Die Kriegsmaschinerie stoppen. Wofür?
In diesem Beitrag geht es um die Kriege, die noch nicht unsere Wohnung in die Luft sprengen oder unsere Kinder zerfetzen. Welchen Sinn macht es, andere zu Friedensverhandlungen und einen Waffenstillstand aufzurufen, anstatt das uns Mögliche zu tun, diese Kriegsmaschinerie zu stoppen?
Teil I findet sich hier: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/die-kriegsmaschinerie-stoppen/
Teil II findet sich hier:
Kriegsmaschinerie: Wie stoppen? https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/kriegsmaschinerie-wie-stoppen/
Teil III
Wider der moralischen Äquivalenz
Kommen wir zu den definitiv menschengemachten Kriegen. Ganz sicher spielt der Vernichtungskrieg in Gaza und nun auch im Libanon eine große Rolle. Dabei geht es auch um die darin mitschwingende deutsche Geschichte, aber auch um die ungewöhnlich vielen Positionswechsel, die die Linke seit den 1960er Jahren vorgenommen hat, gerade im Hinblick auf unser Verhältnis zu Israel. Israel kann man sich als ein Kaleidoskop vorstellen, wo fast alles zusammenkommt, sich ineinander verschiebt und zu einem neuen Bild zusammensetzt: Israel als sichere Heimstätte der Juden, als Laboratorium einer sozialistischen Utopie (wie das kollektive Kibbuz-System), als Wiederauferstehung der biblischen Legende von „David“, der „Goliath“ besiegt. Ich selbst hatte genau dieses Bild im Kopf, als ich hoffnungsvoll und erkenntnisarm davon ausging, dass das Kibbuz-System, in dem ich meinen Zivildienst ableisten wollte, die dominierende Wirtschaftsform ist. Das war sie nie.
Israel steht aber auch für Neokolonialismus, Besatzung, Rassismus und Apartheid. Und heute für ein Genozid und ein Kriegskabinett, das sich in ideologischen und institutionellen Schritten dem Post-Faschismus nähert.
In abgeschwächter Form gilt das auch für Palästina: Am Anfang überblendete Israel alles, was Palästina ist und sein könnte. Dann entdeckte man auch auf palästinensischer Seite Ideen, die man teilte, wie die PFLP zum Beispiel, die man als sozialistische Organisation verstand. In dieser Phase – nach dem 6-Tage-Krieg 1967 – wurden auch die Positionen getauscht: die Palästinenser standen nun für „David“, der sich gegen den übermächtigen „Goliath“ zu Wehr setzt.
Spätestens seit „9/11“ (2001), mit dem zum neuen Staatfeind erklärten „Islamismus“ wurde die Rollenverteilungen abermals umgeschrieben: Die Palästinenser waren wieder die Bösen, die Gotteskrieger und Antisemiten, die die Juden ins Meer werfen wollen. Folgerichtig wurde Israel in einem „Verteidigungskampf“ zu den Guten gekürt, die für Fortschritt und Gleichberechtigung kämpfen und für ein säkulares Staatsverständnis stehen.
Jetzt, seit einem Jahr Vernichtungskrieg in Gaza würde ich – in der gesellschaftlichen Wahrnehmung – von einer Pari-Pari-Position ausgehen. Das Mitgefühl und die Distanz zu beiden Seiten scheint sich die Waage zu halten. Das gilt selbstverständlich weder für die deutsche Staatsregierung noch die Laufstallmedien, die sich weder von einem Genozid, noch von Kriegsverbrechen davon abhalten lassen, Israel in die „deutsche Staatsraison“ einzuhegen.
Genau hier möchte ich einhaken und ansetzen.
Ich würde vermuten, dass viele den Krieg des israelischen Kriegskabinetts in Gaza als Kriegsverbrechen begreifen und verurteilen. Auch der Vorwurf eines Genozids kann nicht länger mit der Abdeckplane „Antisemitismus“ zum Verschwinden gebracht werden.
