13.1.2010 – Mit krimineller Energie zurück in die Atomkraft (aktualisiert)

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Mit krimineller Energie (zurück) in die Atomkraft.

Wie viel kriminelle Energie war notwendig, um die Atomkraft durchzusetzen? Und wie viel kriminelle Energie braucht man, um an ihr festzuhalten?

Eine Bestandsaufnahme.


Die schwarz-gelbe Regierung hat ihre Drohung mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie wahr gemacht: Im Koalitionsvertrag 2009  ist das Ziel der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke festgeschrieben worden.

Während die neue Regierung von ›Brückentechnologie‹ fabuliert und gleichzeitig die Laufzeitverlängerung generalstabsmäßig plant, tauchen Akten und Dokumente auf, die belegen, dass die Entscheidung, das atomare Endlager in Gorleben zu bauen durch gezielte Manipulation von Gutachten und massive Einflussnahme von CDU-Politikern zustande kam. Seitdem ist es recht still geworden. Der Rest der Empörung wird sich – aller Erfahrung nach – in den langen, parlamentarischen Gängen verlaufen: Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, eine moderne Sickergrube. Während dessen nutzt die schwarz-gelbe Regierung die Zeit, um sich darauf zu einigen, ob die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke 10, 20 oder 30 Jahre betragen soll. Gleichzeitig vergibt die schwarz-gelbe Regierung erstmals wieder Hermeskredite in Höhe von 2,5 Milliarden Euro für Siemens/Areva, also Staatsgarantien für einen Atomreaktor, der in Brasilien gebaut werden soll. Damit hält sich die deutsche Bundesregierung nicht nur die Option für neue Atomkraftwerke in Deutschland offen. Mit der Atomkooperation mit Brasilien wird genau das praktiziert, was im Iran als schleichender Übergang von der zivilen zur militärischen Nutzung der Atomenergie gegeißelt wird: »Ein deutscher Militärexperte rechnet mit der Produktion der ersten brasilianischen Atombombe innerhalb der nächsten drei Jahre. Auf der Grundlage ›aller Erfahrung im Umgang mit vergleichbaren Entwicklungen‹ gehe er davon aus, dass die Streitkräfte Brasiliens bald über Nuklearwaffen verfügen würden, schreibt Hans Rühle, ein ehemaliger Leiter des Planungsstabs im Bundesverteidigungsministerium. Rühles Annahme kann sich auf Aussagen höchstrangiger brasilianischer Politiker stützen, die darauf hoffen, mit nuklearer Bewaffnung den weltpolitischen Aufstieg ihres Landes abstützen zu können. Offizielle Reaktionen aus Berlin sind nicht bekannt. Die Bundesrepublik unterstützt den Aufbau der brasilianischen Nuklearindustrie schon seit Ende der 1960er Jahre und hat ihren Atomvertrag mit Brasilien aus dem Jahr 1975 erst vor wenigen Wochen explizit bestätigt.« (Die brasilianische Bombe, German-Foreign-Policy vom 10.05.2010)

Der Unterschied zwischen dem brasilianischen und iranischen Atomprogramm ist kein technischer, sondern ein politischer: Während der Iran als politischer Gegner des Westens eingestuft wird, will die deutsche Bundesregierung Brasilien als Gegengewicht zum bolivarianischen Venezuela und als strategischen Partner in Lateinamerika etablieren und stärken – und hilft ihr mit einem Know-How, das deutsche Atomkonzerne bereits in den 80er Jahren in den Besitz waffenfähigen Nuklearmaterials gebracht hat.

Ein Parteien-Poker (hinter verschlossenen Türen) statt lückenlose und öffentliche Aufklärung

Warum werden angesichts dieser zahlreichen kriminellen Handlungen keine Strafanzeigen gestellt? Warum werden keine weiteren Fakten an die Öffentlichkeit gebracht? Warum nutzt die Oppositionsparteien SPD und Grüne nicht die Gunst der Stunde, um den schwarz-gelben Sack zuzumachen? Warum wird alles Weitere hinter verschlossenen Türen ausgehandelt?

