Von Rosa bis heiter
Rosa Luxemburg wurde 1915 ins Gefängnis geworfen und hat dort fantastische Briefe aus dem Gefängnis geschrieben. Aber auch beeindruckende Analysen über den Ersten Weltkrieg (1914-18).
Dazu gehört der Text Die Krise der Sozialdemokratie, erschienen im Juni 1916 unter dem Pseudonym Junius. Dort rechnete sie mit der „bürgerlichen Gesellschaftsordnung“ und der Rolle der SPD ab, deren reaktionäres Wesen der Krieg offenbart habe.
Die Aufgabe jeder Opposition sei: Sich niemals auf eine der beiden imperialen Groß-Mächte stellen, sondern die imperialistischen und kapitalistischen Systeme auf allen Seiten bekämpfen. Es gibt keine gute Seite in ihren Kriegen. Heute erst recht nicht.
Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ wird von vielen zitiert und zu sehr verschiedenen Anlässen. Leicht dahingesagt ist ein solcher Ausruf, wenn man selbst in der Minderheit ist, die Macht gegen sich hat und jenen, die das Meinungsmonopol innehaben, ein bisschen (mehr) Freiheit abringen möchte.
In diesen Fällen appelliert man an den bürgerlichen Staat und auch an sein Versprechen, die Rede- und Meinungsfreiheit auch denen zu gewähren, die den bürgerlichen Staat ablehnen.
In diesen Fällen ist der Satz zwar immer noch richtig, aber nicht wirklich eine Herausforderung, die Rosa Luxemburg damals zu einer revolutionären Maxime erhoben hat.
Denn die eigentliche Zumutung, die in diesem Satz steckt, bezieht sich nicht auf die Anderen, die einem das Wort verbieten, die unpassenden Meinungen zum Anlass politischer Verfolgung nehmen.
„Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“
Der berühmte Satz ist einer Arbeit entnommen, die sich mit der russischen Revolution auseinandersetzt, als diese 1918 gesiegt hatte und die einst Verfolgten nun selbst Verfolger werden konnten, also nicht mehr um Freiheit betteln oder ringen mussten, sondern sich in der privilegierten Position befanden, sie (anderen) zu „gewähren“.
Rosa Luxemburg richtet also diesen Satz vor allem an die eigenen Genoss*innen, die heftig darum stritten, wie es weitergeht, was die Revolution voranbringt, was ihr schadet, was der nächste Schritt sein muss, was in die Sackgasse führt.
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.“ (Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution, in: dies.: Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 359)
Sie wollte damit einen Maßstab setzen, für die Art und Weise, wie mit Widersprüchen, gegensätzlichen Positionen in und außerhalb der (kommunistischen) Partei umgegangen wird, umgegangen werden sollte. Ganz optimistisch und großartig könnten man den Satz so verstehen:
Lasst uns zusammen diskutieren, lasst uns die Widersprüche aushalten, indem wir das „andere“ verstehen lernen, nicht in Feindschaft, sondern in dem Wissen, dass der „richtige“ Weg erst entsteht, wenn man die anderen Wege abgelaufen hat. Und wenn wir uns dann für den „richtigen“ Weg entscheiden, machen wir dies auf eine Art und Weise, die berücksichtigt, dass der nicht eingeschlagene Weg vielleicht doch der richtige gewesen sein könnte.
Wolf Wetzel
Quelle und Hinweise:
Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, Wolf Wetzel, 2021: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/03/05/freiheit-ist-immer-die-freiheit-der-andersdenkenden-rosa-luxemburg/
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