Das Magazin Overton. Und der immer lauter werdende Unterton.
Gerade habe ich die Nachricht zugeschickt bekommen, dass der Welt-Herausgeber und neue Westendverlagsautor Ulf Poschardt auf den Wiener Festwochen ein „flammendes Plädoyer für Israel, seine Armee und Regierung gehalten“ hat. Weil viele und darunter auch Milo Rau, Theatermacher und Intendant der Wiener Festwochen, so einseitig agieren, wolle er nun „diese Rede der IDF widmen, der israelischen Defence Force“.
Ganz ausgewogen titelt die Jüdische Allgemeine vom 1.6.2025 diese genozidale Fürsprache:
Ulf Poschardt: „Benjamin Netanjahu ist mir näher als Milo Rau“
Die LeserInnen werden im Laufe dieses Textes merken, dass es sehr wohl Gründe gibt, politische und profitable, dass ich vonseiten der Overton-Redaktion dazu aufgefordert wurde, weniger (bis gar nicht) das „Gaza-Thema“ zum Gegenstand meiner Kolumne zu machen und dass es besser ist, über die Gründe zu schweigen.
„Das Overton Magazin versteht sich als Stimme gegen Debatteneinengung und Moralismus. Es hinterfragt die allgemeinen Narrative und ist dezidiert kein ideologisches Sprachrohr oder Verlautbarungsorgan, sondern fühlt sich der Aufklärung verpflichtet.“ (Wer wir sind)
Teil I findet man hier: https://wolfwetzel.de/index.php/2025/05/24/ausstieg-aus-dem-magazin-overton-vom-westendverlag/
Teil II
Die Vorgeschichte zu diesem krachenden Ende deckt alles ab, was sich in den letzten Jahren an Trigger- und Konfliktpunkten aufgetan hat. Ein Minenfeld, das aus Israel, deutscher Staatsraison, Antisemitismus, palästinensischem Widerstand, Holocaust und Beihilfe zum Genozid besteht, durch das man sich sehr vorsichtig und tastend einen Weg bahnen muss – oder eben einen großen Bogen darum macht. Letzteres ist die vorherrschende Meinung, die mächtig mit Sanktionen, Verboten, Strafverfahren, Denunziationen und Silencing gefördert wird.
Von daher ist das Folgende weniger eine besonders eigenwillige Geschichte, sondern vielmehr eine verallgemeinerbare Erfahrung, die reflektiert, was passieren kann, wenn man dem sicht- und spürbaren nicht ausweichen will.
Ich muss vorwegschicken, dass ich mit dem Magazin Overton, also dem Westendverlag, in den Corona-Zeiten zusammenkam und wir sehr schnell eine wichtige Gemeinsamkeit teilten: Die Kritik an den staatlichen Sanktions- und Eskalationsmaßnahmen und die bis in die Linke hinein getragene „Wissenschaftsgläubigkeit“, gepaart mit der Behauptung, man mache nicht aus Angst vor Sanktionen mit, sondern aus Solidarität mit den Schwachen. In dieser Zangenbewegung zu bestehen, schuf eine sehr gute Grundlage, auch sehr schnell erkennbare politische Unterschiede auszuhalten – mit der edlen Absicht, sie fruchtbar und produktiv zu machen.
Dem Corona-Ausnahmezustand schloss sich 2022 fast nahtlos der Krieg auf dem Boden der Ukraine und in den deutschen Laufstallmedien an. Statt Covid 19 hieß nun der heimtückische und totbringende Feind „Die Russen kommen“. Und dann kam der israelische Vernichtungskrieg im Gazastreifen 2023. Auch hier wurden schlagartig alle alten Geister wach.
Die zwei Gesichter
Am 27.12.2023 wurde im Magazin Overton der Beitrag „Die zwei Gesichter des Abed Hassan“ von Hans-Dieter Rieveler veröffentlicht.
