Der innere Staatsstreich ist perfekt
Die abgewählte Bundesregierung aus CSU/CDU, SPD und Grünen haben sich am 14. März 2025 im Bundestag zu einem inneren Staatsstreich zusammengefunden: Ohne jede politische Legitimation haben sie für etwas gestimmt, wofür sie keine parlamentarische (Zwei-Drittel) Mehrheit mehr haben: Die Abschaffung der „Schuldenbremse“, eine entsprechende Grundgesetzänderung und die Bewilligung von einer halben Billion Euro für die „Kriegsertüchtigung“.
Eine neue Bundesregierung auf Grundlage der Wahlergebnisse 2025 wäre an diesem Wahnsinnsprogramm gescheitert. Damit machen die Clubherren der „politischen Mitte“ die Wahlergebnisse vom Februar 2025 zur Farce.
„Jessica Tatti, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Gruppe BSW, sprach vom ‚größten Aufrüstungsprogramm der bundesdeutschen Geschichte‘. Es gehe um gigantische, unbegrenzte Aufrüstung. Damit würden die Lebensverhältnisse der Menschen nicht verbessert. Es gehe um militärische Ertüchtigung der Infrastruktur. Die Rentner würden noch ärmer sein, die Schulen in noch schlechterem Zustand, prophezeite sie. Es gehe nicht um Kleinkram, fügte Tatti hinzu, sondern um Kriegskredite, und die SPD mache wieder mit wie 1914: ‚Es ist illegitim, was Sie hier machen‘. Dies lasse sich nicht mit Zeitdruck rechtfertigen. Trump habe schon lange gesagt, die militärische Unterstützung reduzieren zu wollen, argumentierte Tatti und sprach von ‚Wahlbetrug‘.“ (bundestag.de vom 14.3.2025)
Wenn Wahlen etwas ändern würden … dann ignoriert man sie einfach
Diese „Abstimmung“ der abgewählten Bundesregierung ist kein Momentum, sondern ein parlamentarischer Staatsstreich. Denn die sage und schreibe 500 Milliarden Euro bestimmen die Politik der nächsten zwölf Jahre. Egal also welche Regierung noch gewählt wird, sie wird an diesen als Sondervermögen getarnten Kriegsanleihen nichts ändern können. Man muss zur Erinnerung noch dazu sagen: Das Haushaltsrecht gehört zum wichtigsten Instrumentarium des Parlaments. Mit dieser Entscheidung kann man auch das Parlament auflösen.
Dazu kommen die x-Milliarden Euro, die auf unbestimmte Zeit und unbestimmter Höhe für den kommenden Weltkrieg ausgegeben werden. Dafür soll explizit die Schuldenbremse ausgehebelt werden. Es geht dabei um Ausgaben für Kriege, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Was damit alles gemacht werden soll, ist an gewollter Unspezifiziertheit kaum zu überbieten:
„Neu ist jedoch, dass der Begriff der Verteidigung ausgeweitet wird. Somit sollen nun auch Ausgaben für Zivil- und Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienste und ‚Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten‘ – also zum Beispiel die Ukraine – darunterfallen.“ (SZ vom 15.3.2025)
Wer noch ein wenig Humor für diesen Staatstreich aufbringen kann, der könnte also auf die Idee kommen, dass jetzt endlich Geld dafür ausgeben wird, den tatsächlich ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa militärisch und ökonomisch zu kompensieren. Es dreht sich dabei um den Angriffskrieg auf die ehemalige Bundesrepublik Jugoslawien 1999, an dem sich die damalige Bundesregierung unter Außenminister Joschka Fischer maßgeblich beteiligt hatte.
Der neue CDU-Bundeskanzler Merz hat das Ganze einigermaßen klar ausgesprochen:
„Deutschland ist zurück.“
Das deckt sich mit der Haltung des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Lars Klingbeil, der schon vor dem BlackRock-Bundeskanzler erklärt hatte, dass die „knapp 80 Jahre(n) der Zurückhaltung“ vorbei seien. Rechnet man die auf der Tiergarten-Konferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin gehaltene Grundsatzrede vor Seinesgleichen vom 21. Juni 2022 zurück, dann meint er damit Stalingrad 1942/43.
An dem Zusammenbruch der „Gewaltenteilung“ arbeiten alle harmonisch mit: Die Exekutive, die Legislative und auch die Judikative:
Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag von LINKEN und AfD bezüglich der Machtergreifung einer abgewählten Bundesregierung zurückgewiesen. Diese dürfe das, zumal außerordentliche Zeiten nach außerordentliche Interpretationen rufen.
