Lávate las manos y quédate en casa“ (Wasch dir die Hände und bleibe zu Hause)

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„Lávate las manos y quédate en casa“ (Wasch dir die Hände und bleibe zu Hause)

Ein „Corona-Brief“ aus Spanien im Mai des Jahres 2020

 

Eigentlich wollte ich nur für ein paar Tage aufs Land fahren, um den Käse für meine Kooperative abzuholen und die Wasserversorgung für meinen Garten anzustellen, aber da holte mich das Ausgehverbot ein.

Egal, wo man oder frau war, das Haus durfte nicht verlassen werden. In einigen Gegenden und Orten wurde die Überwachung von Dronen übernommen. Zusätzlich hatte ich noch meine Aufenthaltsbestätigung und meinen Pass in Barcelona liegen gelassen. Da saß ich dann im Haus, Internet nur über mein Handy, mit einem Uraltcomputer und einem Uraltfernseher mit mobiler Antenne; letztere hatte zur Folge, dass ich nur den katalanischen Hauptsender für Nachrichten reinbekam. Mehr Manipulation konnte ich mir nicht wünschen, um mich gänzlich ohnmächtig zu fühlen und mich zu regelmäßigen Wutanfällen provozieren zu lassen. Zum Glück konnte ich im Radio ab und an einen Musiksender empfangen (mit der stündlichen Aufforderung, mir die Hände zu waschen und zu Hause zu bleiben).

Die ersten drei Wochen war ich vollkommen paralysiert. Die Bombardierung von WhatsApp-Nachrichten, Anrufen, Artikel, Nachrichten machten mich unfähig, irgendeine Aktivität in Angriff zu nehmen. Ich bin, außer zum Einkaufen in den nahegelegenen Ort mit selbstgebastelter Maske, nicht mal vor die Tür gegangen, obwohl ich in diesem winzigen Dorf sehr wohl rausgehen und in den Feldern rumstreifen konnte (diese Gegend blieb von Dronen verschont, glaube ich). Nur in meinen Hof bin ich gegangen.

Nach drei Wochen habe ich mich gezwungen, längere Spaziergänge zu machen. Es ist ja Frühling, und meine Lieblingsblumen fingen an, die Wegränder mit ihren roten Blüten zu markieren, überall sprossen Frühlingsblumen. Am Anfang konnte ich nur kurze Strecken laufen, weil meine Beinmuskulatur nicht mitspielte (wie nach einem längeren Krankenhausaufenthalt).

Ich habe nur noch Artikel gelesen und den Konsum der offiziellen Nachrichten reduziert, die sich nur noch mit Corona Virus beschäftigt und gespickt waren mit Todeszahlen, das Zeigen von Särgen, die aus Altersheimen getragen wurden, Bilder von Bestattungsinstituten, wo sich die Särge akkumulierten, Verbrennungsöfen, die die Menge an Toten nicht mehr aufnehmen konnten, Diskurse der Regierung (der spanischen mit dem Gesundheitsminister, Regierungssprecherin begleitet von zwei Militärs in Uniform mit deren Kommentar, sie werden die Regierung „verteidigen“, was zu einem mittleren Skandal geführt hat; der katalanischen samt Innenminister und katalanischer Gesundheitsministerin mit ihrem immer wieder neuen Diskurs gegen die spanische Regierung und ihrer Unabhängigkeitsparabel und „wir Katalanen machen es besser“-Geschwätz). Nach den Nachrichten wurde dann geschmackvoll von den bisherigen Pandemien berichtet und die dazu gehörigen Bücher empfohlen; klar, St. Jordi (der Tag des Buches für die Männer und der Rosen für die Frauen) ist auf Juli verschoben worden.

Letztendlich ging es mir nicht so schlecht auf dem Land. Ich war zumindest nicht in einer Wohnung eingesperrt, wie so viele in der Altstadt in dunklen Wohnungen mit ihren Kindern. Die Kinder haben nur Unterricht per online, und nicht alle Familien haben Internet und ein Tablet oder Computer. Im Fernsehen wird gezeigt, was die Familien alles so mit ihren Kindern machen können: Spiel und Bewegung, alles ganz lustig und spaβig. “Merkwürdigerweise“ wird das alles in riesigen Wohnungen mit entsprechender Terrasse praktiziert. Wer hat solche Wohnungen? Wie viele Leute in der Altstadt leben in dunklen, kleinen Löchern? Wie viele geräumte Familien leben in Pensionen in einem Zimmer zusammengefercht ohne Kochgelegenheit? Wie viele müssen in den Armenküchen um Essen anstehen? Wie die Geschichte meiner neuen Nachbarin mit ihren drei Kindern. Ein Jahr lang hat sie mit ihren drei Kindern in einer Pension ohne Kochgelegenheit nach ihrer Räumung leben müssen. Zum Glück konnte noch eine Besetzung einer gröβeren Wohnung, dessen Besitzer ein Imobilienspekulant ist, vor dem Ausgangsverbot organisiert werden.

