Tilgung der Geschichte + Zerstörung von Telepolis
Thomas Moser | 6. Dezember 2024
„Hallo Herr Neuber,
wie ich heute lese, sind alle Texte von Telepolis vor 2021 vom Netz genommen worden und nicht mehr abrufbar. Sie, der Chefredakteur, und der Heise-Verlag begründen das damit, dass Sie für die Qualität dieser älteren Texte nicht pauschal garantieren können.
Zunächst: Ich bin ausgebildeter Redakteur und habe in meinem Berufsleben in mehreren Redaktionen verschiedener Medien gearbeitet. Seit mehr als 35 Jahren bin ich für die öffentlich-rechtlichen Medien tätig. Für das Online-Magazin Telepolis habe ich über sechs Jahre lang Artikel verfasst. Darunter mehrere hundert Artikel über den NSU-Prozess, über Sitzungen mehrerer NSU-Untersuchungsausschüsse und mehrerer U-Ausschüsse zum Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz. In diesen Artikeln beschreibe ich unter anderem einmalige zeitgeschichtliche Zeugenauftritte.
Ich will es kurz machen: Ich fordere Sie auf, meine Texte wieder online zu stellen. Sie und der Heise-Verlag haben kein Recht, diese Texte und ihre Inhalte verschwinden zu lassen. Die Texte gehören nicht Ihnen, Telepolis oder dem Heise-Verlag. Sie gehören der Öffentlichkeit und letztlich der Geschichte. Zumal ich als Journalist zu vielen Ereignissen, wie Prozessen oder Untersuchungsausschüssen von Parlamenten, nur deshalb privilegierten Zugang erhalte, weil ich für die Öffentlichkeit tätig bin und war. Das haben Sie und der Heise-Verlag zu respektieren und nicht zu annullieren. Ihr Vorgehen, alle Texte bis 2021 vom Netz zu nehmen, kommt einer Tilgung der Geschichte gleich. Außerdem bedeutet es – ganz nebenbei – die Zerstörung des Online-Magazins Telepolis als einst kritisches, meinungsstarkes und auf seine Weise einmaliges Medium.
Wir brauchen nicht erst russisch-putinsche oder chinesische Verhältnisse, Telepolis und der Heise-Verlag haben die Zensur jetzt freiwillig eingeführt.
Noch ein letztes Wort zu Ihren angeblichen Qualitätskriterien, für die, wenn ich es richtig sehe, Sie stehen wollen.
Gehört zu diesen Qualitätskriterien auch, wie kürzlich in einem Artikel von Ihnen über die Covid-Impfung („Long Covid: Spike-Proteine als heimliche Gehirnsaboteure entlarvt“, TP v. 30.11.2024) geschehen, die Leser aufzurufen: „Lassen Sie sich impfen und schützen Sie sich und andere so vor schweren Covid-19 Verläufen und Folgeschäden!“
Das ist nicht Qualitäts- , sondern Ideologiejournalismus.
Freundliche Grüße,
Thomas Moser“
Anmerkung zum Prozess der Selbstprothesierung
Ich habe mehrere Jahre für Telepolis Beiträge geschrieben und kann diesen Prozess der Selbstprothesierung bestätigen. Ich beendete die Zusammenarbeit, als die Verzögerungen und „Überarbeitungswünsche“ immer massiver wurden und ich keine ehrliche Antwort bekam, was die politischen Gründe dafür sind.
Wir sollten nicht schweigen, erst recht nicht dort, wo man zu Wort gekommen ist, um das Schweigen, das Silencing zu durchbrechen. Denn wenn unsere Kritik an dem Laufstalljournalismus Gewicht und Glaubwürdigkeit genießen soll, dann müssen wir auch das Wort erheben, wenn es bei „uns“ passiert.
Wolf Wetzel
Ergänzung
Nachricht auf Media Guerilla Berlin vom 10.12.2024:
Die meisten Telepolis-Artikel dürften im Wayback-Archive erhalten geblieben sein. Von der alten Adresse mit der heise-URL gibt es mehr als 100000 Archivierungen. Die Archivierungen der einzelnen Artikel sind da noch nicht mitgezählt.
https://web.archive.org/web/20240000000000*/heise.de/tp/
Es gibt zudem diverse „wayback downloader“ Projekte auf Github, Gitlab und Co., mit denen sich das gesamte Archiv wiederherstellen und irgend woanders hosten lässt.
Quellen und Hinweise:
Telepolis löscht alle früheren Texte, Florian Rötzer (ehe. Chefredakteur von Telepolis), 2024: https://overton-magazin.de/top-story/telepolis-loescht-alle-frueheren-texte/
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Hallo Herr Moser,
ich habe Ihre Artikel auf Telepolis immer gerne gelesen und habe auch das sehr freie Leserforum geschätzt.
Spätestens seit 2020 wurde aber im Forum eine Zensurpraxis eingeführt, die ich so nicht kannte. Ich kann mir das eigentlich nur mit politischem Druck erklären. Beiträge mit Verweisen zu Nachdenkseiten, Overton etc. werden z.B. grundsätzlich gelöscht. Beiträge, die nur knapp an der Beleidigung des Artikelautors vorbei schrammen, aber dem aktuellen politischen Narrativ entsprechen, bleiben stehen.
Ein paar besonders krasse Beispiele habe ich auf http://www.volksverhexer.de/ gesammelt.
