Rote Judenmörder? Eine Blütenlese zu dem Buch von Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege / Die DDR und die westdeutsche radikale Linke. Von Markus Mohr

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Rote Judenmörder?

Eine Blütenlese zu dem Buch von Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege / Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967–1989, Göttingen 2019

Im Frühjahr 2016 erschien das Buch von Jeffrey Herf „Undeclared Wars …“ auf Englisch und wurde im Herbst 2019 in deutscher Übersetzung veröffentlicht.

 

Seit Mitte Mai 20020 existiert dazu auch ein englischsprachiger Wikipedia-Eintrag (URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Undeclared_Wars_with_Israel) Schon in seiner englischen Fassung erhielt es im deutschen Sprachraum eine Reihe von freundlichen Besprechungen – ein Trend der sich nach seinem Erscheinen in deutscher Sprache im Herbst 2019 verstärkt fortsetzte. Über 30 Rezensionen, Besprechungen oder markante Erwähnungen sind nachweisbar. Der unter der Leitung u.a. von Henryk M. Broder neokonservativ ausgerichtete Blog Achse des Guten veröffentlichte Ende Dezember 2019 mit Zustimmung von Verlag und Autor zwei Auszüge aus der Einleitung des Buches. (achse des guten vom  28. und 29.12.2019)

So gut wie jedes Buch zu dem stets ambivalenten Verhältnis der Linken von Links zu Israel bezw. zum Judentum ist immer für Überraschungen gut. Gleiches gilt natürlich auch für die Texte, die sich in Form von Besprechungen um eine Aufnahme des Vorgetragenen bemühen. Evident hier natürlich: Die Linke, oder das was dafür gehalten wird, kann in den Gazetten der Bürgerpresse auf Nachsicht nicht rechnen. Je schwächer sie erscheint, umso härter schlägt der Antikommunismus zu, umgangssprachlich formuliert: Gefangene werden da erst mal nicht gemacht. Auch das erweist eine Blütenlese zu dem Buch des Historikers Herf, der vom ehemaligen SDS-Linksradikalen der 1960er Jahre zum engagierten Befürworter der Angriffskriege von George Bush Junior auch selbst politisch – je nach Betrachtungsweise – eine weite oder eher kurze Wegstrecke zurückgelegt hat.

Eine Vielzahl von Reviews

Die erste Erwähnung fand dabei das Buchprojekt bemerkenswerter Weise zwei Jahre vor seinem Erscheinen in einem Beitrag in der Springer-Gazette Welt. Mit Blick auf die Linkspartei vermerkt Richard Herzinger hier einen Aufsatz von Herf, in dem von diesem „das Ausmaß der Beteiligung der DDR an dem ‘unerklärten Krieg’ (…) gegen Israel“ untersucht worden sei, und er dabei zu dem Ergebnis gelangt sei, „dass der SED-Staat darin eine ‘besonders enthusiastische’ Schlüsselrolle gespielt“ haben soll. (Welt vom 15.11.2014)

Herzinger, der von Herf in seinem Buch nicht nur als „Freund“ sondern auch noch als einer „der besten und mutigsten Kommentatoren des politischen Geschehens“ vermerkt wird, ist dann auch einer der ersten, der es nach seinem Erscheinen in der englischen Fassung bespricht. Hier zeigt er sich davon überzeugt, dass Herfs Studie von dem „Mythos Antifaschismus“ der DDR nichts übriglasse. Dabei hebt er als „Wahrheit“ hervor, dass „der DDR-„Antifaschismus“ – von Herzinger in Anführungsstrichen geschrieben – „von Anfang an auf der Prämisse (beruhte), die Hauptopfer des Nationalsozialismus seien die Kommunisten“. Das ist nicht ganz unzutreffend, Herzinger verknüpft aber eben das mit der falschen Behauptung, dass es zu einer „folgenden systematischen Ausblendung des Holocaust“ gekommen sein soll. (WELT vom 11.7.2016)

