Fahrplan Richtung Pogrom – zum Beispiel Mannheim-Schönau 1992

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Fahrplan Richtung Pogrom – zum Beispiel Mannheim-Schönau 1992

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Mannheim-Schönau zählt zu den klassischen Arbeitervororten, beschaulich, grau, mit ein wenig Grün drum herum und viel geselligem Vereinsleben.

Mannheim-Schönau zählt zu den traditionellen SPD-Hochburgen. Früher, als sie noch nicht verboten war, war dort auch die KPD recht stark.

Mannheim-Schönau ist heute eine REP-Hochburg. Dort erreichten sie mit zuletzt knapp siebzehn Prozent der Stimmen ihr bestes Wahlergebnis von ganz Mannheim.

Mannheim-Schönau wird heute sozialplanerisch als »sozialer Brennpunkt« geführt: Hohe Arbeitslosigkeit, viele SozialhilfeempfängerInnen, Drogenprobleme, Kriminalität. Statistisch gesehen, von allem zuviel.

Mannheim-Schönau hat auch eine leerstehende ehemalige Gendarmeriekaserne. Eigentlich hat die Stadt versprochen, dort ein Jugendprojekt einzurichten, eine Autowerkstatt oder etwas ähnliches, was die Jugendlichen auf andere Gedanken bringt. Doch daraus wurde nichts.

Im Februar 1992 wurde dort ein Sammellager für Flüchtlinge eröffnet.

Mannheim-Schönau hat auch ein Freizeitheim (Jugendzentrum) und Sozialarbeiter, die einfach wissen, dass Flüchtlinge Rauschgiftdealer sind. Das wissen sie aus Funk und Fernsehen, haben es also mit eigenen Augen gesehen. Als die Bitte an sie herangetragen wurde, die Flüchtlinge die Sporthalle mitbenutzen zu lassen, lehnten sie ab. Vor ihren Augen taten sich nur noch Drogendepots und angefixte Jugendliche auf, sie sahen rot. Ihr Widerspruch hatte Erfolg: »Inzwischen ist es den Betreuern des Jugendfreizeitheimes gelungen, diese Besuche der Asylbewerber abzustellen«, berichtete der Mannheimer Morgen/MM am 9.4.1992.

Mannheim-Schönau hat BürgerInnen, denen es schlecht geht und die wissen, wem es zumindest schlechter gehen müsste. »Wenn ich morgens arbeiten geh’, liegen die Asylanten schon faul in der Sonne.« Eine verkehrte Welt. »Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun, schreiben Sie das, die sollen sich nur anständig benehmen, uns reicht’s jetzt nämlich.« (Anzeiger 3.6.1992)

Mannheim-Schönau hat einen SPD-Oberbürgermeister, der nicht wie manch einer seiner Parteigenossen zappelt, sondern Haltung annimmt, wenn es um Schicksalsfragen der deutschen Nation geht. Das verschaffte ihm als Ehrengast auf einem CDU-Parteitag einen Platz an der Sonne, ganz vorn in der ersten Reihe. Unter dem Jubel der Anwesenden verkündete er, dass man »vor einer Grundgesetzänderung (des Asylrechtsartikels 16,2, dV) nicht zurückschrecken« dürfe. In Bonn gäbe es zwar ständig Gesprächsrunden, »aber in Wirklichkeit geschieht nichts«. (MM vom 27.1.1992)

Mannheim-Schönau hat eine (lokale) Presse, die es versteht, mitzuzündeln und sich gleichzeitig um die erhöhten Emissionswerte sorgt:

»Auf ein Wort .(…) Schaut her, die bösen Schönauer? Dummes Zeug!

In ganz Deutschland werden die Proteste gegen die massenhafte Einwanderung von Asylbewerbern, darunter ein Großteil Wirtschaftsflüchtlinge, die den wirklich Hilfsbedürftigen schaden, zunehmen.

Leider wird es auch vermehrt gewalttätige Aktionen geben. Das schadet unserem Ansehen im Ausland. Und wieder einmal sei es geschrieben: die Politiker sind gefordert.

Nicht morgen oder übermorgen, sondern heute.« (Joachim Faulhaber, Anzeiger 3.6.1992)

Mannheim-Schönau erfüllt alle Voraussetzungen für einen »berechtigten Protest«.

Abfahrt

26./27.5.1992

Das Gerücht, eine 16jährige Deutsche sei von Bewohnern des Flüchtlingsheimes vergewaltigt worden, macht bereitwillig die Runde. Etwa 150 Menschen ziehen vor das Flüchtlingsheim und verbreiten Lynchjustiz-Stimmung. Die Polizei verhindert die Erstürmung des Sammellagers.

28.5.1992

Vatertag. In Anschluss an ein Vatertagsfest ziehen Hunderte von BesucherInnen vor das Flüchtlingsheim. Pogromstimmung ist angesagt. Das spricht sich rum, und ganz schnell wächst die Menge auf über 500 Menschen an:

»Asylantenschweine raus«

»Ausländer raus«

»Nur ein toter Neger ist ein guter Neger«.

Die Polizei fordert Verstärkung an. Oberbürgermeister Widder ist auch an Ort und Stelle des Geschehens. Er äußert Verständnis für seine »aufgebrachten« BürgerInnen und verspricht, wie der Mannheimer Morgen zwei Tage später berichtet, »sich um die Probleme zu kümmern«. Als die Polizei die Menge zurückdrängte, blieb Widder als Stadtoberhaupt unter seinen Bürgern.

1.6.1992

Anfang Juni erreichen das Frankfurter Antirassistische Notruftelefon genauere Details über die Ereignisse in Mannheim-Schönau.

