Die Kriegsmaschinerie stoppen – Teil II

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Die Kriegsmaschinerie stoppen – Teil II

 In diesem zweiten Teil gehe ich den widersprüchlichen Analysen und Haltungen nach, die uns selbst zu schaffen machen. Dabei prallen zum Teil große biografische und analytische Unterschiede aufeinander, die sehr oft gar nicht genau erfasst, geschweige denn zusammen diskutiert werden. Im Zentrum steht die Frage, wie ein Protest aussehen soll, wann er etwas (nicht) bringt.

 Teil I findet sich hier: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/die-kriegsmaschinerie-stoppen/

 

Ein Freund sagte mir am letzten Samstag, dass ich mich mit meiner Beitragsserie beeilen müsse, damit alles noch vor dem Weltkrieg gelesen werden kann. Zwei Tage später überbieten sich Washington und Berlin dabei, ob US-Raketen (ATACMS) oder deutsche Raketen (Taurus) zuerst in Moskau einschlagen sollen.

Und die taz findet das alles totlustig:

 

Teil II

Die „schweigende Mehrheit“?

Wir sind nicht wenige, die die Regierungs- und Kriegspolitik in Deutschland kritisieren, aber auch die Kriegspolitik Israels in Gaza, die vor unseren Augen sich abspielende Auslöschung eines Stück bewohnter Erde.

Laut der bereits erwähnter Umfrage des Shell-Instituts 2024 haben über 80 Prozent der Jugendlichen (12-25-Jährige) Angst vor einem Krieg in Europa, also einem Weltkrieg:

Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die meisten der etwa 35.000 Menschen, die am 3. Oktober 2024 in Berlin gegen den Krieg und für einen Waffenstillstand demonstrierten, keine Jugendlichen waren. Woran liegt das?

Es kamen die Alten, die ewig Verdächtigen. Und diese eher Erfahrenen sind nicht mit dem guten Gefühl nach Hause gefahren: Jetzt wird es zu einer anderen „Zeitenwende“ kommen! Die Regierung hat Angst bekommen, sie hat unsre Argumente verstanden und wird Einsehen zeigen und fortan jeden Genozid, jedes Kriegsverbrechen (wo auch immer) mit ihren Möglichkeiten und Mitteln verhindern.

Ich lehne mich also nicht weit aus dem Fenster, wenn ich sage: 30.000 Menschen wussten, dass dies nichts, aber auch gar nichts an der Kriegspolitik der Bundesregierung ändern wird. Man ist sich der Hilflosigkeit bewusst. Man hat diese Ohnmacht schon ein paar Mal erlebt. Man wird sie nicht los.

Und sehr viele werden sich die Fragen stellen: Was muss passieren, damit unsere Forderungen erfüllt werden? Was müssen wir tun, dass dieser Vernichtungskrieg in Gaza gestoppt werden kann? Was müssen wir tun, dass die vielen Kriege nicht in einen Weltkrieg münden?

Was fürs Nichtstun spricht?

Wenn dennoch etwas passiert, dann gibt es einige sehr forsche Stimmen, die sofort wissen, dass das doch nichts bringt.

 

Ob das eine Waldbesetzung ist, um gegen ein Mega-Projekt (Tesla/Brandenburg) zu demonstrieren

 

oder um „Klimakleber“, die besonders viel Ablehnung erfahren. Vieles von dem wenigen, was gegen die gegenwärtige Regierungs- und Kriegspolitik gemacht wird, wird schnell als dämlich und sinnlos abgetan. Wenn man diese KritikerInnen jedoch fragt (was ich sehr oft tue), was sie richtig finden, was sie besser und anders machen, dann kommt Schweigen.