Kurz vor Herzinger hatte Martin Jander im Tagesspiegel die Gelegenheit ergriffen, darauf hinzuweisen, dass die Darstellung von Herf sichtbar mache, dass „der Nationalsozialismus nicht nur die Auslöschung aller Juden anstrebte, also antisemitisch war, sondern auch die Entstehung einer jüdischen Heimstadt in Palästina zu verhindern suchte, also auch antizionistisch war.“ Und genau in „diese(r) Tradition“ wenn auch überraschenderweise „in anderer Sprache“ seien es, so zeigt sich Jander überzeugt, „Dieter Kunzelmann, Ulrike Meinhof, Horst Mahler, Walter Ulbricht, Erich Honecker und viele andere“ – in dieser ungewöhnlichen Reihung – die gegen Israel „eine Kampffront“ gebildet haben sollen, und dabei dann sowohl „antisemitisch“ wie auch „antizionistisch“ agiert haben sollen. (TSP vom 15.6.2016) Jander, dem durch Herf der Dank durch die Recherche von ein paar Dokumenten zuteil wurde, würdigte kurz darauf dessen Buch als eine „exzellente und in jahrelanger mühevoller Arbeit zusammengetragene Analyse“ und erkannte hier „den Protestruf eines Wissenschaftlers, der sich seit seinen Studienjahren, u. a. auch in Frankfurt am Main 1978 – 1979, mit der Shoah und ihren Folgen in den beiden deutschen Staaten beschäftigt“ habe. (hagalil.com v. 18.6. 2016) Fast in der Pose eines informellen Pressesprechers ruft Jander dann ein Jahr später Herfs Arbeit zu dem „besten Buch zur Geschichte der deutschen Linksterroristen“ aus. (starke-meinungen.de von 11.6.2017)

In der Rezension von Stephan Grigat wird es als ein „besonderes Verdienst“ der Studie hervorgehoben, dass von diesem auch die von „der Regierung Willy Brandts“ praktizierte „skandalöse Postulierung einer >neutralen Haltung< im für Israel existenzbedrohenden Jom-Kippur-Krieg und die massive Behinderung dringend benötigter US-amerikanischer Waffenlieferungen an Israel über deutsche Häfen“ in die Darstellung einbezogen werde. (Jungle World Nr. 38 vom 22.9.2016)

Im Magazin der Konrad-Adenauer-Stiftung erkannte Stefan Meining, dass Herf „seinen analytischen Blick auch auf die israelfeindliche, extremistische Linke in der Bundesrepublik“ richte. Dabei schien ihm ohne weitere Begründung in der „Gegenüberstellung israelfeindlicher Haltungen und Aktionen von Linksextremisten im Westen und SED-Funktionären im Osten Deutschlands (ein) besondere Brisanz“ zu liegen. (Die Politische Meinung Nr. 540 v. September/Oktober 2016)

In einem Veranstaltungsbericht zu einem Vortrag von Herf am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam lässt der Berichterstatter Richard Rabensaat als erster – und wie man heute auch resümierend feststellen kann: als einer der wenigen – eine gewisse Reserve zu dem Buch erkennen. Aus der von Herf „kumuliert zusammengetragenen Häufung von überbordendem Detailwissen alleine (…) (werde) allerdings noch keine überzeugende wissenschaftliche These“ schreibt er hier. Mit einer gewissen Verblüffung konstatiert Rabensaat nach den herfschen Ausführungen, dass „es zu keiner Kriegserklärung von Ostdeutschland an Israel kam.“ Hier handele es sich wohl „eher (um) eine Zufälligkeit.“ (Potsdamer Neueste Nachrichten vom 1.2.2017)