Bis dahin reicht die Übereinstimmung. Aber dann kommt ein schwerwiegender Einwurf: Ja, das stimmt, Israel begeht Kriegsverbrechen, aber die haben doch auch Hamas (Gaza) und Hisbollah (Libanon) begangen. Meist wird dieser Vergleich, die pari-pari-Position auf eine Weise eingenommen, dass die Geschichte an dem 7. Oktober 2023 beginnt. Davor zählt nicht.
Wie geht man damit um? Kann man Kriegsverbrechen gegen Kriegsverbrechen aufrechnen? Nein. Kann man ermordete Partygäste am 7.Oktober 2023 mit den 40.000 Ermordeten in Gaza gleichsetzen? Hilft es, wenn wir die verschleppten Geiseln am 7. Oktober 2023 mit den über 6.000 Geiseln in israelischer Administrativhaft vergleichen? Nein. Denn diese Gleichsetzung bringt genau das zum Verschwinden, was auch ohne Kriegsverbrechen, seit über 60 Jahren das Leben in Gaza bestimmt: Die Besatzung, das völlig Ausgeliefertsein, das Gefängnis-Leben, das ganz in den Händen der israelischen Armee liegt.
In diesem Herrschaftsverhältnis gibt es keine Gleichen, keine Ebenbürtigen, keine Gleichwertigen Und genau deshalb wäre eine moralische Äquivalenz keine salomonische Lösung, sondern eine weiche Methode, die Herrschaftsverhältnisse in Gaza, in den besetzten Gebieten auszublenden und letztendlich zu leugnen.
Aus diesem Grund ist Hamas nicht gleich IDF, ist Hisbollah nicht gleich IDF, der Vietcong nicht gleich GI’s, die Partisanen in Griechenland nicht gleich der deutschen Besatzung.
Die Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy hatte sich anlässlich der Verleihung des PEN Pinter Prize 2024 diesem sehr problematischen Thema angenommen. Es ist eine ausgezeichnete Stellung- und Parteinahme, die diesen „blinden Fleck“ nicht ausblendet, sondern in den Mittepunkt ihrer ausgezeichneten Dankesrede stellt.
Zuerst ruft sie den Krieg in Vietnam in Erinnerung, die US-Militärdoktrin, alles zu töten, was sich bewegt. Und sie verweist auf die Pentagon-Papiere und andere Militärdokumente, in denen man den Streit darüber nachzeichnen kann, „wie ein Völkermord begangen werden kann. Ist es besser, Menschen sofort zu töten oder sie langsam zu verhungern? Was würde besser aussehen?“
Mit dieser kurz skizzierten Geschichte wendet sie sich dem Völkermord in Gaza zu.
„Wie jeder Staat, der ethnische Säuberungen und Völkermord in der Geschichte durchgeführt hat, haben Zionisten in Israel, die sich für ‚das auserwählte Volk‘ halten, mit der Entmenschlichung der Palästinenser begonnen, bevor sie aus ihrem Land vertrieben und ermordet wurden.
Premierminister Menachem Begin nannte Palästinenser ‘zweibeinige Tiere ’, Yitzhak Rabin nannte sie ‘Heuschrecken ’, die ‘zerquetscht werden könnten ’ und Golda Meir sagte ‘Es gab keine solche als Palästinenser ’. Winston Churchill, dieser berühmte Krieger gegen den Faschismus, sagte: ‘Ich gebe nicht zu, dass der Hund in der Krippe das letzte Recht auf die Krippe hat, obwohl er möglicherweise sehr lange dort gelegen hat ’ und dann zu erklären, dass eine ‘höhere Rasse ’ das letzte Recht auf die Krippe hatte. Nachdem diese zweibeinigen Tiere, Heuschrecken, Hunde und nicht existierenden Menschen ermordet, ethnisch gereinigt und ghettoisiert worden waren, wurde ein neues Land geboren. Es wurde als ‚Land ohne Menschen für Menschen ohne Land‘ gefeiert. Der atomar bewaffnete Staat Israel sollte als militärischer Außenposten und Tor zum natürlichen Reichtum und den Ressourcen des Nahen Ostens für die USA und Europa dienen. Ein schöner Zufall von Zielen und Vorgaben.“
Sie benennt im Weiteren ein paar widerliche Details dieses Vernichtungskrieges, die im „freien Westen“ nicht gezeigt werden.
