Das Schwein, die Stadtherren und der Sondermüll | 3. Akt | Plus Zugabe

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Das Schwein, die Stadtherren und der Sondermüll                                       3. Akt

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Was hält die städtische Allianz von CDU, SPD bis ÖkoLinX beim Verbotsreigen des Waters Konzertes in Frankfurt zusammen? Verteidigt sie die Demokratie oder ihre zunehmende Demontage, die einem diktatorischen Regime näherkommt, als jemals zuvor?

Im ersten Akt (“Das Schwein-e-System) habe ich über die stadt- und landespolitischen Absichten geschrieben, ein Konzert von Roger Waters im Mai in Frankfurt zu verbieten. Wichtig war mir dabei, dem Vorwurf des Antisemitismus auf den Grund zu gehen. Man kann den Vorwurf lächerlich finden, aber man muss auch erklären, was tatsächlich Antisemitismus ist, um der Gegenseite dieses Schlagwerkzeug aus der Hand zu nehmen. Es geht um eine eigene, gemeinsame Theoriebildung, Boden unter den Füssen zu bekommen.

Im zweiten Akt (Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll) habe ich eine Petition gegen das Konzert-Verbot zum Anlass genommen, der Frage nachzugehen, was die Landesregierung macht, wenn es wirklich um Antisemitismus geht, wie im Fall des NSU, dem Mord an Walter Lübcke und dem NSU 2.0 in Polizeikreisen.

In diesem dritten Akt möchte die neueste aktuelle Entwicklung nachzeichnen und den nächsten Schritt gehen:

Was hält die städtische Allianz von CDU, über SPD bis ÖkoLinX zusammen? Der Kampf gegen Antisemitismus oder die Verteidigung von Herrschaftsverhältnissen, die sich zunehmend dem nähern, was sich mit Antisemitismus hervorragend vereinbaren ließ?

Verteidigt sie die Demokratie oder die ihre zunehmende Demontage, die einem diktatorischen Regime näherkommt, als jemals zuvor?

Ausgangspunkt

Der Pink-Floyd-Mitbegründers Roger Waters will unter anderem am 28. Mai 2023 ein Konzert in der Festhalle auf dem Frankfurter Messegelände geben. Eigentlich mögen alle Pink Floyd. Diese Band gehört schon fast zum Weltkulturerbe.

 

Wäre da nicht das fliegende Schwein, das unter anderem mit einem Davidstern versehen ist.

 

 

Es finden sich dort Dutzende von wechselnden Motiven und Sprüchen, die  von Rogers Waters selbst und seiner Crew angebracht wurden. Dass der Verweis auf das eine Schwein nur die Affekte bedienen soll, war ebenfalls sehr schnell nicht mehr zu verbergen:

Waters selbst kritisiert die israelische Staatsregierung, unterstützt einen Boykott und … jetzt läuft das Fass über … kritisiert die Kriegspolitik an der Seite eines Selenskyj-Staates.

Waters legte Widerspruch gegen diese Selbstherrlichkeit ein und wollte dies dort klären lassen, wo es zumindest noch die Möglichkeit gibt, den Vorwürfen zu entgegnen. Vor Gericht.

Wenig später musste man zur Kenntnis nehmen, dass die Herr*innen von Stadt und Land gar nichts erklären wollen, schon gar nicht in der öffentlichen Debatte begründen wollen und können. Obwohl sie die juristischen Schwierigkeiten kennen, sprechen sie das Verbot für diese Veranstaltung aus.

Roger Waters hat nicht gegen die Messe geklagt, sondern gegen die politischen Einpeitscher, gegen die Stadt Frankfurt und gegen die hessische Landesregierung.

Am 24. April 2023 fällte das Verwaltungsgericht Frankfurt einen Beschluss. Er ist im juristischen Sinne ein wenig tröstlich, im politischen Kontext eine Unverschämtheit. Zuerst die gute Nachricht: Das Verwaltungsgericht verpflichtet die Beklagten dazu, das „Roger Waters 2023 Konzert“ am 28.05.2023 in der Frankfurter Festhalle zu ermöglichen.