Die Gründe dafür sind schlicht bestechend: Bei der Durchsetzung des Atomprogrammes existierte zwischen den Ex-Regierungsparteien und der aktuellen Regierungskoalition ein ›nationaler Konsens‹, also weitgehendste Übereinstimmung. Um diese ›nationale Aufgabe‹ gegen eine große Mehrheit in der Bevölkerung durchzusetzen, bedienten sich alle Parteien rechtswidriger Praktiken, die die (zivile) Nutzung der Atomenergie für militärische Zwecke mit einschloss.

Wenn also der Ex-SPD-Umweltminister Gabriel mit Blick auf das Atomforum von ›Lug und Trug‹ spricht, dann weiß er, wie weit er damit gehen kann. Nicht viel weiter, eben.

Denn die CSU-CDU-FDP-Regierung bräuchte nur in eine Schublade greifen, in der sich Dossiers befinden, die denselben kriminellen Umgang bei der Durchsetzung der Atomenergie aufseiten SPD geführter Regierungen beweisen würde.

Im Folgenden geht es darum, einen Blick in diese Schublade zu werfen.

Im Bundestagswahlkampf 2009 stand neben der Frage: Wer bezahlt die Krise? die von FDP und CDU/CSU gestartete Kampagne zum Wiedereinstieg in die Atomenergie im Mittelpunkt.

Nach gewonnener Wahl machte sich das schwarz-gelbe Lager zügig an die Umsetzung ihrer Drohung: Im Koalitionsvertrag ist das Ziel der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke festgeschrieben worden.

Die Zeit brennt unter den Nägeln: Der Ausstieg aus der Atomenergie mit festgeschriebenen Restlaufzeiten hätte das alsbaldige Aus für die nächsten Atomkraftwerke bedeutet. Mit Blick auf neue Regierungskonstellationen drosselten sogar einige Energiekonzerne die produzierte Strommenge alter Atomkraftwerke (wie im ältesten AKW in Biblis, das vom RWE-Konzern betrieben wird), um sie so in die erhoffte schwarz-gelbe Ära der Atomkraftrenaissance hinüber zu retten.

Es geht um unglaublich viel Geld: Die Verlängerung der Laufzeiten würde Milliarden von Euros – nicht nur – in die Taschen der Stromkonzerne spülen. Unter dem Titel: ›Unsere Atomkraftwerke sind noch lange nicht am Ende ihrer Laufzeit‹ rechnet der RWE-Chef Jürgen Großmann schon einmal laut durch: »Wir sind bereit, die Gesellschaft angemessen an diesem Mehrwert zu beteiligen … Aber wir wollen auch ein kleines bisschen dabei verdienen … Es wäre zu überlegen, ob wir 45, 50 oder 55 Prozent davon abgeben1 Ein Deal, der die illegalen Parteienfinanzierungen durch Industrie und Wirtschaft der letzten 30 Jahre in den Schatten stellen würde.

Während man sich offiziell in der Prüfungsphase befindet, werden die Weichen für diesen milliardenschweren Deal gestellt, wobei man sich nicht einmal mehr um den Anschein der Unparteilichkeit bemüht: Bundesumweltminister Röttgen gab bekannt, dass er die Leitung der Abteilung Reaktorsicherheit mit Gerhard Hennenhöfer besetzen will, was darauf hinausläuft, einen Waffenschmuggler damit zu beauftragen, das Verbot des Waffenbesitzes durchzusetzen: Gerhard Hennenhöfer war Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik beim Stromkonzern Viag. In dieser Funktion handelte er mit der damaligen rot-grünen Regierung den Atomkonsens aus, den er mit seiner Unterschrift besiegelte. Eigentlich verbieten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes eine solche Nominierung.