Mit konzeptionellen Problemen des Buches hält sich Jerome Lombard in seiner Besprechung des Potsdamer Vortrages von Herf gar nicht erst auf. Hier überliefert er die Aussage des Historikers Julius Schoeps, dem „mit Blick auf Herfs Buch (…) regelrecht der Atem“ gestockt haben soll, als er las „mit welcher Vehemenz sich der SED-Staat am Kampf gegen Israel beteiligte“ Für Schoeps leiste Herf „mit seinen Studien einen wichtigen Beitrag zur ganzheitlichen Erforschung des spezifisch ostdeutschen und allgemeinen linken Antizionismus und Antisemitismus.“ (Jüdische Rundschau vom 2.2.2017)

Kevin Culina berichtete von einer Mitte Januar 2017 an der Hebräischen Universität in Jerusalem ausgerichteten Konferenz „From Entebbe to Mogadishu: 40 Years to the ›German Autumn“ an der neben vielen anderen auch Martin Jander, der ehemalige GSG-Einsatztruppführer Dieter J. Fox und Herf teilnahmen. Unerklärt zwischen dem „Antisemitismus der deutschen Linken“ versus dem „Antisemitismus in der Linken“ changierend, referiert Culina hier den Vortrag von Herf, der „den antisemitischen Kern des Bündnisses aus deutschen Linken und Palästinensern in Mogadischu und Entebbe“ betont habe. Dabei soll Herf „den symbolischen Beginn der antisemitischen Wende in der deutschen Linken“ auf eine Erklärung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) vom September 1967 zurückgeführt haben. „Auch am Beispiel Ulrike Meinhofs werde die antisemitische Wende der Linken offensichtlich.“ (Jungle World Nr. 5 vom 2.2.2017)

Für Steffen Könau beschreibt Herf wie die DDR als „junge Republik überaus spendabel (gewesen sein soll), wenn es darum ging, Waffen an die zu liefern, die den Judenstaat ausradieren wollten.“ (Mitteldeutsche Zeitung vom 22.7.2017)

Till Schmidt hat es in seiner Rezension in der Zeitschrift der Dritte Welt Bewegung iz3W aus Freiburg vor allem der vorletzte Satz aus dem Buch angetan, in der Herf den ostdeutschen KommunistInnen und der radikalen Linken Westdeutschlands für die Gegenwart zuschreibt, ein „giftiges ideologisches Gebräu“ hinterlassen zu haben. „Vollkommen zu Recht“ ruft Schmidt hier aus. (iz3W Nr. 364 vom Januar – Februar 2018)

Kurz vor Erscheinen des Buches in Deutschland im Wallstein-Verlag führt Till Schmidt mit Herf ein Interview, in dem er diesem mit Fragen wie: „Auf welche Weise hat die DDR die Feinde Israels unterstützt?“ oder: „Sie haben auch die Reaktionen der israelischen UN-Gesandten auf die antizionistische Politik untersucht“ eine Plattform für die in dem Buch dargelegten Anschauungen eröffnet. Die unter anderem von Jürgen Elsässer begründete Zeitung nutzt hier die Gelegenheit, die Herf-Formel von einem „unerklärten Krieg“ nun in die Aussage: „Die DDR führte de facto einen Krieg gegen Israel“ zu überführen. In Bezug auf die „Frage nach den Auswirkungen der Israel-Feindschaft des Regimes auf die Alltagskultur in der DDR“ macht Herf auf die „Ausstellung und das Buch >Antisemitismus hat es bei uns nicht gegeben< der Amadeu-Antonio-Stiftung“ aufmerksam, die aus seiner Sicht zum Thema „wichtige Einsichten“ gebe. (Jungle World Nr. 34 vom 22.8.2019)

Etwas verhalten vermerkt Rainer Hermann, dass „das DDR-Regime wie westdeutsche Extremisten (…) im Kalten Krieg an Gewalt gegen Juden beteiligt“ gewesen seien und das Herf das zu den „besorgniserregendsten Kapiteln der deutschen Geschichte nach 1945“ zähle. (FAZ vom 12.10.2019)

