Zwei Fußballspieler und eine Menge Scharfrichter

Veröffentlicht von

Zwei Fußballspieler und eine Menge Scharfrichter

Nichts im Vergleich zu der Hölle.

Wenn das olympische Feuer erlischt.

Gerade in Deutschland haben die Lauftstallmedien die zentrale Aufgabe übernommen, politische Meinungen, die gefährliches Wissen transportieren (könnten), gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen. Wenn man dieses aber nicht mehr übergehen kann, werden sie mit Preisschildern versehen, die klarmachen sollen, dass man sich von solchen Menschen (und Meinungen) fernhalten sollte. Denn es reicht nicht mehr, diese „gefährliche“ Meinung zu unterlassen. Belastend ist bereits, sich in deren Nähe aufzuhalten, sich nicht ausreichend davon zu distanzieren.

Das war im Corona-Ausnahmezustand so, als man die Kritik an den staatlichen Coronamaßnahmen vom Platz stellte, indem man die Personen als „Corona-Leugner“ bzw. „Schwurbler“ denunzierte, die „Hand in Hand“ mit Nazis spazieren gehen.

Seitdem der Corona-Ausnahmezustand nahtlos in die „Zeitenwende“ transformiert worden war, sind KritikerInnen, die der deutschen Kriegspolitik gegenüber Russland widersprechen, nur noch „Putinversteher“ und „Lumpenpazifisten“.

Mit dem Krieg in und um Gaza ab Oktober 2023 laufen dieselben Mechanismen auf Hochtouren. Man hat die Ausstechformen schon parat, putzt sie kurz in trübem Wasser, um sie ganz schnell wieder in Einsatz zu bringen.

Wer nun der deutschen „Staatsraison“ widerspricht, die die reaktionäre israelische Regierung mit Netanjahu einschließt, also den fortgesetzten Bruch des Völkerrechts (durch die Besatzung und Siedlungspolitik), der ist ein „Israel bezogener Antisemit“ und „Hamas-Sympathisant“. Wer nicht ganz so dummdreist „ausstechen“ will, der teilt die politischen Haltungen zum gegenwärtigen Krieg Israels in Gaza in zwei Lager auf:

Die Bösen sind die „Israel-Kritischen“, die dann auch gleich über den Jordan geworfen werden, indem man sie als „pro-palästinische“ Meinung markiert. Wer dieses Etikett angeheftet bekommt, der ist raus aus dem Laufstalldiskurs, aus dem Job, wird mundtot gemacht oder fliegt raus – wie der Mainz-05-Bundesligaspieler Anwar El Ghazi.

Soweit man das halbwegs gut einschätzten kann, gehört Deutschland mittlerweile zu den Ländern, in denen das denunziatorische Klima und die Angst, in den Bannkreis dieser „Verurteilungen“ zu kommen, dominant und hegemonial sind – wenn man sich die öffentlich-rechtlich-privaten Anstalten vergegenwärtigt.

Das liegt nicht nur an der Monopolstellung der Laufstallmedien, die 80 Prozent der Publikationen in ihrer Hand halten. Es liegt auch an der erdrückenden Angst ganz vieler Bürger, die alles tun, um nicht rauszufallen, nicht aufzufallen. Entweder stammeln sie die Regierungsnarrative herunter oder sie schweigen. Sich raushalten ist die Tugend Nummer Eins.

Denn jeder weiß mit „Corona“ und „Zeitenwende“, dass man wahrscheinlich alleine ist und bleibt, wenn man nicht „mitspielt“. Die „rote Linie“, die man nicht übertreten darf, ist sichtbarer als jeder Streifenpolizist.

Das wusste auch der Fußballspieler Anwar El Ghazi ganz genau:

„Stehe für das ein, was richtig ist, auch wenn du alleine dastehst“, meinte El Ghazi auf Instagram: „Der Verlust meines Lebensunterhalts ist nichts im Vergleich zu der Hölle, der die Unschuldigen und Schutzbedürftigen im Gaza ausgesetzt wurden.“

 

Was war passiert?

