch das Aufklärungsversprechen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Februar 2012 bei einem Gedenkakt an die Angehörigen der Mordopfer des NSU gegeben hatte. Merkel hatte damals gesagt: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“ (2) Damit konnte Fritsche erkennbar nichts anfangen, und nachteilige Folgen hatte das für ihn nicht. Anfang 2014 stieg er zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt auf.

Seiner über zwei Jahrzehnte im bundesdeutschen Sicherheitsapparat lang gezielt durchgeführten Personalpolitik müssen solche zwielichtigen Figuren wie der in den Jahren 1994 – 2000 amtierende Thüringer VS-Chef Helmut Roewer und Hans-Georg Maaßen direkt zugerechnet werden. (3) Auf der anderen Seite wächst und gedeiht die Institution Verfassungsschutz. Selbst die Selbstenttarnung des NSU sorgte mit lediglich drei Ausnahmen für eine Beförderungswelle aller anderen Beschäftigten in der Abteilung II Rechtsextremismus. Völlig unbeschadet von der Causa NSU stieg der Etat der Behörde genauso wie der Personalbestand einfach weiter an, als wäre nichts geschehen. Ein Schelm, den oder die das auf den Einfall bringt, dass wenn es den NSU mit neun ermordeten Migranten und einer hingerichteten Polizistin nicht gegeben hätte, das BfV den NSU hätte selbst erfinden müssen … Richtig hier die beunruhigende Einsicht: In den eskalierenden Krisen des entfesselten Kapitalismus sind es definitiv die Sicherheitsbehörden, die im Grunde niemals scheitern können.

Gleichwohl: Von Zeit zu Zeit zirkulieren in der politischen Öffentlichkeit der Berliner Republik Ideen, die in Verruf geratene Institution Verfassungsschutz mit dem Ziel zu reformieren, mal wieder „verloren gegangenes Vertrauen“ zu generieren. So wird es beispielsweise direkt von den Grünen Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic und Konstantin von Notz formuliert. Kurz nach der Personalrochade von Maaßen zu dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang forderten sie im Januar 2019 für das BfV „eine strukturelle Reform, eine klare Zäsur und einen echten Neustart.“ Darunter verstanden sie unter anderem „die Aufspaltung des Verfassungsschutzes in ein strukturell neues „Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr“, und in ein, wie sie formulieren, „unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung, das durch die wissenschaftlich fundierte Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen eine zeitnahe Analyse (von) (…) demokratie- und menschenfeindlichen Bestrebungen“ besorgt. (4)

Im Verhältnis vom Verfassungsschutz zur Sozialwissenschaft handelt es um eine lange Geschichte. Sie soll hier nicht skizziert werden, kann aber in Teilen in einem schönen Beitrag von Friedrich Burschel zum, wie er formuliert, Verfassungsschutzwissenschaftsjournalismus nachgelesen werden (5) Wichtig ist hier nun auf einen aktuell bedeutsamen Einschnitt hinzuweisen. Ende Mai 2021 erschien auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) in der Abteilung „Extremismus und Sozialisation“ die Ankündigung einer „Interdisziplinären Wissenschaftskonferenz“ in Berlin für Mitte September 2021. Sie sollte ohne konkret namentlich Verantwortlichen durch ein bislang unbekanntes Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) durchgeführt werden. Eben dieses Zentrum ist beim honorigen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) angesiedelt. Um ein „unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung“ handelt sich hier zunächst nicht, es nähert sich von der Konfiguration allerdings den Einfällen der Grünen Mihalic und von Notz an. Das Zentrum kündigte eine „phänomenübergreifende, interdisziplinär arbeitende Forschungsstelle“ an mit dem Ziel, mit der Wissenschaft zu kooperieren. Aus der Tagungsankündigung war weiter zu entnehmen, dass „der phänomenologische Schwerpunkt der Konferenz (…) in den Bereichen Rechtsextremismus und Islamismus sowie auf komparativen Betrachtungen“ liegen solle, „aber“ – man ahnt es bereits – „nicht darauf begrenzt“ sei. (6)

Bis zum 20. August waren dann über die DGS-Website Anmeldungen möglich unter der e-mail-Adresse: Wissenschaftskonferenz2021(at)bfv.bund.de. (7)