Und dann hält sie inne und fragt sich laut, in welchem Dilemma sie nun steckt, wenn man von ihr erwartet, dass sie „die Hamas, die anderen militanten Gruppen in Gaza und ihre Verbündeten Hisbollah im Libanon, dafür verurteilen soll, Zivilisten getötet und Menschen als Geiseln genommen zu haben. Und um die Menschen in Gaza zu verurteilen, die den Hamas-Angriff gefeiert haben.“
Sie weiß um diese erwartete „Neutralität“ bzw. „moralische Äquivalenz“: „Sobald das erledigt ist, wird alles einfach, nicht wahr? Na ja. Jeder ist schrecklich, was kann man tun? Lass uns stattdessen einkaufen gehen …“
Sie enttäuscht diese Erwartung auf großartige Weise:
„Ich weigere mich, das Verurteilungsspiel zu spielen. Lassen Sie mich das klarstellen. Ich sage unterdrückten Menschen nicht, wie sie ihrer Unterdrückung widerstehen sollen oder wer ihre Verbündeten sein sollten.“
Sie hätte es damit bewenden lassen können. Doch, und das wissen und beschäftigt viele: Hamas und Hisbollah haben das Recht, sich gegen die Besatzung zur Wehr zu setzen. Doch Hamas und Hisbollah haben nicht nur dieses Recht, sie haben auch eine politische und gesellschaftliche Vision – von dem, was nach der Besatzung kommen soll.
Wie sie dazu steht, erklärt Arundhati Roy sehr eindrucksvoll und unmissverständlich:
„Ich bin mir sehr bewusst, dass es für mich als Schriftstellerin, als Nichtmuslimin, als Frau, die ich bin, sehr schwierig und vielleicht unmöglich wäre, unter der Herrschaft der Hamas, der Hisbollah oder dem iranischen Regime zu überleben. Aber das ist hier nicht der Punkt. Es geht darum, uns über die Geschichte und die Umstände zu informieren, unter denen sie entstanden sind. Der Punkt ist, dass sie gerade gegen einen anhaltenden Völkermord kämpfen. Es geht darum, uns zu fragen, ob eine liberale, säkulare Streitmacht gegen eine Völkermord-Kriegsmaschine antreten kann. Denn wenn alle Mächte der Welt gegen sie sind, an wen müssen sie sich wenden, außer an Gott? Mir ist bewusst, dass die Hisbollah und das iranische Regime in ihren eigenen Ländern lautstarke Kritiker haben, von denen einige auch in Gefängnissen schmachten oder mit weitaus schlechteren Umstände konfrontiert sind. Mir ist bekannt, dass einige ihrer Aktionen – die Tötung von Zivilisten und die Geiselnahme am 7. Oktober (…) Kriegsverbrechen darstellen. Es kann jedoch keine Äquivalenz zwischen diesem und dem geben, was Israel und die Vereinigten Staaten in Gaza, im Westjordanland und jetzt im Libanon tun. Die Wurzel all dieser Gewalt, einschließlich der Gewalt vom 7. Oktober ist Israels Besetzung des palästinensischen Landes und seine Unterwerfung des palästinensischen Volkes. Die Geschichte begann nicht am 7. Oktober 2023.
Ich frage Sie. Wer von uns, der in dieser Halle sitzt, würde sich bereitwillig der Erniedrigung unterwerfen, der Palästinenser in Gaza und im Westjordanland seit Jahrzehnten ausgesetzt sind? Welche friedlichen Mittel hat das palästinensische Volk nicht versucht? Welchen Kompromiss haben sie nicht akzeptiert, außer dem, bei dem sie auf die Knie kriechen und Dreck essen müssen?“
Diese Rede ist eine Fundgrube für alle, denen es nicht reicht, gegen einen Krieg zu sein, die sich mit dieser benannten „moralischen Äquivalenz“, die hier in Deutschland sehr oft als „Äquidistanz“ gelebt wird, nicht begnügen, aber eben auch die Fragen nach einer anderen Gesellschaft stellen wollen, denn mit keinem (imperialen) Krieg wurde die Ausbeutung, die Unterdrückung, die Erniedrigung und die sinnlosen alltäglichen Quälereien beendet.
