Wer deckt was (auf und zu)?
Am 27.12.2023 wurde im Magazin Overton der Beitrag „Die zwei Gesichter des Abed Hassan“ von Hans-Dieter Rieveler veröffentlicht.
Darin bezichtigt der Autor den Deutsch-Palästinenser Abed Hassan, der von TV-Sendern als „deutsche Stimme aus Gaza“ präsentiert wird, dass er uns sein wahres, hässliches Gesicht, das des “modernen Antisemitismus”, nicht zeigt. Ich möchte dieser „Gesichtserkennung“ widersprechen.
Als ich die Kommentare dazu gelesen hatte, war ich zuerst ein wenig beruhigt, denn die meisten teilten diese Art der Enthüllung nicht. Mehr noch: Einige verstanden nicht, warum das im Magazin Overton erscheint, denn für Mainstream-Kost würden diese Leser nicht Overton lesen.
In meinem ersten Zorn war ich bei ihnen. Und dann dachte ich mir, dass es doch ganz sinnvoll ist, an einem scheinbar nur nachfragenden Text Methode und Werkzeuge einer Analyse herauszuarbeiten.
Welche Hintergründe blendet er aus, welche will er ausgemacht haben?
Aus wieviel Suggestion und Anspielungen besteht der Text bzw. was bringt er handfestes gegen Abed Hassan vor? Wo begründet der Autor etwas auf nachvollziehbare Weise? Und wo setzt er hingegen auf Affekte?
Dieser Text ist also in der Hoffnung geschrieben, dass es uns (als Autoren und Leser) um mehr als um ein knappes „Für“ und Wider“ gehen sollte, das sich dann genauso schnell einer überprüfbaren Begründung entzieht.
Gerade bei dem Vorwurf, das oder jenes sei antisemitisch, ist diese Reaktion geradezu vorprogrammiert. Die einen nicken sofort und die Sache bzw. die Person ist erledigt, nicht diskutabel. Oder man kann den Vorwurf des Antisemitismus nicht mehr hören und hält das alles für eine reine Erfindung.
Damit geht zweierlei verloren: Zum einen die Wichtigkeit, tatsächlich gegen antisemitische Denkweisen zu kämpfen. Zum anderen muss man genau den Vorwurf der Instrumentalisierung begründen, was voraussetzt, für sich selbst genau zu benennen, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Das ist ganz und gar nicht beliebig.
Vielleicht lernen wir dabei auch zusammen, dass wir selbst sehr schnell dabei sind, Affekte mit Gegen-Affekten zu beantworten.
Was macht uns Abed Hassan vor?
Was will uns Hans-Dieter Rieveler, der ab und an auch für das Magazin Telepolis schreibt, beweisen? Vor welchem Reinfall will er uns warnen?
Das erste Gesicht von Abed Hassan könnten wir seiner Meinung nach schnell vergessen. Ein Palästinenser aus Berlin, der kurz vor dem 7. Oktober 2023 zusammen mit seiner Mutter Verwandte in Gaza besuchte, und so ungewollt den israelischen Einmarsch miterlebte und seitdem darüber mit viel „Gefühligkeit“ berichtet.
In den TV-Sendern könne man Abed Hassan als „friedliebend, emotional und politisch unbedarft“ erleben. Doch damit täusche er uns nur ganz gewaltig. Hans-Dieter Rieveler will uns folglich sein zweites, also wahres Gesicht zeigen. Das Gesicht des „modernen Antisemitismus“.
Dass TV-Sender wie ARD, ZDF, Arte und RTL nichts mitbekommen haben, obwohl sie zusammen und bis zur Eintönigkeit die deutsche Staatsraison, also die „bedingungslose Solidarität mit den Staat Israel“ üben, sollte stutzig machen. Nur Hans-Dieter Rieveler fiel das auf?