 

Zunächst einmal ist es eine Binse, dass ein Geheimdienst, der etwas auf sich hält, niemals auch um facettenreiche Formen der PR- und Öffentlichkeitsarbeit verlegen sein darf. Und die liegt hier zweifelsohne vor. In gewisser Weise handelt es sich um eine praktische Umsetzung von Überlegungen, die der führende VS-Intellektuelle Armin Pfahl-Traughber schon 2010 kundgetan hat. Seiner Auffassung nach bedürfe es „einer erhöhten Analysekompetenz der Verfassungsschutzbehörden, um den selbst gestellten Anspruch eines >Frühwarnsystems< vor extremistischen Gefahren für die Demokratie zu erfüllen.“ Darüber hinaus plädierte er für eine „verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörden, um so in der diskursiven Auseinandersetzung um den Extremismus in einer offenen Gesellschaft präsent zu sein.“ (8)

Auch die Selbstenttarnung des NSU wusste Pfahl-Traughber dafür zu nutzen, sein Anliegen weiter vorzutragen: Einerseits waren ihm hier – man glaubt es kaum – manche „Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden“ aufgefallen. Anderseits erschien es ihm evident zu sein, dass nun erst recht „die Analysekompetenz im Hinblick auf allgemeine und fallspezifische Entwicklungen im Extremismus“ weiter „erhöht werden“ müsse. (9)

Die besagte „Interdisziplinäre Wissenschaftlerkonferenz“ durch das BfV fand nun in Berlin statt. Blättert man mal einmal durch das dazu vorgelegte Tagungsprogramm, so ist es hier dem BfV gelungen, aus 11 Hochschulen wenigstens 10 ProfessorInnen, 15 Wissenschaftliche MitarbeiterInnen, 8 DoktorandInnen und vier sonstige free-lancende AspirantInnen einiger akademischer Professionen für eine aktive Teilnahme – vermutlich weniger zu nötigen, als vielmehr – zu gewinnen (10) – eine imposante Organisationsleistung.

Für die Konferenz war kein geringerer als der im Bundesministerium des Innern (BMI) seit 2015 als Staatssekretär amtierende Hans-Georg Engelke für eine Eröffnungsrede angekündigt worden. Auch die Personalie Engelke kann dem „System Fritsche“ zurechnet werden. Schon in den Jahren zwischen 2006 und 2010 hatte er im BfV als Abteilungsleiter Terrorismus/ Islamismus gearbeitet. Nach der Selbstenttarnung des NSU war er mit seiner Analysekompetenz damit beauftragt worden, die im BfV offenbar gewordenen diesbezüglichen Aktenvernichtungen in der Weise zu minimalisieren und zu bagatellisieren, dass man im Amt wie gehabt weiter machen konnte. Und das mit Erfolg, wie man heute weiß. (11)

Dankenswerterweise stellte die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke im Vorfeld der Tagung eine Anfrage an die Bundesregierung, um etwas über das Vorder- und Hintergründe des vom BfV als eine Art Wissenschaftsinstitution auf den Weg gebrachte ZAF zu erfahren. Hier hat man das Recht, die diesbezüglichen Antworten der Bundesregierung auf die gestellten Fragen zu lesen. Darin wird schnell deutlich, dass Wissenschaftsfreiheit immer das eine und das Staatswohl bzw. der Geheimschutz immer das ganz andere ist. Schon auf die schlichte Frage, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in welcher Funktion „gegenwärtig beim ZAF beschäftigt“ seien bzw., „welche Personalstärke mit welchen Funktionen (…) für das Ende der Aufbauphase angestrebt“ würden, wird man von der Bundesregierung wie folgt abgespeist:

Bezüglich der in der Fragestellung erbetenen Auskünfte zur derzeitigen und geplanten personellen Ausstattung des ZAF ist die Bundesregierung (…) zu der Auffassung gelangt, dass die Beantwortung aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen kann.“

Warum? O-Ton Bundesregierung:

Durch eine offene Beantwortung würde die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste beeinträchtigt, was wiederum für die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig wäre.“