Nicht selten ist die Kritik dümmer als die bemängelte Aktion. Das billigste Argument ist, dass es „gekauft“ ist, was einem nicht passt. Dieses Argument ist nicht neu, sondern sehr gebraucht. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren stand sehr schnell der Vorwurf im Raum, dass es sich bei den „Krawallen“ und „Ausschreitungen“ um bezahlte „Provokateure“ gehandelt habe, die der Staat dafür bezahlt habe, den (guten/friedlichen) Protest zu diskreditieren. Dieser Vorwurf kam besonders laut von jenen, die für einen „friedlichen“ legalen Proteste eintraten, der meist mit dem Glauben verbunden war, man könne die politischen Parteien, die Regierungen von den „guten“ Argumenten überzeugen.

Aber gerade der Vorwurf, man sei gekauft, sei ein „Agent Provokateur“ sollte eine notwendige Diskussion darüber im Keim ersticken, was einen Protest wirksam macht, wie dieser aussehen kann und was dieser riskieren muss.

Die ehrliche Diskussion darüber, welche Erfolge der „friedliche“ Protest zu verzeichnen hat, inwiefern militante Aktionen geschadet haben, steht noch aus.

Und das ist heute mehr denn notwendig! Hilft dem Anliegen, sich alles gefallen zu lassen?

 

Hat es den Corona-Demonstrationen geholfen, alle polizeilichen und politischen Auflagen zu erfüllen? Hilft es dem guten Anliegen, sich verprügeln, sich festnehmen zu lassen, wenn man gegen einen Genozid auf die Straße geht? Hilft es dem ehrenwerten Anliegen, wenn man Veranstaltungs – und Auftrittsverbote und Veranstaltungssprengungen durch die Polizei wie anlässlich des Palästina-Kongresses in Berlin 2023 „geordnet“ hinnimmt?

Bringt doch nichts?

All diese Fragen sind zu stellen und wir müssen nach Antworten suchen. Vieles davon wird in Abgrenzung „diskutiert“, anstatt zusammen. Als Schutzwall dienen dabei alte Reflexe, die zwischen „gekauft“ und „bringt doch nichts“ chargieren.

So gehörte Greta Thunberg zu denen, die am meisten von irgendwem „gekauft“ wurde – von der ÖKO-Industrie, von milliardenschweren Philanthropen, von der rot-grün-gelben Ampelregierung, von der geheimen Weltregierung.

 

Dass diese Person in der Tat lange gehypt wurde, ist richtig. Aber man darf doch erwarten, dass man das nicht 1: 1 Greta Thunberg anlastet.

 

 

Dass der mit ihrem Bild geprägte Protest auch ökonomische Interessen anspricht, steht außer Frage. Denn der erwünschte Umbau der fossilen Industrie in Richtung regenerativer Wirtschaft findet im Kapitalismus statt – und nicht außerhalb! Dafür kann eine Greta Thunberg am aller wenigsten. Wie vordergründig und selbstgefällig oft Kritik daherkommt, kann man an der „Ikone“ Greta Thunberg gut nachzeichnen. Für nicht wenige war sie, aus sehr unterschiedlichen Gründen ein rotes Tuch. Dabei bewegte man sich selbst in dem Theater, das (in der Tat) um sie gemacht wurde. Denn ich kenne nicht viele, die die Umweltproblematik, das Thema Klima und Kapitalismus so klar und unmissverständlich auf den Punkt gebracht haben. Sie sagte sinngemäß:

Es gibt genug wissenschaftliches und technisches Wissen, um wirksam etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Wenn dies nicht in diesem System möglich ist, dann muss man ein anderes System wählen.

An diesem Satz, an diese Kenntnis sollte man sich erst einmal heranwagen, anstatt sich drum herum zu mogeln. Aber noch etwas ärgert mich an dieser oft vorschnellen und oberflächlichen Kritik der KlimaschutzaktivistInnen. Man unterstellt – ohne großes Wissen – dass es denen nur ums eigene Wohlergehen ginge, dass sie einen sehr engen Horizont hätten, über den sie nicht hinausschauen könnten.

