Die junge Welt hat sich von sich verabschiedet. Von Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder

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Die junge Welt hat sich von sich verabschiedet.

Dieser Beitrag hat aus zweierlei Gründe eine wichtige Bedeutung:

Wenn man ein Virus oder auch etwas anderes zum Subjekt der Geschichte erhebt, anstatt diejenigen, die damit etwas machen und begründen, dann täuscht man eine Zwangsläufigkeit vor, die es weder aus medizinischer, noch politischer Sicht gibt. Es geht um (kapitalistische) Verhältnisse, in denen ein Menschenleben etwas zählt und eben nicht. Diese sichtbar zu machen, wäre Aufgabe einer Linken. Es geht in dieser notwendigen Debatte auch um erkenntnistheoretische Grundsätze, hinter die eine Linke nicht zurückfallen darf.

Um darauf zu bestehen, dass jeder Notstand immer auch durchsetzt, was im Normalzustand schwer oder gar unmöglich gewesen wäre, braucht man keine Dunkelmänner, keine finsteren Mächte und schon gar keine Verschwörung, sondern nur den Blick in den lichtdurchfluteten Plenarsaal des deutschen Bundesstages.

 

 

Kommentar zu: Katalysator Corona von Stefan Huth, und zum Interview mit Rechtsanwältin Gabriele Heinecke von Markus Bernhardt, junge Welt vom 16.05.2020

Die General-Linie dieser Zeitung, die der Chefredakteur Huth nochmal durchexerziert, ist, ein Virus – das „neuartige“ Virus, das „humanpathogene Virus SARS-CoV-2“ – zum Subjekt der Geschichte zu machen.

Das ist für eine marxistisch sich nennende Zeitung schon eine Ungeheuerlichkeit – die zu begründen einem Chefradakteur gut angestanden hätte.

Subjekt der Geschichte ist bisher unbestritten der Mensch, die Menschen – in ihrer gesellschaftlichen Organisiertheit, ihren „Verhältnissen“, kapitalistischen immer noch.
Aber man muss gar nicht zu den Sternen des Marxismus greifen, nach der Kritik der Religion durch die Aufklärung, die Gott als Subjekt der Geschichte entthront hat, ist dies  allgemein gesicherte Gewissheit (aller Sozialwissenschaften), und selbst die aktuelle Politik des Corona-Regimes zeigt diesen Subjekt-Anspruch, indem sie durchaus unterschiedliche und unterschiedlich konsequent durchgesetzte Maßnahmen „gegen das Virus“ – wie sie behauptet – ergreift, in Wirklichkeit sich des Virus als Argument bedient.[1]

Das Virus zum Subjekt zu machen ist auch nicht „wissenschaftlich“ zu begründen, sondern „politisch“: das wirkliche Subjekt kann damit aus dem Schußfeld der Kritik gezogen werden. Nichts wäre für eine „marxistisch“ sich nennende Zeitung leichter, als in einer „Krise“ das Subjekt der Krise vorzuführen: der Kapitalismus „entlarvt“ sich selbst! Nirgends und niemals zeigt er sich in seiner Menschen verachtenden, irrationalen Weise augenfälliger als in der Krise: das gesamte soziale kulturelle Leben bricht zusammen, Existenzen werden vernichtet, Menschen sterben an mangelnder medizinischer Hilfe oder fehlendem menschlichen Kontakt – doch nicht weil das Virus alles zerstört?

Das Virus sei verantwortlich für alles, was wir derzeit an Elend erfahren müssen: Ist das alles, was ihr an Analyse zu bieten habt? Ist die Kritik an der Privatisierung und damit Verstümmelung der medizinischen Versorgung und Forschung vergessen? Ist vergessen, dass die Vernichtung von Existenzen durch die krebsartige, quasi „imperialistische“ Ausbreitung der großen wirtschaftlichen Konglomerate zum Prinzip der kapitalistischen Konkurrenz um die Profite gehört, ist vergessen, dass das kulturelle Leben dem „Markt“ untergeordnet ist, letztlich die „marktkonforme Demokratie“ als Mantra der Kanzlerin vorangetragen.

In einem Beitrag im „Freitag“ vom 14. Mai 2020 über Juli Zeh, die 2009 mit „Corpus Delicti“ einen Roman über eine „Gesundheitsdiktatur“ veröffentlicht hat, die „wie eine Antizipation unserer coronösen Gegenwart“ erscheine, stellt der Referent ungläubig fest „interessant auch, dass die Maßnahmen zur Etablierung einer umfassenden Gesundheitsdiktatur weder auf Pandemie- und Seuchenschutzgründe noch auf konspirative Machenschaften finsterer Hintermänner, sondern auf gesellschaftliche Krisenerscheinungen zurückgeführt werden.“[2]

Solches Erstaunen überkommt den Redakteur einer linken Tageszeitung schon gar nicht mehr. Für ihn ist es immer nur „Corona“, wo er Corona-Regime sagen müsste: das Regime, das seine Maßnahmen mit „Corona“ legitimiert. Diese plötzliche Umkehrung allen Denkens, ist es das, was von linker „Radikalität“ übriggeblieben ist?

