68 liegt vor uns

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Memories - 1968 in Frankfurt a.M. 01 Auch die schwarz-grüne Stadtregierung in Frankfurt gehört selbstverständlich zu jenen, die sich ›68‹ in ihr Portfolio gelegt haben. Anläßlich des 40-jährigen Jubiläums der ›68er‹ präsentiert das Historische Museum die Ausstellung ›Die 68er. Kurzer Sommer – lange Wirkung‹. Zum Warm-up für Journalisten lud das Presse- und Informationsamt Frankfurt für den 28.4.2008 zu einer Tagesveranstaltung ein:

The times they are changin’ – Die 68er ins Museum?

Im Rahmen dieses Programmes ging es auch in den Club Voltaire, der erfolgreich Kneipe, Veranstaltungsort und Gruppenräume unter einen Hut bringt. Der Club Voltaire, im Zuge der 68er gegründet, gehört zu den wenigen Projekten, die sich bis heute die kritische Distanz zum Bestehenden bewahrt haben – was nicht nur politisch eine Rarität, sondern auch ganz materialistisch betrachtet ein Kunststück ist: Der Club Voltaire liegt in der Innenstadt, nahe der Goethestraße, der ›golden mile‹ Frankfurts, also für Menschen ab 100.000 Euro Einkommen. Genau dort, wo in aller Regel alleine der Quadratmeterpreis politisch Er- bzw. Unerwünschtes ohne großes Aufsehen selektiert.

Die Stadt Frankfurt, in den Händen einer schwarz-grünen Regierung hatte die Location für die Veranstaltung ›Fünf Finger sind eine Faust – Von der Gewalt zum Krisenmanagement?‹ mit Fingerspitzengefühl ausgesucht. Denn sie war und ist nicht nur ein Ort der politischen Debatte, sondern immer wieder in seiner langen Geschichte auch ein Ort der Zuflucht, wenn Menschen vor Polizeieinsätzen zu fliehen versuchten.

Den kurzen, langen Marsch von der legitimen Militanz zur legalisierten Staatsgewalt sollten illustre Gesprächspartner skizzieren: Tom Koenigs, ehemaliges Mitglied des Revolutionären Kampfes/RK, eine Frankfurter Gruppierung, die in den 70er Jahren mit revolutionärer Betriebsarbeit begann und maßgeblich am Häuserkampf 1970-74 beteiligt war. Danach wurde er Mitglied der Grünen Partei, dann Protektoratsverwalter im Kosovo, schließlich Sonderbeauftragter der UN in Afghanistan – die Verkörperung dessen, was der SPD-Verteidigungsminister Peter Struck für die ›Verteidigung Deutschlands am Hindukusch‹ hält.

Sein Kontrahent war der ehemalige Frankfurter Polizeipräsident Knut Müller. Er war nicht nur für die gewaltsame Durchsetzung des sogenannten ›Fünf-Finger-Planes‹ verantwortlich, eine informelle Planungsskizze, die im citynahen Westendgebiet  den Abriss ganzer Straßenblöcke zugunsten von Hochhäusern vorsah. Als der brave Protest der AG Westend, eine Initiative der BewohnerInnen des Westendes auf taube Ohren stieß, folgten zahlreiche Hausbesetzungen. Die regierende SPD antwortete – nach einer kurzen Phase der Irritation – mit martialischen Häuserräumungen und der politischen Direktive an die Polizeiführung, jede weitere Hausbesetzung innerhalb von 24 Stunden gewaltsam zu beenden. Der politischen Denunziation der Häuserkampfbewegung als kriminelle Vereinigung von ›Politikrockern‹, die über 10.000 Menschen auf die Straße bringen konnte, folgten gezielte Gewaltorgien, die 1974 Gegenstand eines ›Foltertribunals‹ im damaligen Volksbildungsheim waren. Veranstalter waren der Asta und der Häuserrat, als geladene Redner traten Jürgen Roth und Gerhard Zwerenz, Heinz Brandt (Redakteur der Gewerkschaftszeitung ›Metall‹) und Karsten Voigt (Juso-Vorsitzender) auf. Vor über 1.000 TeilnehmerInnen wurden zahlreiche, systematische Polizeiangriffe auf der Straße dokumentiert, aber auch Misshandlungen in Polizeirevieren, die Joschka Fischer, damals Mitglied des RK, so zusammenfasste: »Wenn hier das Beispiel Chile aufgebracht wird, dann haben wir nicht gesagt, es existieren hier Verhältnisse wie in Chile. Das wäre absurd … Aber die Bullen … haben für sich subjektiv und in ihrer Verhörpraxis Santiago auf die Tagesordnung gesetzt!«[1]

Damals reagierte der Polizeipräsident Knut Müller, neben seinem süffisanten, zynischen Lächeln auf die über 80 dokumentierten Fälle von Misshandlungen, so: »Ich lege Wert darauf, wir können sämtliche der dort erhobenen Vorwürfe gegen die Polizei uneingeschränkt dementieren[2]

Die Strafverfolgungsbehörden hielten sich an diese polizeiliche/politische Vorgabe, machten sie justiziabel und die SPD tat alles als Übertreibung – und wenn es gar nicht mehr anders ging – als bedauerliche Einzelfälle ab. Die berühmt-gewordene Parole des Frankfurter Häuserkampfes ›Müller, Du Gangster, bald bist du weg vom Fenster‹ verhallte folgenlos.