Hier wurde ganz im Geist von Klaus-Dieter Fritsche formuliert, dass es ja wohl nicht angehen kann, dass durch die Realisierung von Wissenschaftsfreiheit „Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“

Immerhin erbrachte die Anfrage noch die beiden Informationen, dass für das ZAF derzeit aus dem „nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus“ Haushaltsmittel in Höhe von „rund 490 000 Euro vorgesehen“ seien und man den bis dato fehlenden „Ethikkodex“ noch nachliefern wolle. (12)

Das ist zwischenzeitlich auch geschehen. Hier weiß das BfV zu seinem ZAF unter anderem mitzuteilen, dass „im Rahmen der Forschungstätigkeit des ZAF (…) wissenschaftliche Integrität und Objektivität leitend“ sein soll. Es werde auch die „Einrichtung eines unabhängigen wissenschaftlichen Beirates“ angestrebt. Das BfV weist hier sogar daraufhin, dass, sofern seine zukünftigen „Forschungskooperationspartner/-innen auf der für sie maßgeblichen Rechtsgrundlage personenbezogene Daten erheben“, diese ihre „Proband/-innen auf die Beteiligung des Verfassungsschutzes an dem Projekt“ hinweisen sollen. Das ist sehr pfiffig formuliert, denn hier ist es völlig ausreichend, die besagten ProbandInnen erst am Ende eines Forschungsprojektes quasi im Nebenbei über den Arbeits- und Weisungszusammenhang mit dem BfV in Kenntnis zu setzen. (13)

Im Vorfeld der Konferenz gab die BfV-Pressestelle für ihren Präsidenten schon mal ein schönes Zitat mit einer Aneinanderreihung von Modulformulierungen frei. Haldenwang wünschte sich einen „intensivierten Austausch von Verfassungsschutz und Wissenschaft“, der „zu einem besseren Verständnis für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beitragen“ solle. Kurz, so Haldenwang in schlichter Diktion: „Mir geht es darum, dass wir voneinander lernen und jeder Form von Extremismus gemeinsam entgegenwirken.“ (14) Ansonsten findet sich über den konkreten Verlauf der Konferenz im Netz bislang nur eine kurze Notiz in einem Pressebericht der Deutschen Presse Agentur. Dabei soll Haldenwang zu Beginn die ZuhörerInnen mit dem Einfall, dass der VS immer „auf der Höhe der Zeit sein“ müsse, unterhalten haben, um dann als Beispiel „für eine neue Entwicklung“ auf die „sogenannten Querdenker-Proteste seit Beginn der Corona-Pandemie“ einzugehen. Hier müsse seine Behörde doch verstehen, „was an den Rändern dieser Proteste geschieht“, so Haldewang. Genau dazu war im BfV vor ein paar Monaten ein sogenannter „Phänomenbereich“ unter dem aberwitzigen Begriff einer „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ eingerichtet worden. (15) Liest man diesen Begriff richtig? Eine Binse eigentlich, dass noch eine jede substantielle Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in der Sache zutrifft, natürlich einen Staat delegitimiert, der sich unfähig erweist, den Maßstäben von Freiheit und Gerechtigkeit zu genügen. Was denn sonst? Man muss kein Freund aller Facetten der gegen eine Vielzahl von gravierenden staatlichen Maßnahmen gerichteten Corona-Proteste sein, um festzustellen, dass es mit diesem aus den Obsessionswelten des Sicherheitstotalitarismus entsprungenen Begriff völlig ausgeschlossen ist, in der Sache selbst noch irgendetwas zu verstehen – aber darum hat es den Sicherheitsbehörden natürlich auch nicht zu gehen. (16)

In dem besagten DPA-Artikel erhielt mit Jérôme Endrass der Leiter der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie an der Universität Konstanz das Wort, der „in der Kooperation mit Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben keine schlechten Erfahrungen gemacht“ hat. Nach Endrass eröffne die Zusammenarbeit mit einer solchen Behörde für Forschende die Möglichkeit, „sich an etwas zu beteiligen, was eine hohe praktische Relevanz hat“. Zudem erhielten die „an solchen Projekten beteiligten Wissenschaftler eine gute Datengrundlage für ihre Forschung.“ (17) Voilà! Kann es denn WissenschaftlerInnen geben, die mit dem, was sie tun und schreiben, einmal nicht bestätigt bekommen wollen, „relevant“ zu sein? Und dann erhält man auch noch vom Geheimdienst dafür eine „gute Datengrundlage“ für die weitere Forschung, bei der man sich schon mal die Quellenkritik gleich ganz sparen kann. So wird die Selbstabschaffung eines jeden Autonomieanspruches von Wissenschaft vielfältig honoriert.

