Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll. Plus Zugabe

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Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll

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Schwein-e-System Akt II

Ich habe in dem Beitrag: Schwein-e-System (Akt I) über die stadt- und landespolitischen Absichten geschrieben, ein Konzert von Roger Waters im Mai in Frankfurt zu verbieten. Florian Rötzer hat die Geschichte der Auftrittsverbotsanstrengungen in anderen Städten erwähnt: Generalinspekteur Zorn muss gehen, Pink Floyd-Musiker Roger Waters soll nicht kommen.

Wahrscheinlich dachten sich die Frontmänner dieses Vorhabens, dass alles glatt und recht geräuschlos über die Bühne gehen wird. Man hat ja Übung darin: Man denunziert jemanden als Antisemiten, schreibt sich in den Rausch und kann sich vor Steigerungen kaum noch einkriegen: So schreibt das offizielle Portal der Stadt Frankfurt in einer Meldung vom 24. Februar 2023:

Hintergrund der Absage ist das anhaltend israelfeindliche Auftreten des früheren Pink-Floyd-Frontmanns, der als einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt gilt. Mehrfach forderte er einen kulturellen Boykott Israels und zog Vergleiche zum Apartheidsregime Südafrikas und übte Druck auf Künstlerinnen und Künstler zur Absage von Veranstaltungen in Israel aus.

Damit füttert man die Hühner im Medienstall. Man ist sich sicher, dass jemand, der so gebrandmarkt ist, alleine bleibt, dass niemand ihm zur Hilfe kommt, dass man mit so einem nichts zu tun haben will.

Gut, „einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt“ ist weltweit ein sehr beliebter Musiker und ist ziemlich reich geworden.

 

Auch das, was er zu Israel, zum dortigen Apartheidsystem sagt, ist aus keiner Laune heraus gesagt.

 

 

Er weiß sehr genau, wovon er spricht. Deshalb unterstützt er die Boykottkampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions). Ziel ist es, die in dem von Israel völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland hergestellten Produkte und Firmen, „die durch ihre Geschäftstätigkeit von den diskriminierenden Praktiken in Israel und im besetzten palästinensischen Gebieten profitieren“, zu boykottieren.

Trotzdem schien die Karten klar verteilt zu sein. In den letzten Jahren wurden so viele auf den politischen Scheiterhaufen geworfen, die man zu Antisemiten gemacht oder verdächtigt hatte, sich in deren Nähe aufzuhalten. Es häuften sich in Deutschland Raum- und Auftrittsverbote, Absagen an und Ausladungen von KünsterInnen, die man für BDS-verdächtig hielt. Dafür gibt es seit 2019 extra einen bundesweiten Lex-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages. Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sollten allen die kommunalen Räumlichkeiten verweigert werden, die diesen Boykottaufruf begrüßen bzw. (verdächtig) nahestehen:

Seitdem wächst die Liste derer, denen (kommunale) Räume verweigert werden, die nicht auftreten und sprechen sollen, weder im Sinne noch über den BDS-Boykott:

  • Arbeitskreis Palästina-Israel Salam Shalom
  • Judith Bernstein
  • Moshe Zuckermann (Tel Aviv)
  • Die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München
  • Die deutsch-israelische Künstlerin Nirit Sommerfeld
  • Der Haaretz-Journalist Gideon Levy
  • Die indonesische Künstlergruppe Taring Padi

Im Normalfall haben die Veranstalter und die Betroffenen weder Zeit noch Geld, dagegen zu klagen. Im „Fall Waters“ sieht es jedoch ganz anders aus. Er hat seine Rechtsanwälte damit beauftragt, das angekündigte Auftrittsverbot nicht hinzunehmen.

Also waren die Herren von Stadt und Land nur noch damit beschäftigt, eine mögliche Schadensersatzforderung haushaltspolitisch zu erklären und einzutüten.