Manchmal lohnt es sich 40 Jahre zu warten, um die Frage, was waren Übertreibungen, was (schwere) Straftaten und Strafvereitelung im Amt, was waren Einzelfälle, was war Systematik, sicher zu beantworten.

Nun, man durfte auch an diesem Tag skeptisch sein, was die Nachstellungen der 60er/70er Jahre anbelangte. Allzu oft wird sich nur so ›erinnert‹, wie es in die Gegenwart der Protagonisten passt. Erzählt wird also nicht, was damals passiert ist, sondern was das heutige Handeln der Erinnerungsträger legitimiert. Beim heutigen Rentner Knut Müller war diese Gefahr sicherlich geringer, als bei Tom Koenigs, der bis vor Kurzem dem Angriffskrieg gegen Afghanistan eine zivile Komponente hinzufügen sollte.

Die Dialektik zwischen “Fünf-Finger-Plan” und “Fünf Finger bilden eine Faust”

Umso überraschender war der Verlauf dieser Diskussion, die neben den ca. 50 anwesenden Journalisten von zahlreichen Fernsehteams verfolgt wurde. Nachdem beide Redner kurz die damaligen Frontlinien abschritten, den politischen Konflikt Anfang der 70er Jahre skizzierten, entspann sich ein brisanter Disput mit einem wahrlich ungewöhnlichen Ende. Entzündet hatte er sich, als Knut Müller versuchte, die Opfer aufseiten der Polizei mit den – aus seiner heutigen Sicht bedauerlichen – Polizeiübergriffen und Opfern aufseiten der HausbesetzerInnenbewegung in eins zu setzen:

Memories - 1968 in Frankfurt a.M. 02

»Tom Koenigs: Es gab die bedauerlichen Fälle, in denen Polizeibeamte schwer verletzt wurden. Auf der anderen Seite gab es eine solche Unzahl von brutal und unnötig zusammengeschlagenen Demonstranten, dass ich mich wundere, dass Sie das nun einfach so unter den Tisch fegen. Das Verhältnis der Verletzten war 20 zu 1. Ich erinnere mich an Bild, wie die erste Frau von Joschka Fischer in einer Weise zusammengeschlagen wurde, dass ich mich frage, wie sie danach lebend wieder aufgestanden ist. Es gab eine starke Konfrontation, eine Gewalt, die über das Maß des Symbolischen hinausgegangen ist. Das stellte das Gewaltmonopol des Staates in Frage. Aber es liegt auch daran, dass sich eben dieser Staat durch den bedingungslosen Schutz der Grundstückeigentümer im Westend ins Unrecht gesetzt hatte. Das hat uns aufgebracht! Das ist eine Konfrontation, die Politik lösen und nicht suchen muss, in dem sie Polizisten in die erste Reihe schickt. Diesen Staat, der uns so entgegentrat, den haben wir angegriffen, den haben wir als Gegner empfunden, ihn haben wir abgelehnt. Der Staat war für uns Handlanger von Interessen, die gegen die Bevölkerung, insbesondere die Wohnungssuchende gerichtet war. Das war nicht nur der Muff von tausend Jahren, sondern wir haben den Staat als einen reaktionären erlebt ….

Knut Müller: Ich bin in einem Punkt mit Tom Koenigs völlig einig: die Polizei ist in den 70er-Jahren in die Ecke gedrängt worden, als ob sie politische Versäumnisse mit ihren Einsätzen korrigieren könnte. Die Politik hätte damals handeln müssen. Es war aber kein urwüchsiger Prozess im Westend, dass da also ein paar Spekulanten sich bereichern wollten und auf den Hochhausbau hofften. Letzterer war erklärtes Ziel der SPD-Regierung im Römer mit ihrem Fünf-Finger-Plan das Viertel mit Bürobauten zu durchziehen. Dieses politisches Ziel war irrsinnig, es hätte zur Zerstörung eines der wenigen noch erhaltenen Frankfurter Stadtviertel geführt. Ich sage es heute wie damals: Dass das Westend erhalten blieb ist das objektive Ergebnis der Hausbesetzerszene, deren Methoden ich immer noch nicht billige.