Das lässt sich gerade an der Person Greta Thunberg zeigen. Seitdem sie sehr oft auf Palästina-Demonstrationen auftaucht, seitdem sie den Vernichtungskrieg in Gaza öffentlich kritisiert, ist sie in den Laufstallmedien sofort vom lieben Gesicht einer klima-gerechten Welt zum hässlichen Gesicht des Antisemitismus umgeschminkt worden.

Aber auch von jenen, die Greta Thunberg für gekauft und gesteuert hielten, hört man heute keine Entschuldigung, erfährt man keine Selbstreflektion.

Dass man darüber streiten darf und muss, ob die „Klimakleberei“ ein geeignetes Mittel ist, ob Kunstfarbe auf Gemälde in Museen der Sache dient, steht außer Frage. Wenn man dies im Wissen tut, was man selbst nicht besser macht, was man besser machen könnte, dann wären viele Abgrenzungen unnötig.

Protest, Widerstand ja, doch – aber nur, wenn es die Richtigen trifft

Dieser Einwurf ist wichtig, denn wer will mit einem gewissen Risiko die „Falschen“ treffen, also Unbeteiligte, BürgerInnen, Zufällige, die ganz sicher nicht für das verantwortlich sind, was mit dem Protest angeprangert werden soll.

Bei den Klimaschutzaktivisten wird diese Kritik ganz besonders lauf formuliert: Wenn sie sich auf Autobahnen oder große Verkehrsadern „kleben“ und damit für einen Verkehrsstau sorgen, dann träfen sie mit ihrer Aktion doch nur die „kleinen Leute“, die völlig Unbeteiligten.

Keine Frage hat diese Kritik etwas Richtiges im Auge. Man sollte mit welchem Proste auch immer diejenigen treffen, die man mit der Kritik meint. Aber denken dieselben, die diesen Maßstab anlegen, auch an ihr eigenes Tun? Wenn wir demonstrieren, dann erreichen wir – ganz materiell – bestenfalls die Autofahrer, die im Stau stehen. Bei den allermeisten Demonstrationen ist man meilenweit von jenen entfernt, die man treffen, stören, aus der Ruhe bringen will. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob man die Politik eines Großkonzerns kritisiert oder die Bundesregierung. Sie werden in aller Regel so vor Störungen geschützt, dass sie bestenfalls im Fernsehen etwas davon mitbekommen.

Sind deshalb Demonstrationen falsch? Sind sie gar kontraproduktiv, weil sie absehbar die Falschen treffen?

Wer also darauf besteht, dass Protest und Widerstand die „Richtigen“ treffen muss, muss diese Anforderung an alle richten. In der Regel wird genau dies nicht getan. Und genau deshalb ist sie nicht ehrlich, sondern vorgeschoben.

Was also Protest und Widerstand kann, hat auch sehr viel damit zu tun, was man sich zutraut, was in den Möglichkeiten der Handelnden liegt.

Wenn das Richtige auch die Falschen trifft.

Wenn man die materiellen Bedingungen für Widerstand übergeht und diesen für eine Unfähigkeit kritisiert, die man selbst als Selbstverständlichkeit hinnimmt, dann ist das nicht richtig, sondern bitter falsch.

In der Regel treffen wir die Falschen (ob mit Demonstrationen oder Kundgebungen) und müssen diese dafür gewinnen, dass sie das für das „Richtige“ in Kauf nehmen. Das wäre ein ehrlicher Maßstab.

Ich möchte dazu ein Beispiel anführen, das 2011 zu heftigen Diskussionen geführt hatte.