Bemerkenswerterweise stieß die nun vom BfV geplante Etablierung einer mit umfänglichen Mitteln ausgestatteten „phänomenübergreifenden, interdisziplinär arbeitenden Forschungsstelle“ auf einigen Unmut bei einer Vielzahl von Forschenden. Initiiert vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin (IPB) wurde ein Einspruch inklusive ErstunterzeichnerInnen und angehefteter Unterschriftenliste verfasst. Darin wurde geltend gemacht, dass es „ein Problem“ sei, wenn der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit der externen Wissenschaft sucht. Seitens des Verfassungsschutzes könnten Wissenschaftsstandards wie das freie Forschen oder die öffentliche Verfügbarkeit erhobener Daten „qua Auftrag gar nicht“ eingehalten werden. Der Geheimdienst unterliege den Weisungen aus den Innenministerien, die leicht verfügen können, Erkenntnisse zurückzuhalten. Hier liefen die Mittelvergaben ohne Transparenz und öffentliche Kontrolle „auf Zuruf“. ForscherInnen drohen hier zu „ZulieferInnen für behördlich vorgegebene Ziele“ degradiert zu werden. Zudem sei absehbar, dass die „Entgrenzung“ solcher Forschung bei einem Teil der Beforschten „erhebliches Misstrauen“ hervorrufen werde. (18)

In der Folge erhielten einige der UnterzeichnerInnen dieses Einspruches in der Öffentlichkeit das Wort. Für den Sozialpsychologen Oliver Decker von der Universität Leipzig wage sich der Verfassungsschutz „>immer weiter in Bereiche vor, für die er bisher aus guten Gründen nicht zuständig ist. Und dazu gehört sicherlich die Erforschung von Einstellungen.<  Eine Vermischung mit der Wissenschaft sei aber >hoch problematisch<, da zu den Erkenntnissen des Geheimdienstes keinerlei Transparenz herrsche.“ Für den Soziologen Matthias Quent berufen sich die Verfassungsschutzbehörden „>auf Geheimwissen, um ihre teils folgenschweren Einschätzungen zu begründen. Das ist mit wissenschaftlichen Standards nicht vereinbar.< Auch eine Unabhängigkeit fehle ihnen. Gerade Sozialforschung sollte hier kritisch sein und sich nicht für die Rechtfertigung von nachrichtendienstlichen Aussagen vereinnahmen lassen, so Quent.“ (19)

Simon Teune, Vorstandsmitglied des Vereins des IPB, wies in einem Radiointerview auf die „asymmetrische Beziehung zwischen dem VS und der Wissenschaft in der Kooperation“ hin und sah darin „einige Fallstricke“, die für „die Unabhängigkeit der Wissenschaft keine gute Perspektive“ eröffnen. (20)