Man kann einwenden: ganz so radikal ist die Wende, jedenfalls bei Huth, nicht: Immerhin schreibt er einschränkend, nicht das Virus ist allein Ursache der Krise, sondern „das Virus trifft auf eine krisengebeutelte Weltökonomie. Bereits vor Beginn der Pandemie mehrten sich die Zeichen für eine langanhaltende, tiefe Rezession, gab es branchenübergreifend Absatzprobleme infolge von Überproduktion“. Das ist nicht sehr präzise ausgedrückt: es „mehrten“ sich nicht „die Zeichen“, sondern die Krise war seit 2008 real. Es ist, wie Varoufakis etwas zu mechanisch sagt, die „Krise des Kapitalismus“:

„Was jetzt in den Zeiten von Corona passiert, ist Ausdruck dessen, was seit 20 Jahren in Europa geschehen ist. Die Welt hat sich […] nicht wirklich verändert, vieles kommt nur jetzt deutlicher zum Vorschein.“[3]

Und in einem erweiterten Verständnis ist diese Krise auch die Krise der „monetaristischen“ „Krisenbewältigungspolitik“. Aber die jetzigen Bewältigungsversuche ziehen daraus keine Konsequenz, sondern verdecken nur ihr Scheitern. Man könnte sagen: sie übernehmen die „Aufgabe“ der Krise: sie zerstören die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Existenzen, die Menschen, noch bevor die Krise das zu Ende gebracht hat. Und man könnte sagen, dies stelle den Versuch dar, die Krise in den Formen der bisherigen Produktions- und Herrschaftsstruktur zu halten. Dafür suspendieren sie die bürgerliche Verfassung und zerstören wirtschaftliche Existenzen. Für diesen ungeheuerlichen Eingriff brauchen sie eine ungeheure Rechtfertigung, so etwas wie einen übergesetzlichen Notstand, einen Grund jenseits ihrer Verantwortung, ein Subjekt aus dem Jenseits.

Und weil sie sich bei alledem nicht sicher sind, greifen sie zur „Vorwärtsverteidigung“, indem sie diejenigen diffamieren, die sich mit diesem Taschenspielertrick nicht übertölpeln lassen wollen und unbeirrt weiter nach dem cui bono fragen. Ihnen wird das Totschlagargument der „Verschwörungstheorie“ entgegengehalten – und mit „Verschwörungstheorie“ landet man innerhalb der Linken in der rechten Ecke. Auch das hat Tradition: „Rechtsabweichung“ war bereits in den 20er Jahren ein vernichtender Vorwurf. Heute wird man damit zum Idioten und Spinner abgestempelt. Beispielhaft definiert das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“:

„Corona ist ein Plan C, wird durch 5G-Strahlen übertragen und am Ende lässt Bill Gates uns alle chippen. So oder so ähnlich klingen die seit Wochen verbreiteten und – wie sie großmäulig, aber zu Unrecht behaupten: „vielfach widerlegten[4] – Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie“.[5]

Belegt, zumindest mit Zitaten wird das in keinem Fall, braucht das auch nicht zu werden, denn bereits die Behauptung genügt, sie wirkt, auch und gerade, weil sie nicht mit Argumenten zu widerlegen ist.

Die „dunklen Mächte“ sind alles andere als dunkel, sie agieren im hellen Licht des Parlaments und der Medien, man braucht ihnen keine „5G-Strahlen“ anzudichten, es genügen die Ausstrahlungen der Fernsehsendungen und die Verteilung der Printmedien und Gates verkündet in aller Öffentlichkeit seine Pläne – „nur“ seiner Behauptung, dass sie notwendig und alternativlos seien, darf nicht widersprochen werden, wenn man nicht als „Verschwörungstheoretiker“ vom Platz gejagt werden will.

Unglaublich diese Skrupellosigkeit, mit der die Produkte der eigenen Phantasie den anderen unterschoben werden, wie mit anmaßender Geste pathologisiert und kriminalisiert wird, was dem eigenen verängstigten Knechtsgeist widerspricht. Unglaublich wie in schändlicher Weise das Elend verharmlost wird, das das Corona-Regime hinterlassen hat und weiter hinterläßt. Unfassbar die völlige Kritiklosigkeit gegenüber den leichtfertigen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheitsrechte – entgegen dem ausdrücklichen Recht des Artikel 8 des Grundgesetzes, sich »ohne Anmeldung oder Erlaubnis« zu versammeln.