Sich dem zu stellen, das anzugehen, zum gemeinsamen Ausgangspunkt zu machen, wäre eine Chance, unsere Möglichkeiten zu nutzen, die Kriegsmaschinerie zu stoppen.
Das x-te Kreuz für das „Richtige im Falschen“?
Die SPD hat (gefühlt)
100 Jahre
gebraucht, um ihre Prinzipien zu verraten.
Die Grünen kamen mit
10 Jahren
aus.
Die LINKE kam mit
1 Jahr
aus.
Und das BSW schafft das in
1 Monat?
Die fehlende eigene Handlungsmacht, die vielen „Ich’s“, die nicht aus dem Homeoffice kommen, das Gefühl der Ohnmacht, finden sehr naheliegend einen „gemeinsamen“ Hafen, auch wenn der in den letzten Jahrzehnten schon oft angefahren wurde.
Wenn ich alleine eh nichts ausrichten kann, dann kann ich doch wenigstens meine Stimme für den „Frieden“ abgeben. Das ist sehr wörtlich gemeint. Und das ging sehr vielen so.
Auch wenn die Erinnerung ein wenig schmerzt und die „neue“ Hoffnung arg in den Bereich des Illusionismus bringt, muss man sich dieser Geschichte stellen:
DIE GRÜNEN
In den 1980er Jahren haben die Partei DIE GRÜNEN den größten Profit aus dem Scheitern der Anti-Kriegsproteste gezogen, gerade auch im Hinblick auf die Stationierung von Pershing I und II Raketen, die im Rahmen des gezielten Wettrüstens tatsächlich die damalige Sowjetunion „ruiniert“ hatten. Der aufgezwungene Krieg nach außen hatte die „Vorzüge“ der Sowjetunion im Inneren aufgebraucht und verzehrt.
In Deutschland versprachen die GRÜNEN, das ehrenwerte Anliegen der Friedensbewegung ins Parlament zu tragen.
Sie hatten die Aufforderung „Raus aus der NATO“ mit ins Programm geschrieben.
Der Aufstieg der GRÜNEN ist also ohne die Erschöpfung einer außerparlamentarischen Opposition nicht zu erklären. Die Behauptung, man werde dasselbe Anliegen nun auf parlamentarischen Wege zur Geltung bringen, hatte vor allem (selbst-)entlastende Gründe.
Die Partei DIE LINKE
Die LINKE versuchte erst gar nicht, der parlamentarischen Korruption zu entgehen – was mit einem imperativen Mandat und einer halber „Amtszeit“ einzugrenzen wäre. Sie war anpassungsfähig und geschäftstüchtig. Man wollte unbedingt mitregieren und kaufte sich ein bisschen außerparlamentarische Opposition in Form der „Interventionistischen Linke“ (G7 Gipfel in Heiligendamm 2007, Blockupy in Frankfurt 2012- 2015). Am Ende haben sich beide überflüssig gemacht. Hinzu kam die völlige Nicht-Bereitschaft über die „bedingungslose Solidarität mit Israel“ zu streiten. Auch im Hinblick auf den Corona-Ausnahmezustand hat sich die „LINKE“ mehr durch Diffamierungen („Covidioten“), als durch offene, nicht staatsdevote Diskussionen ausgezeichnet. Am Ende haben sie den Holocaust als Begründung für neokolonialistische Politik missbraucht, den Antifaschismus, indem sie jene, die gegen die staatliche Corona-Politik waren, in die Nähe von Faschisten rückten und den Begriff der Solidarität, indem sie behauptete, dass das staatliche Corona-Regime die Schwächsten schützen würde, was alleine aus medizinischen Gesichtspunkten eine haarsträubende und evidenzfreie Annahme war und ist.