Die Begründung ist hingegen beschämend, voller vorsätzlicher Dummheit und Komplizenstatus:

„Zwar bediene sich der Antragsteller im Rahmen seiner Bühnenshow offenkundig einer an die nationalsozialistische Herrschaft angelehnten Symbolik. Gerade vor dem historischen Hintergrund der Festhalle möge die Bühnenshow daher als besonders geschmacklos zu bewerten sein. Eine solche Bewertung entziehe sich jedoch der verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung. Entscheidend sei allein, dass der Auftritt des Antragstellers in seiner Gesamtschau nicht den Schluss zulasse, dass der Antragsteller nationalsozialistische Gräueltaten verherrliche oder relativiere oder sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziere.“

Es gehört nicht viel Sachverstand dazu, festzustellen, dass Roger Waters mit Anspielungen auf faschistische Symboliken (langer SS-Ledermantel, eine Armbinde, die dem Hakenkreuz ähnlich ist) seine Verachtung faschistischen und rassistischen Ideologen und Praktiken zum Ausdruck bringt. Sich also dermaßen dumm zu stellen, ist sehr würdelos. Denn wenn dieses Gerichtswissen verallgemeinerbar wäre, dann müsste man auch „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin verbieten.

Der dreiste Vorwurf, Roger Waters sei einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt blieb in der Verbotsbegründung einfach unerwähnt. Diesen Vorwurf hat man nur in der medialen Öffentlichkeit erhoben und war aber feige und schlau zugleich, diesen unverschämten Vorwurf im Verbotsantrag „fallen“ zu lassen. Soviel Mut im „Kampf gegen Antisemitismus“ muss man haben.

Dafür macht sich das Gericht zum Tippgeber eines wasserdichten und geräuschlosen Vorgehens:

„Das für den 28.05.2023 geplante Konzert sei vom Widmungszweck der Festhalle umfasst. Eine konkludente Widmungsbeschränkung aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Festhalle ergebe sich weder aus der bisherigen Benutzungspraxis noch aus anderen Umständen wie etwa den Gedenktafeln.“

Wenger verklausuliert heißt das: Man muss einfach nur eine „Widmungsbeschränkung“ durchziehen, um so grundgesetzlich garantierte Schutz – und Freiheitsrechte auszuhebeln. Dann käme es erst gar nicht zu so peinlichen öffentlichen Äußerungen, die mehr etwas über die Herren in Stadt und Land aussagen, als über Roger Waters.

Von Frankfurt bis Tel Aviv

Immerhin, soviel stand bereits von Anfang an fest: Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen wussten sehr wohl um ihr rechtloses Vorgehen:

Roger Waters darf nicht in Frankfurt auftreten, beide Gesellschafter der Messe – die Stadt und das Land – haben sich inzwischen gegen das im Mai geplante Konzert in der Festhalle ausgesprochen. Das findet Michael Müller (Linke) auch richtig. Im Haupt- und Finanzausschuss wollte er aber auch von Kämmerer Bastian Bergerhoff (Grüne) wissen, welche Schadensersatzforderungen durch die Konzertabsage auf die Stadt zukommen könnten. (…) Manfred Zieran (ÖkoLinX) kritisierte, dass die Entscheidung zur Absage des Konzerts eines Antisemiten „ein zäher Prozess“ war. Das müsse künftig schneller gehen „bei so klarem Sachverhalt, bei einem Antisemiten, der weltweit gegen Juden hetzt“. (FR vom 28.2.2023)

Eine illustre Gemeinschaft hat sich da zusammengefunden: Sie reicht von der CDU, SPD, Grünen, bis hin zu der Partei DIE LINKE und ÖkoLinX.

ÖkoLinX als kleinste Fraktion im Frankfurter Römer zeigte dabei wie Halbstarke Kante und hält das Ganze für einen „zähen Prozess“, für den es doch auch einen kurzen Prozess geben könnte, also müsste. Denn ein Gericht muss doch in dieser Sache nicht zusammenkommen, um öffentlich zu erörtern, was an Rogers Beteiligung an dem Kultur-Boykott antisemitisch sein soll, was an einem Aufruf, eine Besatzung nicht hinzunehmen, überhaupt auszusetzen ist. Und selbstverständlich braucht man längst nicht mehr die ‚Angeklagten‘ zu hören, oder gar zu Wort kommen lassen. Man weiß doch längst, was sie eigentlich wollen, was sie nur – im besten Fall – geschickt tarnen und verbergen wollen. Schließlich gehört ja gerade Deutschland zu den Ländern, die etwas von Antisemitismus und Besetzung fremder Territorien verstehen. Da kann man diesem Land und seinen Verwalter*innen nichts mehr vormachen.