Das kennt man aus auch aus der Justiz der 1930er Jahren.
Wie zu erwarten jubelt die AfD. Alice Weigel führte die neue Bundesregierung im Bundestag vor: Diese werde die Inhalte der AfD in Sachen Remigration nicht umsetzen können und mache damit bestmöglichste Werbung fürs Original.
Zweitens sei die AfD selbstverständlich für eine starke Bundeswehr, die uns (vor wem?) verteidigen soll.
Und ganz nebenbei und gar nicht unbeabsichtigt etikettiert sie die alte Regierung als „grün-sozialistische“ Ampel, um sich selbst locker und mit abenteuerlichem Abstand als „rechts von der Mitte“ anzupreisen.
Man kann dieses Schauspiel auch so interpretieren: Wenn die AfD demokratischer auftreten kann als die bürgerlichen Parteien, dann sind das Schlussakkorde.
Das Schlimme mit dem noch Schlimmeren schützen
Ein Facebook-Kommentar brachte die augenblickliche Entwicklung – noch vor der besagten Abstimmung im Bundestag auf den Punkt:
„Sind es eigentlich dieselben Politiker, von CDU, SPD, Grünen und FDP, die sonst wohlfeil und öffentlichkeitswirksam – mit einer Träne im Knopfloch – in jeder Talkshow der Bundesrepublik die Abschaffung der Demokratie durch die AfD befürchten, die jetzt noch schnell mit dem abgewählten Bundestag eine halbe Billion für Aufrüstung und Unterstützung der Ukraine per „Sondervermögen“ durchsetzen wollen, weil der gewählte Bundestag mit LINKEN und AfD eine Sperrminorität. Was genau soll denn die AfD da noch abschaffen?“
Was sich gerade vor unser aller Augen abspielt ist nicht neu. In der Weimarer Republik haben die bürgerlichen Parteien mit „Notverordnungen“, also behaupteten Ausnahmezuständen operiert und die Demokratie dermaßen demontiert, dass der substanzielle Unterschied zwischen bürgerlicher/parlamentarischer Demokratie und Faschismus so klein wurde, dass man mit „gutem“ Gewissen auch NSDAP wählen konnte. Nach dem Motto: Viel schlimmer kann es kaum kommen.
Wenn man auf frühere Ausnahmezustände oder Notverordnungen verweist, dann geht es nicht darum, die gesellschaftlichen Umstände außer Acht zu lassen, in denen sie jeweils wirkten. Es geht also nicht darum, dass sich ein „33“ (1933) wiederholt. Niemals wiederholen sich solch epochalen Ereignisse auf dieselbe Weise. Aber es gibt Lehren, die eine Linke daraus ziehen kann. Dazu gehört die Einsicht, dass durch Anpassung Schlimmeres nicht vermieden wird.
Sebastian Haffner hat dies im Rückblick auf das selbst miterlebte „33“ so formuliert:
„Hinter der ganze Brüningzeit (die Zeit der Notverordnungen, d.V.) stand die Frage: Was dann? Es war eine Zeit, in der eine trübe Gegenwart nur durch die Aussicht auf eine grauenvolle Zukunft gemildert wurde.“ (S.86)
Noch etwas kommt mit großen Schritten auf uns zu: Die Demontage der parlamentarischen Demokratie wird wieder einmal aus der bürgerlichen Mitte heraus betrieben, damit jene alsbald an die Macht kommen, die sie eh für überflüssig und nutzlos gehalten haben.
Dass es nicht darum gehen kann, das „viel schlimmere“ zu verhindern, um sich mit dem Schlimmen abzufinden, könnte man als Lehre ins Heute mitnehmen.
Wolf Wetzel
Publiziert im Magazin Overton am 18.3.2025: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-innere-staatsstreich-ist-perfekt/
Quellen und Hinweise:
Parlament. Bundestag lehnt Antrag zur Geschäftsordnung ab: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw11-de-geschaeftsordnung-1056728
Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914 – 1933, Sebastian Haffner, Pantheon Verlag, 2014
Kein BSW wird uns retten, kein „Trump“, kein „Scholz“, Wolf Wetzel, 2025: https://wolfwetzel.de/index.php/2025/03/05/kein-bsw-wird-uns-retten-kein-trump-kein-scholz/
Die endlose Geschichte der Ausnahmezustände, Wolf Wetzel, 2021: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/04/21/die-endlose-geschichte-der-ausnahmezustaende/
Dritter Weltkrieg gefällig? Wolf Wetzel, 2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/dritter-weltkrieg-gefaellig/
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