Dass dieser Einspruch gegen die Pläne des BfV wesentlich vom IPW initiiert worden ist, hat mich überrascht. In der Liste der Erstunterzeichnenden tauchen mit Roland Roth und Dieter Rucht auch die Doyens dieser Institution auf. Sie haben einmal mit einem von ihnen im Jahr 2008 realisierten Buchprojekt eine gute Arbeitserfahrung mit dem beim Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen beschäftigten Thomas Grumke gemacht. Ohne Wissen aller anderen AutorInnen in dem von ihnen verantworteten Buchprojekt über die Präsenz sozialer Bewegungen in der Gegenwart der BRD war der Verfassungsschutzmitarbeiter für die Verfertigung eines Beitrages zur „rechtsextremistischen Bewegung“ herangezogen worden. Kurz: So geht eine verdeckte Zusammenarbeit seitens der Herausgeber mit dem Verfassungsschutz. Grumke hat dann seinen für das Roth/Rucht-Buch abgelieferten Beitrag natürlich nach dem Dienstrecht seiner eigenen Behörde verfasst. Das bedeutete für die Sache selbst, dass ihm in der Darstellung der Finanzierungsquellen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten noch die „staatliche Parteienfinanzierung“ aber nicht die umfänglichen finanziellen Zuwendungen durch die Verfassungsschutzbehörden selbst einfallen mochte. Das war spätestens durch die Abbruchsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes  im NPD-Verbotsverfahren 2003 offenbar geworden, – eine Entscheidung, in der die NPD als nicht mehr „staatsfrei“ qualifiziert worden war.  Grumke ist hier seiner Dienstpflicht als VS-Beschäftigter nachgekommen, in seinem Beitrag natürlich über die umfängliche finanzielle Alimentierung des NPD-Funktionärstammes durch den Verfassungsschutz dröhnend zu schweigen. Darüber hinaus wusste Grumke der „rechtsextremistischen Bewegung“ in einer markanten Formulierung „das Streben nach grundlegendem sozialen Wandel“ zu bescheinigen. Wenn er auch in Bezug auf Nazis nicht von Terror sprechen wollte, so vergaß er nicht darauf hinzuweisen, dass bei deren „Anwendung von Gewalt (…) über Jahre hinweg ein breites Aktionsrepertoire bis hin zu Menschenjagden und Tötungen zur Anwendung“ komme. (21) „Menschenjagden und Tötungen“ als „Aktionsrepertoire“ ganz im Geist der von Roth und Rucht wissenschaftpublizistisch stark gemachten neuen sozialen Bewegungen? So elegant können wirklich nicht viele über Nazi-Mord und Terror hinweg plaudern, ein Beschäftigter einer Verfassungsschutzbehörde in einem wissenschaftlichen Sammelband aber schon.

Auch Sebastian Haunns, ein weiterer Erstunterzeichner der Einspruch-Liste, war damals an dem besagten Projekt von Roth und Rucht mit einem schönen Beitrag zur antiimperialistischen und autonomen Bewegung beteiligt. Nach dem Erscheinen des Buches hatte er keine Notwendigkeit gesehen, zu der Causa Grumke öffentlich Stellung zu nehmen. Seine Äußerung in einem Interview im ARD-Morgenmagazin vom Juli 2017 zu den G20-Krawallen von Autonomen in der Hamburger Elbchaussee: „Diese Gewalt gegen einzelne Bürger und Bürgerinnen, gegen deren Autos, das hatte man vorher noch nie so gesehen“ konnte den Eindruck erwecken, sich aus der Perspektive der Protestforschung nunmehr den ähnlich lautenden und in der Öffentlichkeit ohnehin frei verfügbaren Interpretationen der Sicherheitsbehörden anzudienen. (22)

Wenn man das resümiert, sprich: eine gute Arbeitserfahrung und eine im Ergebnis auch erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und die Einnahme einer Position zu autonomer Militanz, die weitgehend konform zu der der Sicherheitsbehörden liegt, dann hätte es aus der Sicht des IPB im Grunde gar nicht einmal so entfernt gelegen, mit dem nunmehr durch das BfV geplanten ZAF ein Arrangement bis hin zu einer Kooperation zu suchen. Auf Abwehr durch das BfV wäre ein solches Ansinnen mit Sicherheit nicht gestoßen. Ganz im Gegenteil: Mit großer Freundlichkeit hatte das BfV dem IPB hier die Tür offen gehalten, um auch so die Perspektiven einer fruchtbaren wie gemeinsamen Zusammenarbeit im Kampf gegen, so wird es ja formuliert, „alle Formen des Extremismus“ zu skizzieren.

Gut, dass es erst mal soweit nicht gekommen ist. Die auch vom IPB vorgetragenen Argumente gegen eine auch noch „wissenschaftlich“ drapierte Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz versperren allen den Weg, die auch in Zukunft nicht dazu bereit sind ihre Autonomie als frei denkende Individuen an den Nagel zu hängen. Wie mag es nun in der ganzen Angelegenheit weitergehen? Zu erwarten steht, dass das BfV sich mit seinen ohnehin unbegrenzt zur Verfügung stehenden Geldmitteln beizeiten einen wissenschaftlichen Beirat zu seiner geplanten Forschungsstelle zusammen kaufen wird. SozialwissenschaftlerInnen, die sich in so einem Laden gerne „relevant“ fühlen wollen, wird es dafür, umgangssprachlich formuliert, wie Sand am Meer geben. Von besonderem Interesse wäre hier allein, ob es dem BfV vielleicht doch gelingt, einen oder eine der ErstunterzeichnerInnen der Einspruch-Liste dafür zu gewinnen. Aber auch das muss abgewartet werden.