Fünf Tage nach dieser Rezension ergreift die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD Beatrix Storch im Bundestag zu der Debatte „Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle“ das Wort. Sie führt hier u.a. aus, dass „Terroranschläge gegen Juden im Nachkriegsdeutschland (…) eine lange und traurige Geschichte“ besitzen, und verweist dabei auf die „1970“ (sic!) durch „arabische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München (ermordeten) elf israelische Sportler“ und auf die Entführung einer 1976 durch „Mitglieder der linksextremen Revolutionären Zellen“ entführten „Passagiermaschine nach Entebbe.“ Unter expliziter Nennung des Buches: „Ich empfehle Ihnen das Buch das Historikers Jeffrey Herf >Unerklärte Kriege gegen Israel.<“ zeigt sich die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion davon überzeugt: „Dort trennten sie Juden von den Nichtjuden und behielten nur die Juden als Geiseln, um sie gegebenenfalls zu ermorden.“ Und weiter führt Storch aus: „Daraus zitiere ich mit Erlaubnis der Präsidentin einen Satz: Diese Linksextremisten waren die ersten Deutschen seit dem Holocaust, die wehrlose Juden mit der Waffe bedrohten. – Linksextremisten und Rechtsextremisten sind siamesische Zwillinge“ wofür sie den Zuruf des Abgeordneten Konstantin Kuhle „Stimmt!“ erhält. Am Ende ihrer Ausführungen generiert Storch dann eine bislang so noch nicht geäußerte These: „Dieser Antisemitismus“ sei gerade „kein Randphänomen gewaltbereiter Extremisten“ sei, sondern er stamme „aus der Mitte des linksliberalen Milieus, aus linksliberalen Leitmedien des linksliberalen Milieus, aus linksliberalen Leitmedien und aus dem linken Kulturbetrieb“. Diese seien es die „das gesellschaftliche Klima“ vergiften, das sei „der Boden, auf dem der Terror wächst.“ Für diese Aussage erhielt Storch ausweislich des Bundestagsprotokolls den „Beifall bei der AfD.“ (BT-Drs. 19/118 vom 17.10 2019, S. 14416)

Ludger Heid wirft am Buch anhand der Darstellung der Geschehnisse von Entebbe die Frage auf, warum „westdeutsche Extremisten wie Vernichtungsantisemiten“ handelten. Für ihn lassen die in dieser „fulminanten Untersuchung“ ausgebreiteten „archivalischen Belege (…) verschiedener DDR-Institutionen“ keinen Zweifel daran, dass der Arbeiter- und Bauernstaat einen nicht erklärten Krieg gegen den Judenstaat führte. (SZ v. 25.10.2019) Marko Martin würdigt an dem Buch, dass es weder „eifernd-didaktisch“ noch „suggestiv“ sondern „mit geradezu bewundernswerter Ruhe und Detailgenauigkeit“ geschrieben worden sei. (Deutschlandfunk Kultur v. 9.12.2019) Christine Brinck resümiert die „akribisch recherchierte Studie“ mit der Aussage, dass „das Erbe dieser Zeit“ bis in die Gegenwart fortlebe und zitiert dafür die vorletzte Aussage daraus, in der es heißt, dass „das DDR-Regime und die radikalen Linken (…) ein toxisches ideologisches Gebräu hinterlassen“ hätten, in der sich – so die Rezensentin Herf folgend – „Israelkritik und Antisemitismus frei mischen“. (Potsdamer Neueste Nachrichten / auch: TSP vom 11.12.2019)

Auf der Internetplattform der Amadeu-Antonio Stiftung (AAS) ergreift Martin Jander zum Buch erneut das Wort und erklärt es – wie er formuliert zu einem „Augenöffner.“ Hier werde die DDR „zum ersten Mal umfassend aus jüdischer Perspektive analysiert“ und fügt noch die Information an, dass Herf „sein ganzes Werk der Erforschung der Shoa und der drei verschiedenen Gesichter des Antisemitismus nach der Shoa – islamistisch, rechtsradikal, linksradikal – und ihrer Geschichten gewidmet“ habe. (belltower news vom 16.12.2019)