3.6.1992

Die erste Mobilisierung aus dem Rhein/Main-Gebiet nach Mannheim-Schönau erfolgte an diesem Tag. Etwa 150 AntirassistInnen beteiligten sich daran. Ziel war, den belagerten Flüchtlingen Unterstützung und Solidarität zu zeigen und, wenn möglich, die Konfrontation mit den BelagerInnen zu suchen. Das konnte nicht gelingen, da die Polizei den Auftrag verfolgte, einerseits die Flüchtlinge vor den AnwohnerInnen zu schützen und gleichzeitig die AnwohnerInnen vor uns. Der Abend endete pluralistisch: An der einen Absperrung versammelten sich die BelagerInnen, an der anderen wir – überall und dazwischen die Polizei. Daraufhin wurde der Beschluss gefasst, tags und nachts Wachen mit zu organisieren und die regionale Mobilisierung für eine Demonstration am 6.6. anlaufen zu lassen.

Fahrplanstörungen

Erste Kontroversen entzündeten sich um Ort und Ziel der geplanten Demonstration. Grob gesagt, standen sich zwei Positionen gegenüber:

1. Die eigentlichen Verantwortlichen dieses Pogroms sind die Politiker, samt ihrer verfehlten Sozialpolitik. Die BewohnerInnen auf der Schönau werden als Opfer wahrgenommen, deren »berechtigter Protest« verständlich ist, aber den »falschen« Feind treffe. Rassismus wird als Mittel der Herrschenden wahrgenommen, die damit von den eigentlichen Problemen und »wahren« Schuldigen ablenken wollen. Kaum treffender spiegelt sich diese Position in einem Flugblatt zur 6.6.-Demonstration wieder:

»Rebellion ist gerechtfertigt. Aber so geht’s nicht!

Es gibt gute Gründe, auf die Straße zu gehen. Wohnungsnot, Mieten, Löhne- kurz gesagt, das Gefühl, ständig ’was weggenommen zu kriegen. Es gibt auch gute Gründe, gegen die Scheiße hier mit Gewalt vorzugehen (…). Wir gehen davon aus, dass auch in Schönau einige dieser Gründe eine Rolle gespielt haben. Aber Aggressionen, die sich statt gegen die Herrschenden gegen die Schwächsten in dieser Gesellschaft richten, sind entweder die Unfähigkeit, sich gegen die Richtigen zu wehren, oder die Feigheit des ›kleinen Mannes‹: gegen oben ducken – gegen unten treten.

Es bieten sich viele Ziele an: Makler, Chefs, Politiker, Banken, Bullen etc. (…). Es ist vollkommen klar, dass die Unterbringung von über 200 Menschen auf engstem Raum, die darüber hinaus noch aus verschiedenen Kulturkreisen kommen, zu Spannungen führt. Es ist nachvollziehbar, wenn es zu Problemen zwischen den Flüchtlingen und der Bevölkerung kommt. (…) Aber das entschuldigt gar nichts!«

In der Praxis führte dieses Verständnis unter anderem dazu, die Absetzung des SPD-Oberbürgermeisters Widder zu fordern und den Demonstrationsort von der Schönau in die Mannheimer Innenstadt zu verlegen.

2. Unsere Position bestand darin, die TeilnehmerInnen an diesem Pogrom sehr wohl als eigenständig Handelnde zu begreifen, die eine Wahl haben und sich sehr bewusst für etwas entschieden haben. Für uns sind sie nicht Opfer, sondern zuallererst TäterInnen. In den rassistischen Angriffen drückt sich also nicht der Funke einer »Rebellion« gegen soziale Ungerechtigkeiten aus, sondern der Wille, weiterhin – als Teil der Herrenrasse – bevorzugt zu werden. Es konnte uns also nicht um Verständnis und Aufklärung gehen, sondern um unmittelbare Konfrontation. Wichtigstes Ziel musste sein, die rassistischen Angriffe vor Ort zu stoppen und den dort lebenden Flüchtlingen erfahrbar zu machen, dass es Menschen gibt, die ihr Dasein begrüßen und sich mit ihrem Kampf um ein menschenwürdiges Leben verbunden fühlen.

Diese unterschiedlichen Positionen kamen in den Vorbereitungstreffen nur sehr bruchstückhaft zum Vorschein. Meist prallten nur die unterschiedlichen Schlußfolgerungen aufeinander, was sehr schnell dazu führte, die möglichen Streitpunkte in das Bild einer Auseinandersetzung von »Provinz« (Mannheim) gegen »Metropole« (Frankfurt) umzuwandeln.

Die Entscheidung fiel zwar mehrheitlich für eine Demonstration in Mannheim-Schönau aus, doch es sollte sich sehr schnell zeigen, dass dieser Beschluss dem »Druck der Ereignisse« nicht standhalten konnte. Als klar war, dass die Demonstration dort verboten und Mannheim-Schönau total abgeriegelt werden würde, verlegte man in letzter Minute die Demonstration in die Mannheimer Innenstadt. So wenig die Entscheidung für Mannheim-Schönau inhaltlich getragen wurde, so verlockend schien die angebliche Zusage der Polizeiführung, zumindest in der Mannheimer Innenstadt ungestört eine Demonstration machen zu können.

Es sollte ganz anders kommen. Bereits der Kundgebungsort wurde nach wenigen Minuten angegriffen, jeder Versuch, sich an einem anderen Ort zu sammeln, wurde zerschlagen. Es gab mehrere Schwerverletzte und über 140 Festnahmen. Die Polizei bewies zumindest – was eigentlich nicht mehr beweisbedürftig ist – dass sie jede Ansammlung auseinander treiben kann, wenn es von den politischen Auftraggebern erwünscht ist.

