Grass(er) Un-Frieden – Wer bringt welchen (Welt-)Frieden in Gefahr?

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Grass(er) Un-Frieden – Wer bringt welchen (Welt-)Frieden in Gefahr?

Die Reaktionen auf das  Gedicht von Günter GrassWas gesagt werden muss“, eine massive Kritik an der gegenwärtigen israelischen Regierung, bevorzugen in weiten Teilen Nebenkriegsschauplätze, zu denen auch Grass beigetragen hat.
Im Kern bringt Günter Grass etwas zur Sprache, was im Mainstream der westlichen Medien tunlichst klein gehalten bzw. verschwiegen wird.
Der Staat Israel ist seit Jahrzehnten im Besitz von Atomwaffen, verweigert jede Überprüfung, verweigert jede politische Stellungnahme, jede Klärung.


Dass man dazu im ›Netz‹ einiges findet, ist hilfreich, aber nicht entscheidend. Die Aufregung über Grass’ Äußerungen ist dem Umstand geschuldet, dass nur jemand wie ein Nobelpreisträger etwas in die Leitmedien bringt, was ansonsten bestenfalls eine Randnotiz wert ist.
Denn niemand in den Leitmedien setzt den Staat Israel als tatsächliche Atommacht mit den Vorwürfen gegen der iranischen Regierung (sie strebe den Besitz von Atomwaffen an) ins Verhältnis und stellt die schlichte Frage: Geht es um die Beseitigung, um die Vernichtung von (atomaren) Massenvernichtungsmitteln, oder nur darum, wer sie für welche Interessen einsetzt?
Und niemand will laut und deutlich fragen, warum Atomwaffen im Besitz des Staates Israels weniger gefährlich sind, als Atomwaffen im Besitz des iranischen Staates?

Günter Grass hat mit seinen Äußerungen zum israelischen Atomwaffenprogramm eine ›rote Linie‹ überschritten – in Deutschland, aber auch in vielen westlichen Staaten, die mit Israel politsch, wirtschaftlich und militärisch verbunden sind. Der Atomwaffenbesitz Israels ist ein Staatsgeheimnis und alle anderen (westlichen) Staaten machen nichts, aber auch gar nichts, um an diesem Geheimnis zu rütteln.
Wer jedoch dieses ›Staatsgeheimnis‹ qualifiziert gefährdet, landet wegen ›Landesverrat‹ für Jahre im Gefängnis, wie der ehemalige Nukleartechniker Mordechai Vanunu, „der 1986 die Existenz des bis dahin geheimgehaltenen Nuklearforschungsprogrammes Israels und damit die faktische atomare Bewaffnung des Landes aufdeckte.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Mordechai_Vanunu). Er wurde vom israelischen Geheimdienst Mossad in Italien gekidnapt, nach Israel verschleppt und dort zu 18 Jahren Haft verurteilt. Bis heute darf er „Israel nicht verlassen, darf sich keiner ausländischen Botschaft nähern und muss über geplante Ortswechsel Rechenschaft ablegen. Außerdem darf er weder das Internet noch Handys benutzen, und jeder Kontakt mit ausländischen Journalisten ist ihm verboten. Er befindet sich gewissermaßen immer noch in einer abgeschwächten „Incommunicado-Haft”.“(s.o.)

Während über dieses Faktum und vor allem über die politischen Folgen geschwiegen wird, bezichtigt man die iranische Regierung, sich in den Besitz von Atomwaffen zu bringen. Ob dies beweisbar ist oder ob abermals gefälschte Beweise (wie das ›Massenvernichtungsprogramm‹ des Iraks oder die ›KZs‹ im ehemaligen Jugoslawien) nur einen ›vernünftigen‹ Kriegsgrund liefern sollen, muss hier nicht beantwortet werden. Die Skepsis gegenüber jenen, die solche ›Beweise‹ liefern, dürfte so berechtigt sein, wie die Skepsis gegenüber Beteuerungen der iranischen Regierung, lediglich die zivile Nutzung der Atomenergie im Auge zu haben.

Seit ein paar Jahren wird die iranische Regierung verdächtigt, mithilfe der zivilen Nutzung der Atomenergie ein Atomwaffenprogramm zu realisieren. Diejenigen, allen voran die westlichen Atommächte, wissen wovon sie reden. Ohne die Hilfe der ›anerkannten‹ Atommächte hätte Israel nicht in Besitz von Atomwaffen gelangen können. Ohne den Bruch des Nichtverbreitungsabkommens wäre das nicht möglich gewesen. Wenn also der iranischen Regierung vorgeworfen wird, dass sie sich unter Missachtung internationalen Rechts in den Besitz von Atomwaffen bringen will, dann ist dieser Vorwurf vonseiten der Atommächte mehr als heuchlerisch.
Dass die zivile Nutzung von der militärischen Nutzung der Atomenergie nicht zu trennen ist, ist keine iranische Gemeinheit, kein islamischer Sonderweg. Gerade die Atompolitik Deutschlands in den 80er Jahren wusste diesen Umstand zu nutzen: Die ›zivile‹ Hochtemperaturreaktorlinie/HTR, die deutsche Bundesregierungen auf den Weg brachten, nutzten hochangereicherten Kernbrennstoff. Damit brachte sich Deutschland in den Besitz von waffenfähigen Atommaterial – unter Bruch aller internationaler Vereinbarungen.


Wenn heute die iranische Regierung aufgefordert wird, die Anreicherung atomaren Materials auf 20 % einzustellen, während im Deutschland der 80er Jahre atomares Material mit einem Anreicherungsgrad von über 80 % produziert wurde, dann versteht man, dass es in dieser Auseinandersetzung nicht um die Durchsetzung internationalen Rechts geht, sondern um imperiale Anmaßungen, um Kriegsgründe – am allerwenigsten um die Wahrung des Weltfriedens.
Die Sanktionen gegenüber dem Iran, die offenen Kriegsdrohungen vonseiten der US-Regierung, aber auch vonseiten der israelischen Regierung werden vordergründig mit internationalem Recht begründet: Iran halte sich nicht an den Atomwaffensperrvertrag, breche ihn und müsse von der ›internationalen Staatengemeinschaft‹ zur Raison gebracht werden.
Kennt jemand besagten Atomwaffensperrvertrag, gegen den Iran eklatant verstoßen haben soll?
Der Atomwaffensperrvertrag enthält i.w. zwei Verpflichtungen: Die im Besitz von Atomwaffen befindlichen Staaten verpflichten sich, sich nicht an der Verbreitung von Atomwaffen zu beteiligen (Profilerations-Verbot).
Die Bereitschaft anderer Staaten, auf Atomwaffen zu verzichten, sich nicht in den Besitz von Atomwaffen zu bringen ist an die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten geknüpft, dass sie Zug um Zug ihr Atomwaffenarsenal abbauen.
Das Ziel des Atomwaffensperrvertrages ist es also nicht, dass Atomwaffenstaaten unter sich bleiben, ihre Monopol behaupten, sondern die Abschaffung aller Atomwaffen.

Die offiziellen Atomstaaten befinden sich demzufolge in einem Zustand permanenten Vertragsbruches: Sie haben Nichtatomstaaten zu Atomwaffen verholfen und sie weigern sich fortgesetzt, ihre Atomwaffen auf Null zu reduzieren.

Bei der Auseinandersetzung um das ›umstrittenen‹ Atomwaffenprogramm im Iran geht es also nicht darum, dass sich jemand in den Besitz von Atomwaffen bringen will, sondern wer dies tut!
Im schlimmsten Fall bedient sich die iranische Regierung derselben Täuschungen, wie jene Staaten, mit deren Hilfe sie zu Atomwaffen gelangten, dieselben Staaten, die sich im Fall Iran alle Optionen, einschließlich eines Angriffskrieges offenhalten, um die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.

Über Krieg, über die Notwendigkeit, Krieg zu führen, um den (Welt-)Frieden zu retten, reden viele und haben in aller Regel dabei die Welt verwüstet. Warum reden dieselben nicht über den Vorschlag der Arabischen Liga, in dieser Region eine atomwaffenfreie Zone einzurichten?
Dieser Vorschlag ist allen bekannt, kein Staatsgeheimnis! Warum wird nicht mit einem einzigen Wort erwähnt, dass es nicht der Iran ist, der sich einem solchem Vorschlag verschließt?

Wolf Wetzel            April 2012

Wer die Geschichte der deutschen Atompolitik, den Griff zur deutschen Atombombe nachlesen möchte, der möge dieses Text zur Ergänzung  lesen: http://wolfwetzel.wordpress.com/2011/03/20/20-3-2011-in-der-todeszone-der-atompolitik/#more-2395

In einigen Kommentaren auf linksunten. indymedia wird der Text kritisiert: Er verharmlose das iranische Regime, schließlich sei die „parlamentarische Demokratie“ in Israel einer „Diktatur“ im Iran vorzuziehen, die Israel “auslöschen” werde…außerdem vertausche die Diskussion und der Text “Opfer und Täter”…

Einige Anmerkungen zu diesen Kommentaren:

Der Text hatte nicht das Verlangen, über alles zu reden – nicht über die Besatzungspolitik Israels, über die freundschaftlichen Beziehungen zu Diktaturen, wenn sie deren Interessen bedienen … in der Jungle World erwähnt der Autor Ulrich W.Sahm (aus Jerusalem), dass der Staat Israel Iran nicht grundsätzlich als Feind betrachtet: “Die Regierung betont bei jeder Gelegenheit, das der Iran bis 1979 enge Beziehungen zu Israel pflegte” (Nr. 14 vom 5.4.2012). Geht es noch verschwommener? Natürlich weiß der Autor, worüber er schreibt: Es handelte sich um freundschaftliche Beziehungen zum Folter-Regime des Schah von Persien! Genauso wenig beschäftigt sich der Text mit der reaktionären Verfasstheit des Iran, das bekanntlich erst islamisch wurde, nachdem die (radikale) Linke zerschlagen wurde.

Der Text bezieht sich auf die zentrale Aussage, dass der Staat Israel im Besitz von Atomwaffen ist, die im Iran eine so große Gefahr darstellen würden, dass man dies mit allen, also auch militärischen Mitteln (was folglich den Einsatz von Atomwaffen nicht ausschließen würde) verhindern werde – was nichts anderes als ein Angriffskrieg bedeutet.

Wer linke Kritik noch ernst nimmt, sollte nicht erklären, wo Atombomben, wo Präventivkriege, Folter und Liquidierungen angebracht und verständlich sind (das ist doch lediglich eine macht-politische unbedeutsame Doublette aller imperialer Kriegslogiken), sondern zu aller erst Herrschaftskritik betreiben – gegenüber der eigenen Regierung, gegenüber der israelischen, der palästinensischen und iranischen Regierung.

Warum gehen jene Kommentare, die den Kriegsherren beratend über die Schulter schauen, nicht darauf ein, dass es einen Vorschlag der Arabischen Liga gibt, die Region in eine atomwaffenfrei Zone zu verwandeln? 

Wer den Konflikt weiter fassen will (also den Israel-Palästina-Konflikt berücksichtigt sehen möchte), wissen will, ob der Autor Opfer und Täter vertauscht, dem lege ich einen Text nahe, den ich anlässlich des Gaza-Krieges 2009 verfasst habe:

Eine Auseinandersetzung mit linken Positionen zu Israel – Ein Rück- und Ausblick:

http://wolfwetzel.wordpress.com/2009/01/25/eine-auseinandersetzung-mit-linken-positionen-zu-israel-und-zum-einmarsch-der-israelischen-armee-in-den-gazastreifen/

 

 

 

15.4.2012

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