Hans-Dieter Rieveler meint, bei Abed Hassan den „modernen Antisemitismus“ entdeckt zu haben. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Dabei fällt zu aller erst auf, dass er diesen Begriff nicht definiert, nicht eingrenzt. Er weiß um die die verschiedenen Begrifflichkeiten: Da ist vom antijudaistischen/christlichen Antisemitismus die Rede, vom „sekundären Antisemitismus“ (der die Zeit nach der Shoa meint). Dann haben wir noch den „strukturellen Antisemitismus“ bis hin zum zurzeit sehr modernen „Israel bezogenen Antisemitismus“.
Wenn man Abed Hassan einen so schweren Vorwurf macht, sollte man nicht in der Beliebigkeit verweilen.
Die Begrifflichkeit „Antisemitismus“ ist (eigentlich) kein Multifunktionswerkzeug
Die antisemitische Ideologie wird von mehreren ganz zentralen Grundannahmen markiert:
- Der „Jude“ ist nach außen hin nett, freundlich und unauffällig. Der Antisemitismus enttarnt ihn, reißt ihm die Maske vom Gesicht und zeigt uns allen sein wahres, also böses Gesicht.
- Der „Jude“ stellt sich den Naiven und Sorglosen als einflusslos, hilflos vor, als Opfer der Umstände. Der Antisemitismus lässt sich auch davon nicht blenden und überführt ihn als geheimes Mitglied einer omnipotenten Organisation, die sich alles unter den Nagel reißt.
- Der Antisemitismus hat nicht nur eine personale Seite. Seine große Bedeutung bekommt er dadurch, dass er behauptet, uns die Welt zu erklären, indem er Verblendungszusammenhänge durchschaut, indem er die wirklich Schuldigen ausfindig macht.
- Der Antisemitismus funktioniert genau in dieser Paradoxie: Er behauptet, den Schein zu durchschauen, zum Schein.
- Der Antisemitismus bietet uns Schuldige, die Juden an, um die wirklich Mächtigen zu schützen.
Wenn man sich die Techniken vergegenwärtigt, die dabei verwendet werden, kann man erahnen, was der ausgezeichnete Kabarettist Hagen Rether damit gemeint hat:
Der Antiislamismus ist der Antisemitismus der „aufgeklärten“ Mittelschicht.
Was treibt Hans-Dieter Rieveler an, auf einen Deutsch-Palästinenser so einzuschlagen?
Abed Hassan dokumentierte das Leid in Gaza, nicht aus der Ferne, sondern vor Ort, also dort, wo eigentlich niemand mehr berichten soll – außer der israelischen Armee, die man meist als Quelle der Berichterstattung der deutschen Laufstallmedien benutzt.
Ist das der eigentliche Grund, dass Abed Hassan Bilder aus Gaza zeigt, die es nicht geben soll? Kann sich Hans-Dieter Rieveler also nicht mehr auf die israelische Zensur (mit über 40 ermordeten Journalisten in Gaza) verlassen und auch nicht mehr auf den öffentlich-rechtlichen Meinungsfriedhof in Deutschland?
Spürt Hans-Dieter Rieveler unterschwellig, dass das mediale Containment nicht mehr ein Komplize ist, weil es Tausenden von Handyaufnahmen und Berichten gibt, die ihn und seine schwerwiegenden Vorwürfe nicht mehr decken?
Bilder und Ereignisse, die belegen, dass die israelische Armee einen Massenmord durchführt, über dessen historischen Einordnung (Völkermord/Genozid) gar nicht gestritten werden muss, wenn man die Eindrücke an sich heranlässt.
Stört Hans-Dieter Rieveler vor allem an „Hassan“, dass auch seine Berichte dazu beitragen werden, dass das Phantasma von der „einzigen Demokratie“ im Nahen Osten, von der „moralischsten Armee“ der Welt in sich zusammenbricht? Ein Phantasma, das Hans-Dieter Rieveler mehr braucht, als die meisten Israelis, die immer noch den Krieg in Gaza für einen Akt der „Selbstverteidigung“ halten?
