3.2.2010 – Es müsste eigentlich einen Volksaufstand geben

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Am 1. Februar 2010 fand im DGB-Haus in Frankfurt eine Veranstaltung unter dem Titel

Ist Hessen eine Steueroase?‹ statt.

Auf den ersten Blick irritiert dieser ungewohnte Kontext: Wenn man das Wort ›Steueroase‹ hört, denkt man – gut geführt – zuerst an die Schweiz, an Liechtenstein oder die Seychellen-Inseln. Nur nicht an Deutschland.

Aktuelle Brisanz bekam dieses Thema durch die republikweit gestellte Frage, ob man im Kampf gegen die ›Steueroase‹ Schweiz auch mit ›Daten-Dieben‹ gemeinsame Sachen machen darf. Abgesehen davon, dass man sich eine ähnliche Empfindsamkeit wünschen würde, wenn V-Männer der Polizei oder des Verfassungsschutzes zu Straftaten anstiften und Straftaten begehen, um sich Beweismittel zu beschaffen, Grundrechte (wie der Schutz der Privatsphäre, des Brief- und Telefongeheimnisses) im Namen der Staatssicherheit außer Kraft gesetzt werden, ist diese Diskussion an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten.

Alle Wege in die Schweiz führen über in Deutschland ansässige Banken

Man schätzt, dass über 150 Milliarden Euro von deutschen Staatsbürgern in die Schweiz geschafft worden sind. Diese gigantische Summe wurde weder zu Fuß, noch mit dem Auto, in einer schweißtreibenden Nacht- und Nebelaktion über die deutsch-schweizerische Grenze geworfen. 99 Prozent wähl(t)en den völlig normalen und komfortablen Weg zu ihrer Hausbank. Dort beauftragen sie diese damit, ihr Geld spurlos in die Schweiz zu transferieren. Auf die Betreuung solcher Groß- und Privatkunden haben sich auch deutsche Banken (wie die Commerzbank und die Deutsche Bank) spezialisiert. Recht offen werben sie mit ihren ›family-office‹1Angeboten für ›steuerschonende‹ Anlagestrategien, zu denen Stiftungen in Liechtenstein genauso zählen wie anonyme Nummerkonten in der Schweiz. Seit Jahr und Tag ist diese Praxis Gang und Gebe. Anstatt mit Straf- und Gesetzesverschärfungen diese Formen der Beihilfe zu erschweren, mit mehr Steuerfahndern und Befugnissen diese Kriminalität zu bekämpfen, passiert genau das Gegenteil: Ein Amnestiegesetz jagt das andere. Mit ministeriellen Amtsverfügungen werden ›verfolgungsfreie‹ Zonen geschaffen, hartnäckige Steuerfahnder werden versetzt und psychiatrisiert und Strafverfahren gegen lächerliche Bußgelder eingestellt. Das Kavalleriegetöse2 in Richtung Schweiz ist ein gigantisches Ablenkungsmanöver zum Schutz der Steueroase Deutschland – für potente Privat- und Geschäftskunden, die ihren ›individuellen Steuersatz‹ offen (Schweiz) oder verdeckt (Deutschland) aushandeln können.

Zurück zum Tatort Deutschland/Standort Hessen

Thema des Abends sollten die Ereignisse rund um die psychiatrisierten Steuerfahnder der ›Bankengruppe‹ im Finanzamt V in Frankfurt sein. Neben ver.di – Steuerexperte Reinhard Kilmer und FR-Redakteur Matthias Thieme wurde der ehemalige Referatsleiter im Bayerischen Finanzministerium, Dr. Wilhelm Schlötterer, eingeladen .

Seine Vita könnte bizarrer kaum sein. Er war und ist treues CSU-Mitglied und hatte es bis zum Ministerialrat gebracht. Dann passierte etwas, womit niemand rechnen konnte. Anstatt im Amigo-System mitzuspielen, dankbar für Karriere und Anerkennung zu sein, hat er führende CSU-Mitglieder und ›Amigos‹ aus Wirtschaft und Business Class strafrechtlich verfolgt. Dazu zählten u.a. ›Fußball-Kaiser‹ Franz Beckenbauer, ›Bäderkönig‹ Eduard Zwick und Ex-Finanzminister Gerold Tandler.

