Arbeit am Begriff statt politischer Instrumentalisierung. Von Gerhard Hanloser

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Arbeit am Begriff statt politischer Instrumentalisierung

Gerhard Hanloser

Wer sich heutzutage ins diskursive Getümmel wirft, um anderen Antisemitismus zu attestieren, muss weder das Kapitel „Elemente des Antisemitismus“ aus der „Dialektik der Aufklärung“ von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno kennen, noch ein Wissen über Jean Paul Sartres „Überlegungen zur Judenfrage“ besitzen. Die intellektuelle Disziplin und Beschäftigung mit wichtigen Schlüsseltexten zum Verständnis des modernen Antisemitismus und zu seiner Kritik ist dem schnelle Rückgriff auf nichtssagende Kurzdefinitionen und der politischen Schmähung gewichen.

 

 

War die Kritik des Antisemitismus mal die Königsdisziplin der Gesellschaftstheorie und -kritik, so ist sie – so könnte man etwas elitär und konfrontativ gestimmt sagen – unter die Hofnarren und Schildknechte geraten. Letztere bilden eine kämpferische Schmäh- und Glaubensgemeinschaft heraus, in der längst kein diskursives Landrecht mehr gilt. Wer am besten mit Dreck geschmissen und den Gegner beschmutzt hat, scheint gewonnen zu haben. Hatte Horkheimer mal propagiert, dass eine kritische Theorie selbstkritisch und selbstreflexiv sein, sich nicht zu sehr einer politischen Sache andienen und auf keinen Fall auf instrumenteller Forschung beruhen sollte, so müsste im heutigen Antisemitismusstreit erst einmal brav habermasianisch auf normative „Richtigkeit“ und expressive „Wahrhaftigkeit“ im Diskurs gedrängt werden. Denn Lügen und Unterstellungen beherrschen zuweilen das Feld.

Besonders unappetitlich ist dies, weil sich diejenigen, die anderen Diskursteilnehmern Antisemitismus meinen attestieren zu können, im besten Glauben wiegen, die Guten zu sein. Die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs kommt auch noch mit scheinbarer moralischer Integrität daher. Denn auf einen moralischen Vorsprung kann jeder Diskursteilnehmer hierzulande hoffen, der im Land der Mörder von Millionen Juden, in dem sich der europäische Antisemitismus völkisch-rassistisch auflud und zum Vernichtungsantisemitismus radikalisierte, einen anderen Diskursteilnehmer als „Antisemit“ markiert. Derjenige, den dieser Vorwurf trifft, hat vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte weit weniger gute Karten in der Hand. Der „schwarze Peter“ ist nicht wirklich loszukriegen, wenn man beispielsweise antwortet, man setze sich ja lediglich für die Menschen- und Bürgerrechte der Palästinenser ein. Hier tut sich ein moralisches Gefälle auf, das in der Sache selbst begründet ist, denn Auschwitz war ein beispielloses Menschheitsverbrechen. Wer glaubhaft zu versichern oder vorzugeben weiß, dass er im Horizont dieser Erfahrung agiert, hat gegenüber denjenigen, die Menschenrechtsverletzungen und kolonial anmutende Okkupationspraxis durch Israel anklagen, eine höhere moralische Trumpfkarte in der Hand. Würden letztere Diskursteilnehmer versuchen, ihre Arbeit, ihr Engagement oder ihre politische Leidenschaft, beispielsweise für die Sache der Palästinenser, mit historischen Bezügen aus der deutschen Geschichte moralisch zu unterfüttern, könnte ihnen jederzeit „Instrumentalisierung“ oder gar „Täter-Opfer-Umkehr“ und anderes unterstellt werden, denn – neben Slawen, Sinti und Roma – waren eben Juden die besondere Opfergruppe des deutschen Faschismus. Dass die Antisemitismusankläger natürlich die vom Antisemitismus betroffene Opfergruppe der Juden mit dem Objekt ihrer heutigen Solidarität, dem Staat Israel, schlicht kurzschließen, fällt bereits nicht mehr weiter auf, zumal in Deutschland im Gleichklang mit israelischer Staatsdoktrin sowieso zwischen Juden, Israelis und Zionisten, Regierung und Gesellschaft kaum unterschieden werden kann. Nicht jeder Jude ist Israeli, nicht jeder Israeli ist Zionist. Doch Ignoranz gegenüber dieser Tatsache hilft beim Fortbewegen auf einem ideologisierten Diskurstableau, auf dem Affirmation und Anpassung vorherrscht, denn wer will schon ausgerechnet hier diskursiv ins Straucheln geraten?