Nachdem Stephan Grigat dem Buch von Herf schon im September 2016 „besondere Verdienste“ bescheinigt hatte, erscheint es ihm auch drei Jahre später noch wahlweise „eine äußerst verdienstvolle (…) detaillierte und materialreiche Studie“ zu sein, mehr noch: Er erklärt es zu einem „wichtigen Beitrag zur Diskussion über Antisemitismus in der Linken“. (taz v. 21.12.2019)

Zu Jahresbeginn 2020 beschreibt der Publizist Henryk M. Broder das Buch nicht nur als „eine Fleißarbeit von über 500 Seiten“, sondern auch als einen „ungemein wichtigen Beitrag zum Verständnis der jüngeren deutschen Geschichte und einer von Heuchelei und Verlogenheit gezeichneten Gegenwart.“ Um daran anschließend auszurufen: „Well done, Jeff!“ (achse des guten vom 2.1.2020)

Elvira Grözinger erkennt in dem Buch nicht nur alleine eine „Fundgrube an historischen Fakten und Details.“ Wohl auch dadurch kamen für sie, wie sie formuliert sogar „zunehmend Dinge ans Licht, die (…) gerade seitens eines sich als >antifaschistisch< und >friedliebend< definierenden deutschen Staatsgebildes geradezu als Fortsetzung des Nationalsozialismus anmuten.“ (Jüdische Rundschau v. Januar 2020)

Für eine Veranstaltungseinladung zu einem „Fach-Symposium“ zu dem Buch bezeichnet die Amadeu-Antonio-Stiftung Herf als einen „absoluten Experten der Materie.“ Dieser sei es, der nun versucht habe die „Leerstelle in der Antisemitismusforschung“ zu der „von antisemitischen Angriffen und Anfeindungen geprägten Außenpolitik der DDR gegenüber Israel“ zu schließen. Mit der sich daran anschließenden Interpretation, dass das Buch von Herf „neue Perspektiven auf globale antisemitische Strukturen und Netzwerke sowie deren Folgen“ eröffnet haben soll, erklärt die Amadeu-Antonio-Stiftung die DDR wenigstens nachträglich zur Weltmacht. (AAS, Einladung, Symposium mit J. Herf v. 9.1.2020)

In einer gemeinsam von der Bundesstiftung Aufarbeitung und dem Wallstein Verlag verfassten Einladung zu einer Buchpräsentation wird auf die von Herf gelieferten „neuen Erkenntnisse über das Ausmaß der Kooperation der westdeutschen radikalen Linken mit terroristischen Organisationen“ verwiesen. Darüber hinaus könne er auch „belegen, dass die DDR und andere Ostblockstaaten einen weit größeren Einfluss auf den Nahostkonflikt genommen hatten, als bislang angenommen.“ (Bundesstiftung Aufarbeitung, Wallstein Verlag, VA-Ankündigung vom 13.1.2020)

In einem diesbezüglichen Veranstaltungsbericht der AAS beschreiben Moritz Aschemeyer und Lorenz Blumenthaler Herf als einen „ungemütlichen Geist“ der „scheinbar gegebene Selbstverständlichkeiten“ im – wie sie etwas ungelenk formulieren – „empirischem Detail“ zerstört. Von diesem werde dabei am Sujet sowohl „neben der konservativen und linken Erzählung auch immer wieder die Geschichtswissenschaft“ kritisiert. Dieser „mangele es (…) an einer Einbettung des Judenhasses in die kulturellen Traditionen Europas.“ Und auch das soll, so glauben Aschemeyer und Blumenthaler „zum Fortleben des Antisemitismus“ beitragen. (belltower news v. 16.1.2020)

