Schwarzfahren. Ich sehe schwarz

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Der antirassistische Kampf erklimmt neue Höhen und … und ist von da an vogelfrei.

“You don’t change the world on Twitter” (Zadie Smith)

 

„Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) folgen dem Beispiel des MVV München und wollen den Begriff „Schwarzfahren“ nicht mehr verwenden. Die Münchner Verkehrsbetriebe hatten alle Plakate abgehängt, auf denen vor „Schwarzfahren“ gewarnt wurde. Statt „Schwarzfahren kostet 60 Euro!“ heißt es nun: „Ehrlich fährt am längsten.“ In Berlin greift das „Diversity-Programm“ des Berliner Senats, das diskriminierende Sprachregelungen ersetzen will. Allerdings stellte BVG-Pressesprecherin Petra Nelken gegenüber unserer Zeitung klar, dass nichts abgeschafft werden kann, was es nicht gab. In offiziellen Schreiben oder Dokumenten der BVG sei das Wort noch nie verwendet worden. Darin hieß es laut der Sprecherin schon immer „Fahren ohne gültigen Fahrschein“. (…) Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Bund (ISD) feiert die Ankündigung der Verkehrsgesellschaften in Berlin und München. „Es ist begrüßenswert, denn der Begriff hat für schwarze Menschen einen negativen Anklang“, sagte der Sprecher der Initiative, Tahir Della, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. „Es wird damit assoziiert, dass Schwarzes für etwas Negatives steht.“ (berliner-kurier.de vom 9. Juli 2021)

Ich habe sofort die Stimmen im Ohr, die sagen werden: Auch Sprache kann Gewalt, kann diskriminierend sein. Und das stimmt auch. Aber wie wäre es, wenn wir zu aller erst und vor allem die Verhältnisse ändern, in denen sich Sprache spiegelt?

Ich möchte diesen Einspruch von der sprachabgewandten Seite erklären. In den 1970er Jahre war „Schwarzfahren“ eine politische Haltung. Es gehörte zum Rebellisch-sein, zum antiautoritären Lebensentwurf. Natürlich war es auch billig/er, aber es gab auch eine gesellschaftliche Vision, die sich über das Bestehende hinauswagte: Man wollte so viel wie möglich dem kapitalistischen Markt entziehen. Dazu gehörten auch die öffentlichen Verkehrsmittel, gerade was den Nahbereich angeht. Diese sollten allen zur Verfügung stehen, jenseits des Geldes, das man dafür hat oder eben nicht. Mit diesem Verständnis kämpfte man auch für den kostenlosen Zutritt zu städtischen Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Es gab zur Durchsetzung zahlreiche Aktionen: Vom Nulltarif-Aktionen bis hin zu Rote-Punkt-Aktionen.

Schwarzfahren war also in diesem politischen Kontext nichts Anrüchiges, nicht Aussätziges. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, mit Schwarzfahren etwas Rassistisches in Verbindung zu bringen. In unseren politischen Zusammenhängen was es positiv besetzt.

Nun ist es Fakt, dass dieser Kampf um freien Zugang zu gesellschaftlichen Gütern fast kaum noch geführt wird, geschweige denn, eine gewisse Sympathie genießt.

Erst die Veränderungen dieser materiellen Bedingungen und Selbstverständlichkeiten haben es ermöglicht, dem Wort „Schwarzfahren“ eine andere Konnotation, eine andere Einfärbung zu verpassen.

Anstatt das Wort Schwarzfahren zu tilgen, sollte man also eher dem Wort „Schwarzfahren“ die Bedeutung (zurück-)geben, die es auch hatte und das würde eben auch mehr bedeuten, als sprachlich korrekt zu sein.

Ich mache also einen ganz praktischen Vorschlag: Wir fahren demnächst alle schwarz! Ja, Schwarzfahren!

 

Dann würde sich das mit der Hautfarbe ganz schnell erledigen. Ehrenwort.

Ich habe noch einen anderen Vorschlag, der nicht ganz so viel persönlichen Einsatz erfordert, sonden nur Zuhören:

Der Kabarettist Hagen Rether erklärt uns leicht verständlich so:

 

Früher hießen sie Zigeuner

und durften bleiben,

heute heißen sie Sinti & Roma

und werden ausgewiesen.

Wir schieben politisch korrekt ab.

 

Phänomenales

In letzten Zeit, also in den letzten Jahren wird viel über die Macht, die Gewalt der Sprache geredet und gestritten.

Zuletzt ging es um die Worte „Negerkuss“ und „Schwarzfahren“, “, dadavor um das „Zigeunerschnitzel“.

Keine Frage können auch Worte, kann Sprache dazu beitragen, dass sich etwas verfestigt, sich etwas in den alltäglichen Umgang einschleicht, was Rassismus befördert bzw. normalisiert.

Beim Wort „Schwarzfahren“ ist die Debatte ein klein aus der Spur geraten, denn sehr viele brachten dieses Wort nicht im Entferntesten mit einer rassistischen Wertung oder Zuschreibung in Verbindung.

Nun wird man schnell den Einwurf hören, dass man eben jetzt sensibler sei, für das, was mit der Sprache transportiert wird. Wer möchte also gegen mehr Sensibilität ins Feld ziehen – zumal „das ins Feld ziehen“ eine deutlich militaristische Note beinhaltet.