Der ominöse israelbezogene Antisemitismus

Die Existenz dieses verlogenen moralischen Gefälles macht es nachvollziehbar, warum überhaupt den haltlosen Konstruktionen und Behauptungen, dieser oder jener sei ein Prototyp des „israelbezogenen Antisemitismus“ Glauben geschenkt wird. Nennen wir ein paar Fälle, werden wir konkret:

Der Theoretiker Achille Mbembe, wohlgemerkt: kein Deutscher, hat in seiner postkolonialen Kritik am globalen Kapitalismus mit keinem Wort irgendeine Herabsetzung von Juden betrieben, wer mit der philosophischen Anlage seiner Arbeiten vertraut ist, würde gar eher eine Wahlverwandtschaft zu jüdisch-universalistischem Humanismus erblicken können. Einzig: Er ist ein Gegner der Okkupationspraxis Israels, eines Landes, dessen Staatsform der israelische Politologe und Geograph Oren Yiftachel als „Ethnokratie“ bezeichnete. Mbembe wurde von irgendeinem Sprechern der FDP-Fraktion im NRW-Landtag als untragbar eingestuft, daraufhin von dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein als Antisemit ausgemacht und sollte als dieser auch in einigen Feuilletonbeiträgen überregionaler Zeitungen markiert bleiben. Um diese Schmähung argumentativ zu stützen, wurde die von ihm selbst zurückgezogenen, zeitweilige BDS-Unterstützung herangezogen, obwohl namhafte Historiker und Politologen eine solche nicht unumwunden als Beweis eines Antisemitismus ansehen und die diesbezügliche Haltung des Bundestags kritisieren. Weiterhin wurde eine etwaige antijüdisch-christliche Prägung Mbembes durch den Benediktinerordnung konstruiert, zuweilen gar die gesamte postkoloniale Kritiktradition als antijüdisch ausgewiesen. Hier wird deutlich, dass die Moralisierung direkt mit politischen Manövern verschränkt ist und ein strategisches Element darstellt in einem banalen politischen Streit, der als das benannt werden sollte, was er ist: ein Streit zwischen mehrheitlich linken und rechten Positionen, zwischen denjenigen, die Herrschaft und Unterdrückung universell anklagen auf der einen und jenen, die Israel vor derart gelagerten Kritiken in Schutz nehmen wollen, auf der anderen Seite.

Mbembe war nicht der erste menschenrechtlich und kritisch eingestellte Humanist, den der Antisemitismusvorwurf von Felix Klein treffen sollte. Davor wollte dieser bereits prüfen lassen, ob die Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ antisemitisch motiviert sei. Der internationale Popstar Roger Waters, Sänger von Pink Floyd, wurde ob seines BDS-Aktivismus nach einem Streit mit Klein ebenfalls ins antisemitische Licht gerückt. Die Genannten sollten nicht die letzten Opfer des öffentlichen Verdachtsfuror sein. Jüngst wurde bekannt, dass Klein eine Veranstaltung finanziell unterstützte, in der der israelische Regierungsberater und polemische Autor Arye Sharuz Shalicar seine instrumentellen Markierungen setzen durfte. So machte dieser den Historiker Reiner Bernstein, der sich seit Jahrzehnten für eine vernünftige Lösung des Israel-Palästina Konflikts einsetzt, zum Objekt seiner Aggressionen, indem er das Bild des selbsthassenden Juden aufwarf, und ihn als „Alibijuden“ und „Judenhasser“ etikettierte. Diese unglaublich ehrenrührigen Beleidigung wollte das Berliner Kammergericht nach einer von Bernstein angestrebten Verleumdungsklage als durch die Meinungsfreiheit gedeckt ansehen. In dieser entgrenzten Diskursschlacht, in dem moralische Herabsetzungen zum üblichen Geschäft gehören und schwer zu übersehende politische Interessen zum Tragen kommen, müsste schleunigst Ordnung gebracht werden: durch Arbeit am Begriff, durch Selbstbeherrschung und Selbstkritik. Doch diese Hoffnung ist naiv, weil der Antisemitismusvorwurf längst zu einer politischen Waffe verkommen ist.