Dieses Rechtsverständnis ist zurzeit auf Welttournee – und soweit mir bekannt ist, wurde davon kein Gig abgesagt. Die schwarz-grün-rote Begründung für das Schlachtfest ist unwiderstehlich dumm und Konsens:

Hintergrund der Absage ist das anhaltend israelfeindliche Auftreten des früheren Pink-Floyd-Frontmanns, der als einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt gilt“, teilte Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) mit. Mehrfach habe er einen kulturellen Boykott Israels gefordert und Vergleiche zum Apartheidsregime Südafrikas gezogen. (FR vom 24.2.2003)

Und das Frankfurter Journal weiß, wie total gefährlich Roger Waters ist. Man kann jetzt nur allen anderen hier vereinten Stadt- und Landgrößen eine unerträgliche Verharmlosung der Gefahr vorwerfen, denn Rogers Waters ist die Nr. 1 auf der Gefahrenskala. Er ist quasi der Chef eines Erpressungsringes:

„Auch machte er seinen Prominentenstatus geltend und übte Druck auf Künstlerinnen und Künstler aus, Veranstaltungen in Israel abzusagen.“ (Frankfurt Journal vom 24. Februar 2023)

Man muss dieses Vorgehen in das gegenwärtige Weltgeschehen stellen: Da kritisiert jemand die Staatspolitik Israel als rassistisch, kolonialistisch, kritisiert die Besatzung fremden Territoriums durch den Staat Israel und unterstützt ein Kultur-Boykott, um auf den Bruch internationalen Völkerrechts aufmerksam zu machen.

Gleichzeitig, also ein paar Hundert Kilometer um die Ecke, wird überall im freien Westen, in der Wertegemeinschaft das Lied von der Unantastbarkeit der Grenzen, von der Unerträglichkeit einer (russischen) Besatzung gesungen. Aber man belässt es ja nicht bei Wehklagen und Klagegesängen. Denn man darf so etwas ja nicht tatenlos geschehen lassen, sonst kämen ja noch ganz andere darauf, das Recht des Stärkeren über das Recht des Gesetzes zu stellen. Ja, wo kämen wir da (überall) hin?

Also liefert man Waffen, bewaffnet die Überfallenen und unter Besatzung Lebenden bis an die Zähne und will mit dieser militärischen Unterstützung erst aufhören, wenn sich der Aggressor und Besatzer zurückzieht.

Meschugge

Und dieselben halten es für unerträglich bis antisemitisch, wenn Waters und viele andere die Besatzung durch den Staat Israel in Form eines Kulturboykotts anklagen und ein ganz klein wenig erschweren wollen? Wer ist da meschugge?

Zur selben Zeit spielt sich im israelischen Parlament (und auf der Straße) ein Ereignis ab, das für eine Verschwörungsgeschichte einfach zu plump wäre:

Die gegenwärtige Regierung ist gerade dabei, mit einer sogenannten Justizreform, die Justiz zum Schoßhund der Regierung zu machen. Moshe Zuckermann, mit dem ich den warmherzigen Blick auf Israel und den verzweifelten Blick auf die politische Entwicklung dort teile, beschreibt das politische Umfeld dieses Regierungsvorhaben so. Es handele sich dabei um

die rechtsradikalste Regierungskoalition der israelischen Parlamentsgeschichte“ die „die israelische Politik faschisierte, indem (sie) dezidierte Rassisten, Homophobe, Antidemokraten, Kahane-Anhänger und Vorbestrafte auf hohe Ministerposten setzte.“ (Die “Justizreform” in Israel, Overton vom 11. Februar 2023)

Worum geht es bei der geplanten „Justizreform“?

Der aktuelle Justizminister Yariv Levin meint es sehr ernst. Und er macht dies nicht aus spontanen Gefühlen heraus:

Seine “Reform” plant er nach eigenem Bekunden schon seit dreißig Jahren. Die Justiz kann für ihn nur eine beratende Funktion haben, auf keinen Fall politische Entscheidungen der Regierung infrage stellen, geschweige denn, annullieren wollen. Daher sei es wichtig, dass die Richter (auch die des Obersten Gerichtshofes) von der Regierung nominiert werden. (…) Das Gesetz heißt entsprechend (aus dem Hebräischen übersetzt) “der Überwindungsparagraph”. (…) Kraft dieses Gesetzes sollen auch Bezalel Smotrich, der Finanzminister, und Itamat Ben-Gvir, Polizeiminister, freie Hand in ihren Ämtern kriegen – der erste bei der Legalisierung und Finanzierung der Siedlungsverbrechen im Westjordanland, der andere bei der Initiierung bzw. Absegnung polizeilicher Brutalität gegen “Feinde” (Palästinenser und Linke). (…) Was sich als “Justizreform” tarnt, ist nichts anderes, als ein pseudo-demokratisch vollzogener, parlamentarisch legitimierter Staatsstreich.