Waren die allabendlichen Angriffe auf das Flüchtlingsheim bestenfalls eine lokale Randnotiz wert, so schaffte diese antirassistische Demonstration zumindest eines: Sie geriet ins bundesrepublikanische Scheinwerferlicht. Wenn man den Erfolg einer Demonstration an der Größe der Schlagzeilen und an der Zeilenlänge misst, dann konnte man sicherlich mit dem Ergebnis zufrieden sein. Wenn man jedoch bedenkt, dass eine Berichterstattung, die die Verhältnisse auf den Kopf stellt und den eigentlichen Grund der Demonstration zum flüchtigen Nebensatz macht, gar nichts vermittelt außer die herrschenden Verhältnisse, dann bleibt dieser Medienerfolg mehr als fragwürdig – gerade dann, wenn es unsere Absicht ist, nicht die Auseinandersetzung mit der Polizei in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das, was in diesem Land unter Polizeischutz steht. Denn zur selben Zeit, als wir in der Mannheimer Innenstadt gejagt und verprügelt wurden, konnten sich abermals hunderte »besorgte BürgerInnen« vor dem Flüchtlingsheim sammeln, in aller Seelenruhe und gänzlich ungestört.

So verwundert es nicht, wenn Schönauer BürgerInnen – von der Polizei, den örtlichen Politikern und den Medien weitgehend gedeckt – weiterhin ihrem allabendlichen rassistischen Feierabendvergnügen nachgingen. Das Verlangen, Mannheim-Schönau »flüchtlingsfrei« zu machen, wurde zur Selbstverständlichkeit, mit der von Staatsseite so umgegangen wurde wie mit einem Fastnachtsumzug: Seit dem 2.6. wurde die Lilienthalstraße, die direkt am Flüchtlingslager vorbeiführt, jeden Abend ab 17 Uhr von der Polizei ordnungsgemäß gesperrt. Die Angriffe auf das Flüchtlingsheim bekamen so ihr geregeltes, institutionalisiertes Verfahren. Auf der einen Seite verhinderte die polizeiliche Präsenz tatsächlich, dass das Flüchtlingsheim gestürmt und abgebrannt werden konnte. Auf der anderen Seite sorgte sie dafür, dass die Drohung im Blick blieb, das Flüchtlingsheim eigenhändig zu räumen, wenn sich die demokratischen Parteien nicht endlich auf eine »Lösung des Asylproblems« einigten. Oder mit den Worten von August Mehl, dem Ersten Vorsitzenden der Kultur- und Interessensgemeinschaft Mannheim-Schönau e.V., in der sich 26 ortsansässige Vereine und Geschäftsleute zusammengeschlossen haben: »Der Bürger erwartet Lösungen« und wenn nichts geschieht, »dann stehen vielleicht bald nur noch die Mauern der Gendarmeriekaserne«. (MM vom 5.6.1992)

Die Herstellung eines Problems, die Inszenierung eines Problemdrucks und die Logik, dafür eine Lösung finden zu müssen, greifen geschmeidig ineinander.

Die kurzfristig in die Mannheimer Innenstadt verlegte Demonstration vom 6.6. und ihre Zerschlagung verschärften die Auseinandersetzungen in den Vorbereitungsgruppen für eine bundesweit ausgerufene Demonstration am 13.6.1992. Zwar blieb der Demonstrationsort nach wie vor Mannheim-Schönau, doch die Wichtigkeit, jetzt erst recht daran festzuhalten, wurde weiterhin ziemlich unterschiedlich gesehen. Auch diesmal gelang es nicht, die inhaltlichen Differenzen und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Praxisvorstellungen zur Sprache zu bringen. Anstatt sich darüber zu streiten, wurden die Gegensätzlichkeiten mehr denn je am »Metropolen-Provinz-Gefälle« zwischen Frankfurt und Mannheim festgemacht und weiter vertieft. Dass diese notwendigen Kontroversen weniger irgendwelchen Hausmachtsallüren, sondern inhaltlichen Unterschiedlichkeiten geschuldet waren, fiel dabei mehr und mehr unter den Tisch. Ähnlich beschrieben es die HerausgeberInnen der Dokumentation ›Mannheim-Schönau: 26.5.-27.6.1992‹: »Am 9.6. findet wiederum ein Plenum zur Vorbereitung der 13.6.-Demonstration statt. Die schon (oben) genannten Kontroversen treten hier in zum Teil noch schärferer Form auf. Es geht diesmal unter anderem um die Frage des Demonstrationsortes. Wieder gelingt es – verständlicher Weise (Zeitdruck) – kaum, die Auseinandersetzung, deren zusätzlicher Hintergrund nun das Desaster des 6.6. ist, inhaltlich zu führen. Das Ergebnis: die Demonstration soll weiterhin auf der Schönau stattfinden. Die Stimmung bei vielen ist aber irgendwo zwischen Abgenervtsein und Spaltung. Trotzdem ist auch allen klar, irgendwie weitermachen zu müssen. Genauer ist das bis heute nicht gefasst!« (S.4) … Irgendwie … irgendwo …