Dort steht recht verständlich geschrieben, dass, »wer außerhalb seiner amtlichen Eigenschaft in der Angelegenheit … tätig geworden ist« (Paragraf 20), einen solchen Posten nicht wahrnehmen kann und darf. Doch die Befangenheit des Atomlobbyisten ist für Umweltminister Röttgen weder ›böser Anschein‹, noch ein Problem, sondern eine Art Garantieurkunde. Er lässt verlautbaren: »›Unser Haus teilt die Bewertung nicht‹, sagte ein Sprecher von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) der FR auf Anfrage. Die Frage der Befangenheit Hennenhöfers stelle sich ›zurzeit nicht‹.«2

Warum ein Atommanager in dieses Amt gehievt werden soll, hat einen einfachen und durchsichtigen Grund: Diese Abteilung ist federführend bei der Entscheidung über AKW-Laufzeitverlängerungen. Mit diesem Mann an der Spitze darf das Ergebnis als gesetzt betrachtet werden.

Es geht auch um die Gesundheit der Menschen, um eine Technologie, deren Restrisiko den kalkulierten Tod von Zehntausenden vom Menschen billigend in Kauf nimmt. Ein Restrisiko, für das AKW-Betreiber mit einer Haftungspflicht bis maximal 250 Millionen Euro nur symbolisch aufkommen – was zur Konsequenz hat, dass Gewinne privatisiert und die Folgen eines möglichen nuklearen Unfalls durch eine Staatsgarantie sozialisiert werden.

Was uns mit der Aufkündigung des 2001 in Kraft getretenen ›Atomkonsens‹3 bevorsteht, war bereits vor Ausgang dieser Bundestagswahl zu spüren: Plötzlich tauchten Akten auf, die (trotz ihrer Lückenhaftigkeit) belegen, dass die Entscheidung, das atomare Endlager in Gorleben bauen zu wollen durch gezielte Manipulation von Gutachten, Expertisen, durch massive Einflussnahme von Politikern auf wissenschaftliche Gutachten erfolgte. Man kann getrost von einer professionellen Indiskretion aus dem Lager der SPD/Grünen ausgehen, die die massiven Manipulationen durch die damalige CDU-Regierung offenlegten.

Mit diesen Machenschaften befindet sich die CDU in gut-dotierter Gesellschaft. Mit Blick auf das fünfzigjährige Bestehen des Atomforums fasste der Noch-SPD-Umweltminister Gabriel die Tätigkeit der »Propagandazentrale der Atomkonzerne«4 überraschend harsch so zusammen:

»50 Jahre Atomforum – das bedeutet ein halbes Jahrhundert Lug und Trug5

Man kann davon ausgehen, dass solch schwerwiegende und strafrechtlich relevante Vorwürfe Anzeigen und Ermittlungsverfahren zur Folge hätten, wenn sie nicht im Detail belegbar wären. Verständlicherweise schweigt die Atomindustrie, schweigt die CDU.

Sie haben allen Grund dazu. Die Tageszeitung/TAZ legte nach und veröffentlichte »streng geheime(r) Kabinettsprotokolle«, die belegen, dass bei der Standortwahl wissenschaftliche Kriterien, also ›geologische Aspekte fast keine Rolle‹ gespielt hatten.

Dass zivil-militärische und wirtschaftliche Entscheidungen den Ausschlag gaben, belegt ein weiteres Faktum, das 30 Jahre zu spät an die Öffentlichkeit gelangte: Um kommunale, landespolitische Entscheidungsträger für den atomaren Standort Gorleben zu ›gewinnen‹, wurde mit Millionen von Mark geschmiert: Aus den der Elbe-Jeetzel-Zeitung vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass »von den rund 500 Millionen DM, die in den Jahren 1979 bis 1982 als ›Gorleben-Gelder‹ vom Bund an das Land Niedersachsen, den Landkreis Lüchow-Dannenberg und die Kommunen Gartow und Gorleben flossen, 200 Millionen DM direkt von der DWK stammtenwww.die-regionale-zeitung.de vom 6.10.2009

Die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen mbH (DWK) ist eine Vereinigung aus Energie- und Atomfirmen, deren Großaktionär die RWE ist. Sie wäre bei der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Niedersachsen federführend gewesen.