 

Selbst in der konservativsten Staatstheorie ist die Intension eindeutig: Indem man eine Säule der Gewaltenteilung (Exekutive-Legislative-Judikative) herausbricht und entsorgt, sprengt man die gesamte Architektur einer bürgerlichen Demokratie in die Luft. Dann spricht man von diktatorischen Regimen. Das gilt, auch wenn das natürlich ein ‚frommer‘, weltfremder Wunsch ist, für jeden Staat, egal, welche Geschichte er hat und wie „gut“ er es damit meint.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die „Justizreform“ in Ungarn, die deutlich unterhalb des israelischen Vorhabens die Justiz anleinen wollte. Mit Blick auf dieses ungarische Vorhaben sollte EU-Sanktionen dafür sorgen, dass die demokratischen Mindeststandards eingehalten werden.

Aber diese geplante „Justizreform“ planiert auch internationales Recht. Indem der oberste Gerichtshof in Israel kaltgestellt werden soll, ermöglicht man eine weitere Eskalation von Staatsverbrechen: Dazu gehört die Fortsetzung der Besatzung, die Ausdehnung besetzter Gebiete, ihre faktische Isaelisierung und damit die weitere Entrechtung der unter der Besatzung Lebenden.

 

Ganz nebenbei hat der Premier sich und seinesgleichen im Augen, denn er möchte für alle Ewigkeit Korruption und Kriminalität zum Bestandteil eines Regierungsamtes machen.

 

 

Break the wall – Break the silence

Wenn wir jetzt von der Weltbühne heruntersteigen und den Konflikt im Erdgeschoss anschauen, dann geht es den Stadtherr*innen in Frankfurt und sonst wo nicht darum, Israel vor einem antisemitischen Ansturm zu beschützen. Wenn jemand Israel als „Heimstätte der Überlebenden“ bis auf die Grundmauern (damit sind keine Steine gemeint) zerstören kann, dann ist es die israelische Regierung.

Hier, also in Deutschland geht es um etwas ganz Anderes. In den 1960er Jahren hätten die Herren uns gesagt: Das dürft ihr nicht sehen, basta. Da gehst du mir nicht hin, sonst …

60 Jahre später muss man uns emotional gefangen nehmen: Ihr wollt doch keinem Antisemiten zuhören?!

Wir sollten endlich sagen, dass wir diese Masche satthaben, vor allem von jenen, die den Antisemitismus in diesem Land großgemacht haben, die ihn beschützt haben.

Das fängt damit an, sich nicht wegzuducken, wenn uns diese Herren als Antisemiten denunzieren.

Das setzt voraus, dass wir ein sehr gutes Verständnis davon haben, was Antisemitismus bedeutet und warum der Kampf dagegen eminent wichtig ist. (siehe Akt I)

Dann, mit dieser Offensivität sollten wir nicht länger auf der Schmierseife ihres Antisemitismus-Surrogat ausrutschen, sondern darum kämpfen (jenseits des Israel-Palästina-Konfliktes), dass wir uns nicht vorschreiben lassen, was wir sehen, was wir hören, was wir gut finden dürfen. Das ist kein Freibrief für jeden Schwachsinn, sondern lässt uns lernen, was die Welt besser macht, worum wir streiten und ringen müssen – ohne diese Stadt- und Landesherren.

Zugabe

Es sieht ganz danach aus, dass Stadt Frankfurt und das Land Hessen auf einen Widerspruch gegen das Verwaltungsgerichtsurteil vom 24. April 2023 verzichten.

 

Sie wollen sich nun als „zivilgesellschaftlichen Protest“ verkleiden und zur Kundgebung gegen Waters am Tag des Konzertes aufrufen. Damit nähert sich das politische Destaster dem Höhepunkt zu, denn die „Zivilgesellschaft“ wird sich als Flopp herausstellen.

 

 

Serientäter unterwegs

Man könnte entschuldigend sagen, dass all das ein Einzelfall sei. Nein, das ist seit Jahren die Politik in Frankfurt und in Hessen.