Nichts spricht gegen mehr Sensibilität, mehr Empathie.

Doch fällt dabei nicht etwas auf? Ein Ungleichgewicht?

Wir schlagen uns um die Macht, um die Gewalt der Worte. Wenn es darum geht, ist die Debattenbereitschaft ganz groß. Man kann sich vor Kommentaren und Gegenkommentaren kaum retten.

Aber warum korrespondiert dies so auffällig mit einem Schweigen, mit einem Hinnehmen von all dem, was Worte nur zementieren können?

Haben wir uns an das Wesentliche bereits so gewöhnt, dass wir uns nur noch an den Phänomenen die Haare ausreißen können?

Auf diesen großen Graben hat auch Jagoda Marinic in einem Interview mit der FR am 26. Juli 2021 hingewiesen:

„Demokratische Öffentlichkeit ist auch ein Lernprozess und die Frage ist, was sage ich wie, wer sagt es? In diesem Fall landen wir wieder bei dem Media Bias von Twitter-Empörung. Über das Z-Wort in dieser WDR-Sendung wurde extrem viel diskutiert, darüber, dass Innenminister Seehofer Sinti und Roma in Corona-Risikogebiete abschieben lässt, leider nicht. You don’t change the world on Twitter, sagt Zadie Smith.“

Schwarze Kassen

Serge Menga Nsibu hat sich in einem kurzen Clip dazu sehr erfrischend geäußert:

https://www.youtube.com/watch?v=RQLhG5xUrpo

Dabei hat er ein anderes Wort in die Debatte geworfen, was niemand so wirklich aufgreifen will:

Schwarze Kassen.

Liegt das daran, dass alle wissen, dass diese vorzugsweise von Weißen angelegt werden, die ganz viele Weiße hinter sich wissen, damit es die Schwarzen Kassen gibt, weiterhin gibt?

Liegt das daran, dass Schwarzfahren etwas für Arme ist, während Schwarze Kassen fast ausschließlich in der Ersten Klasse, im VIP-Bereich zum Business-Tool gehören?

Schimmert da also doch noch etwas durch, was verdammt wenig mit Sprache, sondern mit Klassen zu tun hat?

Ja.

Wolf Wetzel |28. Juni 2021

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4 Kommentare

  1. Lieber Wolf,
    natürlich gibt es Menschen, die es mit der prachpolitik übertreiben und die so tun, als würde die Sprache und das Bewußtsein das Sein bestimmen. Spätestens wenn historische Fakten, wie das “Zigunerlager” in Auschwitz-Birkenau benannt werden sollen, wird es auch aus meiner Perspektive schwierig. Und zum Teil ist der Kampf um die Sprache auch tatsächlich zu einem Ersatzkampf geworden, da der um soziale Rechte doch sehr ins stocken geraten ist. Trotzdem ist Sprache auch ein MIttel, um Respekt oder um Verachtung auszudrücken. Die Selbstbezeichnung zum Beispiel von Roma und von Sinti zu verwenden, kann (!) ein Ausdruck eben dieses Respekts sein.
    Ds Zitat von Hagen Rether greift historisch übrigens völlig daneben. Die “Zigeuner” durften keineswegs bleiben, sondern wurden von ihren Wagenplätzen sehr häufig vertrieben, durften nicht auf Campingplätzen und anderen Standorten rasten, wurden in den “Zigeunerkarteien” der Polizeien registriert und im bereits erwähnten “Zigeunerlager” ermordet. Heute hat die Bürgerrechtsbewegung der Roma und Sinti einen Status als nationale Minderheit erkämpft, der den deutschen Sinti und Roma zumindest einige Rechte sichert. Dass diese Rechte prekär bleiben und ebenso wie ddie Anerkennung als Opfer des Völkermords stets neu erkämpft werden müssen, ist dabei klar.
    Was ist eigentlich so schwer daran, die Leute Sinti und Roma zu nennen und dann gemeinsam mit ihnen für ein Bleiberecht aller Roma zu kämpfen? Die unabhängige Kommision Antiziganismus hat übrigens genau dies vor kurzem gefordert, dass Roma nicht mehr abgeschoben werden sollen.

    1. Ich danke dir für deine Antwort, die offene Türen einrennt. Man muss Rechte erkämpfen, die Lebensrealitäten ändern, unten de denen Menschen leiden. Das war der Kern meines Beitrages. Wenn das im Zentrum steht, kann man auch Namenschilder ändern und sich der Worte bewußt werde- was ganz grundsätzlich eine gute Sache ist.

  2. Schwarze Witwe; Schwarzmarkt; Schwarzarbeit; Schwarzhandel; Schwarzgeld; schwarze Kasse; Schwarzmagier… . Es steht Schwarz nicht für etwas, das illegal IST, sondern für etwas, das illegal GETAN wird GEGEN den Willen von Herrschenden bzw. ENTGEGEN von Regeln und Gesetzen, die Mangel erzwingen. Welcher Menschen abhängig und gefügig macht, weil zu Bittstellern. Und so dann auch zu Beherrschten.

    Nein, um das zu verstehen, braucht es keinen Titel in Germanistik, keine wissenschaftlichen Studien mit Peer-review. Wie wär’s denn mit schwarz denken?

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