14.3.2010 – Israel und die deutsche Linke

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Wie soll und kann sich eine deutsche Linke zum Krieg im Gazastreifen/ in Palästina verhalten? Wann ist eine Kritik an der israelischen Staatsführung gegenüber besetzten und hermetisch abgeriegelten Gebieten einseitig? Ist der Widerstand gegen Besatzung legitim? Wer hat diesen Krieg ausgelöst? Handelt es sich bei der Operation ›Gegossenes Blei‹ um einen Selbstverteidigungsakt des israelischen Staates? Wie verhält sich die deutsche Linke zur ›Hamas‹?

Ein Rück- und Ausblick

Vorwort

Mehrere Wochen dauerte der Krieg der israelischen Armee im Gazastreifen 2009 – genauso lange stritt sich ein Teil der deutschen Linken darüber, ob diese Militäroperation ein legitimer Selbstverteidigungsakt war oder ein Krieg im Rahmen fortgesetzter Besatzungspolitik. Obwohl keine der beteiligten Streitfraktionen auch nur den geringsten Einfluss auf den Ausgang dieses Krieges hatte, stritt man sich bis zur letzten Tinte, ohne dass die Bereitschaft zu erkennen war, die unterschiedlichen Positionen öffentlich zu diskutieren. Ein Großteil traf die Entscheidung, angesichts des schwierigen und komplexen Themas und des völlig vergifteten Klimas sich rauszuhalten. Seitdem herrscht bleierne Stille. Man hat sich zerstritten, man geht sich aus dem Weg, man bestätigt sich in eigenen Kreis.

In dieses Schweigen platzte der angekündigte Besuch des US-Professor Norman Finkelstein, der mit der Feststellung, dass der ›Holocaust‹ nicht nur von Gegnern der israelischen Staatspolitik instrumentalisiert wird (›Völkermord an den Palästinensern‹, ›Holocaust im Gazastreifen‹), sondern auch von Protagonisten und Befürwortern der israelischen Staatspolitik (Arafat gleich Hitler, PLO gleich neue Nazis), für große Aufregung sorgte1. Eine Empörung, die der israelische Soziologe Moshe Zuckermann wie folgt kommentiert:

»Starker Tobak für zarte deutsche Seelen, die weder wollen, daß ihre ehrlich gemeinte ›Wiedergutmachung‹ in Verruf gerate, noch daß der Fetisch ›Israel‹, den sie sich als Schuttabladeplatz für ihre schuldbeladenen Befindlichkeiten erkoren haben, demontiert werde. Seelenökonomisch günstiger, vor allem aber ideologisch lohnenswerter ist es da, Finkelstein gleich als (jüdischen) ›Antisemiten‹ und ›Geschichtsrevisionisten‹ zu apostrophieren, womit sich denn die notwendige Auseinandersetzung mit seinen Aussagen erübrigt. Es ist schon merkwürdig, mit welcher Unbeschwertheit nichtjüdische Deutsche heutzutage Juden als ›Antisemiten‹ zu schmähen sich anmaßen, wenn diese die wackligen Prothesen ihrer über ›Juden‹ und ›Israel‹ gewonnene Identität ins Wanken bringen.«2

Angesichts der Vorwürfe, Finkelstein sei ein Antisemit und Geschichtsrevisionist ahnte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Ungemach und bestand im Namen der Ausgewogenheit darauf, dem Professor ein angemessener Widersacher an die Seite gestellt wird. Die Veranstaltung wurde abgesagt, die Gegner einer Einladung des US-Professoren feierten dies als ›großen Sieg‹ und der israelische Wissenschaftler Moshe Zuckermann verfasste eine bittere und ausgezeichnete Widerrede.

Die Enthistorisierung des ›Holocaust‹ als immer gegenwärtiges Kontinuum (für den Staat Israel) und die Enthistorisierung Israels, die nicht mehr die widersprüchliche Geschichte ihrer Staatsgründung, die unterschiedlichen Machtblöcke, die Widersprüche zur Besatzungspolitik in Israel selbst zum Gegenstand hat, sondern all dies zu einem ›Fetisch‹ zusammenschiebt, beschreibt Zuckermann als zwei Seiten einer Medaille. Eine »Flucht in die Ohnmacht«.

Dass die deutsche Linke selbst daran mitgewirkt hat, nicht erst seit dem Gaza-Krieg 2009, sondern seit 1967, soll im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen, mit dem Versuch, einen Ausblick zu wagen, der den vielen ›Metamorphosen der Linken‹ Rechnung trägt.

1 »Die moralische Herausforderung, die sich für die Deutschen ergibt, könnte nicht größer sein. Sie besteht darin, einerseits der Verantwortung gerecht zu werden, die ihnen aus den Verbrechen des ›Dritten Reichs‹ gegen das jüdische Volk erwächst, es andrerseits aber auch nicht zuzulassen, daß ihnen aufgrund dieses schrecklichen Vermächtnisses das Recht abgesprochen wird, aktuelle Verbrechen anzuprangern, nur weil diese von einem Staat begangen werden, der sich selbst als jüdisch definiert. Sich dieser Herausforderung zu stellen, ist in Wahrheit die würdigste Form der Holocaust-Erinnerung.« Norman G. Finkelstein

2 Moshe Zuckermann, Zur aktuellen Kontroverse um Norman G. Finkelstein, jW vom 2.3.2010

Der vollständige Text dazu findet ihr hier

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