Vom „Krieg gegen das Virus“ bis zum „Krieg gegen Putin“
Heute wissen wir, dass der „Krieg gegen Putin“ bereits 2014 begann, als man beschlossen hatte, der u-s-krainischen Regierung „Zeit zu geben“ (Ex- Bundeskanzlerin Merkel), um die Abkommen Minsk I und II zu brechen. Der „Krieg gegen das Virus“ lag also nicht jenseits dieser Ereignisse, sondern mittendrin und stellte die innere Front.
Seit drei Jahren befinden wir uns im Krieg. Nicht alle haben das mitbekommen. Nicht alle wollen es wahrhaben. Die einen halten vieles für übertrieben, die anderen wollen den Krieg gewinnen. Die einen halten sich bei dem Kriegslärm die Ohren zu, die anderen trommeln noch mehr für diesen und den nächsten Krieg. Die einen entdecken ganz plötzlich die Ukraine als souveränen, demokratischen, freiheitsliebenden Staat, die anderen das Schachbrett, auf dem die Selenskyjs bestenfalls als „Pferde“ vorkommen.
Das Bild vom Schachbrett, auf dem Länder, Regierungen und Motive wie „Figuren“ verschoben werden, ist nicht von mir.
Der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter (1977 bis 1981) Zbigniew Kazimierz Brzeziński hat in seinem 1997 erschienenen Buch: The Grand Chessboard (Das große Schachbrett) dieses Bild ins „Spiel“ gebracht, um uns gänzlich wertelos Herrschaftspolitik nahezubringen. Um den deutschsprachigen LeserInnen nicht allzu viel an Phantasie und Übersetzungsleistung abzuverlangen, hat man den Titel in Deutsch ganz einfach gehalten:
„Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“.
Dort breitet er seine Weltsicht aus, die man heute „in Action“ beobachten kann:
„Im Gegensatz zu den früheren eurasischen Imperien sei die Macht der Vereinigten Staaten erstmals weltbeherrschend, wobei Eurasien erstmals von einer außereurasischen Macht dominiert werde: Der gesamte (eurasische) Kontinent ist von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären. (S. 41) In vier Bereichen sieht Brzezinski die USA als allen anderen Mächten überlegen an: militärisch, wirtschaftlich, technologisch und kulturell. Im Zusammenspiel dieser Kriterien sieht er die Erklärung dafür, dass die USA die einzige globale Supermacht „im umfassenden Sinne“ seien (S. 44). (Wikipedia)
Dazu gehört auch das gegenwärtige Schlachtfeld Ukraine. Wieviel „Souveränität“ dabei die Ukraine genießt, führt Brzeziński sehr schnörkellos aus:
„Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird.“ (S. 16) „Dieses riesige, merkwürdig geformte eurasische Schachbrett – das sich von Lissabon bis Wladiwostok erstreckt – ist der Schauplatz des global play.“ (S. 58)
Ferner Kriegslärm?
In meinen fünfzig Jahren politischen Daseins war kein Krieg so nahe, dass er mein Leben gefährdet hätte. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in Europa Krieg ist, bestand in den 1980er Jahren, als das atomare Wettrüsten ganz nahe an einen Weltkrieg herangeführt wurde. Dafür war damals Deutschland idealer Austragungsort, denn zur weiteren militärischen Einschüchterung sollten auf deutschem Territorium atomare Pershing I und II Raketen (in Richtung Sowjetunion) stationiert werden.
Damals gab es eine große und breite Bewegung, die sich gegen die Stationierung von Atomwaffen ausgesprochen hatte. Die Motive waren so verschieden wie die Mittel, die man dabei einsetzte. Die einen schrieben Appelle und Aufrufe an die Regierungen, die anderen blockierten militärische Standorte, die mit dieser atomaren Aufrüstung in Verbindung gebracht wurden. Oft ging beides Hand in Hand.
Damals waren es Hunderttausende, die sich auf unterschiedliche Weise zur Wehr setzten. Bekanntlich endete das atomare Aufrüsten, die Drohung mit der gegenseitigen Vernichtung, mit der einseitigen Auflösung des Ostblockes, dem Zerfall des Militärbündnisses „Warschauer Pakt“ und der Sowjetrepubliken 1990/91.
Ich halte die gegenwärtige militärische Eskalation, die (noch) auf dem Boden der Ukraine ausgetragen wird, für durchaus vergleichbar.
Dabei sind zwei sehr wesentliche Unterschiede zu berücksichtigen:
Russland wird in dieser militärischen Auseinandersetzung nicht aufgeben können und der Westen wird es nicht wollen. Für den Westen ist es die letzte Chance, die alte hegemoniale Ordnung zu retten, mit dem Weltpolizisten USA an der Spitze. Für Russland ist es die letzte Chance, all jene auf seine Seite zu bringen, die den Weltpolizisten USA und die „Wertegemeinschaft“ (West-)Europas satthaben.
Obwohl dieser Showdown leicht zu durchschauen ist, die alten Hegemonialmächte keine Scheu haben, den beginnenden Weltkrieg zwischen den selbsternannten „demokratischen“ und den „autokratischen“ Ordnungen durchzubuchstabieren, ist es fast totenstill bei jenen, die dabei die Opfer sein werden.
Das Schweigen, das Sich-raus-halten, das nicht-wissen, wie man sich in dieser Situation verhalten soll, ist allgegenwärtig.
- Muss, soll man sich auf eine Seite dieses Konflikts stellen?