Anja Reich erscheint das Buch als „ein wichtiges Werk zur Aufarbeitung deutscher Geschichte“ und vermerkt hier die „Sammlung bislang unbekannter Zeitdokumente.“ Von dem Buch erhofft sie sich, dass es „blinde Flecken“ füllen möge und vielleicht auch in gelassener Weise dazu anregt, sich einmal „zu fragen, warum die Reaktionen auf Israel bis heute oft so reflexhaft sind.“ (FR vom 21.1.2020)

Von einem Vortrag von Herf vor der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) „im ausgebuchtem Saal im Hotel Maritim in der Friedrichstraße vor über 100 Zuhörern“ berichten Jörg Gehrke und Carola Deutsch. Herf habe ausgeführt, dass „die von ihrem Selbstverständnis >antifaschistische< DDR (…)  tatkräftig die Feinde Israels – arabische Staaten und Terrororganisationen (unterstützte), die den jüdischen Staat zu vernichten suchten. Dies in unheiliger Allianz mit westdeutschen radikalen Linken, die vor dem Mord an Juden nicht zurückschreckten.“  Gehrke und Deutsch zeigten sich durch die „Fülle bisher nicht bekannter historischer Fakten und Details“ beeindruckt, die von Herf wohl vorgetragen worden sind. (DIG Berlin vom 17.1.2020)

Mario Kessler konzediert in seiner Besprechung Herf zwar das Recht „scharfe Kritik an der DDR“ dort zu üben, „wo diese – und das war ein Grundzug ihrer Politik – Israels Interessen entgegenarbeitete.“ Dennoch müsse, so Kessler weiter, „eingewandt werden, dass das Verhältnis der DDR zu Israel auch andere, von Herf nicht oder kaum behandelte Facetten aufwies.“ So sei die „wissenschaftliche Literatur über Israel (…) seit ca. 1985 deutlich differenzierter als die politische Publizistik“ gewesen. Auch werde von Herf „die Zeit nach 1982 (…) in seinem lesenswerten Buch nur ganz knapp“ behandelt. Mehr wäre auch „über die wachsende Einsicht innerhalb der PLO zu sagen gewesen.“ (H-Soz-Kult vom 28.2.2020)

Völlig aus den Rahmen so gut wie aller Besprechungen fallen die Hinweise von Wolfgang Herzberg aus: „Herf interessiert nicht, ob Waffenlieferungen des >Westen< in diese Region auch immer mehr Öl ins Feuer gossen, statt eine politische Lösung näherzubringen. Wenn es denn einen »unerklärten Krieg« gegeben hat, dann doch wohl von beiden Seiten. (…) Herfs Frage, ob die DDR nicht doch eine >antisemitische Diktatur< war, entzieht sich jeder seriösen Diskussion. Sie relativiert faktisch NS-Verbrechen und setzt damit eine unselige Tradition westdeutscher Geschichtsschreibung über den ostdeutschen Staat fort.“ (Junge Welt vom 2.3.2020) In eben diese von Herzberg als „unselig“ beklagte Tradition stellt sich der Burschenschafter Sebastian Sigler, dem die – wie er formuliert „Faktenfülle, die Herf bietet, (…) erdrückend“ erscheint. Und von hier aus betrachtet mutet es ihm als „eine Belastung (an), sehen zu müssen, wie Sozialisten auch nach 1967 dort weiterzumachen versuchten, wo sie 1945 gestoppt wurden: bei der Ermordung von Juden.“ Liest man das richtig? Genau! Mit solchen leichten rhetorischen Verschiebungen – es sind damals wie heute die „Sozialisten“ die „auch nach 1967 dort weiterzumachen versuchten (…), wo sie 1945 gestoppt wurden“ – werden aus den braunen Holocaustmördern von gestern die roten Holocaustmörder von heute. (The European vom 14.3.2020) Bei diesem Einfall wird der burschenschaftliche Formulierungskünstler wohl ein wenig geschmunzelt haben.