Doch nun spricht einiges dafür, dass das, was normalerweise hinter verschlossenen Türen abgewickelt wird, nun auf offener Bühne ausgetragen werden muss. Es kocht und brodelt. An dem Kündigungschreiben soll noch gefeilt werden. Ziemlich erbärmlich, wenn man bedenkt, welch siegfriedhaftes Anliegen sie vertreten und dass sie seit zwei Monate Zeit hatten, ein paar Sätze zusammenhängend zu Papier zu bringen. Ganz abgesehen davon, dass die politische Haltung von Roger Waters seit Jahren bekannt ist und selbst eine antisemitische ‚Konnotierung‘ ausschließt.

Neben dem politischen Desaster geht es jetzt auch um ein finanzielles Risiko: Trotz aller Auftrufe, ja nicht dorthin zu gehen, ist das Konzert fast ausverkauft. Sollte es um Schadensersatzforderungen gehen, dann würden sich diese auf circa 2,7 Millionen Euro belaufen.

Zu meiner großen Freude haben Menschen aus dem Musik -und Kulturbereich eine Petition verfasst, die nicht nur als solche gut ist, sondern ganz besonders wegen ihres Inhalts:

„We artists, musicians, writers, and other public figures and organizations are deeply disturbed by the recent efforts by German officials to discredit and silence musician Roger Waters. On February 24, 2023, Frankfurt’s City Council and the Hessian State government announced the cancellation of a concert Waters scheduled to be performed on May 28 at the Festhalle. The Frankfurt City Council says that they canceled Waters’ concert “set a clear signal against anti-Semitism,” describing the musician as “one of the most widely spread anti-Semites in the world.” As evidence, the Council says that Waters “repeatedly called for a cultural boycott of Israel and drew comparisons to the apartheid regime in South Africa and put pressure on artists to cancel events in Israel.”

There is no other evidence other than these two claims: that Waters has supported the Palestinian-led cultural boycott of Israel campaign and that he has compared contemporary Israel’s government to the apartheid regime in South Africa.

Neither of these claims is unique to Waters or outside the boundaries of mainstream public opinion. Human Rights organizations such as Amnesty International, Human Rights Watch, Israel’s B’Tselem, United Nations agencies, and South African officials have defined Israel as an apartheid state, and therefore, many of these organizations and individuals have made the comparison between Israel and apartheid-era South Africa.

The extremists are the Israeli Government, not its critics. Recently, Israeli citizens have been pouring into the streets to protest their government’s violent treatment of Palestinians and sweeping anti-democratic judicial changes.

Waters’ criticism of Israel’s treatment of Palestinians is part of his long-term advocacy on behalf of human rights across the globe. Waters believes “that all our brothers and sisters, all over the world irrespective of the color of their skin or the depth of their pockets deserve equal human rights under the law.” With regard to Israel and Palestine, he says, “My platform is simple: it is implementation of the 1948 Universal Declaration of Human Rights for all our brothers and sisters between the Jordan River and the sea. Antisemitism is odious and racist and I condemn it, along with all forms of racism, unreservedly.”

The officials vilifying Waters are engaging in a dangerous campaign that purposely conflates criticism of Israel’s illegal and unjust policies with antisemitism. This conflation perpetuates the antisemitic trope which presents Jews as a monolith who blindly support Israel. Some of Israel’s loudest critics are Jews. But those who weaponize antisemitism are fine contributing to it.

Officials in Germany, concert organizers, and music platforms must not succumb to the pressure of those individuals and groups who would rather see Waters’ music removed than engage with the issues his music highlights. We call on those who have canceled Waters’ concerts to reverse their decisions and consider their own history of antisemitism, racism and genocide and how instances of these can be stopped today in other parts of the world, including in Occupied Palestine.“

Signed:

Brian Eno, Musician

Peter Gabriel, Musician

Anwar Hadid, Musician

Tom Morello, Musician

Noam Chomsky, Laureate Professor of Linguistics, University of Arizona

Cornel West, Professor, Philosopher, Author, Activist

Susan Sarandon, Actor

Ken Loach, Film Director

Nick Mason, Drummer

Eric Clapton, Musician

Gabor Maté, Physician and Author

Immortal Technique, Artist and Producer

Low Key, Rapper and Activist uvam.“

 

Alleine die Tatsache, dass hier Noam Chomsky, ein brillanter politischer Mann und Ken Loach, einer meiner absoluten Lieblingsregisseure zusammenkommen, ist eine große Freude.