Warum im besten Fall an einzelnen Stühlen gesägt wird, aber nicht an der ganzen (atomaren) Einrichtung

Zweifellos, der ›Gorleben-Fall‹ lässt sich parteipolitisch gut zuordnen und auseinanderhalten: Die damalige Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) wollte unter allen Umständen Gorleben (und die damit verbundenen Gelder), die damalige SPD-Bundesregierung hatte Bedenken wegen der Grenznähe zur damaligen DDR und den damit möglichen internationalen Verwicklungen.

Es gibt jedoch genug ähnlich gelagerte Fälle, in denen die SPD (gelegentlich in Koalition mit den Grünen, wie in Hessen), dieselben Verflechtungen eingegangen war und dieselben Verfilzungen genutzt und gedeckt hatte, was bis hin zu strafbaren Handlungen reichte. Denn bei allem parteipolitischen Geplänkel waren sich CSU/CDU, FDP und SPD völlig einig: Das Atomprogramm musste gemeinsam, parteiübergreifend gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden.

Würden also SPD und Grüne tatsächlich das ganze Kartenspiel hinschmeißen, anstatt immer wieder einmal eine Karte zu ziehen, wüssten sie um das entsprechende Risiko:

Auch CDU- und FDP-Kreise könnten ›Dossiers‹ lancieren, die belegen würden, dass sich bei der Durchsetzung der Atomenergie alle (Regierungs-)Parteien krimineller Machenschaften bedient haben, von der CDU/CSU über die FDP bis hin zur SPD, in deren Regierungszeit bekanntlich die maßgeblichen Entscheidungen für einen geschlossenen Atomkreislauf (einschließlich einer atomaren Wiederaufbereitungsanlage bis hin zu Endlagern) fielen.

Die kriminelle Einflussnahme auf Gutachten, die katastrophale Prognosen und ›Störfälle‹ vertuschen, sind kein Privileg einer einzigen Partei, sondern Bestandteil der ›Großen Koalition‹ in Sachen Atomenergie.

Der Physiker  Sebastian Pflugbeil hat in Publik-Forum 3/2009 bereits auf die massiven Manipulationen bei der Interpretation von Gutachten über Kindersterblichkeit rund um Atomkraftwerke aufmerksam gemacht.

Eine weitere Studie, die Atomkraftwerke daraufhin untersuchte, ob sie einem ›Terrorangriff‹ Stand halten würden und im Ergebnis u.a. das AKW Biblis als Risiko einstufte, wird seit dieser ›Indiskretion‹ unter Verschluss gehalten und mithilfe des Siegels ›geheim‹ einer rechtlichen und öffentlichen Überprüfung entzogen.

In dem hier dokumentierten ›Fall‹ geht es um den glücklichen und seltenen Umstand, die Manipulation von Gutachten zugunsten der Atomenergie und die massive Einflussnahme von Aufsichtsbehörden nachzuweisen – ein ›Fall‹, der nicht nur die CDU, sondern vor allem auch die SPD schwer belastet.

Die größte Leukämiedichte der Welt rund um Geesthacht

Anfang der 90er Jahre sorgte eine wachsende Zahl von Leukämiefällen nahe des AKW Krümmel und des staatlichen Atomforschungszentrum GKSS8 für große Unruhe. 1991 und 1992 wurden von den Landesregierungen Schleswig-Holstein und Niedersachsen Untersuchungskommissionen ins Leben gerufen. Die eine beendete ihre Arbeit ergebnislos, die zweite endete im Eklat: Die Mehrheit der darin versammelten Wissenschaftler legte ihre Arbeit nieder, nachdem sie die massiven Behinderungen durch Atomaufsichtsbehörde und Atomwirtschaft anprangerten: »Wir haben das Vertrauen in diese Landesregierung verloren.«

Seitdem herrschte Stillstand in Sachen Ursachenforschung, während sich die Leukämiefälle zum weltweit größten Cluster verdichteten.