Der Aufruf zum Einspruch endet mit einem Versprechen: „Wir werden uns im wissenschaftlichen und öffentlichen Umfeld für eine kritische Auseinandersetzung mit der Gründung und Praxis eines Forschungszentrums des Verfassungsschutzes einsetzen.“ Die InitiatorInnen delegitimieren damit, soviel lässt sich sagen, die Institution Verfassungsschutz als eine bedeutende Behörde des Bundesinnenministeriums und damit als Teil des bundesdeutschen Staates in relevanter Weise. Was für ein schöner Phänomenbereich. Hut ab, so soll es auch in Zukunft bleiben!

Markus Mohr | 2021

 

Quellen:

(1) Klaus-Dieter Fritsche, Vernehmung, in: BT-NSU-UA-Prot Nr. 34 vom 18.10.2012, S. 3

(2) Bundeskanzlerin Angela Merkel, Rede bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt, Berlin am 23. Februar 2012, URL: https://archiv.bundesregierung.de/archiv-de/rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-bei-der-gedenkveranstaltung-fuer-die-opfer-rechtsextremistischer-gewalt-415478

(3) Frank Jansen, Der Dirigent der deutschen Dienste geht/ Er baute in den Nachrichtendiensten das System Fritsche auf – mit gezielter Personalpolitik, in: TSP 15.3.2018, URL: https://www.tagesspiegel.de/politik/klaus-dieter-fritsche-im-ruhestand-der-dirigent-der-deutschen-dienste-geht/21076538.html

(4) Irene Mihalic, Konstantin von Notz, Zum Bundesamt für Verfassungsschutz/ Treffen Seehofer und Haldenwang, Statement vom 21.1.2019, URL: https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/irene-mihalic-und-konstantin-von-notz-zum-bundesamt-fuer-verfassungsschutz-/-treffen-seehofer-und-haldenwang

(5) Friedrich Burschel, Verfassungsschutzwissenschaftsjournalismus/ Der ehrbare Karriereweg von der Uni über den Geheimdienst in die Publizistik, Forschung und Bildung, auf: Rosa-Luxemburg Stiftung 29.5.2013, URL: https://www.rosalux.de/publikation/id/6973/verfassungsschutzwissenschaftsjournalismus/

(6)  DGS, Extremismus und Sozialisation, (Meldung vom 21.5.2021) URL: https://soziologie.de/aktuell/news/extremismus-und-sozialisation

(7) DGS, Tagungen/ Kongresse, URL: https://soziologie.de/kalender/tagungen/c/e/2021/9/16/318

(8) Armin Pfahl-Traughber, Analysekompetenz und Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes, in: A. Pfahl-Traughber, Thomas Grumke (Hrg), Offener Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft/ Öffentlichkeitsarbeit und Prävention als Instrumente des Verfassungsschutzes, Opladen 2010, S. 15 – 32, hier S. 15

(9) Armin Pfahl-Traughber, Der Rechtsterrorismus im Verborgenen/ Versuch einer Antwort auf zehn Fragen/ Die brutalen und gezielten Morde an zehn Menschen offenbaren eine neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland. War der NSU eine „Braune Armee Fraktion“? auf: Bundeszentrale für politische Bildung vom 19.12.2011, URL: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/47832/der-rechtsterrorismus-im-verborgenen

(10) BfV, ZAF Wissenschaftskonferenz 2021/ 16 und 17. September/ Programm und Abtracts, URL: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/Downloads/DE/Verfassungsschutz/programm-der-wissenschaftskonferenz-2021.pdf;jsessionid=75FBE25ADAE5A862C2689144CF817878.internet541?__blob=publicationFile&v=8