Der Inhalt dieser Petition ist überragend. Es geht um mehr, als um zu klagen und zu bitten. Es geht darum, ihnen die Ver-Kleidung mit dem Modelabel ‚Kampf dem Antisemitismus‘ vom Leib zu reißen. Das passiert dann, wenn man sie damit konfrontiert, dass ihr angeblicher Kampf gegen Antisemitismus als Tarnkappenpolitik benutzt wird.

„Der Müll, die Stadt und der Tod“, Rainer Werner Fassbinder, 1975

(Jede Ähnlichkeit mit diesem Vorgang heute ist zufällig und gewollt)

Die Stadtherren in Frankfurt und Wiesbaden wissen, dass sie keiner öffentlichen Diskussion standhalten könnten. Nirgendwo sicherer waren und sind antisemitische Theoreme und Ideologien als in den Regierungsvierteln von Frankfurt und Wiesbaden, also in Hessen.

Dieser Antisemitismus ist nicht nur auf der „Straße“ und in neonazistischen Organisationen zu finden. Er hat auch einen ganz sicheren Platz im hessischen Staatsapparat. Dort kennt man ihn sehr gut:

 

Andreas Temme, der es vom „Klein-Adolf“ bis zum Verfassungsschutzmitarbeiter in Kassel/Hessen geschafft hat.

 

Bild: Andreas Temme im PUA Hessen

 

 

 

Ein Mann, der zu allem Überfluss auch Neonazis als V-Männer ‚führte‘, im Kreis von Neonazis, die den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 ermordet haben. Ein Mann der sich zur Tatzeit im Internetcafé in Kassel aufhielt, als der Besitzer Halit Yozgat ermordet wurde. Ein Mann, der sich weder daran erinnern konnte, dass er dort war, noch, dass der Tresen blutverschmiert war, als er sein 50 Cent Stück dort zurückließ. Ein Mann, der bis heute gedeckt, gecoacht und belohnt wird, indem man ihn im hessischen Staatsapparat unterbringt.

 

Wer sich also alleine diese eine Geschichte vom hessischen ‚Verfassungsschutz‘ und dessen Beschützerrolle von Neonazis vergegenwärtigt, der versteht die Unverschämtheit derer, die ihre staatsautoritären Handlungen mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tarnen versuchen.

 

Wenn der Magistrat in Frankfurt und die hessische Landesregierung meinen, dass es sich doch nur um „Einzelfälle“ handele, der möge zu einer öffentlichen Veranstaltung einladen.

 

 

 

 

 

All das fasst die Petition am Ende zusammen, die inzwischen von über 9.000 Menschen unterschrieben wurde:

We call on those who have canceled Waters’ concerts to reverse their decisions and consider their own history of antisemitism, racism and genocide and how instances of these can be stopped today in other parts of the world, including in Occupied Palestine.

 

Ich weiß um die bescheidene Bedeutung einer Petition. Für mich geht es um den sehr glaskaren Inhalt und dass dies eine Basis dafür sein kann, dass wir es dabei nicht belassen.

Wer den Inhalt gutfindet, der möge unterschreiben.

Zugabe

Um den ganzen Irrsinn halbwegs begreifen zu können, muss man nur ein paar Jahre zurückblättern. Zum Beispiel ins Jahr 2018, als Roger Waters ein Konzert in Amsterdam gab. Der Sender 3sat machte dazu folgende Ankündigung für den Mitschnitt „Us + Them“:

Roger Waters, Gründungsmitglied von Pink Floyd, dokumentiert 1979 mit seinem Konzeptalbum „The Wall“, dass Popmusik auch Erfolg haben kann, wenn die Texte politisch und gesellschaftskritisch sind. 2018 verzaubert der meinungsstarke Bassist Amsterdam mit einer atemberaubenden Inszenierung aus Musik, Videoprojektionen, Filmsequenzen und einem aufwändigem Lichtdesign. Sein Thema ist das Schicksal der Flüchtenden in Europa, die Gier der Reichen und die Figur des Donald Trump, an dem sich Roger Waters explizit abarbeitet. Dazu lässt er mitten im Publikum eine riesige Fabrik aus dem Boden entstehen, verzaubert mit einer verblüffenden Weltall-Szenerie und spielt dazu mit seiner Band die Hits aus alten Pink Floyd-Tagen und aus seinem neuen Album „Is This the Life We Really Want“. Musikreviews.de schreibt: „Waters ist nicht nur leidenschaftlicher, perfekter Musiker, sondern auch ein lauthalser Mahner, der aus voller pazifistischer Überzeugung handelt und diejenigen anprangert, die die Verantwortung für die derzeit so hasserfüllten Zustände tragen.“

https://www.3sat.de/kultur/pop-around-the-clock/roger-waters-100.html

Damals war Roger Waters erkennbar auch der Liebling der (deutschen) Medien: 2018 wurde er als „meinungsstark“ und „gesellschaftskritisch“ gefeiert. Damals mochte man ihn gerade auch in Deutschland, denn man brauchte jemand, den man gegen damaligen US-Präsidenten Trump positionieren konnte. Kurzum: er war der Darling der deutschen Medien.

Waters hat seine Meinung nicht geändert. Was er 2018 dachte und sagte, gilt für ihn auch heute noch. Doch nun heißt es: Kill your darlings.

Wir bringen dich auf die Bühne – und wir verjagen dich von der Bühne, wenn du dich nicht wie unser Darling benimmt, wenn du nicht mit den Wölfen heulst. Bleibst du hingegen das, was vor vier Jahren noch als „meinungsstark“ gelobt wurde, machen wir dich zur Sau.

Deutlicher kann man nicht belegen, dass der Vorwurf des Antisemitismus einzig und allein dafür da ist, das zu verdecken und zu verschleiern, worum es heute geht: Man muss jetzt alles zusammenkratzen und auf die Bühne bringen, was den Krieg an der Seite der Ukraine, gegen Russland gutheißt und alle von der Bühne schmeißen, die sich dem Kriegstaumel entgegenstellen und das aus einer pazifistischen Haltung heraus, die jetzt wieder als „Lumpenpazifismus“ verfolgt werden darf.

Wolf Wetzel März 2023

 

Eine Petition, eine Stadt und ganz viel Müll

Quellen und Hinweise:

Let Pink Floyd’s Roger Waters Perform In Frankfurt, Germany: https://www.change.org/p/let-pink-floyd-s-roger-waters-perform-in-frankfurt-germany?utm_content=cl_sharecopy_35646626_en-US%3A7&recruiter=1300723216&recruited_by_id=85d9f520-c305-11ed-b03d-c52b5f7bac0f&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=psf_combo_share_initial

Frankfurt setzt Zeichen gegen Antisemitismus, Stadt Frankfurt a. M. vom 24.2.2023: https://frankfurt.de/aktuelle-meldung/meldungen/frankfurt-setzt-zeichen-gegen-antisemitismus/

Bundestag verurteilt Boykottaufrufe gegen Israel, BT-Beschluss vom 17. Mai 2019: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw20-de-bds-642892

Das Schwein-e-System Akt I, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2023/02/21/das-schwein-e-system/

Mordfall Lübcke – NSU 2.0? Wenn das NSU-Netzwerk aus drei Mitgliedern bestünde, wäre Walter Lübcke nicht ermordet worden: https://wolfwetzel.de/index.php/2019/06/19/mordfall-luebcke-nsu-2-0/

Andreas Temme – mehr NSU-Netzwerk als Verfassungsschutz? https://wolfwetzel.de/index.php/2020/01/23/andreas-temme-mehr-nsu-netzwerk-als-verfassungsschutz/

Raumverbote oder: Was ist antisemitisch? Moshe Zuckermann: https://overton-magazin.de/kolumnen/zwischen-zwei-welten/raumverbote-oder-was-ist-antisemitisch/

 

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