Der Vorwurf vonseiten der Bürgerinitiativen und renommierter Wissenschaftler ist gravierend: Die rund um Geesthacht gefundenen hoch radioaktiven Mikrokügelchen sind weder Wurmkot oder natürliche Nuklide, noch ›Emissionen‹ aus dem Atomkraftwerk Krümmel oder Fallout-Produkte aus dem AKW in Tschernobyl. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind sie das Ergebnis von (misslungenen) »besonderen kerntechnischen Experimenten«9, die nur auf dem Gelände der GKSS stattgefunden haben konnten.

»Und keiner weiß warum …«

2004 begannen die Journalistinnen Angelica Fell und Barbara Dickmann mit einer ZDF-Dokumentation über die Hintergründe der tödlichen Leukämieerkrankungen rund um Geesthacht. Im Mittelpunkt stand eine erneute Probenentnahme nahe der GKSS, die sie begleiteten und filmisch dokumentierten. Mit der Untersuchung dieser Proben beauftragte man das Institut für Mineralogie der Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. Mit der Absicht, alle Parteien an einen Tisch zu bringen, setzten sich die Redakteurinnen auch mit dem Leiter der Reaktorsicherheit in Kiel, Dr. Cloosters in Verbindung. Sie informierten ihn über das Vorhaben und boten ihm an, an der Probenentnahme teilzunehmen. Dr. Cloosters zeigte sich interessiert und nannte zwei Bedingungen. Er wollte wissen, welches Institut mit der Untersuchung beauftragt wurde und nach welcher Methode die Bodenproben untersucht werden sollten. Die ZDF-Redaktion teilte den Namen des Instituts mit – und der Geologe Dr. Axel Gerdes, der die Untersuchung durchführte, legte schriftlich seine Untersuchungsmethode offen. Am 20.12.2004 wurden von Dr. Axel Gerdes in Gegenwart des ZDF-Teams eine Staubprobe und sechs Bodenproben aus der Elbmarsch genommen. Weder Dr. Cloosters noch ein anderer Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde waren zugegen. Begründung: »Das Sozialministerium hat eine Teilnahme an dem Drehtermin (…) vor dem Hintergrund jahrelanger Forschung und den dabei gemachten Erfahrungen nicht für zielführend gehalten und deshalb darauf verzichtet10

Sechs Wochen später, am 4.2.2005 erschien das ZDF-Team im Institut für Mineralogie. Man wollte das Ergebnis auch im Bild festhalten und Dr. Axel Gerdes Gelegenheit zur Erläuterung geben. Fazit seiner Untersuchung war: »Die gefundenen Uran- und Plutoniumkonzentrationen sind mit einer Ausnahme als relativ niedrig im Vergleich zu typischen Konzentrationen in Böden und Gesteinen Deutschlands …«11

Nach einem Moment des Schweigens und Nachdenkens bat die ZDF-Redakteurin Angelica Fell darum, Proben unter dem Mikroskop zu betrachten. Ihr Blick war auf den angeschlossenen Monitor gerichtet, als Frau Fell wenige Sekunden später rief: »Da ist eins. Das meine ich!«

Dr. Axel Gerdes schaute durchs Mikroskop. Zuerst fragte er: »Wo denn …

»Da, da, sehen Sie nicht?« erwiderte Frau Fell und zeigte mit dem Finger auf den Monitor. Kurz darauf räumte Dr. Gerdes ein: »Da sind erstaunlich viele, so um die hundert Stück12

Gefälligkeitsgutachten sind nichts Ungewöhnliches. Schwer bis unmöglich ist es im Einzelfall nachzuweisen, dass wirtschaftliche und/oder politische Einflussnahmen ein erwünschtes Ergebnis vorgeben. Im Fall des Mineralogischen Instituts hätten Zuschauer die äußerst seltene Gelegenheit gehabt, bei einem solchen Vorgang dabei zu sein – wenn diese Sequenz zur Ausstrahlung gekommen wäre …

Fakt ist: Die hier beschriebene Filmsequenz wurde aus dem am 2.4.2006 im ZDF ausgestrahlten Film: »Und keiner weiß warum … Leukämietod in der Elbmarsch« herausgeschnitten. Die ZDF-Redaktion begründete diesen Schritt mit belegten Aussagen des Institutsleiters Prof. Gerhard Brey, der mit rechtlichen Schritten drohte, sollte diese Sequenz in die Öffentlichkeit gelangen.