Stört Hans-Dieter Rieveler an „Hassan“, dass er und viele andere, die im Mainstream totgeschwiegen werden, im Weg stehen, wenn Hans-Dieter Rieveler darauf bestehen will, dass der Vorwurf eines Genozids unter die Abdeckplane des „modernen Antisemitismus“ gehört?
Kommt „Hassan“ dem Herrn Hans-Dieter Rieveler in die Quere, wenn er im Schatten einer „Staatsraison“ segelt, die nicht dem Gedenken an den Holocaust dient, sondern der Unterstützung von Staatsterrorismus und Kriegsverbrechen?
Ich lasse diese Fragen nicht offen – ich werde sie beantworten.
Hans-Dieter Rieveler legt sich den „Hassan“ zurecht
Das „erste Gesicht“ von Abed Hassan, das der Autor Hans-Dieter Rieveler ausgemacht haben will, sei „friedliebend, emotional und politisch unbedarft“. Man kann auch sagen, Hans-Dieter Rieveler ist bereits hier als Stylist unterwegs. Denn er selbst zitiert Abed Hassan in seinem Beitrag mehrmals:
„Es geht mir nicht um den Ort an sich. Es geht mir gar nicht um ein Stück Land, das interessiert mich gar nicht. Ich mag keinen Nationalismus. Mir geht es um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit und Gerechtigkeit.“
„Jedes Vergehen an Zivilisten ist unakzeptabel, unakzeptabel. Und das ist eine rote Linie und die darf man nicht überschreiten.“ Und (…)
„Wenn mir jemand ein Unrecht tut, heißt das nicht, dass ich ihm auch Unrecht tun kann. Unrecht wird nicht mit Unrecht bekämpft.“
Wenn er also um diese Aussagen weiß, dann ist es doch besonders haltlos, über Abed Hassans angebliche politische Unbedarftheit zu spotten.
Wenn ich diese Stellungnahmen lese, dann kann ich nur sagen, dass sie alles andere als unpolitisch sind. Sie sind doch eher ein Beleg dafür, dass sie sich der Ein- und Zuordnung in Pro-Israel versus Pro-Hamas verweigern.
In diesem tödlichen Konflikt nicht die „nationale Karte“ zu zücken, ist ebenfalls eine hochpolitische Haltung – in Israel und in Palästina.
Nicht minder politisch und mutig ist seine Feststellung, dass jede/r Zivilist/in, wo auch immer auf der Welt, kein Kriegsziel sein kann. Das macht es erst möglich, die Geisel in Händen der Hamas und die Geisel in israelischen Gefängnissen (unter Administrativhaft) zu thematisieren und dabei ein extrem hoher Gut zu verteidigen: Es gibt kein Krieg, kein Leid, das die Ermordung von Zivilisten als „Kollateralschaden“ rechtfertigt.
Dass nicht einmal dies „die rote Linie“ des Autors Hans-Dieter Rieveler markiert, ist bedrückend und weniger als eine „strittige Meinung“. Er stellt die „Frage“:
„Doch warum hielten sich in der zweiten Oktoberhälfte überhaupt noch so viele Menschen in ihren Wohnungen im Norden des Gazastreifens auf, nachdem Israel wiederholt alle Bewohner von Gaza-Stadt aufgefordert hatte, sich in sichere Gebiete im Süden zu begeben?“
Die „Frage“ will nicht mehr als die Antwort in den Mund des Lesers legen:
Wer eine so großzügige und nachsichtige Geste der israelischen Armee missachtet, der ist selbst schuld.
Vor dem 7. Oktober 2023 gibt es nichts.
Wenn es nach dem Autor Hans-Dieter Rieveler geht, dann gibt es keinen 6. Oktober, kein Jahr davor. Von 1967 und 1948 ganz zu schweigen. Alles fängt mit dem 7. Oktober an.
Das ist das sehr bekannte Narrativ in deutschen Laufstallmedien. Das Prinzip der Dekontextualisierung ist sicherlich auch Hans-Dieter Rieveler bekannt.