Wie Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Mitglied im Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e. V. (RAV) im Gespräch mit der jungen Welt feststellt, hat erst Mitte April 2020 das Verfassungsgericht erfreulicherweise sehr deutlich darauf hingewiesen, dass auf Versammlungen immer noch Artikel 8 GG anzuwenden ist und pauschale Erwägungen der allgemeinen Gesundheitsgefährdung für ein Verbot nicht ausreichend sein können“. [6]

Mit Gabriele Heinecke kommt endlich in der jungen Welt einmal eine andere, eine staatskritische Stimme in Sachen Corona zu Wort, das ist sehr erfreulich, zugleich auch etwas verwunderlich – denn der Interviewer Markus Bernhardt ist ja gar nicht einverstanden und hält sich mit aggressiv-empörten Interventionen nicht gerade zurück. Es ist bewundernswert, wie selbstverständlich und entschieden die Anwältin Heinecke das Verfassungsrecht verteidigt, auch gegen Gesundheitsschutz, so die Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit und Meinungsfreiheit. Und das muss für sie auf der Straße zum Ausdruck kommen. Sie will nicht zulassen, dass „Grundrechte unter dem Eindruck der Seuche ihre Bedeutung verlieren“. Sie benennt sehr richtig die Einschränkungen der Grundrechte „quasi Notstandsregelungen“, „autoritäre Restriktionen“.

„Man kann eine Demokratie nicht dadurch vor einer Seuche retten, indem man sie mit verfassungsrechtlichen Zumutungen erwürgt.“

Genau diese Anliegen aber verfolgen die, in der jungen Welt, bei antideutschen Antifas und überall so geschmähten und als rechts diffamierten „Hygienedemos“. Es ist daher besonders schade, dass Gabriele Heinecke selbst in diesen Schmäh einstimmt, völlig vorurteilsbelastet. Es kann schon sein, dass diese Behauptung sich irgendwann erfüllt – aber eben, weil die gesamte Linke einfach nicht präsent ist. Stattdessen sich eine unglaubliche Verrohung der Formen im Umgang mit Andersdenkenden erlaubt. Der Preis für den Wechsel auf die andere Seite der Barrikade.

Gestern, Samstag, 16.Mai 2020 in Berlin, eine Straßenkreuzung weiter neben dem Rosa-Luxemburg-Platz hielten junge Leute, untertänigst den Maulkorb vorgeschnallt, Sprüche hoch wie „Wer Verschwörungstheorien hat, hat auch Vernichtungstheorien!“ und „AfD, KenFM, Nazis vernichten!“ und dabei brüllten sie lauthals: „Antifascista!“ Verwirklicht sich bereits, was Bandelt prognostiziert hat: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus!‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus!‘“.[7] Den „Vernichtungswillen“, den Adorno und Horkheimer 1944[8] dem Faschismus bescheinigt hatten, zeigen sie bereits.

Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder

 

[1] https://www.ngfp.de/2020/03/der-diskurs-der-macht-hat-das-corona-virus-okkupiert-dazu-einige-widerstaendige-wortmeldungen-aus-dem-kreis-der-freunde-der-neuen-gesellschaft-fuer-psychologie/

[2] Ralf Klausnitzer (2020). Was läuft hier schief? Der Freitag 20, S. 13

[3] „Corona hat das Potenzial, uns alle zu zerstören“ Interview mit Yanis Varoufakis von Marcel Malachowski | 2020-04-16 | Interglobal; https://www.woxx.lu/yanis-varoufakis-corona-hat-das-potenzial-uns-alle-zu-zerstoeren/

[4] https://www.rnd.de/panorama/5-corona-verschworungstheorien-und-ihre-widerlegung-JLA5AH3FB5C7PF7EPJD36RJ: OD4.html

[5] https://www.rnd.de/promis/corona-verschworungen-warum-drehen-so-viele-promis-durch-DXPR5VP4KNCODIQWMIXJJ3QQUA.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

[6] Mal so eben ein Verfassungsrecht weggefegt. Gespräch mit Gabriele Heinecke. Interview: Markus Bernhardt. Junge Welt 16.05.2020, Wochenendbeilage, S. 1; https://www.jungewelt.de/artikel/378468.coronakrise-mal-so-eben-ein-verfassungsrecht-weggefegt.html

[7] Hans-Jürgen Bandelt (2018). Brief an einen Philosemiten. https://www.rubikon.news/artikel/brief-an-einen-philosemiten

[8] Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (1944/1947). Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Friedrich Pollock zum 50. Geburtstag. Querido, Amsterdam 1947, S.149

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