Darin bezichtigte der Autor den Deutsch-Palästinenser Abed Hassan, der von TV-Sendern als „deutsche Stimme aus Gaza“ präsentiert wird, dass er uns sein wahres, hässliches Gesicht, das des „modernen Antisemitismus“, nicht zeigt.
Als ich die Kommentare dazu gelesen hatte, war ich zuerst ein wenig beruhigt, denn die meisten teilten diese Art der Enthüllung nicht. Mehr noch: Einige verstanden nicht, warum das im Magazin Overton erscheint, denn für Mainstream-Kost würden diese Leser nicht ein solches Magazin lesen.
In meinem ersten Zorn war ich bei ihnen. Und dann dachte ich mir, dass es doch ganz sinnvoll ist, an einem scheinbar nur nachfragenden Text Methode und Werkzeuge einer ‚Analyse‘ herauszuarbeiten.
Welche Hintergründe blendet er aus, welche will er ausgemacht haben? Aus wieviel Suggestion und Anspielungen besteht der Text bzw. was bringt er handfestes gegen Abed Hassan vor? Wo begründet der Autor etwas auf nachvollziehbare Weise? Und wo setzt er hingegen auf Affekte?
Bei diesem Streit, der ja auch etwas Klärendes haben konnte, war der Redakteur Roberto de Lapuente sehr schnell zur Stelle und erklärte das Ende dieser Debatte. Meine Gefühle schwankten damals zwischen Verständnis und vagen Zweifeln am offenen Debattenraum.
Niemand konnte ahnen, was aus diesem erklärten Vernichtungskrieg in Gaza ab Oktober 2023 werden würde. Sehr schnell wurde jedoch klar, dass es für den Vorwurf des Genozides genug Belege gab, was auch der Internationale Gerichtshof (IGH) und Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in diesem Sinn verfolgt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das, was in Gaza, wenig später im Libanon und im Westjordanland passierte, nicht mehr länger eine Angelegenheit von Nahostexperten. Alles, was in den letzten 40 Jahren in Deutschland verhandelt wurde, stand auf der Tagesordnung: Der Holocaust, die Shoa, die Frage der Einzigartigkeit, der Relativierung oder der Wiederholbarkeit unter je eigenen Umständen, Faschismus und Staatsraison. Fast alles, was mit Schmerz, Vorsicht und Beängstigung hätte offen diskutieren werden müssen, wurde hingegen mit dem Schlagwort Antisemitismus denunziert und mit vielen Formen der Repression verfolgt. Das war für mich ein wesentlicher Antrieb, mein eigenes Wissen, meine eigenen „Gewissheiten“ auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem war es mir ein großes Anliegen, die wenigen, die sich vor dem Bannstrahl des Antisemitisvorwurfes nicht fürchteten und sich zu Wort meldeten, mit den bescheidenen Möglichkeiten einer Kolumne beiseite zu stehen.
Das KZ und die klaren Vorstellungen
Ein paar Monate später, im Februar 2024, schrieb ich die Kolumne: Ist der Gazastreifen ein Konzentrationslager? Für mich selbst war dies auch eine Herausforderung, denn ich habe das Wort „KZ“ ohne viel Nachdenken als deutsche „Erfindung“, als Merkmal des deutschen Faschismus markiert. Dieser historischen und politischen Zuordnung ging ich nach und stieß dabei auf Details, die weit über eine Wortbedeutung hinausgingen.
Zum einen ist ein Konzentrationslager keine Erfindung des deutschen Faschismus. Sie gab es schon lange vorher, im englischen Kolonialismus, unter der SPD-Führung nach der Novemberrevolution 1918/19, im faschistischen Franco-Regime der 1930er Jahre …Was man also unbedacht und bedacht als besonderes Merkmal des Faschismus ausgibt, hat seine Wurzeln in bürgerlichen, kolonialistischen Verhältnissen. Der deutsche Faschismus konnte also daran anknüpfen, darauf aufbauen.