 

Antisemitismusvorwürfe als moderner McCarthyismus

All diese Fälle verweisen tatsächlich auf ein Phänomen, das der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik „neuen McCarthyismus“ genannt hat. Die Formulierung, die auf die antikommunistische Hetze und öffentliche Hexenjagd unter dem Senator Mc Carthy in den USA der 50er Jahre zurückgeht, mag übertrieben erscheinen. Mit dem BDS-Beschluss des Bundestages vom Mai 2019 werden politische Akteure, die nicht glaubhaft versichern können oder wollen, keine BDS-Kontakte zu haben, an Aktionen und Vorträgen an öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Räumen gehindert. Bei verhängten Raumverboten finden die Initiativen weder bei Journalisten Gehör noch bei Politikern. Auch die Kirchen halten sich bedeckt. Mit einigem Erfolg gehen einige Palästina-Gruppen den Rechtsweg, der ihnen offen steht. Die Unterbindung dieses zivilgesellschaftlichen Engagements ist ein politischer Skandal, reicht aber nicht an die Verfolgung und Ermittlungen gegen Künstler und Staatsbedienstete, an die Politik der „Schwarzen Listen“ und der „Ausschüsse für unamerikanische Umtriebe“ heran, die den historischen McCarthyismus ausmachten. Allerdings trifft die begriffliche Parallelisierung mehr als man denkt. Auch heute sind Privatorganisationen und Interessenverbänden, meist Internetgruppen, wichtige denunziatorische Player, auch heute werden Unschuldige oder relativ harmlose Andersdenkende verfolgt und markiert, wenn sie in den Verdacht geraten, eine „falsche“ Meinung zu vertreten oder einer bestimmten Haltung auch nur nahezustehen. Die Kontaktschuld steht im Raum. Damals konnte bereits ein linker Gewerkschaftsaktivist und linksliberaler Kulturschaffender als gefährlicher „Kommunist“ gebrandmarkt werden. Heute ist der Palästinabezogene Menschenrechtler bedroht, des „Israelbezogenen Antisemitismus“ bezichtigt zu werden. In den 50er Jahren spielte der antikommunistische Säuberungsfuror und die Panik, die öffentliche Ordnung der USA könnte durch diesen oder jenen „Kommunisten“ unterhöhlt werden, zuweilen ins Pathologische. Wer leidenschaftlicher Antikommunist war, musste vom Kommunismus nichts verstehen. Wer heutzutage anderen Antisemitismus anhängt, muss weder von diesem noch vom Nahostkonflikt eine Ahnung haben. So wie sich damals der Antikommunist vom „Reich des Bösen“ bedroht sah und linke Stimmen in den USA als dessen 5. Kolonne, so geben einige heutige Diskurskämpfer den Islam als neue große Weltgefahr fürs Judentum und Israel aus und jeder Antirassist, der dies nicht so sehen mag, erscheint ihnen als Grenzträger des Judenhasses. Darf man das schon Verschwörungstheorie nennen?

Viele der antikommunistischen Eiferer der 50er Jahre waren in ihrer Jugend selbst Kommunisten gewesen und hatten zwischenzeitlich dieser Weltanschauung abgeschworen. Als Renegaten kämpften sie mit den realen oder konstruierten Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit und trachten danach, diese nun anderen ans Bein zu binden. In der McCarthy-Zeit wollten sie jene verschwörerische Politik der „Weltrevolution“ bei linksliberalen Hollywood-Schauspielern oder Gewerkschaftsaktivist erkannt haben, für die sie einst selbst eintraten. Heutzutage ist die Anzahl der pro-israelischen Diskurskämpfer, die einen „linken Antisemitismus“ vorgeben zu bekämpfen und dabei selbst aus den arg völkisch, antiamerikanischen und anti-israelischen ML-Gruppen der 70er Jahre stammen oder gleich Horst Mahler die Hand schüttelten, nicht gering.