In vielen Diskussionen in Frankfurt ging es nicht darum, etwa am Demonstrationsort Mannheim-Schönau unsere Allmachtsphantasien auszutoben. Die Notwendigkeit, die Demonstration bundesweit anzulegen, war bereits das Eingeständnis, nicht einmal mit regionalen Kräften eine Demonstration durchsetzen zu können. Uns ging es vielmehr darum, unserer Einschätzung Ausdruck zu verleihen, in den am Pogrom beteiligten BürgerInnen aktiv handelnde RassistInnen zu sehen, die über ihr Tun nicht erst aufgeklärt werden, sondern zuallererst daran gehindert werden müssen. Dabei waren wir uns sehr wohl unserer bescheidenen Möglichkeiten bewusst. In unseren Vorbereitungen ging es also immer wieder darum, nicht das zu erwartende Demonstrationsverbot zum Gradmesser unseres Handelns zu machen, sondern das eigene Ziel: Unter den genannten Bedingungen so nah wie möglich an die »einheimischen Gegner des Asylantenheimes« (so die liebevolle Selbstbezeichnung) heranzukommen. Dabei hatten wir weniger Feldschlachten und Geländegewinne im Kopf als Gewitztheit, ein bisschen Schläue und viel Beweglichkeit. Die Vorstellung, uns von allen möglichen und unmöglichen Orten aus Mannheim-Schönau zu nähern, während ein wie immer überdimensionierter Polizeiapparat sich ständig in dem Versuch selbst karikiert, jede Straße, jeden Rad- und Schleichweg dicht zu bekommen, beflügelte eins ums andere Mal unsere Anstrengungen. Schließlich wollten wir auch nicht ausschließen, dass uns mit dieser Demonstrationstaktik etwas gelingt, was wir mit einer Demonstration allein nicht erreichen können: Eine Situation offensichtlich zu machen, in der rassistische Handlungen der Straße zu einem staatsaktähnlichen Szenario verschmelzen, in dem sich demokratische Politiker, PogromteilnehmerInnen, Polizei und Medien gegenseitig an die Hand nehmen, um für »Ruhe und Ordnung« zu sorgen. Ganz in diesem parteiübergreifenden Sinne wandte sich der SPD-OB Widder in einem offenen Brief an seine »Liebe[n] Mitbürgerinnen und Mitbürger auf der Schönau«, um einen Tag vor der geplanten Demonstration zu verkünden: »Nachdem in unserer Stadt (…) längst wieder Ruhe eingekehrt ist, bereiten uns aus dem gesamten Bundesgebiet zureisende militante Kräfte erhebliche Sorgen (…) Ungeachtet des von mir verfügten Verbots (…) ist damit zu rechnen, dass versucht wird, die Demonstration durchzuführen. Die Polizei ist darauf vorbereitet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich bitte Sie deshalb erneut sehr eindringlich, jeglichen Ansammlungen und Aktionen fernzubleiben, womit Sie die Arbeit der Polizei erheblich unterstützen (…)«

Zurück zur Demovorbereitung. Ergebnis der gemeinsamen Absprachen war, sich in zwei Demozügen bzw. Konvois Mannheim-Schönau zu nähern. Konsens bestand zugleich darin, bis zu den Absperrungen zu gelangen, sich zu sammeln und das weitere Vorgehen dort zu beschließen. Ein Durchbrechen der Absperrungen wurde von den meisten als unrealistisch eingeschätzt. Ein, zwei Tage vor dem 13.6. begann das übliche Aufwärmtraining der Presse. Medienfeuer. Krawalle und militante Reisekader, Hundertschaften und Verstärkung aus befreundeten Bundesländern, Gewalt und brave BürgerInnen wurden erwartet. Das reichte, um den wackligen Konsens in der Demokoordination zum Einsturz zu bringen. Wieder in letzter Minute, ohne gemeinsame Absprache, wurde vom südlichen Versammlungsort aus erst gar nicht der Versuch unternommen, nach Mannheim-Schönau zu gelangen – ganz abgesehen von den vielen in den Autos, die an den weiträumigen Kontrollpunkten der Polizei festgesetzt wurden. Demonstrationsziel war so wieder die Mannheimer Innenstadt geworden, in der sich bis in die Abendstunden hinein ca. 3 000 Menschen versammelten und ohne polizeiliche Angriffe demonstrieren durften. In unserem Autokonvoi hielten wir vom Norden kommend an der vereinbarten Konzeption fest, über viele vorher erkundete Wege und Umwege so nah wie möglich an Mannheim-Schönau heranzukommen. Tatsächlich gelang es uns auch, mit etwa 300–400 Leuten an das vorher ausgemachte Ziel zu gelangen. Das Bild werden einige von uns noch lange im Gedächtnis behalten, als wir in einem lang gezogenen Konvoi mit ca. 80 Autos über einen schmalen Feldweg, entlang brachliegender Felder, Mannheim-Sandhofen erreichten. So ganz hatten wir ja selbst nicht daran geglaubt. Eigentlich war es von dort aus nur noch ein Katzensprung bis nach Mannheim-Schönau. Ausgemacht war, dorthin als Demonstrationszug zu gelangen und irgendwann auf die »Anderen« zu stoßen. In Wirklichkeit stießen wir auf schnell herbeigerufene Polizei, die uns bereits während des Abstellens der Autos einkesselte und so jede weitere Demonstration – außer der ihren – verhinderte. Über eine Stunde dauerte es dann, bis sich ein Einsatzleiter für diese Situation verantwortlich zeigte, noch mal genauso lang, bis seine Zusage, die Kessel – mit denen er eigentlich nichts zu tun hätte – aufzulösen, auch umgesetzt wurde. Nach insgesamt drei Stunden Verzögerung konnte so etwas Ähnliches wie Demonstrationsfreiheit – auf Mannheim-Sandhofen begrenzt – stattfinden.

Wir hatten mehrere Redebeiträge vorbereitet, unter anderen den folgenden, den wir hier dokumentieren. In diesem ging es uns darum, am Beispiel Mannheim-Schönau zu konkretisieren, warum für uns Rassismus kein Fall für eine Klassenanalyse, also auch kein Sozialfall ist:

An die Bürgerinnen und Bürger auf der Schönau

Nicht für Sie, aber für uns fing alles mit einer gerade zwölfzeiligen Kurzmeldung in der Frankfurter Rundschau vom 30.5.1992 an: »Am Donnerstag abend waren in Mannheim 30 betrunkene Männer von einem Vatertagsfest aus zu einem Asylbewerberheim gezogen und hatten in Sprechchören den Ausländern Gewalt angedroht. Ihr aggressiver Krawall zog etwa 300 Schaulustige an. Das Gebäude wurde abgeriegelt, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Sie nahm mehr als 20 Unruhestifter fest. Dabei wurden zwei Beamte durch Glassplitter von Bierflaschen leicht verletzt.«

Man muss diese kleine, unscheinbare Nachricht mehrmals lesen, um Wort für Wort die Widerwärtigkeit dieses Ereignisses zu begreifen. Dass am Vatertagsfest Männern nicht mehr einfällt, als sich zu besaufen, gehört seit Jahren zum Ritual jenes Feiertages. Dass sie sich dabei ankotzen und bestätigen, gehört zu dieser Art von Männerfreundschaft, die hier gepflegt wird – wie der Vorgarten, das Auto, das kleine Häuschen und der Gartenzwerg. All das hat seine Ordnung.