Sandro Serafin lobt an dem Buch die „scharfsinnige“ Analyse, auch wenn ihm auffällt, dass die von Herf „zum Teil über mehrere Seiten (…) schon fast pedantisch“ aufgelisteten „von der DDR gelieferten Waffensysteme“ dessen Buch „stellenweise zur nicht ganz leichten Kost“ mache. Doch auch das verdeutliche „wie wichtig der Beitrag des Ostblocks für die zahlreichen Terrorkampagnen gegen Israel war.“ (www.israelnetz vom 11.4.2020) Sylke Kirschnick, die Herf als einen „ausgewiesener Kenner der Materie“ belobigt, hebt hervor, das mit dem Buch „die geläufigen Schlagworte“ der kommunistischen, linksextremen, arabischen und palästinensischen Propaganda gegen Israel als das bloßgestellt werden „was sie sind: hasserfüllte Fantasien.“ Sein Buch besitze, so zeigt sich Kirschnick überzeugt, „mit seiner Material- und Detaildichte das Zeug zum Standardwerk über linken Judenhass im geteilten Deutschland.“ (literaturkritik Nr. 4 v. April 2020)

Eine veritable publizistische Querfront

In den Reviews oder markanten Anzeigen, die zu dem Buch „Unerklärte Kriege“ aus dem deutschsprachigen Raum bislang gesammelt werden konnten, gibt es bis auf drei nirgendwo auch nur den Hauch irgendeiner kritischen Anmerkung dazu. Nicht wenige Rezensenten lobten daran den darin versammelten „Detailreichtum, die Material- und Detaildichte, die „Faktenfülle“, die „Fleißarbeit“, die „Sammlung bislang unbekannter Zeitdokumente“, es wurde als eine „detaillierte und materialreiche Studie“ bezeichnet und auch auf die „Fundgrube an historischen Fakten und Details“ wurde begeistert hingewiesen. So etwas fließt einem jedem Rezensenten fast von ganz alleine dann schnell aus der Feder auf der leere Blatt Papier, wenn sonst kaum Kenntnisse zu dem komplexen Gegenstand vorliegen. Und überhaupt ist es so gut wie immer ausgeschlossen, dass es ein Buch zur deutschen Zeitgeschichte im Umfang von 500 Seiten geben könnte, in dem sich nicht immer auch so manche „historistischen Fakten und Details“ finden. Der Jubelchor zu dem Buch ist wirklich einhellig: Er reicht von WELT, Tagesspiegel, taz, Jungle World, Bundesstiftung Aufarbeitung, Amadeu-Antonio-Stifung, Süddeutsche, FR, SZ, Henryk M. Broder, Konrad-Adenauer-Stiftung, hagalil.com, iz3W bis hin zur Spitze der AfD im Bundestag. Kurz: Man hat es in Bezug auf die Lektüre des Herf-Buches mit einer veritablen publizistischen Querfront zu tun, die sich gegen das, was sie als „links“ glaubt halluzinieren zu können, in vielfältiger Weise erregt.

Die Linken von heute als Juden von gestern?

Zwei Passagen aus dem Buch finden in den Besprechungen besonderen Anklang. Zum einen die Darstellung der Auseinandersetzungen um den Akt der Lufpiraterie nach Entebbe. Zum anderen eine markante Formulierung einer Mutmaßung von Herf darüber, was von der Linken an Massenmordabsichten heute in ihrem Verhältnis zu Israel hinterlassen worden sein soll.

Die komplexe und bis heute – mit einer wesentlichen von Herf explizit gar nicht rezipierten Ausnahme – so gut wie kaum archivalisch gestützt erforschte Entebbe-Causa fand in den Besprechungen im Deutschlandfunk, der FAZ, der FR, hagalil.com und der Konrad-Adenauer-Stiftung Anklang. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag Storch nutzte hier die Gelegenheit direkt aus dem Buch zu zitieren, auch um so ihre überraschende These zu untermauern, das „dieser Antisemitismus“ direkt „aus der Mitte des linksliberalen Milieus, aus linksliberalen Leitmedien des linksliberalen Milieus, aus linksliberalen Leitmedien und aus dem linken Kulturbetrieb“ selbst stamme. Der Rezensent der Süddeutschen Heid warf hier die Frage auf, wie es kommen konnte, dass „westdeutsche Extremisten (in Entebbe) wie Vernichtungsantisemiten“ haben handeln können.