Am 23. Mai 2011 kam es in Berlin zu einer Sabotageaktion gegen eine Kabelbrücke. Eine Kabelbrücke ist eine oberirdische Kabelführung, die verschiedene Kabel bündelt: Stromkabel, Signalkabel, Telefonleitungen, Glasfaserkabel. Es kam zu Verspätungen im S- und Bahnverkehr. Ticketautomaten und Telefonverbindungen im Festnetz fielen aus. Manchenorts waren Handys ohne Netz. Viele, die in dieser Zeit davon betroffen waren, haben mit dem Ziel dieser Aktion nichts zu tun. Das einzige, was sie wahrnehmen (konnten), waren Störungen ihres eigenen Alltages.

Eine Gruppe namens „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ begründete diese Sabotageaktion mit der Rolle der Bahn AG beim Castortransport und bei der Verladung von Kriegsgütern. Von den Castortransporten im Wendland wussten einige, aber die Rolle der Bahn AG beim Verladen von Kriegsgütern war damals kein Thema. Heute könnte und sollte dies um ein Vielfaches präsenter sein, denn viele Waffen für die Ukraine Selenskis benutzen die Bahnschienen.

Ein paar Monate später kam es in Berlin abermals zu mehreren Anschlägen auf Kabelstränge, die in Betonschalen entlang des bahneignen Gleisbettes geführt werden. Eine Gruppe namens „Das Hekla-Empfangskommitee – Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen“ begründete ihre Aktion mit dem Krieg in Afghanistan, dem permanenten Kriegszustand woanders, der ohne deutsche Beteiligung nicht mehr auskommen will.

Die Gruppe wusste offensichtlich, was sie damit auch anrichtet bzw. auslöst, wen sie damit auch „erreicht“ hatten:

„Die Züge kommen nicht, das Handy schweigt, auch das Internet braucht heute sehr lange. Der Chef muss warten, ob er will oder nicht. Na und? Der Ministerialbeamte aus Bonn bleibt im ICE hängen. Gut so. Der Hausmeister kann nicht aufschließen. Ausgerechnet heute, wo die Konferenz beginnt. Shoppen gehen? Geld ausgeben? Nicht heute. Mit dem Auto kommst Du auch nirgendwo hin. ‚Nein, ich kann leider nicht… Gut. Dann morgen.‘ Vielleicht … Wir haben diese Metropole in einem bescheidenen Umfang in den Pausenmodus umgeschaltet.“

Eine wilde und kontroverse Debatte folgte. Als hätte die Gruppe geahnt, dass sich gerade auch jene äußern werden, die immer wieder sich und anderen sagen, dass etwas geschehen müsste, nur nicht so … wenden sich die Verursacher auf ungewöhnliche Weise direkt an sie:

Nimm es nicht persönlich. Vielleicht hältst Du es für anmaßend, dass wir diesen Eingriff in Deinen Alltag herbeigeführt haben. Sicher, Du hast recht – das ist anmaßend. Aber wie viel anmaßender wäre es, nicht gehandelt zu haben? Und dem Treiben weiter zuzuschauen? Oder zu resignieren, sich kaputt zu saufen oder alles in sich reinzufressen? Oder zynisch zu werden? Oder in Depression zu versinken? Oder das gierige Spiel mitzuspielen? Oder? Aussteigen geht nicht.

Ich möchte eine weitere Reaktion herausgreifen, da sie sicher auch für heute und morgen hilfreich ist. Diese hat Ulla Jelpke mit ihrer Stellungnahme vom 13.10.2011 verfasst. Ich schätze diese Politikerin der LINKEN, denn sie hat den Antifaschismus nie für ein taktisches Spielchen gehalten, wie dies die LINKE Jahre später bis zur Farce trieb. Sie bringt vielmehr das Dilemma, den Streitpunkt auf einen sehr bedeutsamen Punkt:

„Die im Bekennerschreiben genannten Ziele der Gruppe sind durchaus richtig. Sie protestiert gegen Kriege von deutschem Boden aus und Waffenlieferungen in alle Welt; sie protestiert gegen die Ausplünderung anderer Kontinente und die Verarmung großer Teile der Bevölkerung – auch hierzulande; sie wendet sich gegen den alltäglichen Leistungsdruck, der Menschen kaputt und krank macht. Doch die Wahl der Mittel ist falsch. Und sie ist kontraproduktiv. Sie ist die Vorlage für die politische Rechte … Den Bundeswehreinsatz in Afghanistan können wir nur mit einer Massenbewegung beenden. Sabotageaktionen zu Lasten der Bevölkerung erweisen diesem Ziel einen Bärendienst. Darum: Lasst uns Sand im Getriebe der Kriegspolitik sein – massenhaft!“ (jW vom 13.10.2011)

Ich schätze Ulla Jelpke für ihr unbeugsames Engagement, aber auch für diese klare Stellungnahme, die es ermöglicht, darüber zu reden.

Es sind jetzt über zehn Jahre vergangen. Wer wurde an dem gehindert, was Ulla Jelpke favorisiert? Wer hat verhindert, dass „Sand in das Getriebe der Kriegspolitik“ gestreut wird? Warum kam es in den zehn zurückliegenden Jahren nicht zu einer Massenbewegung?

Ich bin mir ganz sicher, dass dies nicht an diesen Sabotageaktionen lag. Und genau hier fängt der Dissens an: Ich bin fest davon überzeugt, dass es – schon sehr lang – falsch ist, Massenbewegungen gegen militante Aktionen auszuspielen.

Das gilt vor allem dann, wenn man berücksichtigt, dass noch kein Welt-Krieg mit Hilfe von „Massenbewegungen“ verhindert wurde. Das gilt erst recht, wenn man an die Millionen von Menschen erinnert, die sich vor 1914 gegen den drohenden Weltkrieg gestemmt hatten. Aber auch an die Millionen Kriegsgegnerinnen, die den Zweiten Weltkrieg verhindern wollten.

An diesen Erfahrungen sollte man nicht vorbeireden. Dabei hilft auch nicht der sehr be/dürftige Verweis darauf, dass solche Aktionen eine „Vorlage für die politische Rechte“ seien. Auch das hat wenig mit einer historischen Analyse zu tun, sondern um einiges mehr mit Affekten, die man bewusstlos bedienen will.

Dass diese angenommene Zwangsläufigkeit keiner geschichtlichen Betrachtung Stand hält, sondern einer Wesenhaftigkeit das Wort redet, und damit (ungewollt) die Geschichte erfolgreicher Widerstände auslöscht, sollte erwähnt werden.

 

 

Die Anti-AKW-Kämpfe in den 1970er und 1980er Jahren waren nicht deshalb erfolgreich, weil man „zivilen“, massenhaften Widerstand gegen militanten Widerstand ausgespielt hatte, sondern weil sie nur miteinander wirksam werden konnten.

 

 

 

 

Das gilt auch für den „Startbahn-West Widerstand“ gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens.

Die konkrete Erfahrung, dass Info-Veranstaltungen, BürgerInnenversammlungen, Flugblätter, ein sonntäglicher Kuchenstand, ein Volksbegehren, die Blockade des Frankfurter Flughafens und die vielen Sabotageaktionen gegen die Startbahn West (gegen die Mauer, Lichtmasten und Baufahrzeuge u.v.a.m.) nicht gegeneinander standen, sondern zusammenfanden, sind Erfahrungen (weit über den Frankfurter Flughafen hinaus), die ganz und gar der Behauptung widersprechen, dass solche Aktionen eine „Vorlage für die politische Rechte“ bieten. Im Gegenteil.

 

„Dem Volk gefallen Revoluzzer, aber bitte nicht zu Hause“

Diese Aktionen haben damals hitzige Debatten, an vielen Orten, mit unterschiedlichen politischen Hintergründen ausgelöst. Denn es geht bei der Frage um Protest und Widerstand immer auch ums eigene Wohl(ergehen). Was will ich aufs Spiel setzen? Womit finde ich mich letztendlich ab? Gibt es nicht nur bei den anderen Widersprüche, sondern auch bei einem selbst?