Wenn man also den Begriff auch für das israelische Vorgehen in Gaza verwendet, wird im schlimmsten Fall beides sichtbar: Der Kolonialismus und die fließenden Übergänge zu faschistischen Ideologien und Systemen.
Roberto de Lapuente verstand zwar irgendwie, wollte aber dennoch an der Zwangskonnotation festhalten, worauf ich ihm einen Vorspann vorschlug, der dann auch wie folgt meinem Beitrag vorangestellt wurde:
„Das Wort ‚Konzentrationslager‘ erzeugt im Kontext deutscher Geschichte klare Vorstellungen. Im folgenden Text wird der Autor darauf zu sprechen kommen, dass es vor jenen unseligen deutschen Jahren schon Konzentrationslager gab – und so möchte er den Begriff auch verstanden wissen. Im Gespräch zwischen Redaktion und Autor verständigte man sich darauf, den folgenden Text trotz der historischen Konnotationen dennoch zu bringen. Die Redaktion hätte es vermutlich anders formuliert – und auch nicht von einem ‚Ausbruchversuch‘ der Palästinenser gesprochen.“
Ein Glitch – total menschlich
Wieder zwei Monate später stieß ich auf einen bemerkenswerten Fall der Zensur. Für gewöhnlich kam – bis vor Kurzem – niemand im öffentlich-rechtlichen Raum zu Wort, der einen Genozid in Gaza anklagte und begründete. Und wenn man jemandem ins Wort fiel oder sich über diese Person hermachte, dann war das ja keine Form der Zensur, sondern … eine hitzige Debatte.
Deshalb war ich über diese Nachricht sehr dankbar, die Ausgangspunkt der Kolumne: A Mentsh is Mentsh – und ein Glitch wurde.
Omar Bartov, ein international anerkannter Professor für Holocaust und Genozid Studien, wurde zu einer Veranstaltung unter dem Titel: „A Mentsh is Mentsh“ in der Bundeskunsthalle in Bonn am 12. März 2024 eingeladen. Die Bundeskunsthalle hat diese zweite Gesprächsrunde so angekündigt:
„A mentsh is a mentsh ist der Titel dieser Gesprächsreihe mit Nicole Deitelhoff und Meron Mendel über den Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Post-Kolonialismus. Terror und Krieg in Nahost belasten das gesellschaftliche Klima – auch in Deutschland und Europa. Antisemitische Vorfälle häufen sich – selbst in künstlerischen und wissenschaftlichen Kontexten. Wie soll man damit umgehen? Wie soll man Konflikten und Sensibilitäten, realen und imaginierten Verletzungen, Unschärfen und Widersprüchen begegnen? Wie können wir halbwegs integer miteinander reden und zusammenwirken? Von Mensch zu Mensch? (…)“
Wenig später konnte man mitbekommen, was man unter „halbwegs integer“ zu verstehen hat. Die Veranstaltung wurde in Echtzeit gestreamt und aufgezeichnet. Letzteres wurde auf YouTube hochgeladen. Als Außenstehender fiel einem nichts Besonderes auf. Aber dem Beteiligten Omar Bartov schon. Auf Twitter hatte er sich dazu so geäußert:
„It has been pointed out to be that some of my words in this conversation around min 38, apparently referring to potencial genozid in Gaza was edited out. I checked and that is indeed the case. This is very troubling and will hopefully corrected.“
Man muss es vorsichtshalber ins deutsch übersetzen, um zu verstehen, was er genau damit meint:
„Man hat mich darauf hingewiesen, dass einige meiner Worte in diesem Gespräch um die Minute 38, die sich offenbar auf den potenziellen Genozid in Gaza beziehen, herausgeschnitten wurden. Ich habe das überprüft, und das ist tatsächlich der Fall. Das ist sehr beunruhigend und wird hoffentlich korrigiert.“
Weniger später erreichte auch die Bundeskunsthalle Bonn diese Reklamation. Und die wusste die fehlenden Minuten, in denen der Professor für Holocaust und Genozid Studien exakt und detailliert erklärte, warum dieser Vorwurf berechtigt ist, mit einem Glitch, einem technischen Fehler, der – ab und an auch so perfekt getimed – passieren kann.