Ohne die „sindicats de habitatge/sindicados de lloger“ (Mietersyndikate) und dem „suport mutua“ (Gegenseitige Unterstützung) in den verschiedenen Städten und Stadtteilen, in denen sich die Betroffenen in Form von asambleas organisieren, würden sich die Leute in dem herrschenden Diskurs verlieren.

Hier bei einem Aufruf zur Wiederaneignung der Straβe am 19.5.2020

https://twitter.com/i/status/1262823151001653248

Lávate las manos y quédate en casa

Der Leitsatz dieser Wochen – auch wenn es dem Satz an einer inneren Logik mangelt, er aber doch sehr wirkungsvoll ist, wenn du ihn jede Stunde in Radio und Fernsehen hörst. Kann ich ein Seifenkonsumlied von singen – ich habe mich dabei ertappt, mir so oft die Hände zu waschen, dass sie spröde sind. Ja, ich wasche mir die Hände und vergesse die Flüchtlinge in den Lagern, ich akzeptiere die Scheiss Weltlage, ich nehme in Kauf, die Leute, die weder ihre Wohnungen noch ihr Essen zahlen können, auch einen vermeintlichen Verrückten, der durch Barcelona zieht und Obdachlose erschlägt (vier an der Zahl). Meine Hände sind sauber, ich mache sie mir nicht schmutzig.

Schuld an allem ist das Virus. Keine kapitalistische Krise, nein, die Coronakrise. Die Naturalisierung der Krise, der absehbaren Krise.

Beim Einkaufen gehen alle anderen Leute und ich auf sicheren Abstand. So kreativ sind wir, dass wir uns die „nützlichen“ Masken selbst basteln. Nur nicht zu nahekommen. Bezahlt wird mit Kreditkarte, bestellt bei Amazon, soziale Kontakte über Internetbetreiber. Wer gewinnt an dem Ausgangsverbot und der Panikmache?

Das Klatschen jeden Tag um 20 Uhr. Danke, Danke, Dankeschön!

Danke an das an der „Front“ arbeitende Pflegepersonal samt der zurückgerufenen, schon pensionierten PflegerInnen und Ärzte (in einem heruntergewirtschafteten und privatisierten Gesundheitssystem).

Danke den Altenpflegerinnen in den zum größten Teil privatisierten Altersheimen, wo sich so manch vormaliger Politiker (auch und besonders katalanischer) eine goldene Nase verdient hat.

Danke den Lehrerinnen und Lehrern, die jetzt online-Unterricht geben dürfen.

Danke der Polizei, die sich aufopfernd ethnischen Kontrollen hingibt und auch mal die Nerven verliert … Ein Polizist zieht seine Waffe:

https://www.youtube.com/watch?v=PFAW8kiLwoo

 

Danke dem Militär, die sich an den Kontrollen beteiligt und auch mal Altersheime desinfiziert; alles in Kampfanzügen und mit entsprechenden Gasmasken, naja, Tarnanzüge sind halt ihre Arbeitskleidung.

Danke der Regierung, die jetzt für ein paar Monate die Räumungen gestoppt hat, auch wenn sich die Imobilienhaie nicht daran halten und Räumungsfirmen damit beauftragen, die mit der Stadtpolizei und den Mossos de Guardia (katalanische Polizei) im Schulterschluss aktiv werden.

Danke den Landwirten, die zur Ernte keine Erntearbeiter bekommen, weil keiner hier für 3,50€ die Stunde arbeitet. Das war die Hochabschöpfung der Arbeiter aus dem Maghreb, die jetzt nicht mehr kommen können.

Danke, Dankeschön Amancio Ortega, Besitzer von der Multinationalen Inditex (bekannte Marken wie Zara, Bershka, Pull & Bear und andere), reichster Mann Spaniens und einer der Reichsten der Welt, für die Spende von 300.000 Masken und die für seine ArbeiterInnen auferlegte Kurzarbeit und Entlassungen.

Danke an Seat (vom 16.3. bis 27.4. geschlossen, ab dann arbeiten von 11.000 4.000 in Kurzarbeit), an Nissan für ihr von der spanischen Regierung genehmigten Umwandlung der Arbeitsverträge in Kurzarbeits- und Zeitverträge mit der Entschuldigung der Coronakrise (ohne Corona, keine Krise …) und der Drohung von totaler Schlieβung des Werks in Barcelona.

Auch die Zulieferunternehmen gehen jetzt den Bach runter wie viele mittlere und kleine Betriebe.

Es geht bei Nissan um 3.000 direkte und 20.000 indirekte Arbeitsplätze und nicht erst seit der „Coronakrise“.

Danke für die Anteilnahme an all die Ein-Personen-Selbstständigen, die sich aus der Sozialversicherung rausbegeben, weil sie die Beiträge nicht mehr bezahlen können.

Danke! Kniefall, sich beugen vor den Virologen, den Politikern, den „Gutmenschen“, den „Kümmerern“.

Ich kann es nicht mir hören!!!!!

 

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