Völlig in Ordnung war auch, dass der Höhepunkt dieses Vatertagsfestes ein Angriff auf ein Flüchtlingslager war. Das war zwar – spätestens seit Hoyerswerda – nichts Neues mehr, aber für die Schönauer Bevölkerung wohl höchste Zeit, und alles andere als zufällig.

So besoffen diese 30 Männer waren, so genau wussten sie, wohin sie gingen, so einig waren sie sich, wer jetzt keinen Grund hat zu feiern, wer in ihrem aufgeräumten Vorort nichts zu suchen hat.

»Ihr aggressiver Krawall zog etwa 300 Schaulustige an«, so die Zeitungsmeldung weiter. Das klingt nach Attraktion, nach Spektakel, ein bisschen Lärm, ein wenig Übermut und zwei Bier zuviel. In einem Land, wo Pogrome und Judenhass nicht die Handlung von wenigen war, sondern eine rassistische Lebenshaltung von Millionen; in einem Land, wo Selektion und Vernichtung von unwertem Leben nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit deren Duldung und Unterstützung möglich wurden, ist eine solche Pressenotiz mehr als Verharmlosung und Entschuldigung. Als handele es sich hier um Entgleisungen – und nicht um Gleise, die gestern nach Auschwitz führten und heute zielsicher vors Flüchtlingslager. Als handele es sich hier um blinde Gewalt, um eine Schnapsidee und eben nicht um eine rassistische Lebenshaltung, die im Exzess nur öffentlich macht, was viele denken und fühlen und einige schon immer sagen.

»300 Schaulustige« zog dieser rassistische Angriff an. Und wir fragen Sie, die Schönauer Bevölkerung: Was zog Sie an, was machte Sie an, wo Sie ansonsten bei »Krawall« gewöhnlich die Türen schließen und die Polizei rufen?

Was zog Sie an, auf die Straße, vors Flüchtlingslager, wo Sie doch ansonsten so für Ruhe und Ordnung eintreten? Und wir fragen Sie, die braven und rechtschaffenen BürgerInnen von Schönau: Was war an diesem Abend, vor dem Flüchtlingslager »lustig«?

Was fanden Sie an diesem »Krawall« so lustig, wo Sie doch ansonsten »Krawall« so verurteilen? Anders gefragt: Was machte Ihnen so viel Mut, wo Sie doch ansonsten soviel Angst vor »Ausschreitungen« haben?

Was uns entsetzt, sind nicht die 30 Vaterlands-Männer, die die Sau rauslassen, sondern Sie, die Schaulustigen, die Gefallen und Genugtuung daran gefunden haben. Sie, die sich ganz und gar nicht als Minderheit fühlen, sondern stellvertretend für die Mehrheit in Schönau Ihre Zustimmung und Unterstützung kundtaten.

Es wäre ganz und gar falsch, wenn man Sie mahnend an Hoyerswerda erinnern wollte, als hätten Sie – wieder einmal – etwas vergessen. Im Gegenteil: Das Bezeichnende an Ihrer Haltung ist, dass Sie gerade nicht vergessen haben, sondern dabei sind, es zu wiederholen!

Sie, Schönauer Bürgerinnen und Bürger, sind gerne und bevorzugt »Opfer«: Opfer einer verfehlten Sozialpolitik, Opfer einer geschwätzigen Asyldebatte, Opfer einer tatenlosen Parteipolitik und zuletzt Opfer einer Vergewaltigung, die ein »schwarzer« Asylbewerber an einer 16jährigen Schönauerin begangen haben soll. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht, wo Sie sich so lange haben zusammenreißen müssen.

Sie sind so viel »Opfer« wie das Nazi-Deutschland 1939, das von Polen »angegriffen« wurde und deshalb ab 5.30 Uhr morgens begeistert dem Führerbefehl folgte, »zurückzuschießen« …

Sie wissen so gut wie wir, dass die meisten Vergewaltigungen nicht von ›Fremden‹, ob schwarz oder weiß, versucht oder begangen werden, sondern von Bekannten, Verwandten, von so genannten unbescholtenen (Familien-)Vätern. Kurzum aus Ihrer Mitte heraus, im Schutz Ihres Stillschweigens, also mit Ihrer Duldung und Zustimmung.

Sie wissen sicherlich besser als wir, wie viele Vergewaltigungen in Ihrer Siedlung, in Ihrem Bekanntenkreis, in Ihrer eigenen Familie versucht oder vollendet wurden. Wir wissen von keinem einzigen Versuch, dieses Haus, diese Wohnung zu belagern, Tag für Tag, bis es für jeden Vergewaltiger unerträglich wird, aus Ihrer Mitte heraus zu agieren.

Genau deshalb ist die Vergewaltigung einer 16jährigen Schönauerin durch einen »schwarzen« Asylbewerber mehr als »frei erfunden« (FR, 6.6.1992). In ihr tobt sich nur der eigene Wunsch aus, sich das von niemand (anderem) nehmen zu lassen. Deshalb ist es auch falsch, das Gerücht von einer Vergewaltigung als Versuch zu werten, von den eigentlich rassistischen Motiven abzulenken. Im Gegenteil: Kaum anschaulicher demonstriert es, wie ganz alltägliche sexistische Gewalt(-phantasien) mit rassistischen Lebenshaltungen zusammenwirken und ineinander greifen.