Tom Koenigs: Wäre es auch so gekommen, wenn wir keinen einzigen Stein geworfen hätten? …

Knut Müller: Ich will Ihnen gar nicht ausweichen. Ich bin sicher, dass das Maß der Gewalt entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Politik umdachte…«[3]

Erinnerungsarbeit – eine intellektuelle Variante der Chemotherapie

Selbstverständlich war auch diese Veranstaltung mit dem guten Willen garniert, nicht nur an ›68‹ zu erinnern, sondern mit dem Wissen um ›68‹ auch die Gegenwart zu befragen.

Ganz in diesem Sinne überschrieb die FR ihren Leitartikel mit ›Weltgeist über Frankfurt – In Gedenken an 1968 dürfte sich eine Kontroverse entfalten, in der sich Frankfurter über sich selbst verständigen[4], mit dem couragiert-klingenden Aufruf, »Begriffe der 68er aufzugreifen, und sie an der Gegenwart zu erproben«.

Die Möglichkeit für das Podium und die zahlreichen Pressevertreter, dieses Ansinnen in die Tat umzusetzen, war zum Greifen nahe. Am 20. April 2008 wurde auf Initiative der Anti-Nazi-Koordination/ANK im Club Voltaire die Ausstellung ›Vom Polizeigriff zum Übergriff[5] eröffnet. Die Ausstellungstafeln, die dem Anti-Diskriminierungsbüro Berlin/ADB zu verdanken sind, wurden um vier Schautafeln erweitert: Sie thematisieren die Polizeieinsätze der letzten 25 Jahre in Frankfurt, insbesondere den Polizeischutz von Neonazi-Aufmärschen 2007/2008 und die Polizeirepressalien gegen die ›große Herausforderung‹ , die für Polizeipräsident Dr. Achim Thiel die antifaschistischen Gegendemonstrationen darstellten. Damals würdigten die Pressevertreter diese Ausstellung mit Schweigen. Nun war sie nicht zu übersehen, an allen Wänden hingen diese Tafeln, bis auf die Wand hinter dem Podium. Um zu verhindern, daß der Zusammenhang zwischen Polizeigewalt damals und heute auf einen Blick zu erkennen ist, wurde die Gegenwart mit Schautafeln der 68er-Ausstellung ein- und zugedeckt.

Dennoch hätten die Fragen buchstäblich ins Auge springen können:

Wie kann es möglich sein, dass die Frankfurter Polizeiführung mit 8.000 Polizeibeamte – wie am 7.7.2007 geschehen – einen ›Notstand‹ simulierte, ohne dafür politisch zur Verantwortung gezogen zu werden?

Was rechtfertigte die Abriegelung zweier Stadtteile, damit 500 Neonazis ungestört marschieren konnten?

Wie ist es um die politische Kontrolle der Polizei bestellt, wenn man absolut folgenlos der Polizeiführung nachweisen konnte, dass sie neonazistische Straftaten ermöglicht und Strafvereitelung im Amt betrieben hatte, dass sie gelogen hatte und – ohne irgendeinen leisen Protest auszulösen – im Gestus eines Kriegsherrn erklären durfte, dass sie die Zahl eingesetzter Beamter zum operativen Geheimnis erklärte?

Wer kann noch allen Ernstes vom gesetzlich verordneten Gebot zur Neutralität reden, wenn die Polizei neonazistische Straftaten duldet und beschützt, die Stadt Frankfurt mit städtischen Verkehrsmitteln einen Fahrdienst für Neonazis einrichtet, während sie ansonsten U- und S-Bahnlinien einstellt und die Polizei ›Platzverbote‹ für AntifaschistInnen verteilt und mit Hubschraubern Sondereinsatzkommandos über dem ›Zielgebiet‹ absetzt?

Zieht sich ein roter bzw. schwarz-grüner Faden durch die Stadtregierungen, politische Konflikte mit polizeilicher Übermacht zu ›lösen‹?

Tatsächlich entpuppte sich der entdeckte ›Weltgeist über Frankfurt‹ als Quietschente, die ›freie Berichterstattung‹ als ›embedded‹. Niemand auf dem Podium, niemand im (Presse-)Publikum machte auch nur den Versuch, die »Begriffe der 68er aufzugreifen, und sie an der Gegenwart zu erproben«.

Das freiwillige Schweigen über den Zusammenhang von Polizeigewalt von damals und heute beantwortet auf ganz stille Weise die Frage, ob ›68‹ hinter oder vor uns liegt.

Wolf Wetzel


[1] Zerstörung – Terror – Folter, mega Flugschrift Nr.1, Megapress Frankfurt, 1974, S.92

[2] Zerstörung – Terror – Folter, mega Flugschrift Nr.1, Megapress Frankfurt, 1974, S.36

[3] http://www.pflasterstrand.net/blog/?p=1536

[4] FR vom 30.4.2008

[5] Diese Ausstellung kann noch bis zum 11.5.2008 im Club Voltaire besucht werden.

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