Für die Menschen in Gaza und in den besetzten Gebieten ist fast jeder Tag von Mord, Vertreibung und Zerstörung geprägt. Kann man von einem Autor, der sich so kundig in der Geschichte Israels auskennt, erwarten, dass er das mit in den Blick nimmt? Ja.
Aber selbst wenn er erst den 7. Oktober 2023 zum Ausgangspunkt erklärt, so ist seine Betrachtungsweise wissentlich auslassend und unterschlagend.
Das „9/11“ in Israel als Montageleistung
Nach dem Willen des Autors gab es am 7. Oktober 2023 nur eines: Ein Massaker an der Zivilbevölkerung und die Geiselnahme von Zivilisten aus Israel. Das müsse der Mann „mit den zwei Gesichtern“ doch erwähnen, möglichst als Vor-und Schlusswort, bevor es ihm erlaubt ist, noch etwas Anderes zu sagen. Dass die Ereignisse am 7. Oktober 2023 wie mit einer Plätzchenform ausgestochen werden, ist mittlerweile gut belegt.
Denn tatsächlich ist vielfach – auch aus israelischen Quellen – belegt und nachzeichenbar, dass an diesem einen Tag drei Ereignisse gleichzeitig stattfanden:
- Erstens fand ein völlig legitimer Ausbruch aus dem „Freiluftgefängnis“ Gaza statt. Auch wenn Hans-Dieter Rieveler diese seit Jahrzehnten aufrechterhaltene völkerrechtswidrige Besetzung von palästinensischen Gebieten abgehakt, also erst gar nicht erwähnt, ändert das nichts an dem Besatzungsstatus und dem Recht, sich auch bewaffnet gegen die Besatzungsmacht zu wehren. Das weiß auch Hans-Dieter Rieveler! Warum unterschlägt er das?
- Zweitens gab es Massaker in israelischen Ortschaften und die Geiselnahme von Zivilisten, die dann nach Gaza verschleppt wurden.
- Und drittens gab es viele Tote, die auf das Konto der israelischen Armee gehen.
Bei Hans-Dieter Rieveler – im Gleichschritt mir den Laufstallmedien – schrumpft der 7. Oktober 2023 auf eine blutrünstige Tat von „Hamas-Terroristen“.
Hans-Dieter Rieveler verlangt Gefolgschaft für seine Version. Man könnte eigentlich Abed Hassan zugutehalten, dass er sich da raushält. Er konzentriert sich in seinen TV-Berichten auf die Lebensbedingungen in Gaza, auf das, was das „Selbstverteidigungsrecht“ Israels auf palästinensischem Boden macht, was es für Bevölkerung bedeutet.
Also will er „beweisen“, warum Abed Hassan zu Israel, zur Besatzung, zu Hamas, zum bewaffneten Widerstand wenig/nichts sagt. Dabei verweist der Autor Hans-Dieter Rieveler vielsagend darauf, dass er zum Beispiel Hamas in seinen Berichten nicht erwähnt. Was ist das für ein „Beweis“? Er führt ihn nicht aus und setzt stattdessen eine Andeutung oben drauf: Er sei in einer „Mission“ unterwegs. Ah ha, na klar, jetzt wissen alle Bescheid?
Das erinnert sehr an die Hexengerichtsbarkeit: Man wirft den Angeklagten ins Wasser. Wenn er ertrinkt, dann sind alle Anschuldigungen wahr. Und wenn er schwimmen kann, dann steht er mit dem Teufel im Bunde und stirbt erst recht.
Hans-Dieter Rieveler wirft dem „Angeklagten“ Abed Hassan nicht nur vor, dass er das Wort „Hamas“ nicht verwendet. Er hält ihm auch vor, dass „Israel“ nicht oder zu wenig in seinen Berichten vorkommt. Wie jetzt: Wenn er „Hamas“ nicht erwähnt, dann ist er ein verkappter Sympathisant. Wenn er Israel nicht erwähnt, dann ist er …
Offensichtlich schwant dem Autor Hans-Dieter Rieveler, dass die schwindelige „Beweisführung“ extrem dünn ist. Wie kriege ich also das „zweite Gesicht“ hin, das sich nur dem Autor offenbart?