Nichts auf dem Fußballplatz, nichts während eines Bundesligaspieles. Das Ganze spielte sich jenseits der Auslinien ab.

Am 15. Oktober 2023 postete Anwar El Ghazi auf Instagram einen Beitrag, als etwas Privates, etwas recht Persönliches, also etwa eine Woche nach dem militärischen Einmarsch in Gaza. Bereits zu dieser Zeit haben sich namhafte israelische Politiker zu diesem Krieg und dessen Ziele geäußert. Sie reichten von der Drohung einer zweiten „Nakba“ (Katastrophe), über die Absicht, die Palästinenser ins Meer zu treiben, bis hin zu Vernichtungsfantasien. Dass Hunger dabei auch als Waffe eingesetzt werden soll (und wird), war also längst angekündigt und ihre Umsetzung in vollem Gange.

El Ghazi spekulierte also nicht und machte auch keine Unterstellungen, als er dazu Stellung nahm:

„El Ghazi kritisierte Israel dafür, die Versorgung des Gazastreifens mit Wasser, Lebensmitteln und Strom Anfang Oktober unterbrochen zu haben. Ferner bezichtigte er Israel des Völkermordes. Den Abschluss des Statements bildete einmal mehr die Parole ‚From the River to the Sea, Palestine will be free‘.“ (lto.de vom 18.6.2024)

Welche Einseitigkeit ist zu viel?

Was der Bundeligaverein Mainz 05 auf dem Instagram-Kanal von Anwar El Ghazi zu suchen hat, ist eine eigene Sache. Nur zwei Tage später erhielt der Spieler vom Verein die Nachricht, dass er aufgrund seiner gemachten Aussagen vom Trainings- und Spielbetrieb „freigestellt“ worden sei. Danach wird es wirr, was den weiteren Verlauf anbelangt. Unstrittig ist jedoch, dass der Verein Mainz 05 Anwar El Ghazi am 3. November 2023 fristlos gekündigt hatte. Der Verein begründete dies damit, dass angesichts der fehlenden Einsicht des Spielers die Gefahr bestehe, dass er sich auch weiterhin „einseitig“ zum Gaza-Krieg positionieren würde.

Anwar El Ghazi legte Widerspruch gegen diesen Rausschmiss ein. Ob der Verein das arbeitsrechtliche Prozedere eingehalten hat (Abmahnung, Kündigungsfrist etc.) soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Es geht um die Frechheit, jemand zu feuern, weil er sich „einsichtig“ zum Gaza-Krieg geäußert habe. Das ist gerade in Deutschland an Dreistigkeit nicht zu übertreffen, wenn man den Chor der Einseitigen im Ohr hat, die dermaßen einseitig für die Netanjahu-Regierung Stellung beziehen, indem man sogar regierungsamtlich behauptet, dass sich das Kriegskabinett ans Völkerrecht halten würde und man keine Kriegsverbrechen feststellen könne.

 

Das Schweigen zu Kriegsverbrechen gehört zum Profifußball

Alle außergerichtlichen Einigungsversuche scheiterten. Denn der Verein Mainz 05 wollte darauf bestehen, dass die deutliche und aufrechterhaltene Ablehnung von Kriegsverbrechen die „Treuepflicht“ gegenüber dem Verein verletzt habe. Also landete diese Posse vor Gericht. Was man ehrlicherweise eher für unwahrscheinlich gehalten hat, trat jedoch ein:

Das Arbeitsgericht in Mainz erklärte die fristlose Kündigung für rechtswidrig. Was man eigentlich nicht von einem Gericht erklärt bekommen haben will, passierte jedoch in dieser Verhandlung:

„Der Streit zwischen Mainz 05 und Anwar El Ghazi vor dem Arbeitsgericht in Mainz endete mit einer Niederlage für den Bundesligisten. Bei der Entscheidung ging es um einen Social-Media Post von El Ghazi am 1. November, in dem er gesagt hatte, dass er zu seinem ursprünglichen Posting stehe und dies nicht zurücknehme. Die Vorsitzende Richterin Bettina Chaudhry begründete das Urteil damit, dass keine Pflichtverletzung vorlag, die eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses nötig mache.