Doch seien Sie beruhigt. So sehr Sie sich auch als »Opfer« der Politik oder sonst etwas fühlen, so sicher können Sie sich ihrer sein. Einen Tag nach dem Vatertagsexzess unterbreitet Ihnen OB Widder in einem offenen Brief das Angebot, künftig bevorzugt nicht mehr »allein stehende, junge Männer«, sondern vielmehr »Flüchtlingsfamilien mit Kindern« auf dem Gelände unterzubringen. Schneller kann mann ein frei erfundenes Gerücht – über den Umweg einer Maßnahme gegen Flüchtlinge – nicht zur angenommenen Tatsache machen. Ganz abgesehen davon, dass der Oberbürgermeister mit dieser Maßnahme die Schutzbehauptung regierungsamtlich macht, dass von (Familien-)Vätern weniger sexistische Gewalt ausgehe als von allein stehenden jungen Männern.

Wenn in Zeitung, Rundfunk und Fernsehen nichts mehr seit jenem Vaterlandstag zu lesen, hören und zu sehen ist, dann heißt das noch lange nicht, dass seitdem nichts passiert wäre. Es herrscht nur Nachrichtensperre, wobei es auch dafür keines Erlasses bedarf, sondern nur einer guten Portion Selbstzensur. Freie Berichterstattung heißt eben gerade auch die Freiheit, nicht zu berichten. Was nur auffällt: dass genau dies alle (Medien) gleichzeitig tun.

Weder die organisierten Schläger, die Schaulustigen, noch die Schönauer Bevölkerung brauchen sich gerade jetzt alleine zu fühlen. Sie können sich der Komplizität der Medien, der (lokalen) Parteipolitik und der Polizei sicher sein. Sie können ungestört in aller Ruhe weitermachen. Seit dem 29.5. wird Abend für Abend, nach der Tagesschau, das Flüchtlingslager belagert und angegriffen. Die Flüchtlinge trauen sich kaum noch aus dem Lager, und wenn doch, können sie sich Anpöbeleien und Angriffen sicher sein. Sie sollen Stunde um Stunde, Nacht für Nacht um ihr Leben fürchten, nachdem se, aus Furcht um ihr Leben, aus ihren Heimatländern geflüchtet sind, in der Hoffnung, hier sicher zu sein.

Dass Menschen anderer Hautfarbe, auch ohne Hunger und Krieg, hier um ihr Leben bangen müssen, das demonstriert ihnen die Schönauer Bevölkerung Tag für Tag. Die »Entgleisungen« nehmen organisierte Züge an.

Während die Polizei Gelassenheit und Besonnenheit gegenüber dieser völkischen Gesinnung signalisiert, die Pressestelle der Polizei jeden Fahrraddiebstahl zur Meldung macht und über die allabendliche Belagerung des Flüchtlingslagers »Stillschweigen bewahrt«, zeigt die Polizei dennoch, wovon die Gefahr »eigentlich« ausgeht. Sie »riet« den Flüchtlingen, das Lager nicht zu verlassen und zog zur Unterstreichung ein zwei Meter nach innen versetztes zusätzliches Absperrgitter um das Flüchtlingslager. Auf die viel naheliegendere Maßnahme, für Schönau eine abendliche Ausgangssperre zu erlassen, kommt sie nicht.

Für Sie, Schönauer BürgerInnen, ist es kein Widerspruch, für Ruhe und Ordnung zu sein und gleichzeitig das Leben der Flüchtlinge hier zur Hölle zu machen. Ihre Ruhe und Ordnung ist – in der Tat – die Hölle: die Bereitschaft, alles zum Verschwinden zu bringen, auszulöschen, was Sie mit einem anderen Leben, mit Unbekanntem und Verschiedenheit konfrontieren könnte. Sie haben in der Tat Angst – nicht vor den Flüchtlingen, sondern vor einem Leben, das Ihr eigenes zu Tode geregeltes und voller Vorsorge entstelltes Leben in Frage stellen, ins Wanken bringen könnte.

Die Flüchtlinge sind Ihnen völlig egal – im wahrsten Sinne des Wortes gleichgültig. Sie sind heute Objekt Ihres Lebenshasses und Unterwerfungswillens, wie es früher Jüdinnen und Juden waren, wie es heute immer noch Schwule und Lesben, KommunistInnen und Oppositionelle sind. Ihre Objekte sind austauschbar, Ihre eigene Lebenshaltung immer dieselbe – ungebrochen.

Sie sagen – im Jahrhundertreim –, die Flüchtlinge nähmen Ihnen die Arbeit, die Wohnung, die Sozialhilfe weg. Wir wünschten uns in solchen Momenten wie diesen, all das wäre keine Projektion, sondern Wirklichkeit. Es gäbe gute Gründe dafür – nicht nur für Flüchtlinge. Wir können uns vorstellen, dass die meisten von Ihnen keinen Flüchtling selbst umbringen wollen und können. Was Sie aber alle können und tun, ist ein Klima zu schaffen, das Flüchtlinge dazu treiben soll, abzuhauen, bevor es zu so etwas kommt.

Sie, Schönauer BürgerInnen, wollen in Ruhe und Frieden hier leben und machen den Flüchtlingen das Leben zur Hölle – indem Sie schweigen, nichts tun, indem Sie applaudieren, anfeuern und selbst Hand anlegen.