Wenn es schon nicht klappt, ihn als Hamas-Anhänger zu denunzieren, dann muss eben der Hinweis reichen, dass er Palästinenser ist. Was qualifiziert einen Palästinenser, was einen Deutschen (zu was)?
Dann holt der Autor doch noch zum großen Schlag aus. Er trägt zusammen, was Abed Hassan außerhalb der TV-Auftritte gesagt haben soll:
„Dann fährt Hassan das ganze Arsenal des modernen Antisemitismus auf: ‚Apartheid und damit Hochmut ist das größte Verbrechen der Menschheit‘. Hochmut äußere sich in purer Menschenverachtung und resultiere in ‚unkontrollierten Massakern‘. Wir seien Zeugen eines Systems, ‚welches eine Volksgruppe als Auserwählte sieht, während die anderen niedergeschmettert werden‘. Das unaussprechliche Israel sei ein Staat, ‚der Palästinenser wie Tiere behandelt sie vertreibt, sie ermordet und sie gesetzlich diskriminiert. Ein Staat der wenn die Welt nicht zuschauen würde nicht zögern würde alle Palästinenser auf einen Blick auszurotten. Ein Staat der das Leiden der Juden in Europa dafür ausgenutzt hat seine Massaker gegenüber den Muslimen zu rechtfertigen‘.“
Na also. Jetzt ist also alles klar. Bei der Anklage braucht man nun wirklich keinen Angeklagten mehr, schon gar nicht seine Stellungnahme. Dass man als Autor, bei einem solch schwerwiegenden Vorwurf, den Beschuldigten fragt, ist offensichtlich kleingeistig, obgleich er an anderer Stelle wissen will, dass in Gaza zu Beginn der israelischen Militäroffensive nicht 600, sondern 500 BewohnerInnen ermordet wurden.
Diese „Beweisführung“ ist niederschmetternd. Denn er beachtet nicht einmal dabei, ob all dies ein Mensch aus Deutschland sagt oder jemand, der seine Familie in Gaza hat! Das ist kein kleiner, sondern ein essentieller Unterschied.
Ich gehe zu seinen Gunsten davon aus, dass er genug darüber weiß, wie knetbar der Begriff „moderner Antisemitismus“ ist. Ich würde von einem, der kritisch gegenüber allen Staatsmedien ist, erwarten, dass er sich mit dieser wachsweichen Begrifflichkeit auseinandersetzt.
So verwandt, erklärt der Autor nicht, sondern verdeckt etwas: Es geht darum, die Kritik an der israelischen Staatsregierung als Antisemitismus zu denunzieren, anstatt sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Denn wirklich bodenlos ist, wenn den Vorwurf gegenüber der israelischen Staatsführung, sie behandele Palästinenser wie Tiere, deren Mitglieder öffentlich die Auslöschung von Gaza, die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza fordern, mit Antisemitismus gleichgesetzt wird.
Wie haarsträubend genau dieses Vorgehen ist, zeigen nicht nur die Vernichtungsfantasien führender israelischer Politiker, sondern auch das, was diesen Worten seit Wochen und Monaten folgt.
Und ich gehe in gutem Glauben ebenfalls davon aus, dass der Autor Moshe Zuckermann aus Tel Aviv kennt, der sich immer wieder dagegen wehrt, den Antisemitismusvorwurf als Abdeckplane für begangene Staatsverbrechen zu benutzen. Gerade mit Blick auf das Leben in Gaza und in den besetzten Gebieten hält er sehr eindrücklich fest, dass die PalästinenserInnen keinen Antisemitismus brauchen, um Hass auf die Juden zu haben:
„Brutalität und ihre Bestialität (haben) aber nichts mit Antisemitismus per se zu tun (…) Das, was man Israel bezogen Antisemitismus nennt, ist ja nichts anderes als das Resultat des Konfliktes, den es zwischen Arabern und Juden schon seit über 100 Jahren gibt (…) es gibt seit 100 Jahren einen Hass bzw. eine Gegnerschaft, die auch hasserfüllt ist, die in bestimmten Situationen dann zum Schlimmsten führt. Dafür muss man nicht antisemitisch sein.“
Das heißt also, dass das, was man mit „modernem Antisemitismus“ bzw. mit „Israel bezogenen Antisemitismus“ zu brandmarken sucht, bekämpft nicht den Judenhass, sondern bekämpft die reale Geschichte dieses Konfliktes.