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)
Diese „Streitpunkte“ führten 2024 schließlich auch zur Spaltung der „LINKEN“. Nun wird uns eine vorläufige letzte Partei-Version angeboten. Hatten man jahrzehntelang noch als Linke darauf bestanden, Politik nicht über Personen, sondern über die Themen zu bestimmen, so ist nun auch dieses Merkmal im Mülleimer der Geschichte gelandet. Jetzt geht es um Sahra Wagenknecht und Rest.
Noch gehört zum Markenkern des BSW, dass es die Kriegspolitik gegen Russland kritisiert. Sie/es ist die einzige Partei, die im Bundestag einen Antrag für ein Waffenembargo gegen Israel gestellt hat und zuletzt die sogenannte Antisemitismus-Resolution abgelehnt hat, die den Genozid in Gaza und ihre Unterstützer (in den USA, in der EU und ganz besonders in Deutschland) schützen soll.
Angesichts der sichtbaren Schwäche der Anti-Kriegsbewegung werden viele, die diese Ohnmacht erleben, das BSW als x-tes „kleineres Übel“ begrüßen und gegebenenfalls wählen – wenn Anfang 2025 die vorgezogenen Bundestagswahlen anstehen.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man sich an diesen „Strohhalm“ klammert – mit all den Bauchschmerzen, die man eh hat. Und viele wissen auch, dass es mit einem Kreuz nicht getan ist. Viel Energie und viel Kraft wird das BSW absorbieren und binden – wie die zahlreichen „Freundeskreise“ (Unterstützungskreise) die nun gebildet werden, um so etwas wie eine Parteibasis aus dem Boden zu stampfen.
Wieviel Kraft und Enttäuschung sind bereits damit verbunden, dass das BSW in Sachsen, mit der Politik-Profi-Frau Sabine Zimmermann an der Spitze, für eine Regierungsbeteiligung das „Einzige“, was sie von anderen Parteien unterscheidet, zu opfern bereit war: Die „Friedensformel“ als Präambel in einem Koalitionsvertrag, in der die Forderung nach einem Lieferungsstopp von Waffen an die Ukraine festgehalten wird und die Nichtstationierung von US-Raketen. Man hat sie unkenntlich gemacht.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag, Jessica Tatti, und der Schatzmeister Ralph Suikt übten daraufhin heftige Kritik:
„Katja Wolf und Steffen Schütz sind in Thüringen auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht.“
Wenig später gab es einen Beschluss des Bundesvorstands, der noch deutlicher wurde: „Kompromisse gehören zur Politik. Aber Kompromissfähigkeit und Pragmatismus dürfen nicht der Vorwand sein, um Ministerämter und Staatssekretärsposten auch um den Preis des Bruchs zentraler Wahlversprechen besetzen zu können.“
Und dann hat man es doch geschafft, zentrale Wahlkampfversprechen für drei Ministerposten in Brandenburg zu schreddern. Im Koalitionsvertrag mit der SPD steht zur Kriegspolitik belangloses (man sehe die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen „kritisch“). Das explizite Bekenntnis zum Militär ist hingegen eindeutig: „Man sei sich einig, dass ‚für Frieden und Sicherheit die Verteidigungsfähigkeit‘ der Armee gestärkt werden müsse – deswegen „stehen wir zur Bundeswehr und ihren Brandenburger Standorten“ (jW vom 28.11.2024)
Bei diesem Bruch des Wahlversprechens ging und geht es um eine Landtagswahl. Man kann also erahnen, wie stark der „Strohhalm“ ist, wenn mit den vorgezogenen Bundestagswahlen 2025 eine Regierungsoption des BSW im Raum steht.
Eines ist doch klar und ganz und gar nicht spekulativ: Es wird mit den jetzt aufgestellten Forderungen keine Regierungsoption geben.
Was wäre an einer (parlamentarischen) Opposition falsch?
Was wäre an einer Partei falsch, wenn sie ihre „zentralen Wahlversprechen“ einhält?