Wir wollen Sie nicht mit der deutschen Vergangenheit belästigen. Wir wollen nur alles tun, damit Sie nicht in Ruhe und Frieden das Leben anderer zur Hölle machen können. Wir geben zu, es wird nicht leicht sein, Sie aus Ihrer Ruhe und Fassung zu bringen. So sehr Sie auch auf die »große Politik« schimpfen mögen, so viel Rückendeckung und Schutz bietet sie Ihnen an.

Sieben Tage nach dem Vatertagsexzess, nach sieben Tagen allabendlicher, genehmigter Belagerung des Flüchtlingslagers, meldete sich der OB Widder nochmals in einem offenen Brief an die »Liebe[n] Mitbürgerinnen und liebe[n] Mitbürger auf der Schönau« zu Wort: »Die Ansammlungen vor der Landesunterkunft für Asylbewerber in der Lilienthalstraße haben (…) eine neue Qualität erreicht, indem (…) sie zum Anziehungspunkt auswärtiger militanter Kräfte werden. Ich bitte Sie (…), Konfrontationen mit diesen Kräften zu meiden.«

Bei aller Kritik an der »großen Politik«, Schönauer Bürgerinnen und Bürger: Demonstrativer kann sich ein Stadtoberhaupt nicht vor Sie stellen und den Rest auf den Kopf!

Sieben Tage lang störten weder Sie noch den OB, noch die Polizei die allabendlichen Angriffe aufs Flüchtlingslager. Das war und ist für Sie und den OB – wahlweise – in Ordnung, verständlich und/oder nicht einmal der Erwähnung wert. Von »neuer Qualität« ist erst die Rede, als wir das gute und mittlerweile geübte Zusammenspiel von Schönauer BürgerInnen und Polizei, Parteipolitik und Medien zu stören begannen – in der Tat, überwiegend von »außerhalb«, weil bis zu 400 SchönauerInnen täglich nicht gegen die Bevölkerungsmehrheit, sondern mit ihrer Zustimmung und Duldung vor dem Flüchtlingslager die Sau rausließen. Wenn sich ein Volk so einig ist, verdient das nicht nur politische Anerkennung, sondern auch Polizeischutz – mit allen Mitteln. Diesen versichert der OB im selben offenen Brief: »Die Polizei hat mit besonnenen Einsätzen in den letzten Tagen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleistet und wird mit verstärkter Präsenz auch den neuen Herausforderungen gerecht werden und diesen in aller Entschiedenheit entgegentreten«.

Dazu darf man wohl das Demonstrationsverbot in Schönau und sonst wo am 6.6.1992, den blutigen Polizeieinsatz in Mannheim am selben Tag, die über 140 Festnahmen, die unzähligen Kopf- und Platzwunden und Hundebisse, den Einsatz von SEK (Sondereinsatz-Kommandos) und zivilen Greiftrupps, die Stürmung des Mannheimer Jugendzentrums usw. zählen. Damit sich der völkische Mob wieder in Ruhe vor dem Flüchtlingslager in Schönau versammeln kann.

So viel der OB Widder in seinem offenen Brief auch auf den Kopf stellt, so sehr hat er doch den Nagel auf den Kopf getroffen, als er das enge Band zwischen Schönauer Bevölkerung und Polizei zu würdigen wusste: »Die Polizei hat bei den Einsätzen gegen die auswärtigen Störer die Zustimmung und das Verständnis der Schönauer Bevölkerung erfahren. Dafür danke ich allen, die damit einen Beitrag für die Sicherheit auf der Schönau und der Stadt insgesamt leisten.«

Soll uns niemand kommen und sagen, völkische und rassistische Gesinnung könnten sich hier nicht einer breiten sozialen Basis, der »großen Politik« und des polizeilichen Begleitschutzes sicher sein.

Es liegt an uns, an unserer Kraft, an unserer Ausdauer und Entschlossenheit, nicht den Rauch zu vertreiben, sondern die Feuerstelle selbst zu bekämpfen. Diese liegt nicht am Rand dieser Gesellschaft, sondern mittendrin.

Stilllegung

Nach den Demonstrationen in Mannheim-Sandhofen und in der Mannheimer Innenstadt brach das städteübergreifende »Bündnis« in sich zusammen. Zwar war noch ein Fest mit den Flüchtlingen zusammen geplant, doch weder die Kraft noch die dafür notwenige Ausdauer waren vorhanden. Auch wenn wir sagen können, dass wir unsere Möglichkeiten weitgehend ausgespielt haben, so sind wir hier doch an die Grenzen interventionistischer Politik gestoßen – was weder verwunderlich noch allzu neu ist. Im besten Fall haben wir einen rassistischen Exzess verhindert, ganz realistisch gesehen haben wir zur Wiederherstellung der Normalität beigetragen.

Die BürgerInnen sitzen wieder vor ihren Fernsehern, die Flüchtlinge hinter doppeltem Stacheldraht, ihre Anwesenheit löst wie überall normale Feindschaft aus, die Asylbehörden arbeiten mehr denn je reibungslos und immer schneller: Innerhalb von sechs Wochen wurden über 90 Prozent der dort untergebrachten Flüchtlinge abgeschoben. Verschwunden. In der Stadt ist wieder Ruhe eingekehrt, die BürgerInnen haben wieder Vertrauen in die demokratischen Institutionen und Parteien. Man geht wie eh und je »beim Türken einkaufen, beim Griechen essen und [lassen sich] beim Italiener [die] Haare schneiden.« (August Mehl) Man hat ja nichts gegen Ausländer …

Endstation

So maßgeblich gerade demokratische Institutionen und Parteien am Zustandekommen des Pogroms beteiligt waren, so nahe liegend ist es, dass sie auch den Schlussakkord unter das Kapitel Mannheim-Schönau setzen.

Es gibt ja immer noch Menschen, die behaupten, die Justiz sei auf dem rechten Auge blind, ihr demokratischer Auftrag müsse doch sein, den ›Rechts- und Linksradikalismus‹ gleichermaßen zu bekämpfen. Manch ein aufrechter Demokrat bemühte dazu die Anti-AKW- oder Häuserkampfzeiten oder das staatliche Vorgehen gegen die RAF, bei denen es doch auch mit allen Mitteln des Rechtstaates gelang, eine unerwünschte Opposition zu zerschlagen.

Doch wenn wir auf die Ereignisse in Mannheim-Schönau zurückblicken, so machen solche Vergleiche mehr als stutzig. So unvereinbar sicherlich der Besitz von Häusern und das Besetzen derselben ist, so schwer ist es doch, zwischen einem »aufgebrachten Bürger«, der »Asylanten raus« brüllt und einem Politiker, der dies in Gesetze gießt, zu unterscheiden. Dies ist längst keine bösartige Annahme von linken Staatsfeinden mehr, sondern das Problem der Herrschenden selbst.

Der Streit unter Demokraten, wer überhaupt noch rechts von ihnen Verfassungsfeind sein könnte, ist durchaus verständlich. Denn immerhin zählt die Verbreitung der »Auschwitzlüge« – mittlerweile mit höchstrichterlichen Segen – zum normalen Inventar der Meinungsfreiheit, so wie es ebenfalls zur Freiheit der herrschenden Meinungsäußerung gehört, die NS-Verbrechen mit denen des SED-Regimes gleichzusetzen. Feine Nuancierungen auf dem Weg zum Gemeinschaftsprojekt »Normalisierung der deutschen Geschichte«, an dem sich bürgerliche wie nicht bürgerliche Kräfte vereint beteiligen.

Nicht nur uns fällt es zunehmend schwerer, zwischen faschistischen und (noch) demokratischen Verhältnissen zu unterscheiden – dem bürgerlichen Staat selbst schwinden die Unterscheidungskriterien. War noch vor ein paar Jahren die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsartikels 16,2 eindeutiges Merkmal faschistischer (Partei-)Programmatik, so kann man heute nur noch lapidar feststellen, dass diese »verfassungsfeindliche Zielsetzung« zum Kernbestand von »Verfassungspatrioten« worden ist. Der Versuch demokratischer Parteien, sich vom ›Rechtsextremismus‹ noch unterscheidbar zu machen, führt allmählich zu absurden Situationen. So etwa im Baden-Württembergischen Landtag, als am 7.2.1994 eine Rechtsextremismus-Ausstellung eröffnet wurde und die Republikaner dagegen protestierten, dass sie darin aufgeführt wurden. Von Biedermännern und Brandstiftern handelte diese Ausstellung, die REP-Partei sollte damit gemeint sein. Dieser blieb es vorbehalten, den Kreis derer, die dazugehören, parteiübergreifend zu erweitern. So zitierten sie auf Plakaten unter anderen den SPD-Ministerpräsidenten Farthmann mit den Worten: »Kurzen Prozess – an Kopf und Kragen packen und raus damit« oder einen Herrn Stoiber, der sich zur »Überfremdung« äußerte – alles untertitelt mit der rhetorischen Frage: »Ein Extremist und Brandstifter?«

Was soll also die Justiz, deren entschiedenes Vorgehen immer wieder gefordert wird, noch verfolgen, wenn das, was einst als »verfassungsfeindliche Zielsetzung« galt, heute legaler Bestandteil der Verfassung ist? Oder anders gefragt: Warum soll die Justiz rassistische Handlungen wie in Mannheim-Schönau ahnden, wenn diese BürgerInnen doch nur von demokratischen Parteien ausgegebenen Schlüsselworte wie »Überfremdung« und »Durchrassung« aufgreifen, nicht lange fackeln und zur Tat schreiten?

Warum sollen BürgerInnen für ihre Pogromteilnahme bestraft werden, wo sie doch nur – anerkanntermaßen – auf eine »verfehlte Politik« verweisen und damit nichts anderes tun, als sich am politischen Selbstfindungsprozess zu beteiligen, der schließlich zur »Wende in der Asylpolitik« führte?

Fast zwei Jahre nach den Angriffen auf das Flüchtlingsheim zieht jedenfalls die Mannheimer Polizei und Staatsanwaltschaft Bilanz: Nicht eine Person von bis zu 500 Beteiligten ist juristisch belangt oder gar verurteilt worden. Damit nicht genug. Die Polizei verzichtete auf die Erstattung von Anzeigen und die Staatsanwaltschaft sah überhaupt keine Veranlassung, selbst Ermittlungen einzuleiten. Dieser staatliche Flankenschutz kann sich sehen lassen und nicht minder die Begründung des Mannheimer Polizeisprechers: »Es war nicht die Absicht, betrunkene, aber nicht kriminelle Bürger mit Strafverfahren zu überziehen.«

Der Unterschied zwischen BürgerInnen, die die ›Asylfrage‹ selbst in die Hand nehmen und denen, die dafür juristisch und administrativ zuständig sind, liegt demzufolge darin, dass erstere sich dazu Mut antrinken müssen, während letztere dies ganz nüchtern tun.

Was an diesem Pogrom wirklich kriminell war, was ›im öffentlichen Interesse‹ verfolgt werden mußte, füllt Aktenberge: Über 150 Strafverfahren sind in Mannheim gegen AntirassistInnen eingeleitet worden.

Fast hätten wir es vergessen: »Die Daten der an den fremdenfeindlichen Ausschreitungen Beteiligten [sind] nicht mehr vorhanden.« (FR vom 26.3.1994)

Perfekte Arbeit.

Aus: Lichterketten und andere Irrlichter – Texte gegen finstere Zeiten

autonome l.u.p.u.s. gruppe

Edition ID-Archiv, Berlin – Amsterdam, 1994

Ein ganz gewöhnlicher Fahrplan Richtung Pogrom, S.86-102

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