Ich nahm diesen Vorfall zum Anlass, über die verschiedenen Formen der Zensur und des Silencing zu schreiben und über den „Elefanten im Raum“, den man spüren kann, wenn es um dieses Thema geht. Diesen Beitrag schickte ich an den Moderator Meron Mendel, der auch Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt ist, um ihm die Möglichkeit zu geben, auf meine massiven Bedenken zu reagieren. Er verlegte sich aufs Schweigen und reichte den Beitrag an die Kunsthalle in Bonn weiter. Immerhin reagierte diese und schickte eine „Gegendarstellung“ an das Magazin Overton, die auch abgedruckt wurde. Meine Absicht, darauf zu erwidern, lehnte Roberto de Lapuente ab.
Weniger Gaza
Im Januar 2025 traf ich mich mit dem Redakteur Roberto de Lapuente in einem Café zum Plaudern. So hatte es der Redakteur zumindest angekündigt. Gegen Ende doch recht belangloser Themenanrisse schlug er mir vor, doch weniger über „Gaza“ zu schreiben. Ich hätte doch bestimmt ganz viel über die Stadt Frankfurt zu schreiben, was in den letzten Jahrzehnten hier passiert ist.
Zuerst verstand ich sein Anliegen nicht, denn ich schreibe ja vor allem darüber, was der Krieg hier mit uns macht, mit den Menschen, mit dem politischen und gesellschaftlichen System. Für mich ist „Gaza“ also ein Brennglas, um die tektonischen Verschiebungen hier zu erklären.
In den Wochen darauf fiel mir ein passendes Stadtthema geradezu vor die Füße: Es geht um die Stadtabgeordnete Jutta Ditfurth, die ich seit den 1990er Jahren „kenne“. 1991 verließen Jutta Ditfurth und Manfred Zieran die Partei Die GRÜNEN und initiierten die Kleinstpartei „Ökologische Linke“. Seit 2011 ist Frau Ditfurth für die Wählervereinigung „ÖkoLinX“ auch Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt am Main. Ich wusste, dass sie rechte, reaktionäre Bündnisse nicht scheut, wenn sie die Kritik am Staat Israel als Antisemitismus denunzieren kann. Diese Staatsraison bewies sie auch zu Corona-Zeiten, als sie die KritikerInnen rundum als „Coronaleugner“ denunzierte. Ganz besonders gerne war das Wort „Schwurbler“ in ihrem Munde. Mit Schwurbler wollte man das „Halbwissen“ lächerlich machen, mit einem Wissen, das nicht einmal die 10-Prozent-Marke überschritten hatte.
Dazu schoss mir ein Gespräch mit Markus J. Karsten in den Kopf, als er mir im Zuge der Überlegung, ein Buch von Jutta Ditfurth im Westendverlag zu verlegen, skurrile Details davon erzählte und mich damals fragte, ob man da nicht etwas daraus machen könnte. Ich riet davon ab, denn ich mag es nicht, wenn man „geschäftliche“ Details für politische Attacken nutzt.
Doch jetzt hatte ich einen eigenen Aufhänger und schickte Markus J. Karsten sofort diesen Beitrag. Ich ging selbstverständlich davon aus, dass er sich freuen würde, dass ich den Ball auf diese Weise aufnehme. Wenig später bekam ich diese Mail als Antwort:
„Lieber Wolf,
am liebsten wäre es mir, nichts würde mich an sie erinnern. Bitte nimm es mir nicht übel, aber eigentlich möchte ich diesen Namen nicht so prominent auf OM (Overton, d.V.) sehen. Ein Zitat, bitteschön. Aber keinesfalls eine ganze Story. Sehe es mir nach, ok?