Was versetzte den Institutsleiter Prof. Gerhard Brey in solche Panik?

Menschliches Versagen oder angewiesene Blindheit?

Natürlich ist es peinlich, wenn vor laufender Kamera ein Laie ›mit bloßem Auge‹ etwas sieht, was ein Experte nicht finden, also auch nicht analysieren konnte. Die sichtbare Verlegenheit resultierte jedoch nicht daraus, dass Dr. Axel Gerdes ein Fehler unterlaufen war. Die Szene hält fest, dass ein Wissenschaftler vor laufender Kamera dabei ertappt wurde, eine Manipulation zu decken.

Der Leiter der Reaktoraufsichtsbehörde in Kiel schlug zwar das Angebot aus, bei der Bodenprobeentnahme teilzunehmen. Er blieb jedoch alles andere als untätig. Unmittelbar vor Untersuchungsbeginn nahm Dr. Cloosters Kontakt mit dem Institutsleiter Dr. Gerhard Brey auf. Den Inhalt des Gespräches gibt Dr. Axel Gerdes so wieder: »Inzwischen kam ein Anruf vom Ministerium (…) an meinen Chef, ob er wüsste was ich/wir machen etc. Er hat wohl meinem Chef auch über die wilden Spekulationen bezüglich der Kügelchen erzählt, daraufhin hat mein Chef befürchtet, dass unsere Untersuchungsergebnisse, falls sie nur etwas leicht Ungewöhnliches zeigen, benutzt werden, um die Kügelchenspekulationen (Sie müssen zugeben, dass die Spekulationen brisant sind, falls etwas daran wahr sein sollte)«13 zu erhärten. Die staatliche Intervention zeigte Wirkung. Nur drei Tage nach der Entnahme der Bodenproben ließ der Institutsleiter das ZDF-Team wissen, dass »wir nur auf dem offiziellen Weg etwas damit zu tun haben. D.h., wenn Sie an einer Untersuchung dieser Kügelchen interessiert wären, würde er Sie bitten, sich an das BKA bzw. die Polizei zu wenden. (…) Die Brisanz der Problematik ist einfach zu hoch14

Um sicher zu gehen, dass es nichts gibt, was es nicht geben darf, rang der Institutsleiter der ZDF-Redaktion eine Erklärung mit folgendem Wortlaut ab:

»Inhalt der Sendung wird u.a. eine mögliche Belastung des Bodens in dieser Region sein. Die im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der Elbmarsch immer wieder auftretenden Vermutungen, wonach es ›Kügelchen‹ gäbe, die radioaktives Material enthalten sollen, wird nicht Gegenstand dieser Sendung sein.«15

Doch der Institutsleiter begnügte sich nicht mit dieser Zusicherung. Er sorgte auch dafür, dass das, was nicht gezeigt werden darf, auch nicht untersucht wurde. Nach dem Gespräch mit dem Ministerium »untersagte« Dr. Brey seinem Mitarbeiter, »die Kügelchen explizit zu untersuchen«16.

Einen schlüssigeren Nachweis, dass zur Durchsetzung der Atomenergie Gutachten manipuliert werden, ›unabhängige‹ Institute Beihilfe leisten und staatliche Aufsichtsbehörden dazu anstiften, kann man kaum liefern.

All die hier zitierten und angeführten Dokumente habe ich Beteiligten der Anhörung im Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit des Niedersächsischen Landtages in Hannover am 11./12.4.2007 zur Verfügung gestellt. Ebenso wurde die zensierte Filmsequenz aus der ZDF-Dokumentation ›Und keiner weiß warum … Leukämietote in der Elbmarsch‹ den Ausschussmitgliedern vorgeführt. Im Zuge dieser Anhörung kann auch Prof. Vladislav P. Mironov, weißrussischer Atomphysiker der Sacharov Umweltuniversität in Minsk zu Wort, der die Bodenproben rund um Geesthacht untersucht hatte: Er belegte erneut, dass »keine einzige Bodenprobe der zu erwartenden natürlichen Zusammensetzung entspräche. Alle Proben enthielten Uran, Thorium und Plutonium künstlichen Ursprungs. Die einzig mögliche Erklärung für Funde außerhalb der atomtechnischen Anlagen an der Elbe, ist ein atomarer Unfall.«17

Bis heute waren all diese Dokumente kein Grund, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einzuleiten oder einen Strafantrag gegen die Beteiligten zu stellen.