Gemeinhin geht es bei einer Flugzeugentführung mit einer Geiselnahme darum, zu einem Austausch zu gelangen. Der größte Teil der Geiseln, darunter eine ganze Reihe von Nicht-Israelischen Juden wurde von den Entführern nach Verhandlungen auch freigelassen. Bei den Übrig Gebliebenen wurde von der israelischen Regierung im Gegenzug zu der Erfüllung der Forderung der Geiselnehmer nach Freilassung von Gefängnisinsassen, signalisiert, zu einem Austausch bereit zu sein. Und so weiter. Lange Rede, kurzer Sinn: Ein „Vernichtungsantisemitismus“ spart sich in der Regel aufwendige Verhandlungen, meidet den Aufenthalt an Knotenpunkten des internationalen Luftverkehrs und schreitet unter Ausschaltung aller Kameras der Weltöffentlichkeit zügig zur Tat. Eben das fand in Entebbe – soviel ist dann doch gewiss – gar nicht statt.

Am Schluss seines Buches markiert der Linksradikale der 1960er Jahre Herf das „Ost-Berliner Regime“ und die radikalen Linken im Westen dafür, dass sie gegenüber Israel ein, wie er formuliert, „toxisches ideologisches Gebräu“ hinterlassen haben sollen. (S. 494) Diese Formulierung wurde in einer ganzen Reihe von Rezensionen – in der Regel zustimmend – aufgegriffen (FAZ, Tagesspiegel, iz3W, Israelnetz, taz, The European). Hier steht der in alternativen Zeitschrift iz3W und der Jungle World publizierende Till Schmidt politisch mal wirklich stramm in einer Reihe mit dem Burschenschafter Sigler – hoffentlich ohne sich dabei besoffen seine Fresse einschlagen zu lassen. Schade aber hier, dass die Rezensenten gar nicht weiter fragen, ob es denn sein kann, dass Herf mit dieser vermutlich auch hier „mit geradezu bewundernswerter Ruhe und Detailgenauigkeit“ generierten markanten Formulierung im Kopf des Betrachters ein altes Stereotyp aus der Hexenküche des altchristlichen Antijudaismus reaktivieren will? Damals sollen es ja die Juden gewesen sein, die den Christen ihr Gift in den Brunnen träufelten. Sind es denn nunmehr die heimtückischen Linken, die „ewigen Antisemiten“ – so der Begriff aus der von Herf im Buch zustimmend zitierten Schrift des AfD-Politikberaters Henryk M. Broder -, die mit ihrem „toxischen ideologischen Gebräu“ heute das diabolische Werk gegen Israel verrichten? Die Linken von heute als Juden von gestern, und zwar nicht als Verfolgte sondern als Mörder? Und zwar als „Vernichtungsantisemiten“ (Heid), die sich, um die „Fortsetzung des Nationalsozialismus“ (Grözinger) bemühen, um so letztlich, den Judenstaat“ auszuradieren? (Könau) Da liegt bei einigen der Rezensenten die Antwort auf die so indirekt wie wohl „scharfsinnig“ von Herf aufgeworfene Frage ein stramm ausgerufenes „Jawohl!“ eigentlich nahe.

Markus Mohr

Dieser Beitrag ist aus aus einer intensiven Diskussion mit Klaus Wernecke hervorgegangen, dem ich danke. Zusammen mit ihm hat der Verfasser für die September-Ausgabe der Zeitschrift sozialismus eine kritische Besprechung des Buches von Herf verfasst.

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