Ganz herzliche Grüße, mjk“
Mich erwischte diese Reaktion kalt und ich dachte mir erst, dass das keine (außerredaktionelle) Anweisung ist, sondern nur etwas, was sich mir nicht erschließt. Als mir jedoch der Redakteur Roberto de Lapuente ganz nett und lapidar anbot, einen anderen Text einzureichen, für den er auch noch einen Platz freihält, verstand ich, was damit gemeint ist … und wurde sauer. Ich schrieb Markus J. Karsten, dass ich gerne wissen möchte, welche Gründe er dafür hat. Es kam zu einem sehr hässlichen E-Mail-Verkehr, bei dem erst am Ende herauskam, dass Markus J. Karsten vor dieser „blöden Kuh“ kneift.
Ich schrieb ihm zurück, dass man selbstverständlich „kneifen“ kann und veröffentlichte den Beitrag im Magazin Manova.
Das Kreuz … am seidenen Faden
Der letzte Kohlhaas-Text mit dem Titel „Das Kreuz mit der Symbolpolitik“ sollte im April diesen Jahres im Magazin Overton erscheinen. Ausgangspunkt war ein Gaza-Benefizkonzert von „Make Freedom Ring“ in der Katharinenkirche am 28. April 2025 in Frankfurt a.M.
Dazu hatten sie ein Plakat angefertigt, mit dem Symbol von zwei roten Händen, in deren Innenflächen zwei Augen zu sehen sind:
„Zusammen symbolisieren Hand und Auge die ‚Hand der Fatima‘. Dies ist ein alltägliches, islamisches Schutzsymbol, welches Menschen vor Unrecht schützen soll und in Anlehnung daran auch von Jüdinnen und Juden sowie Christ:innen im Nahen Osten alltäglich verwendet wird.
Dass in diesem Falle die „Hand der Fatima“ in der Farbe Rot gehalten wird, verdeutlicht die Botschaft des Einspruchs gegenüber dem Krieg in Gaza und steht neben anderen Ausdrücken ähnlicher Art – beispielsweise bei UNICEF, um Kinderrechte zu stärken, bei den Protesten in den USA gegen die Kürzungen der humanitären Hilfe der USAID, bis hin zu den israelischen Angehörigen der Geiseln, um für die Freilassung und gegen das Ende des Waffenstillstands zu protestieren.“ (Medico International)
Die Jüdische Gemeinde in Frankfurt hatte hingegen etwas ganz anders sehen wollen, ein Symbol des Hamas-Terrors. Entsprechend denunziatorisch war ihre Einordung. Sie reichte von Gewaltverherrlichung bis hin zu „politisch unverantwortlich“, verknüpft mit dem Hinweis an die Evangelische Kirche (Veranstaltungsort), dass sie in Zeiten der Schoa versagt habe … also jetzt wieder auf dem Weg dorthin ist.
Ich fand diese Intervention dreist und unverschämt – gerade auch im Hinblick auf die Arbeit, die Medico International (in Israel und Gaza) macht und im Hinblick auf das eingeladene Orchester, das sich explizit gegen nationale und religiöse Grenzziehungen ausspricht.
Auf diesen Beitrag reagierte Roberto de Lapuente wie folgt:
„Lieber Wolf,
danke für Deine Zuschrift. Wir haben in der Redaktion über Deinen Artikel gesprochen – leider sind wir nicht ganz zufrieden damit. Zum einen ist es so, dass abermals das Thema Gaza behandelt wird – dass das in der deutschen Gesellschaft nicht fair thematisiert wird, hat ja nun mehrfach stattgefunden.
Und dann haben wir dann noch diese – aus meiner Sicht – so nicht haltbaren Passagen zum Christentum und dem Kruzifix. Diese Form der – ich nenne es mal – Kritik ist mittlerweile so sehr Mainstream, dass das Fragen aufwirft (die wir aber nicht hier erörtern müssen). Dass am Ende der Christenmensch mit einem Antisemiten auf Augenhöhe stehen soll, ist schon ziemlich abenteuerlich.