Beitrag von Meinungsfreiheit gedeckt

Nach Verständnis eines allgemeinen Publikums sei der Post von der Meinungsfreiheit gedeckt, hieß es.“ (zdf.de vom 12.7.2024)

 

Von der Landkarte gestrichen

Um einiges bekannter ist der filigrane, wendige Fußballspieler Mesut Özil, der auch für die deutsche Nationalmannschaft gespielt hatte. Damals liebten ihn auch Deutsche, obwohl er ein Türke ist. Das verzeiht man ihm, das trägt man ihm nicht nach, wenn er sich erkenntlich zeigt: Für die Deutschen Fußball spielen und ansonsten – am besten – den Mund halten. Diese Nichtssager und Mitläufer gehören zum deutschen Profifußball. Erst recht einer, der hier Fußball spielen „darf“.

Doch Mesut Özil spielt nicht nur Fußball, sondern hat auch eine Meinung. Also keine Fitnesstipps und sonstiges Blah Blah, sondern politische Ansichten. Auch das geht in Deutschland, wenn sie der politischen Klasse gefallen, diese nicht stören.

Das ist anders bei Mesut Özil. Man hat sich sehr darüber aufgeregt, dass sich Mesut Özil mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan gezeigt hatte.

Ich kann dem türkischen Staatspräsidenten nichts Positives abgewinnen. Ich würde nicht neben ihm auf der Ehrentribüne sitzen wollen.

Aber ich will damit nicht den Heuchlern in die Hände fallen. Gerade in Deutschland, wo man – auf ganz stille Weise – hervorragend mit dem Erdogan-Regime kooperiert. Der Milliardenschwere Flüchtlingsdeal gehört u.a. dazu. Darüber verlieren jene, die nun Mesut Özils Nähe zum Staatspräsidenten kritisieren, kein Wort.

 

Aber nun scheint Mesut Özil noch einen draufgelegt zu haben: Er hat auf seinem Instagram-Kanal eine Landkarte gepostet, auf der Israel durchgekreuzt ist – ersetzt durch das Wort Palästina.

 

Die Jüdische Allgemeine vom 31.7.2024 weiß dies sofort einzuordnen:

„Für Zweifel bleibt, nicht nur wegen der Vorgeschichte, kein Raum: Die auf der Landkarte ausgestrichenen Gebiete umfassen ausdrücklich das israelische Kernland und nicht nur die 1967 von Israel eroberten Gebiete, die auf der Karte farblich anders gekennzeichnet sind.

Bereits Ende Mai hatte Özil eine ähnliche Kachel auf Instagram gepostet. Darüber hinaus beschäftigt sich der Ex-Fußball-Profi (er beendete seine Karriere 2023 in der Türkei) auch anderweitig mit dem Nahostkonflikt. So postete er eine Kachel, die Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in orangefarbener Gefängniskleidung zeigt, mit der Aufschrift: ‚Kriegsverbrecher. Kindermörder und Genozid. Satanyahu‘.“

Bleiben wir zuerst bei der Sache: Für die jüdische Allgemeine sind große Teile Palästinas (Westjordanland, Gaza, Golanhöhen und Ost-Jerusalem) „eroberte Gebiete“ und keine besetzten bzw. annektierten Gebiete. Das hat zwar nichts mit internationalem Recht zu tun, sondern im besten Fall mit einer militärischen, imperialen Logik. Im anderen Fall gehören die „eroberten“ Gebiete nach biblischem, religiösem Selbstverständnis zu Israel. Das unterstreichen die israelische Armee, das israelische Kriegskabinett und die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten jeden Tag – und seit Monaten mit immer offenerer, ungebremster Gewalt.

Wer also so hemmungslos mit dem Status besetzter Gebiete in Palästina umgeht, regt sich tierisch darüber auf, dass jemand das Mandatsgebiet Palästina eben also ein Land Palästina versteht – weil die Aufteilung (1948) selbst ein kolonialer, imperialistischer Akt gewesen ist. Es gibt nicht den geringsten Grund, dies selbstverständlich hinzunehmen.