Legal, illegal, scheißegal…

Mit den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2010 hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition ihre Mehrheit im Bundesrat verloren. Eine Mehrheit, die notwendig wäre, um den Bruch des beschlossenen Atomkonsenses parlamentarisch durchzuwinken.

Schließlich ist die Aufsicht über Atomkraftwerke Ländersache.

Das sahen CDU und CSU-Landesregierungen auch so…. bis sie auf Bundesebene 2009 an die Macht kamen. 2002, als es darum ging, den ›Atomkonsens‹, den Ausstieg aus der Atomenergie bindend zu machen, erklärten jene CSU-CDU-Landesregierungen, dass die im Atomkonsens festgelegte Laufzeitbegrenzung »eine grundsätzliche Umgestaltung der Verwaltungsaufgabe (bedeute); die Vorschriften über den Aufgabenvollzug …erfahren eine neue Bestimmung« (FR vom 18.5.2010).

Nun kann man in der Tat darüber streiten, ob die 2002 beschlossene Laufzeitbegrenzung den in Länderhand liegende ›Aufgabenvollzug‹ umgestaltet oder vielmehr (vorzeitig) beendet hat.

Gänzlich absurd wird es jedenfalls, wenn acht Jahre später die geplante Laufzeitverlängerung, die zwingend eine Verlängerung des ›Aufgabenvollzugs‹ nach sich ziehen würde, für nicht zustimmungspflichtig gehalten wird, da sie nicht in die Hoheitsrechte der Länder eingreife.

Wie es dazu kommt, dass damals etwas Recht war, was heute kein Recht mehr ist, erklärte der Sprecher der Bundesregierung Lautenschläger wie folgt: »Unser Haus hat die Sachlage erneut geprüft , und wir sind zu der Erkenntnis gekommen: Eine Zustimmung des Bundesrates ist nicht notwendig.« (FR vom 18.5.2010)

Ein Paradebeispiel dafür, dass in einer Demokratie parlamentarische Mehrheiten wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig sind.

Wer sich noch tiefer in diesen Sumpf ziehen lassen will, dem seien weitere Texte anheimgestellt: www.wolfwetzel.wordpress.com/Atompolitik

Wolf Wetzel                                                                                         20.5.2010

Eine leicht veränderte Version findet sich im ›Magazin BIG Business Crime‹, Nr.2/2010


1 FAZ vom 28.10.2009

2 FR vom 12.1.2010

3 »Im Ergebnis führt das dazu, dass in Deutschland etwa vom Jahr 2018 an kein Atomkraftwerk mehr am Netz ist« Umweltminister Jürgen Trittin, Der Spiegel vom 13.5.2001

4 Pressemitteilung Nr. 220/09 des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/BMU vom 01.07.2009

5 s.o.

6 Geheimprotokoll zu Gorleben, TAZ vom 12.1.2010

7 www.die-regionale-zeitung.de vom 6.10.2009

8 Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt/GKSS

9 Abschlussbericht der »Fachkommission Leukämie« vom 15.9.2004, S.2

10 Dr. Cloosters vom 26.1.2007

11 Gutachten vom 20.3.2005

12 Vgl. Strahlentelex Nr. 472-473/2006, S.4-5

13 E-Mail von Dr. Gerdes vom 24.10.2006

14 ZDF-Erklärung vom 16.1.2007

15 E-Mail von Dr. Gerdes vom 24.10.2006

16 E-Mail von Dr. Gerdes vom 24.10.2006

17 Presserklärung der Bürger-Initiative gegen Leukämie in der Elbregion vom 12.4.2007

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