Wir haben uns dazu entschlossen, den Artikel so nicht zu bringen. Hast Du denn etwas anderes, was Du bei uns einreichen könntest? Halten Dir gerne einen Publikationsplatz für diese Woche offen.
Mit der Bitte es nicht persönlich zu nehmen, sende ich Dir herzliche Grüße. Roberto“
Ich erwiderte Roberto de Lapuente, dass mir das Argument von „abermals das Gaza-Thema“ ganz und gar nicht einleuchtet, wenn jeden zweiten Tag das Thema Ukraine/Russland behandelt wird, wenn Moshe Zuckermann jede Woche eine Kolumne über „Israel/Gaza“ schreibt. Und selbst wenn das Argument „abermals Gaza“ ein Argument wäre, so stimmt es nicht: Von zehn Kolumnen zwischen dem 17.12.2024 und 8.4.2025 behandelten vier das „Thema Gaza“ und sechs andere Themenfelder.
Daraufhin bekam ich zur Antwort, dass er keine „Grundsatzdebatten“ (mit mir) führen wolle.
Seitdem herrschte Silencing. Doch dann lud mich Markus J. Karsten zum Essen ein und ließ mich beiläufig wissen, dass auch Roberto de Lapuente dabei sei. Ich dachte an ein merkwürdiges Spielchen und entschied mich, diese Einladung anzunehmen und abzuwarten, was aus diesem „gemeinsamen“ Essen werden wird.
Diese allerletzte Begegnung fand also am 12 Mai 2025 statt. Zuerst ging es um scheinbar Belangloses: Markus J. Karsten wollte mir erklären, dass der US-Präsident Trump doch auch richtiges macht wie die USAID-Organisation aufzulösen. Ich fragte mich, was das denn jetzt soll und antwortete ihm, dass ich sehr wohl weiß, dass die USAID eine Tarnorganisation des CIA war, sozusagen die „humanitäre“ Seite der „schmutzigen“ US-Kriege. Die Frage wäre doch, was die US-Administration anders macht? … „Das steht auf einem anderen Blatt“, antwortet Markus J. Karsten. „Nein“, antworte ich, „auf demselben Blatt“.
Dann bemerkte Markus J. Karsten doch noch, dass ich angespannt wirken würde, was ich bestätigte. Er wüsste doch, dass ein ziemlich heftiger Konflikt im Raum steht und wir gerade wenig erbaulichen Smalltalk betreiben.
Daraufhin wechselten wir vom absurden ins dadaistische: Markus J. Karsten wolle einfach zusammensitzen und eventuell einen neuen Podcast angehen.
Ich richtete mich an Roberto de Lapuente und verwies darauf, dass er auf meinen Widerspruch nicht antwortet und darauf besteht, dass er bei einer Ablehnung keine „Grundsatzdebatte“ führen wolle und werde. Ich bestand darauf, dass ich gute und sachnahe Gründe dafür haben will und das im Umgang miteinander erwarte.
Dann trat Markus J. Karsten dieser Ansicht bei, indem er das Ganze völlig ins Dubiose transportierte. Er fragte mich, ob es auch für mich Gründe gäbe, die man in einer Freundschaft akzeptieren könne, ohne sie genau wissen zu wollen?
Ich widersprach, denn gerade eine Freundschaft besteht darin, dass man sich auch unangenehme Sachen sagt, die vielleicht sogar peinlich sein können.
Mir fiel bei diesen etwa 30 Minuten auf, dass die Ebenen zwischen redaktioneller Macht und Freundschaft ständig vertauscht wurden – je nachdem, wie es einem gerade passt.
Ich verwies Markus J. Karsten auf unseren Streit um den Jutta Ditfurth-Text und dass man doch gerade bei einer Freundschaft Gründe erfahren sollte und kann und dass er dies doch akzeptiert hätte, als er mich um „Vergebung“ bat.