Das dokumentiert ein ebenfalls in diesen Tagen ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts in Frankfurt (Az.: 7 K 851/20.F).

Gegenstand ist eine Pressemitteilung der Stadt Frankfurt zu einer geplanten Diskussionsveranstaltung im Jahr 2019 im Bürgerhaus Titania. Die VeranstalterInnen wollten unter dem Titel „Meinungsfreiheit oder Zensur“ über die vielen Verbotsverfügungen in Bezug auf den BDS-Boykottaufruf diskutieren. Genau dies hielt die schwarz-grün-rote Stadtregierung für indiskutabel.

Die Pressemitteilung ist an Dreistigkeit und Hohlphrasigkeit kaum zu überbieten.

Dass eine Woche nach dem brutalen antisemitischen Anschlag in Halle Sympathisanten judenfeindlicher Israelhasser im Frankfurter TITANIA zusammen kommen wollen, ist völlig inakzeptabel. Dass die Organisatoren C., D., E. und F. hier eine Plattform für die antisemitische BDS-Bewegung bieten wollen, ist eine Schande und zeigt, dass der Israel bezogene Antisemitismus zu viele Helfershelfer in unserem Land hat“, sagt A.

„Die vorgesehenen Redner G. und H. sind nicht nur überzeugte BDS-Unterstützer, sondern besitzen zudem in Person von Herrn H. auch Sympathien für den extremistischen Flügel der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Wer diesen Personen eine Bühne bietet, fördert die Judenfeindlichkeit in unserem Land. Wer über Meinungsfreiheit diskutieren will, darf Antisemitismus keinen Vorschub leisten. Antisemitismus ist keine Meinung, sondern eine verbrecherische Haltung. Wer BDS noch immer als friedliche Menschenrechtsbewegung bewertet, verkennt deren wirkliches Ziel der Vernichtung Israels. Wo BDS draufsteht, ist Antisemitismus drin und wer dies unterstützt, verliert die Unterstützung der Stadt Frankfurt. Diese Veranstaltung darf so nicht stattfinden, ich fordere eine umgehende Absage“, sagt Bürgermeister A.“

Eigentlich ist in dieser Pressemitteilung alles drin, was man in einer Schulungseinheit „Framing und Denunziation als Methode“ als Anschauungsmaterial nutzen kann.

Zuerst wird ein Zusammenhang imaginiert, der unverschämt und beleidigend ist: Was haben die VeranstalterInnen auch nur im Entferntesten mit dem antisemitischen Brandanschlag in Halle zu tun? Nichts. Deshalb belegt man nicht einen möglichen Zusammenhang, sondern arbeitet einzig und allein mit der Assoziation und antrainierten Affekten.

Dann behauptet man, dass ein Boykottaufruf gegen den Staat Israel antisemitisch sei, obwohl eindeutig klar ist, dass er sich nicht gegen „die Juden“ richtet, sondern gegen die Besatzungspolitik des Staates Israel – wobei es völlig belanglos ist, ob die Besatzungspolitik von Juden und/oder Nicht-Juden durchgeführt und unterstützt wird.

Und schließlich bekommt man ein Schleudertrauma, wenn nicht gänzlich bildungsferne Politiker von einem „Israel bezogenen Antisemitismus“.

Damit bekämpft man keinen Antisemitismus. Mit dieser völlig aufgeweichten Begrifflichkeit will man etwas ganzes Anderes kaschieren: Die Sympathie für eine reaktionäre, rassistische Staatspolitik.

In dem Beschluss vom 24. April 2023 führt das Verwaltungsgericht Frankfurt aus:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hätten Amtsträger, die am politischen Diskurs teilnehmen, ihre Äußerungen am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses auszurichten. Staatliche Amtsträger dürften daher die Ebene argumentativer Auseinandersetzung nicht verlassen und dürften in der öffentlichen Diskussion Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren, solange deren Positionen nicht die allgemeinen Strafgesetze verletzten.

Anders formuliert: Staatliche Amtsträger sind angehalten, zu begründen und nicht zu denunzieren.

Ganz piepsig kommentierte die Hessenschau vom 5. Mai 2023 diese Blamage:

„Das Verwaltungsgericht hat eine Pressemitteilung der Stadt Frankfurt von 2019 zu einer Israel-Diskussionsveranstaltung für rechtswidrig erklärt.