Über den virtuellen Strich und den faktischen Strich in dieser Geschichte

Mesut Özil hat mit einem virtuellen Strich Israel durchgestrichen und durch Palästina ersetzt.

Was er tatsächlich damit symbolisch gemeint hat, ist nicht wichtig. Man könnte ihn fragen, zu einer öffentlichen Diskussion einladen. Warum macht man das nicht?

Diejenigen, die die Herren bleiben wollen, und für die unter ihnen reden und selbstverständlich wissen, wie man diejenigen zu verstehen hat, über die man redet, wissen es besser:

Das Wort „Palästina“ steht für so vieles, für so viel Unterschiedliches, wie das Wort „Israel“. Man müsste darüber offen diskutieren! Wie ethnisch darf, muss „Israel“ sein? Wie ethnisch soll „Palästina“ sein? Wie bestimmend, exklusiv ist es, wenn man „Israel“ meint? Wie exklusiv ist „Palästina“ zu verstehen bzw. zu denken?

Bemerkenswert und beherrschend ist doch nicht der virtuelle Strich von Özil auf einer Karte!

Seit 1948 existiert der reale Strich, der Palästina ausgelöscht hat, auch mit Blick auf die imperiale Teilungserklärung. Dem haben keine „Özils“ oder Palästinenser einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern jene imperialen Mächte, die bis heute kein Interesse daran haben, dass es ein Palästina gibt.

Und wie verhält sich die israelische Staatsregierung? Sie machen – im Gegensatz zu Mesut Özil – keinen virtuellen Strich, sondern einen fetten, blutigen Strich. Man unternimmt alles, damit es kein Palästina gibt! Das ist der Strich, über die sich jene aufregen sollten, die sich über Özils virtuellen Strich echauffieren!

Wer macht einen realen Strich unter das Leben von Hunderttausenden Palästinenser, die seit 1948 vertrieben wurden?

 

Wer redet unverblümt davon, der „Nakba“ (Vertreibung) 1948 eine zweite Nakba folgen zu lassen?

Wer macht einen realen, tödlichen Strich durch das Leben von zehntausenden Palästinensern, die seit Oktober 2023 abgeschlachtet wurden?

 

 

Wer macht einen Strich durch das Leben von Millionen Menschen in Gaza, die seit Monaten nur noch durch eine Trümmerlandschaft ziehen, mehr vom Tod, als vom Leben begleitet?

Ich bin die Heuchelei derer leid, die dies hinnehmen, begrüßen und möglich machen – und geradezu aufblühen, wenn sie sich über den virtuellen Strich eines Mesut Özils aufregen „dürfen“.

 

Wolf Wetzel

 

Publiziert im Magazin Overton am 13.8.2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/zwei-fussballspieler-und-eine-menge-scharfrichter/

 

Quellen und Hinweise:

„Wie viel Einseitigkeit ist zu viel? lto.de vom 18.6.2024: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/arbg-mainz-10ca141123-fsv-05-el-ghazi-kuendigung-from-river-sea-instagram/

Der eliminatorische Nationalismus, Wolf Wetzel, 2023: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/10/23/der-eliminatorische-nationalismus/

Zwischen Krieg und Krieg in Gaza um Palästina, Wolf Wetzel, 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-eliminatorische-nationalismus/

Mainz 05 verliert gegen El Ghazi, ZDF vom 12.7.2024: https://www.zdf.de/nachrichten/sport/fussball-bundesliga-mainz-el-ghazi-rechtsstreit-100.html

Mesut Özil streicht Israel von der Landkarte, Jüdische Allgemeine vom 31.7.2024: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/mesut-oezil-streicht-israel-von-der-landkarte/

„Diverse“ Bundesregierung und diverse Wolfsgrüße, Wolf Wetzel, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/07/30/diverse-bundesregierung-und-diverse-wolfsgruesse/

 

 

https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/zwei-fussballspieler-und-eine-menge-scharfrichter/

 

 

Views: 117

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert