Im Schutz der Mitte – der NPD-Aufmarsch in Frankfurt am 7.7.2007
Am 7.7.2007 werden nach dem Willen der Stadt Frankfurt, der NPD und ihrer Kameradschaften bis zu 2.000 Faschisten durch die Strassen Frankfurts marschieren. Gelänge dies, wäre es der größte Aufmarsch von Neonazis nach der Kapitulation des NS-Regimes durch eine Stadt, die sich zeitgleich und schamlos in die europäische Koalition ›Städte gegen Rassismus‹ einreiht.
Anfang des Jahres verkündete die CDU-OB Roth, man werde einen solchen Neonazi-Aufmarsch juristisch verbieten. Die Rechtswende kam prompt. Nachdem die NPD, unter dem Motto ›Volksgemeinschaft statt Globalisierung‹, ›National statt Global‹ für den 7.7.2007 eine Demonstration durch Frankfurts Innenstadt anmeldete, erklärten Rechts- und Ordnungspolitiker, dass ein juristisches Verbotsverfahren keine Aussicht auf Erfolg habe. Man wolle vielmehr mit strengen Auflagen Flagge zeigen und das Gesicht wahren. Statt durch Frankfurts Innenstadt zu ziehen, sollen nach dem Willen der politisch Verantwortlichen Neonazis durch den Stadtteil Hausen/Rödelheim marschieren. In der Tat, dieses städtische Angebot böte der NPD Rassismus und Antisemitismus, zwei wesentliche faschistische Theoreme, ganz praktisch miteinander zu verbinden: In beiden Stadtteilen leben sehr viele MigrantInnen und in Hausen befindet sich die Neue Börse, ein zentrales Motiv faschistischer Propaganda: Nach dieser gilt es, die guten Seiten des Kapitalismus (anständige, fleißige und ehrliche Arbeit) gegen die bösen/entarteten Seiten des Kapitalismus (Zins, Spekulation, Wucher) zu verteidigen.
Ob die NPD dieses Angebot annimmt, ist noch ungewiss. Sie hat am 22.6.2007 Klage gegen diese Auflagen eingereicht. Ob sie damit Erfolg hat, wird sich – schlechtestenfalls- erst ein paar Tage vor ihrem geplanten Aufmarsch herausstellen.
Die Stadt Frankfurt weiß, dass sie mit diesem windelweichen Antifaschismus ein großes Risiko eingeht. 2000- 2004 versuchten Neonazis in Frankfurt den 1. Mai nationalsozialistisch zu besetzen. Jedes Mal mussten sie sich mit Demonstrationsrouten zufrieden geben, die am Rand der Stadt lagen. Die Ordnungsbehörden konnten damit argumentieren, dass das ›Abstandsgebot‹ zwischen Neonazis und Antifaschisten eine Demonstration durch die Innenstadt nicht erlaube. Zumindest juristisch lässt sich diese dürftige Begründung für den 7.7.2007 nicht halten. Die Stadt Frankfurt weiß dies und schweigt. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich Neonazis das zugestandene Demonstrationsrecht auf der Strasse holen, also ein negatives Gerichtsurteil ignorieren werden. Was dies bedeuten würde, weiß die Stadt Frankfurt und ist dafür verantwortlich. Die Hessenschau vom 29.6.2007 zitierte aus einem internen Lagebericht des hessische Verfassungsschutz: »Es ist bereits jetzt bekannt, dass ca. 1.500 ultra-gewalttätige Rechtsaktivisten versuchen werden, das Stadtgebiet Frankfurt a.M. aufzusuchen.«
Die Stadt Frankfurt weiß um diese Androhung, Antisemitismus und Rassismus auf der Strasse durchzusetzen. Sie weiß um die Drohung der NPD und ihrer Kameradschaften, genau das umzusetzen, wovor Antifaschisten seit Jahr(zehnt)en warnen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Zum Schutz dieses neofaschistischen Aufmarsches werden über 4.000 Polizisten aufgeboten. Opfer dieses Aufmarsches sind bereits einkalkuliert. Es existiert ein Schreiben des Gesundheitsamtes Frankfurt an alle Krankhäuser und Notdienste, sich »auf das Schlimmste« (Hessenschau vom 29.6.2007) vorzubereiten. Eine Urlaubssprerre wurde angeordnet.
Wo die Verantwortlichen der Stadt Frankfurt politisch stehen, ist unmißverständlich: Während sie hartnäckig und wahrheitswidrig diese Informationen und Kenntnisse verschweigen, lassen sie keine Gelegenheit aus, öffentlich und lauthals zu erklären, wovor sie wirklich Angst haben: Vor all denen, die sich diesem Neonazi-Aufmarsch in den Weg stellen werden, nicht im Geiste, sondern vor Ort!
So erklärte der Polizeipräsident Thiel gegenüber der Faz vom 28.6.2007, dass »die ›größte Herausforderung‹ ….. die Gegendemonstranten sein (werden) – zum großen Teil Anhänger von linksradikalen Gruppierungen wie der ›Antifa‹.«
Verwunderlich ist eine solche Rechtseinstellung nicht, nach der Antifaschismus die größte Bedrohung darstellt, und nicht jene, die offen und unverblümt die Rechtsnachfolge des Dritten Reiches antreten. Die notorische Verharmlosung von Faschismus, Antisemitismus und Rassismus hat einen langen Weg zurückgelegt und ist in der Mitte angekommen:
Um Antisemit zu sein, muss man – auch in Hessen – nicht in die NPD eintreten, was exemplarisch Martin Hohmann, Ex-Mitglied des Deutschen Bundestages und Ex- Mitglied der hessischen CDU unter Beweis stellen durfte.
Um rassistisch zu sein, muss man keiner Kameradschaft angehören. Wer das im Schutz der parlamentarischen Mitte ausleben will, konnte im Jahr 2000 mit der hessischen CDU zusammen ›Kinder statt Inder‹ rufen, um so gegen die Doppelte Staatsbürgerschaft zu demonstrieren. Eine rassistische Kampagne, die mit illegalen Parteigeldern finanziert wurde, die als ›jüdische Vermächtnisse‹ von der Stahlhelmfraktion der CDU im Ausland verwaltet wurden.
Wer gnadenlos gegen Flüchtlinge vorgehen will, die hier Schutz suchen und eine Bleiberecht fordern, muss kein Flüchtlingsheim anstecken. Es reicht, sich hinter ein Asylrecht und eine Abschiebepraxis zu stellen, die es Schutzsuchenden unmöglich macht, nach Deutschland zu kommen und die, die es trotzdem schaffen, mit einer Ablehnungsquote von über 95 Prozent in Hunger, Verfolgung und Tod zurückschickt.
Und wer Folter nicht für ein spezifisches Kennzeichen einer Diktatur hält, sondern für ein Mittel, das man – rechtstaatlich angeordnet und medizinisch überwacht – im Kampf gegen die Feinde einsetzen sollte, muss kein Faschist sein. Es reicht, dem Ex-Vize-Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner zuzustimmen, der 2003 Folter anordnete und sich für den Einsatz der Folter stark machte – ohne dass ein einziger Polizist in Frankfurt seine Anweisungen verweigert hätte. Eine Orgie aus Verständnis und Befürwortung schloss sich diesem exemplarischen Vorstoß an.
Die eigentliche Angst vor einem Verbotsverfahren
Die politisch Verantwortlichen behaupten unentwegt, dass sie eine NPD-Demonstration verbieten würden, wenn es aussichtsreich wäre. Sie verweisen auf höchstrichterliche Urteile zur Demonstrationsfreiheit und fehlende Rechtsmittel.
Man muss kein Befürworter von Verboten sein, um diese Argumentation in der Luft zu zerreißen. Tatsächlich hat die Stadt Frankfurt mehrere Verbotsverfahren verloren. Der Grund war ein ganz einfacher: Jedes Mal begründeten Stadt und Polizeibehörden dies damit, sie könnten die Sicherheit dieser Stadt nicht mehr gewährleisten. Zur Begründung führten sie den ›polizeilichen Notstand‹ an, der einträte, wenn Neonazis demonstrieren würden und Antifaschisten zu Gegendemonstrationen aufriefen. In einem Land, wo es an vielem fehlt und mangelt, nur nicht an Polizei, ist eine solche Argumentation in der Tat hanebüchen.
Warum verbietet die Stadt Frankfurt eine NPD-Demonstration nicht aus politischen, aus verfassungsrechtlichen Gründen? Gibt es kein Rechtmittel, das das Verbot von faschistischen, neonazistischen Organisationen erlaubt?
Nun, in den letzten Jahren häuft sich ein makabres Phänomen: Die mächtigsten Gegner des Grundgesetzes und der Verfassung sitzen in den Reihen der Regierung, in den Reihen der Großen Koalition! Das fängt bei der de facto Abschaffung des Asylrechts an (Artikel 16 GG) an, reicht von verfassungswidrigen Kriegshandlungen (Angriffskrieg gegen die BR Jugoslawien 1999) und endet beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren 2007 in und um den G-8-Gipfel in Heiligendamm.
Doch es gibt nicht nur Grundgesetzartikel, die Regierung (und Regierung in Opposition) gemeinsam brechen – es gibt auch Grundgesetzverpflichtungen, die erst gar nicht wahrgenommen werden. So z.B. der Artikel 139 GG, die in Verfassungsrang gehobene Verpflichtung, faschistischen und nationalsozialistische Organisationen/Parteien zu zerschlagen – das letzte Erbe der Anti-Hitler-Koalition.
Wenn die Stadt Frankfurt also behauptet, sie habe keine Rechtsmittel, dann lügt sie wie gedruckt, dann begeht sie wissentlich Strafvereitelung im Amt.
Warum stützt die Stadt Frankfurt nicht ihre Verbotsverfügung auf diesen Grundgesetz-Artikel? Aus einem einfachen Grund: Die meisten politischen Parteien, die sich hinter diese Verbotsverfügung stellen würden, würden sich mehr blamieren, als die NPD selbst. Wie das ausgehen, aussehen könnte, hatten mehrere Verbotsverfahren Anfang der 90er Jahre vorgemacht. Als es vor Gericht darum ging, nachzuweisen, was spezifisch faschistisch, was spezifisch national-sozialistisch ist, lasen Verteidiger der NPD/DVU seitenlang Zitate aus den Reihen der CSU-CDU-FDP-SPD vor, die an antisemitischem, rassistischem, deutsch-nationalem Gehalt kaum zu überbieten waren. Die politische und juristische Trennung zwischen dem, was sich Mitte nennt und dem, was als spezifisch faschistisch/nationalsozialistisch verboten werden sollte, war nicht mehr möglich. Sang- und klanglos wurden diese Verfahren eingestellt.
Ein Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte und scheitert also nicht an fehlenden Rechtsmitteln, sondern an einer politischen Mitte, die wesentliche faschistische/neonazistische Theoreme ›bekämpft‹, indem sie sie integriert und für mittig erklärt.
Den Neonazi-Aufmarsch verhindern – nicht im Geiste, sondern vor Ort
Es gehört zu den politischen Errungenschaft der letzten Jahre in Frankfurt, dass es gelungen ist, die unterschiedlichen politischen Spektren, die eine Verhinderung des Nazi-Aufmarsches vor Ort befürworten, zusammenzubringen. 2001-2002 war diese Zusammenarbeit meist spontan und nebeneinander her. Ab 2003 entwickelte sich ein gemeinsames politisches und organisatorisches Vorgehen, das von der Anti-Nazi-Koordination, über Gewerkschaftsgliederungen bis zur autonomen Antifa reicht. Das Ergebnis dieser jahrelangen Auseinandersetzungen, in denen Unterschiede nicht gefühlt, zelebriert, sondern genau bestimmt, Gemeinsamkeiten nicht freundlich-unverbindlich dahergesagt, sondern als gegenseitige Verpflichtung eingelöst werden, mündeten in einen gemeinsamen Aufruf zur Verhinderung des Neonazi-Aufmarsches. Die verschiedenen Aktionsformen und Handlungsmöglichkeiten, die sonst zur Abgrenzung dienten, beziehen sich in diesem Konzept aufeinander. Der harte Kern dieses Konzeptes ist nicht das, was am strafbarsten ist, sondern was möglichst vielen eine aktive Teilnahme ermöglicht:
»Anti-Nazi-Koordination und Antifa-Gruppen Frankfurt wollen den für den 7. Juli angekündigten Nazi-Aufmarsch verhindern….Unser Konzept beansprucht keine Monopolstellung. Neben von anderen Gruppen möglicherweise geplanten und durchgeführten Aktionen sehen wir unsere Aufgabe darin, den Aufmarschort der Nazis und/oder ihre Demonstrationsroute zu besetzen. Dazu wird es mehrere Blockadegruppen geben, deren Orte wir festlegen und zu denen wir öffentlich mobilisieren werden, sobald die Demonstrationsroute der Nazis bekannt ist. Wir kündigen an, unsere Gruppen an diesen Orten je nach Bedarf auch wieder aufzulösen und uns an anderen Orten neu zu versammeln. Es wird keine statische Situation geben, wenn wir das nicht wollen.
Wir werden eine politisch gemeinsam besetzte Info- und Koordinationszentrale einrichten, die folgende Funktionen übernimmt: Sammlung, Auswertung und Weitergabe von Informationen von den und an die Blockadegruppen, Öffentlichkeitsarbeit, Ort des Ermittlungsausschuss… Die Frage der Aktionsformen werden wir solidarisch, flexibel und gemeinsam mit Hilfe der Koordinationszentrale entscheiden. Wir bleiben bei dem mehrfach diskutierten und veröffentlichten Konzept ›Masse und Entschiedenheit‹. Es geht für uns gemeinsam darum, das gemeinsame Ziel zu erreichen: Die Nazi-Demo findet nicht statt – sie kann selbst unter Polizeischutz nicht gegen uns (oder wenigstens nicht wie geplant) stattfinden. Alle Gruppen werden sich diesem Ziel entsprechend verhalten.«
Der auf Grundlage dieses Konzeptes geschaffene Koordinierunksauschuss hat ein ›Kooperationsgespräch‹ mit der Polizei abgelehnt. Der Grund war übereinstimmend ein ganz schlichter: Solange die Polizeiführung die gewaltsame Durchsetzung der Neonazi-Demonstration zum Ziel hat, ihre »größte Herausforderung« darin sieht, antifaschistischen Widerstand zu verhindern, bietet sie keine Kooperation, sondern Verfolgung an.
Die deutlich gewordene Unmöglichkeit, den Widerstand gegen den Neonazi-Aufmarsch in ›friedlichen‹ und ›gewaltbereiten‹ Protest zu spalten, die breite Unterstützung, die das offen angekündigte Blockadekonzept gefunden hat – lässt die Politik auf Seiten der Stadt Frankfurt zurückkehren. Was bis heute so aussah, als sei alles nur ein polizeiliches Problem, das mit martialischen Ankündigungen (»In Frankfurt wird es ein Rostock nicht geben«) und Vorbereitungen (Lt. Hessenschau sollen bis zu 8.000 Polizisten aufgeboten werden) erledigt wird, erfuhr am 2.7.2007 eine überraschende Wende. Nach einem Offenen Brief an die OB Roth, die letzte Chance zu einem Verbot zu nutzen bzw. die politische Verantwortung dafür zu übernehmen, wovor der hessische Verfassungsschutz warnte, bot das Oberbürgermeisteramt Frankfurt der Anti-Nazi-Koordination ein Gespräch an.
Die Polizeiführung hat für den Mittwoch eine Pressekonferenz anberaumt. Sobald die genehmigte Route für den Neonazi-Aufmarsch feststeht, wird der Koordinierungsausschuss die Blockadepunkte festlegen und veröffentlichen.
Angesichts der zarten Hoffnung, dass auf Seiten der Stadt Frankfurt die Einsicht reift, dass man einen politischen Konflikt auch nicht mit 8.000 Polizisten plattwalzen kann, bleibt alles bis zum Schluss offen.
Wolf Wetzel 2007
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