 

Berlins klar positionierter Antisemitismusbeauftragter

Mit dem Politologen Samuel Salzborn hat Berlin nun einen Beauftragten für Antisemitismus, der gleichzeitig ein alter Bekannter im Diskursfeld Antisemitismus ist. Er ist einer der Hohepriester des neuen McCarthyismus. Theorie verkommt bei ihm zu Theoriebombast, der der Einschüchterung von Laien dient. Als einen mutigen und spannenden Entschluss bezeichnete der Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) es, dem zweifelsfrei belesenen und kundigen Wissenschaftler diese Aufgabe zu überantworten. Mit ihm wird jedoch nicht viel von der nötigen Klarheit in Hinsicht auf den Antisemitismus-Begriff umgesetzt.

Salzborns politische und wissenschaftliche Biographie spricht Bände. Man sollte nicht extra seine Herkunft aus dem „antideutschen Milieu“ bemühen und auf seine publizistischen Auftritte in der Szenezeitschrift „Bahamas“, die sich mittlerweile eines antimuslimischen Rassismus befleißigt und in vollständiger unkritischer Solidarität zur rechten Regierung Israels steht. Wenn Salzborn jüngst in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen darauf verweist, „während meiner politischen Sozialisation in den frühen 90er-Jahren … Ignoranz gegenüber Antisemitismus, der verharmlost, nivelliert, bagatellisiert oder geleugnet wird“, erfahren zu haben, wäre interessant, nachzufragen, wo genau diese Sozialisation stattgefunden habe. In der akademischen und intellektuellen deutschen Linken wurde ab den frühen 90er Jahren der Antisemitismus alles andere als geleugnet, sondern zuweilen gar als die Leitideologie eines drohenden „4. Reichs“ angesehen.

Auf dem Weg seiner Wissenschaftskarriere hat der nun 43jährige Salzborn sich 2011 zusammen mit dem Politikwissenschaftler Sebastian Voigt als Ankläger eines vorgeblichen Antisemitismus der Partei profiliert, der Vorwurf zog trotz Gegenstandslosigkeit eine Bundestagsdebatte nach sich. In dieser kaum „Studie“ zu nennenden Anklageschrift, die vorgab, sich im Rahmen einer „kritischen Extremismusforschung“ zu bewegen, wollten die beiden Autoren vor allem einen begrifflich ominös gebliebenen „linken Antisemitismus“ in der Partei skandalisieren. Den Nachweis des Antisemitismus sind Salzborn und Voigt in ihrer „Studie“ schuldig geblieben. Das Gerücht war aber im Raum. Als letzte politische Intervention unterzeichnete Salzborn Ende Juli eine Solidaritätserklärung mit Felix Klein. Die Unterzeichner halten darin fest, dass „wer heute fordert, keine israelischen Waren zu kaufen, … geistiger Erbe von ‘Kauft nicht bei Juden!’ der SA“ sei. Den Antisemitismus erklären die Unterzeichner „zur kulturellen DNA Europas“, der im Stande sei, „sich wie ein Chamäleon den gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen“. Damit wird eine Form zivilgesellschaftlichen Aktivismus mit der Gewaltpraxis der Nazis parallelisiert. Auch die Metapher vom Chamäleon ist selbstentlarvend, denn ein Chamäleon trachtet danach, in ein Unschärfeverhältnis zu seiner Umgebung zu treten. So gewollt unscharf ist aber weniger der Antisemitismus selbst als der Antisemitismusbegriff der Unterzeichner.