Dabei fiel ein Beitrag in der taz vom 12.10.2011 aus dem Rahmen. Denn er stützte sich nicht auf die anderen (die alles falsch machen), sondern auf sein eigenes soziales und politisches Umfeld. Wie sieht eine solche Binnenwelt aus? Der taz-Redakteur für soziale Bewegungen Martin Kaul beschreibt dabei ein Milieu, das nicht nur die taz-Leserinnen erfasst, sondern auch viele Milieus drum herum. Ich würde sagen, dass viele dieser Beschreibungen auch heute um uns herum und bei uns selbst zu finden sind:

„Dem Volk gefallen Revoluzzer, aber bitte nicht zu Hause – Aufstand? Schön und gut! Ich gebe zu: Ich gehöre auch zu jenen Sangesbrüdern, die diese Republik noch in die letzte Depression begleiten werden. Auf Partys hören ich und meinesgleichen bevorzugt ‚Ton, Steine, Scherben‘. Wir grölen ab dem ersten Bier schon ‚Macht kaputt, was Euch kaputt macht‘. (…) Der arabische Frühling – kein Problem mit der Bewaffnung der Aufständischen. In Griechenland – da lässt sich das Volk nichts mehr gefallen. Die Riots in Großbritannien – natürlich definitiv ‚Ausdruck einer sozialen Schieflage‘. Und dann Spanien, Portugal und Israel, jetzt auch die USA – wir sagen uns: Da ist was los. Wir fragen uns: Wieso bei uns nicht? Und dann nörgeln wir über Attac, weil die nix hinkriegen.

(…) ‚Empört Euch!‘ schrieb Stéphane Hessel, französischer Résistance-Kämpfer im Rentenalter. Und Deutschland war empört, dass sich hier niemand recht empörte. Doch das hat System: Denn eine Paradoxie trennt hierzulande die Theorie von der Praxis. Solange nur gelabert wird, sind alle gerne mal für Revolten, selbst die Dandys aus der Spielwarenabteilung der FAZ. (…) In der jüngeren Vergangenheit sind Aufständische in Deutschland netterweise eher dadurch aufgefallen, sich – wie nun wieder bei den Bankenprotesten am Samstag in Frankfurt – ihre Besetzungen (…) behördlich genehmigen zu lassen, als dafür, Menschen zu gefährden. (…)

Natürlich: ‚Intelligent‘ war das nicht, was die ‚Idioten‘ in Berlin da trieben (…) ‚nicht praxistauglich‘, ‚nicht vermittelbar‘. (…) Wir Welterklärer und Versteherinnen – warum gefällt uns die Revolte immer nur abstrakt und ganz woanders? Wie soll er denn dann, bitte, sein, der schöne Aufstand? Einfach nur schön wahrscheinlich. Und ohne aufstehen.“

Wolf Wetzel

 

Publiziert im Magazin Overton am 19.11.2024: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/kriegsmaschinerie-wie-stoppen/

 

Kriegsmaschinerie: Wie stoppen?

Wolf Wetzel

Quellen und Hinweise:

Greta und die Vermummte, Wolf Wetzel, 2019: https://www.nachdenkseiten.de/?p=54203

Protest – Widerstand – oder was … ist richtig/falsch? Wolf Wetzel, 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/protest-widerstand-oder-was-ist-richtig-oder-falsch/

Dem Volk gefallen Revoluzzer, aber bitte nicht zu Hause, Martin Kaul, taz vom 12.10.2011

Die tödlichen Schüsse an der Startbahn West am 2.11.1987 und die sehr junggebliebenen Fragen, Wolf Wetzel, 2023: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/11/02/die-toedlichen-schuesse-an-der-startbahn-west-am-2-11-1987-und-die-sehr-junggebliebenen-fragen/

 

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