Diese Partei hätte so die Zeit, sich um eine politische Basis zu bemühen. Sie hätte die Zeit, die sehr schwammigen Formulierungen im Parteiprogramm zu präzisieren:
Was ist mit einem „starken und eigenständigen Europa“ gemeint? Worin unterscheidet es sich von den Parolen der anderen Parteien, die damit vor allem ein Europa meinen, das militärisch und geostrategisch eigenständig agieren kann und muss, um eigene imperiale Ziele durchzusetzen. Dasselbe gilt für das schillernde Wort der „Souveränität“, die Deutschland wiedererlangen müsse. Um dessen Ausdeutung balgen sich AfD, Reichsbürger, Identitäre bis hin zur SPD und BSW! Meinst man damit eine Führungsrolle der BRD in Sachen Krieg und „neuer“ Weltordnung?
Aber genauso wichtig wäre, dass die Antikriegsbewegung die strittigen Fragen angeht, die hier in einigen Punkten ausgeführt wurden.
Die Forderung nach einem „Waffenstillstand“ und nach „Friedensverhandlungen“ sind erkennbar kein Ziel, auf das man hinarbeiten kann. Denn in beiden Punkten spielt selbst eine starke Anti-Kriegsbewegung keine Rolle. Sie wird nirgendwo am Tisch sitzen, wenn es um Krieg und Frieden geht. Mit diesen Forderungen täuscht man vielmehr eine Handlungsoption vor, die niemand ernst nimmt, für die es keine eigenen Handlungsmöglichkeiten gibt. Es sind wirkungslose Appelle an „andere“, mit denen wir abermals unser eigenes Handeln abgeben.
So wichtig es ist, dass sich die Partei „BSW“ eine handlungs- und einflussreiche Basis schafft, so wichtig wäre es, dass man als außerparlamentarische Bewegung Strukturen aufbaut, die politisch und organisatorisch glänzen.
Partei oder Bewegung
Diese Frage, dieses Entweder-oder hat auch die deutsche Geschichte geprägt. Wie kann man das Parlament, die institutionellen Möglichkeiten, die sich daraus geben, nutzen, ohne vereinnahmt zu werden? Das Parlament als Bühne für das, was draußen passiert.
Ich bin davon überzeugt, dass man das Parlament so nutzen kann, wie einen Rechtsanwalt oder eine Rechtschutzversicherung – ohne an den „Rechtsstaat“ zu glauben.
Ich habe dabei die irische EU-Abgeordnete Clare Daly im Sinn, die ihre – sage und schreibe – zwei Minuten Redezeit im EU-Parlament dazu nutzte, die Kriegspolitik der EU, den Genozid in Gaza, ihre Komplizen, die sich dabei im Arm liegen, anzugreifen – mit einer Intensität und Direktheit, die Mut macht, für all die vielen, die kein Forum, keine Bühne, keinen sicheren Ort haben, ihre Wut, ihre Abscheu über das Armageddon der Jetztzeit zum Ausdruck zu bringen.
Wolf Wetzel
https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/die-kriegsmaschinerie-aufhalten-wofuer/
Wolf Wetzel
Quellen und Hinweise:
„Keine Propaganda auf der Erde kann die Wunde in Palästina verbergen: Arundhati Roys Rede zur Annahme des PEN-Pinter-Preises, 2024: https://thewire.in/rights/palestine-israel-apartheid-arundhati-roy-pen-pinter-prize
Author Arundhati Roy lambasts ‘US and Israel’s genocide in Gaza’ at London award ceremony. https://www.youtube.com/watch?v=_sfdcQO7bfc
Wer etwas in die Luft sprengt, spielt doch keine Rolle! Ach so, Wolf Wetzel, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/01/10/wer-etwas-in-die-luft-sprengt-spielt-doch-keine-rolle-ach-so/
Wir haben uns den 3. Weltkrieg verdient, Wolf Wetzel, 2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/wir-haben-uns-den-dritten-weltkrieg-verdient/
Die Russen kommen und kommen … bis nach Paris, Wolf Wetzel, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/07/28/die-russen-kommen-und-kommen-bis-nach-paris/
Der israelische Politiker Dr. Cassif über Israels Kurs in Richtung Faschismus, 2024: https://wolfwetzel.de/index.php/2024/11/15/der-israelische-politiker-dr-cassif-ueber-israels-kurs-in-richtung-faschismus/
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