Denn die Palästinenser brauchen sich keinen imaginären Feind zuzulegen, den man im Antisemitismus in der Gestalt des Juden findet. Während der Antisemitismus den omnipotenten Feind erfindet, also von den wirklichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen ablenkt, leben die PalästinenserInnnen (in den besetzten Gebieten) mit einer realen Feind, dem Staat Israel, der ihr Leben fast vollständig in der Hand hat.
Made in Germany
Der Autor Hans-Dieter Rieveler schreibt ja ab und an auch für das Magazin Telepolis. Dann ist ihm sicherlich nicht die dort abgedruckte Rede der Palästina-Diplomatin Nada Tarbush bei einem Treffen der Vertragsstaaten der UNO-Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (CCW) entgangen. Dabei geht sie u.a. auf die ständige Behauptung eines religiösen Konfliktes ein, den man dann mit dem Vorwurf des Antisemitismus überkronen kann.
Dazu sagte sie folgendes:
„Und zu der absurden Behauptung Israels, die Palästinenser hätten ein Problem mit Menschen jüdischen Glaubens und erweckten den Eindruck, es handele sich um einen religiösen Konflikt, möchten wir laut und deutlich sagen, dass es hier nicht um Religion geht und auch nie gegangen ist.
Wären die Besatzer unseres Landes oder die Verletzer unserer Rechte Moslems, Christen, Buddhisten, Hindus, Atheisten oder von irgendeinem anderen Glauben gewesen, hätten wir sie genauso angeprangert. Palästina war immer multirassisch, multiethnisch und multireligiös. Menschen jüdischen Glaubens haben im historischen Palästina jahrhundertelang als Palästinenser gelebt.
Wir betrachten sie als unsere Brüder und Schwestern. Und da die Erinnerung an den Holocaust beschworen wurde, lassen Sie uns auch laut und deutlich sagen, dass wir sowohl mit den Opfern als auch mit den Überlebenden des Holocaust größte Solidarität empfinden. Es waren nicht die Palästinenser, die diesen schrecklichen Völkermord begangen haben, sondern es waren faschistische Kräfte, die aus Europa kamen.“
Für mich in Deutschland Lebender wäre es mehr als redlich, sich mit dieser eindeutigen Haltung auseinanderzusetzen, anstatt den Antisemitismus-Vorwurf wie einen Exportschlager zu vermarkten.
Wolf Wetzel | 4.1.2024
Publiziert im Magazin Overton am 4.1.2024: https://overton-magazin.de/top-story/wer-deckt-was-auf-und-zu/
Quellen und Hinweise:
Die zwei Gesichter des Abed Hassan, Hans-Dieter Rieveler, 2023: https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/die-zwei-gesichter-des-abed-hassan/
Der eliminatorische Nationalismus, Wolf Wetzel, 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-eliminatorische-nationalismus/
Worüber wir nichts hören (sollen), von Jonathan Cook, 2023: https://www.hintergrund.de/globales/kriege/worueber-wir-nichts-hoeren-sollen/
Virale Rede: “Israel hat etwas gesagt, das Sie alle erschaudern lassen sollte”, Nada Tarbush, 2023: https://www.telepolis.de/features/Virale-Rede-Israel-hat-etwas-gesagt-das-Sie-alle-erschaudern-lassen-sollte-9578444.html?seite=all
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