Heise und Telepolis haben mich viele Jahre begleitet, unter anderem im Studium, wo ich Artikel von Telepolis zitiert habe. Diese Arbeiten gingen damals auch durch. Wer weiß, ob das heute noch so wäre, dem Zeitgeist entsprechend. Ich finde es absolut unerträglich, was hier passiert ist. Ein Fall moderner Bücherverbrennung. Telepolis war eines der ganz wenigen, kritischen Projekte, auch wenn es inhaltich in den letzten Jahren schlechter und schlechter wurde. Im Grunde ist es da nur folgerichtig, Artikel zu löschen, die zu weit über dem heutigen, geistigen Niveau stehen. Absolut unerträglich das Ganze!
Vorschläge:
1. Vielleicht einen Aufruf an möglichst viele Autoren starten, bei TP gegen die Löschungen zu protestieren.
2. Aufruf an die Leserschaft zum Boykottieren von TP, bis sie ihre Haltung nicht überezeugend ändern!
Danke für die Vorschläge. ich werde auf jeden Fall auch direkt bei Telepolis Widerspruch gegen die Löschung einlegen und es ablehnen, das meine Beträge nach „Qualitätsprüfung“ Gnade finden.
Ich begrüße die Idee des Artikelrettens!
Darüberhinaus sollte der Verlag auch die Userforen migrieren lassen, da dieser Kontext zu den Artikeln oft noch erhellender war, als die Artikel selbst.
Unbegreiflich & unerhört, diese Abschaltung!!!
…sofern technische unterstützung benötigt wird, oder einfach nur manpower – mail schreiben, helfe gerne (der admin hier ja hat jetzt meine credentials).
Vielen Dank!
Hallo,
ich möchte Ihnen an dieser Stelle die Löschaktion gern einmal aus Sicht der Leser etwas näher bringen.
Zu all den tausenden Artikeln, die jetzt im Sinne einer Vorwärtsverteidigung hinten runter fallen, gab es immer auch eine mehr oder weniger umfangreiche Leser-Diskussion bei tp. Darin wurden pro und kontra im positiven Sinne erstritten. Die weiterführenden Links in diesen Auseinandersetzungen der Leser waren stets eine Bereicherung, die immer auch einen Blick über den Tellerrand ermöglichten.
Das ist jetzt vorbei. Weg. Gelöscht.
Willkommen in 1984.
Ich habe den letzten Absatz des zitierten Artikels (Long Covid…) mal durch einen KI-Detektor (zerogpt) geschickt: „Ihr Inhalt scheint von GPT-Technologie erstellt worden zu sein.“ Den letzten Absatz mit der Impfempfehlung sieht auch https://ki.fh-wedel.de/ als KI-generiert an. KI statt Journalismus?
Hallo Thomas,
willst du wirklich, dass Telepolis über Clickbait weiter Geld mit deinen Texten verdient. Ich will das nicht. Mir wäre lieber, ich habe die aufgefordert, die Texte zu übermitteln, dass wir da ein Archiv aufbauen. Ich frag Mal Florian, ob wir das auf Overton machen können, damit die zugänglich sind. Das wäre nur konsequent, finde ich. Ich will in Zukunft auch nicht mehr zu heise verlinken.
Habe mittels wayback Maschine alle Beiträge von Tom Appleton gesichert.
Lasst es uns machen wie die Waldfänger in Fahrenheit. Einen Autor schnappen, dessen Artikel sichern, und anderen als Kopie anbieten.
Arbeit aufteilen und schnell fertig werden, auch wayback unterliegt schweren Angriffen.
Um die Strategie der Angreifer vollständig zu verstehen, bitte das Buch “ das indoktrinierte Gehirn“ von Dr Michael Nehks lesen. Stichwort autobiografisches Gedächtnis.
Die Zeit läuft!
Danke für Ihre Nachricht. Ja, das wäre eine sehr gute Idee, die Texte in Overton zu archivieren und zugänglich zu machen. Schlagen Sie das bitte vor, ich bin dabei.
Hallo Ralf, ich finde halt, wenn wir kritisieren, dass pauschal sämtliche Texte + Kommentare (von vor 2021) gelöscht wurden, dann heißt das doch, für die Wiederherstellung des Zustandes davor einzutreten. Das „Gesamtkunstwerk“ Telepolis muss erhalten bleiben, also im Netz auf der TP-Seite weiterhin zugänglich sein. Ich ergänze diese Forderung durch die individuelle Forderung nach Onlinestellung meiner persönlichen Texte. Das verstehe ich gleichzeitig als Vorschlag an alle Autoren und Autorinnen, für die ich aber nicht sprechen kann, das auch zu fordern. Die alten Texte nun seitens der Autoren Telepolis nicht mehr zur Verfügung zu stellen, bedeutet ja, die Löschung abzusegnen. Es wäre dasselbe Resultat. Und Clicks will oder kann TP mit unseren gelöschten Texten ja nicht mehr erzielen. Boykottieren kann ich TP auch, indem ich nichts mehr für sie schreibe. Der Vorschlag, unsere Texte in ein Overton-Archiv zu stecken, ist mir nicht ganz klar. Dadurch bliebe es ja bei der Tilgung bis zum Jahr 2021. Außerdem brauche ich die TP-Textfassungen für so ein neues Archiv nicht, denn jeder hat doch seine Texte zuhause im Rechner und könnte die für ein solches Archiv verwenden. Was wir machen könnten, wäre eine Zusammenstellung von ausgewählten besonderen Texten mehrerer AutorInnen, um zu zeigen, was Neuber/TP/Heise alles liquidiert haben.
Vielen Dank. Die Idee von Ralf Streck wäre doch sehr gut, damit es weiterhin öffentliches Gemeingut bleibt.