Daraufhin klärte er mich über die eigentliche Bedeutung des Worts „Vergebung“ auf: Damit wollte er in Form der Übertreibung signalisieren, dass er etwas anderes (also wortloses Hinnehmen) erwartet habe. Im Übrigen habe er damals schon gesagt, dass er den Namen Jutta Ditfurth nicht hören wolle und dass ich dies jetzt wieder täte. Sein Tonfall, seine Blicke zeigten mir, dass der letzte dünne Faden zerrissen ist.
Ich stand auf, ohne die Vorspeise gegessen zu haben, und verließ das Lokal.
Es ist hoffentlich erkennbar und nachvollziehbar, dass sich hier Welten aufgetan haben, die sich besser nichts mehr zu sagen haben.
Jetzt werden einige laut und viele leise denken, dass das doch inzwischen ganz normal ist, dass man sich darüber nicht mehr aufregen kann und soll. Ansage und Tun haben schon lange nichts mehr miteinander zu tun. Ob es sich dabei um große oder kleine Trumps handelt.
Wir haben keine Armeen. Wir haben keine Millionäre. Wir haben keine Bodenschätze. Und ganz sicher stehen nicht Millionen hinter uns, die nach vorne drängen.
Wir haben aber eines: Eine Idee, einen Anspruch, an dem wir uns selbst messen. Dass es dazwischen immer eine Diskrepanz gibt, ist naheliegend. Aber es muss uns darum gehen, diese auszuhalten, sie nicht mit Macht und Ignoranz zu füllen, sondern mit Mut und Glaubwürdigkeit kleiner zu machen.
Der eingangs vorgestellte Anspruch, den sich der Westendverlag sprich das Overton Magazin gegeben hat, ist nicht gigantisch, schon gar nicht himmelstürmerisch. Man kann, man könnte ihn erfüllen.
Ausblick auf Teil III
Ein als Frage verpackter Satz von Markus J. Karsten hallt bis heute in mir nach:
„Kann es auch für dich Gründe geben, die man aus Freundschaft gar nicht wissen muss?“
Dieser Frage werde ich in Teil III nachgehen: Wie wenig und viel hat das mit dem gerade im Westendverlag erschienenen Bestseller-Buch: Das Shitbürgertum vom Welt-Herausgeber Ulf Poschardt zu tun hat. Ein Springer-Konzern-Millionär, der das unverschämte Recht auf Individualität mit der in deutscher Staatsraison getränkten bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel zu einem ideologischen Gangsta-Rap zusammenmixt.
Wolf Wetzel
Falls eine Redaktion oder ein Magazin an diesem Text Interesse hat oder an der Rezension des Buches „Shitbürgertum“, möge sich melden.
Quellen und Hinweise:
Ausstieg aus dem Magazin Overton vom Westendverlag, Wolf Wetzel, Teil I, 2025: https://wolfwetzel.de/index.php/2025/05/15/ausstieg-aus-dem-magazin-overton-vom-westendverlag/
Wer deckt was (auf und zu)? Wolf Wetzel, Januar 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/01/04/wer-deckt-was-auf-und-zu/
Ist der Gazastreifen ein Konzentrationslager? Wolf Wetzel, Februar 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/02/21/der-krieg-der-israelischen-armee-in-gaza-besiegt-nicht-den-terror/
A Mentsh is Mentsh – und ein Glitch, Wolf Wetzel, März 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/03/19/a-mentsh-is-mentsh-und-ein-glitch/
Mutter der politischen Denunziation-Jutta Ditfurth – Ein Rundgang, Februar 2025: https://wolfwetzel.de/index.php/2025/02/28/mutter-der-politischen-denunziation-jutta-ditfurth-ein-rundgang/
Über das Kreuz mit der Symbolpolitik, Wolf Wetzel, April 2025: https://wolfwetzel.de/index.php/2025/04/19/ueber-das-kreuz-mit-der-symbolpolitik/
Ulf Poschardt: „Benjamin Netanjahu ist mir näher als Milo Rau“, Jüdische Allgemeine vom 1.6.2025: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ulf-poschardt-benjamin-netanjahu-ist-mir-naeher-als-milo-rau/
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