Darin hatte die Stadt die Absage gefordert, weil die Veranstaltung der Israel-Boykott-Bewegung BDS eine Plattform biete. Laut Gericht wurde in der Mitteilung gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen. Staatliche Amtsträger dürften im öffentlichen Diskurs Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren, solange deren Positionen nicht strafrechtlich relevant sind, erläuterte die Sprecherin. Geklagt hatte eine Privatperson, die in der Mitteilung namentlich genannt wurde.“

 

Wolf Wetzel

6.5.2023

Quellen und Hinweise:

Das Schwein-e-System, Akt I, Magazin Overton am 21. Februar 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/das-schwein-e-system/

Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll, Akt II, Wolf Wetzel: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/eine-petition-eine-stadt-und-ganz-viel-muell/

Streit um Roger-Waters-Auftritte: „Verbote gehen zu weit“, FR vom 10.2.2023: https://www.fr.de/kultur/musik/streit-um-roger-waters-auftritte-verbote-gehen-zu-weit-zr-92079314.html

Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums, Magazin Overton vom 20.7.2022: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-proteststurm-gegen-die-documenta-15-ein-dokument-progressiven-herrenmenschentums/

50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Was ist daran Kritik und was Antisemitismus? Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2017/06/07/50-jahre-israelische-besatzung-in-palaestina-was-ist-daran-kritik-und-was-antisemitismus/

Roger Waters – Rage Against the War Machine Feb 19, 2023 speech: https://www.youtube.com/watch?v=xwB01vUgGc0

Nach Aus für Roger Waters: Regeln für Konzerte gefordert, FR vom 28.2.2023: https://www.fr.de/frankfurt/nach-aus-fuer-roger-waters-regeln-fuer-konzerte-gefordert-92115581.html

Die “Justizreform” in Israel, Moshe Zuckermann, Overton vom 11. Februar 2023: https://overton-magazin.de/top-story/die-justizreform-in-israe/

VG-Beschluss Frankfurt Nr. 05/2023 vom 24. April 2023 (Aktenzeichen: 7 L 1055/23.F): https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/roger-waters-darf-am-28-mai-2023-auftreten

Stadt Frankfurt. Rechtswidrige Pressemitteilung: https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/rechtswidrige-pressemitteilung

 

 

 

 

 

 

Das Schwein, die Stadtherren und der Sondermüll

Wolf Wetzel | 2. Mai 2023

 

Quellen und Hinweise:

Das Schwein-e-System, Akt I, Magazin Overton am 21. Februar 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/das-schwein-e-system/

Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll, Akt II, Wolf Wetzel: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/eine-petition-eine-stadt-und-ganz-viel-muell/

Streit um Roger-Waters-Auftritte: „Verbote gehen zu weit“, FR vom 10.2.2023: https://www.fr.de/kultur/musik/streit-um-roger-waters-auftritte-verbote-gehen-zu-weit-zr-92079314.html

Der Proteststurm gegen die Documenta 15 – Ein Dokument „progressiven“ Herrenmenschentums, Magazin Overton vom 20.7.2022: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/der-proteststurm-gegen-die-documenta-15-ein-dokument-progressiven-herrenmenschentums/

50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Was ist daran Kritik und was Antisemitismus? Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2017/06/07/50-jahre-israelische-besatzung-in-palaestina-was-ist-daran-kritik-und-was-antisemitismus/

Roger Waters – Rage Against the War Machine Feb 19, 2023 speech: https://www.youtube.com/watch?v=xwB01vUgGc0

Nach Aus für Roger Waters: Regeln für Konzerte gefordert, FR vom 28.2.2023: https://www.fr.de/frankfurt/nach-aus-fuer-roger-waters-regeln-fuer-konzerte-gefordert-92115581.html

Die “Justizreform” in Israel, Moshe Zuckermann, Overton vom 11. Februar 2023: https://overton-magazin.de/top-story/die-justizreform-in-israe/

VG-Beschluss Frankfurt Nr. 05/2023 vom 24. April 2023 (Aktenzeichen: 7 L 1055/23.F): https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/roger-waters-darf-am-28-mai-2023-auftreten

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Vielleicht der Grund warum Robert Gernhardt hier, so weit ich weiß seine Wurzeln hat. Wer solche Gedichte schreibt und diese mitfühlenden Hörstücke verfasst verspürt schon früher als andere wes Geistes Kinder er vor sich hat.

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