(11) Hans-Georg Engelke, (Eintrag Anklageschrift Tribunal NSU-Komplex auflösen) Köln 2017, URL: https://issuu.com/nsu-tribunal/docs/nsu-tribunal_anklageschrift_de_v3/61

(12) Bundesregierung, Antwort auf die kleine Anfrage Partei Die Linke, Zentrum für Analyse und Forschung als Forschungsstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Drs 19/31492 vom 12.7.2021, URL: https://dserver.bundestag.de/btd/19/314/1931492.pdf

(13) BfV, Ethikkodex zum ZAF, URL: https://www.verfassungsschutz.de/DE/verfassungsschutz/auftrag/zusammenarbeit-im-in-und-ausland/zentrum-fuer-analyse-und-forschung-zaf/zentrum-fuer-analyse-und-forschung-zaf_node.html;jsessionid=F4653590DCE93A58A9B196F6F5262433.intranet352

(14) BfV, PM zur ZAF-Konferenz (Zitat Haldenwang), URL: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2021/pressemitteilung-2021-6-zaf.html

(15) BfV, Neuer Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, (Statement vom 29.4.2021) auf: URL: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2021/2021-04-29-querdenker.html

(16) Vgl. Horst Meier, Corona-Proteste und Verfassungsschutz – eine (vorläufige) Nachlese (Kommentar auf NDR vom 17.7.2021) URL: https://www.ndr.de/kultur/sendungen/gedanken_zur_zeit/gedankenzurzeit1766_page-1.html

(17) Anne-Beatrice Clasmann, „Extremismus und Sozialisation“/ Wie wird man Terrorist?/ Neues Analyse- und Forschungszentrum des Verfassungsschutzes stellt sich vor – Wissenschaftler erforschen Faktoren der Radikalisierung, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 17.9.2021, URL: https://www.rnz.de/politik/hintergrund_artikel,-extremismus-und-sozialisation-wie-wird-man-terrorist-_arid,739912.html

(18) Institut für Protest- und Bewegungsforschung Berlin, Einspruch zur Gründung eines Forschungsinstituts beim Verfassungsschutz (Statement vom 23.9.2021) URL: https://protestinstitut.eu/einspruch-zfa/

(19) Konrad Litschko, Verfassungsschutz umwirbt Wissenschaft :„Höchst problematisch“/ Mit einem neuen Zentrum will der Verfassungsschutz mit der Wissenschaft kooperieren, in: taz vom 7.9.2021, URL: https://taz.de/Verfassungsschutz-umwirbt-Wissenschaft/!5795589/

(20) Frau Schwarz, Offener Brief gegen Forschungsinstitut des Verfassungsschutzes, (Interview mit Simon Teune) auf: Deutschlandfunk Kultur vom 8.9.2021, URL: https://www.audiolibrix.de/de/Podcast/Episode/1414132/offener-brief-gegen-forschungsinstitut-des-verfassungsschutzes

(21) Thomas Grumke, Die rechtsextremistische Bewegung, in: Roland Roth/ Dieter Rucht, Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945/ Ein Handbuch, Frankfurt 2008, S. 475 – 492, hier 476/ 477

(22) Sebastian Haunns (Statement zu den G20 Protesten in Hamburg im ARD-Morgenmagazin vom 11.7 2017) URL: https://www.socium.uni-bremen.de/ueber-das-socium/mitglieder/sebastian-haunss/publikationen/de/?publ=7246

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Ein Kommentar

  1. Armin Pfahl-Traughber treibt sein Unwesen übrigens auch beim “humanistischen Pressedienst” der in Sachen Coronapolitik ABSOLUT willfährig ist und keinerlei Kritik an der autoritären Ausrichtung der Politik bringt. Dafür bringt der hpd immer wieder die diffuse, coronopolitikkritische Szene recht pauschal als verschwörungsesoterisch darstellt und gegen diese Stimmung macht, was mit einem wirkichen Humanismus, der wohl eher nach den Gründen der Polarisierung fragen würde, sicher unvereinbar ist.

    https://hpd.de/autor/Armin-Pfahl-Traughber

    Die Unterwanderung der “Humanistenszene” wäre sicher auch einmal eine Untersuchung wert!

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