Wenn nun angekündigt wird, Salzborn wolle die unterschiedlichen Facetten von Antisemitismus stärker in den Blick nehmen, so verheißt dies angesichts seines unscharfen Sehvermögens und seines beständig in eine Richtung ausschlagenden Suchfahndungsblicks nichts Gutes. Dass Salzborn nach dem rechtsradikal motivierten Anschlag in Halle in der tageszeitung (taz) Anfang Dezember 2019 unbedingt auf „den Antisemitismus in den … linken Kontexten, der sich zumeist gegen Israel wendet“ verweisen musste, ist bezeichnend. 2018 sah er in einer Veröffentlichung den mehrdimensionalen Konflikt im Nahen Osten um Israel und die Palästinenser und die sie begleitenden Feindbilder als einen einzigen Konflikt, der auf der Dichotomie von Juden und Judenhassern beruhe. Als „die einzige Demokratie im Nahen Osten“ verkörpere Israel die „liberale und aufgeklärte Welt“ und die „Komplexität der Moderne“ und ziehe daher weltweit den Hass der Antisemiten auf sich. Mit dieser politisch interessierten Setzung, die die Realität von Okkupation, Annexion und Entrechtung, die von Israel ausgeht, schlicht ignoriert, dürfte klar sein, was dem Berliner Fachmann für Antisemitismus alles als Antisemitismus erscheint: vor allem Kritik an Israel, die von links kommt.

Es ist diese Mischung aus Moralisierung und politischem Interesse, die bei den mit politischer Deutungs- und Handlungsmacht ausgestatteten Akteuren Felix Klein und Samuel Salzborn so stark wirkt. Spannend und mutig ist an der Ernennung Salzborns zum Antisemitismusbeauftragten nichts, sie ist verheerend – für eine Rückkehr zu einem redlichen Ringen um einen adäquaten Antisemitismusbegriff wie für den Kampf gegen den Antisemitismus selbst.

Es ist nicht schwer beispielsweise in Attila Hildmann den Antisemiten zu erblicken, der er ist, wenn der „deutsche Patriot“ gegen „Parasiten“ und verschwörerische „Zionisten“ hetzt und obskure Verschwörungsideologien ausgibt. Schwerer ist es, eine Gesellschaft kritisch zu analysieren, in der der Vegan-Koch Anhänger findet. Auf der anderen Seite kann man es sich leicht machen und in der Neuköllner Schülerin, deren Eltern aus Syrien, dem Libanon oder aus Jordanien stammen, und die zum Nahostkonflikt nicht die richtigen Worte findet, vielleicht auch ideologisch verbohrt ist, eine Antisemitin ausmachen, sie gar vor den Leichenhaufen der deutschen Geschichte schieben. Ist damit viel gewonnen? Hier sollten Information und Aufklärung greifen, über den europäischen und den nahöstlichen Antisemitismus, über Verschwörungstheorien, über den deutschen Faschismus und den Zionismus als jüdische Nationalbewegung, über den Nahostkonflikt und legitime Rechte der dort lebenden Bevölkerungsteile. Über Hannah Arendts Entsetzen über das Unbegreifliche, mit dem wir, Deutsche wie Nicht-Deutsche, nicht fertig werden. Über die rassistische Logik der Nicht-Anerkennung. Über Arendts politischen Ansatz, für das Recht, Rechte zu haben, zu kämpfen. Über die antisemitische Logik der Scheinrebellion gegen vermeintlich mächtige, strippenziehende Dunkelmänner, seien es „die Jude“, „die Ostküste“ oder „die Zionisten“. Und über das reale vorherrschende Unrecht, gegen das vorzugehen, Rebellion gerechtfertig ist.

Zugegebenermaßen: das ist sehr schwer und komplex. Dan Diner schlug zur Vereinfachung vor, Antisemitismus so zu analysieren und zu bekämpfen, als gäbe es keinen Nahost-Konflikt, und den Nahost-Konflikt in Hinblick auf eine gerechten Lösung zu behandeln, als gäbe es keinen Antisemitismus. Von einer einseitig anti-muslimischen und pro-israelischen Schähgemeinschaft ist die Lösung dieser enormen Aufgabe und eine Versachlichung als Letztes zu erwarten.

Gerhard Hanloser August 2020

Gerhard Hanloser  ist Herausgeber des jüngst beim Wiener Mandelbaum erschienenen Buches „Linker Antisemitismus?“

 

 

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