2009 kam sein Buch ›Macht und Missbrauch‹ heraus, in dem er Dutzende Fälle von Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt detailliert belegt – von Stoiber bis Strauß. Darüber hinaus wirft er dem Ex-Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß vor, »sein Millionenvermögen kriminell erwirtschaftet zu haben: ›Unter Strauß hat der Gesichtspunkt der Bereicherung eine große Rolle gespielt‹, sagt der Ex-Steuerfahnder und fordert eine nachträgliche Untersuchung: ›Zu prüfen wären auch die rechtlichen Möglichkeiten, von Strauß illegal erworbenes Vermögen auch heute noch einzuziehen‹, schreibt er.«1

Wie in allen anderen Bundesländern auch, hat ihm der (Irr-)Glaube, vor dem Gesetz seien alle gleich, nicht Anerkennung und Lob eingebracht: Zuerst wurde er mit Disziplinarmaßnahmen überzogen, schlussendlich versetzt also kaltgestellt.

Sein Fazit: »Die Rechtswidrigkeiten halten heute noch an.«2 war die passende Überleitung zum Gegenstand der Veranstaltung. Wohltuend offen äußerte sich Dr. Wilhelm Schlötterer zu der sogenannte ›Steuerfahnderaffaire‹ in Frankfurt.

»Machenschaften kriminellster Art«

Die Psychiatrisierung von Steuerfahndern bezeichnete er als »Machenschaften kriminellster Art«. Dem regierungsamtlichen Dementi, bei der Zwangspensionierung der Steuerfahnder sei alles mit rechten Dingen zugegangen, widersprach Dr. Wilhelm Schlötterer auf verblüffend eindrucksvolle Weise. Als Beweis erwähnte er den fünften Steuerfahnder, der ebenfalls im Rahmen einer amtsärztlichen Untersuchung zum Psychiater Dr. med. Thomas Holzmann geschickt werden sollte. Als dieser sich bereit erklärte, mit einer Versetzung einverstanden zu sein, verzichtete man plötzlich auf diese amtsärztliche Untersuchung. Damit sei für ihn eindeutig belegt, dass es bei diesen angeordneten Untersuchungen nicht um den Gesundheitszustand angeschlagener Steuerfahnder ging, sondern um eine Erpressungsmethode.

Auf ein weiteres Detail machte er aufmerksam: Zweifellos waren die fraglichen Steuerfahnder gesundheitlich mitgenommen. Niemand wolle dies in Frage stellen, wenn man fünf Jahre diese Amtstortur auszuhalten hatte. Doch besagter Psychiater Dr. med. Thomas Holzmann, dem man nur noch als Dr. H. begegnet, nahm nicht diese Erkrankungen zur Grundlage seines Gutachtens. Er stellte vielmehr etwas fest, was in alle vorangegangenen ärztlichen Untersuchungen niemals Gegenstand einer Diagnose war: Sie seien verrückt, würden unter Verfolgungswahn und massivem Realitätsverlust leiden. Dieser psychiatrische Befund weiche so eklatant von allen anderen ärztlichen Diagnosen ab, dass es dafür nur einen plausiblen Grund geben könne: Diese Gutachten sollten die Auftraggeber zufrieden stellen, die Oberfinanzdirektion und das hessische Finanzministerium, als oberster Dienstherr.

Wenn er darüber hinaus noch die massive Zeugenbeeinflussungen anlässlich des ersten Untersuchungsausschusses 2003-06 dazunehme, wie im Fall des Ex-Steuerfahnders Schad, könne er nur zu einem Schluss kommen: Hier handelt es sich um dem »schwerwiegendsten Amtsübergriff seit der Spiegel-Affaire«.


»Was muss eigentlich noch passieren?« fragte Dr. Dr. Wilhelm Schlötterer in den Raum, der mit über 200 ZuhörerInnen mehr als gut gefüllt war. Wie gelingt es, aus der Rolle des empörten Zuschauers, aus dem Schatten der Fassungslosigkeit herauszutreten?

In der anschließenden Diskussion zeigte sich die ganze Paradoxie der augenblicklichen Verhältnisse: Eigentlich hat sich diese hessische Landesregierung das eigene Grab geschaufelt – aber niemand stößt sie dort hinein. Selten hat eine Regierung so viele Beweise geliefert, dass sie nicht nur rechts, sondern auch kriminell ist – aber niemand nimmt sie fest.

Und selbst wenn das eine oder andere einträte: Was käme danach?

Geht es um ein paar Gesetzesänderungen, um eine ›effektivere‹ Steuerfahndung, um eine ›bessere‹ Regierung oder um eine grundsätzlich andere Vorstellung von gesellschaftlicher Partizipation?

Handelt es sich um eine Koch’sche Spezialität oder um ein System, das durch den ›Finanzstandort Frankfurt‹ vorgegeben wird und politische Spielräume nur in Nuancen zulässt?

Was tun?

Zweifellos ist es ein Erfolg, dass die Deutungshoheit nicht mehr aufseiten des Systems Koch liegt: Niemand glaubt noch an die Mär, die Steuerfahnder seien selbst Schuld und die Regierung habe damit nichts zu tun. Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass das System Koch schon viele ›Affairen‹ überlebt hat, was die Frage erlaubt: Warum sollte nicht auch dieses Mal alles im Sande verlaufen?

Der Versuch, alle Hoffnungen auf den zweiten Untersuchungsausschuss zu setzen, verrät eher Ratlosigkeit und Ohnmacht als eine realistische Einschätzung: In diesem hat die Regierung dieselbe Mehrheit wie im ersten Untersuchungsausschuss. Es kann und wird dort nicht mehr herauskommen als ein von der Regierungsmehrheit diktiertes Ergebnis und ein nutzloses Minderheitsvotum der Oppositionsparteien.

Auch der Vorschlag, ein großes Bündnis für eine Demonstration zu schmieden, riss niemand wirklich vom Stuhl. Eine Diskutantin rief die gerade stattgefundene Demonstration der StudentInnen am 30.1.2010 in Erinnerung, bei der 2.500 TeilnehmerInnen von 2.500 Polizisten durch die Stadt ›geführt‹ wurden, was mehr einen Gefangenentransport, als einer Demonstration glich. Mitten in der sich breit machende Ratlosigkeit ergriff der bayerische Ex- Ministerialrat Dr. Wilhelm Schlötterer noch einmal das Wort. Zweifellos hätte der Bürger in dieser Demokratie nur einmal in vier Jahren die Möglichkeit, Einfluss auf die Regierung zu nehmen. So nüchtern illusionslos seine Voranstellung war, so überraschend seine Schlussfolgerung: »Es müsste eigentlich einen Volksaufstand geben.«

Ein sicherlich ungewohnter Aufruf von noch unerwarteter Seite.


Wolf Wetzel               4.2.2010

Dieser Beitrag findet sich auch auf den NachDenkSeiten vom 9.2.2010

In Kürze kommt der dritte Teil des Hessenkrimi heraus: Warum man 2,5 Millionen Euro für geschätzte Steuermehreinnahmen von 200 – 400 Millionen Euro ausgibt und 30 – 40 Milliarden Euro jährlich auf der Strasse liegen läßt. Ein Spektakel, das stutzig machen sollte…

Mehr Hintergrundsinformationen bekommt ihr hier: http://wolfwetzel.wordpress.com/2010/01/18/18-1-2010-hessenkrimi-ii/

1 »Das Family Office von Deutsche Bank Private Wealth Management konsolidiert Ihr Vermögen grenzüberschreitend, macht seine Wertentwicklung transparent und lässt Sie die Leistung Ihrer Vermögensmanager besser beurteilen.« http://www.db.com

2Der Ex-Finanzminister Steinbrück wählte 2008 »einen Vergleich mit den Zeiten des Wilden Westens. Beim Treffen der G20-Finanzminister sagte er dem Vernehmen nach, die Schwarze Liste sei ›die siebte Kavallerie in Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann‹. Sie müsse aber nicht unbedingt ausrücken: ›Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt.‹« www.tagesschau.de/wirtschaft/steinbrueck222.html

1 www.br-online.de vom 10.07.2009

2 s.o.

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  1. Tja, von der Demokratie in den vergangenen fünfzig Jahren bis zur Wiedererlangung der Souveränität ist anscheinend nicht viel hängen geblieben. Es herrscht eine Überzeugung, daß der Erfolg alles rechtfertige. Der Zweck heiligt jedes Mittel. Vielleicht eine Art Summe aus der deutschen Geschichtsaufarbeitung.

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