- Müssen wir einen Guten finden, dem es wirklich um Freiheit und Menschenglück geht?
Die kriegsrelevanten Fakten sind heute nicht viel anders als vor 40 Jahren. Es geht am aller wenigsten um ein besseres Leben, am aller wenigsten um die Freiheit, um die Beseitigung von elenden Lebensverhältnissen, ob in der Ukraine, in Russland oder in den westlichen Staaten.
Es geht um die Bewahrung der hegemonialen Weltordnung derer, die Russland vorwerfen, die Welt beherrschen zu wollen. Man braucht keinen Faktencheck, um festzuhalten, dass in den letzten Jahrzehnten der selbsternannte Weltpolizist die US-Flagge trug und die Hilfspolizisten ehemalige Kolonialstaaten und Staaten mit imperialen Ansprüchen waren und sind.
Ihnen war und ist das Schicksal der Menschen in der Ukraine so egal, wie das Schicksal der Menschen in Vietnam, im Irak, in Afghanistan oder Libyen.
Es geht in diesem Krieg heute, der auf dem Territorium der Ukraine ausgetragen wird, um die Aufrechterhaltung dieses westlichen ‚Erbrechts‘, die Welt zu regieren und zu ordnen, wie es ihnen passt.
Tatsächlich stehen wir an einer „Zeitenwende“, die man nur anders verstehen muss. Seit dem Krieg in Syrien ist diese westliche US-alliierte Weltmacht – auch militärisch – nicht mehr unangefochten.
Nicht umsonst fällt auffallend oft neben dem Namen Russland auch die VR China, die nicht länger den politischen und wirtschaftlichen Diktaten des Westens folgen wollen. Nicht umsonst fordern Russland, China und andere aufsteigende Regionalmächte wie Indien und Pakistan, dass die neue Weltordnung eine multilaterale sein muss.
Das verspricht nichts Gutes, vor allem kaum etwas Besseres. Denn es geht erst einmal nur darum, dass die Führungsmacht (mit all den Sonderkonditionen) geteilt werden soll, dass die alten, bisherigen Weltpolizisten einen Teil ihrer Macht und Extraprofite abgegeben müssen.
Ich bezweifele ausdrücklich, dass die Welt besser wird, wenn sich die alten und aufstrebenden Weltmächte geeinigt haben.
Damit kommen wir zurück nach Deutschland, zu uns selbst. Ich habe noch nie eine solche Ohnmacht verspürt und erlebt wie in diesen Vorkriegsjahren.
Und ich widerspreche ausdrücklich der Erklärung, dass die Lage heute kompliziert, komplizierter ist als vor 40 Jahren. Die Mehrheit derer, die vor 40 Jahren die atomare Aufrüstung bekämpften, sahen in der Sowjetunion keine politische Alternative, sondern bestenfalls ein Baustein im System des „Gleichgewichts des Schreckens“. So bezeichneten damals westliche Militärstrategen die damalige Weltlage. Aufgrund des atomaren Waffenarsenals der Sowjetunion war ein Sieg über das verhasste Russland nicht möglich.
In den politischen Zusammenhängen, in denen ich mich in den 1980er Jahren bewegte, standen wir nicht an der Seite der Sowjetunion, sondern bekämpfen die Weltmachtambitionen Deutschlands. Dabei ging um mehr als die Tatsache, dass man hier in Deutschland unter sozialdemokratischer Führung eine „Raketenlücke“ erfand, um die militärische Eskalation und die Beteiligung Deutschlands an dieser Strategie der Ruinierung, zu rechtfertigen.
Naheliegend ist, dass man nicht auf eine atomare Überlegenheit abzielte, um dann den Atomkrieg zu gewinnen. Jeder Sieger wäre danach genau so tot wie die Verlierer. Es ging um das, was Annalena Baerbock 2022 wieder als para-militärische Strategie auf- bzw. wachgerufen hatte: Russland soll „ruiniert“ werden, soll mit diesem Krieg ausbluten und sich selbst bei einem „Sieg“ wirtschaftlich nicht erholen.
Es fällt wahrscheinlich allen schwer, die gesellschaftliche Stimmungslage gut einzuschätzen. Ich kann also eher von meinem Freundeskreis ausgehen, von den politischen Kontakten, die mit meiner Tätigkeit einhergehen. Ich würde zwei wesentliche Haltungen ausmachen:
Zum einen sind jene, die durch die „Corona-Politik“ geprägt und erzogen wurden. Viele bisher Unpolitische haben hautnah erfahren, wie schnell man mit Sanktionen, mit Ablehnung konfrontiert wurde, die bis zu Zerwürfnissen in Freundschaften führten. Dabei möchte ich einen wesentlichen Aspekt dieser „Erziehung“ hervorheben:
Für gewöhnlich werden Unbekannte geschasst, bestraft und mundtot gemacht. In diesem speziellen Corona-Fall wurden auffallend viele prominente und bis dahin gut angesehene Personen diskreditiert, die sich offen kritisch bis ablehnend zu den Corona-Maßnahmen äußerten. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie bisher hoch geschätzt und gehandelt (Virologen, Professoren, Ärzte) wurden oder bis dato beliebt waren (wie SchauspielerInnen von #allesdichtmachen oder Fußballspieler/Joschua Kimmich). Man statuierte ein Exempel, das allen klarmachen sollte, dass kein offener Dissens erlaubt und zugelassen ist. An dieser maßlosen Einschüchterung hat auch die Linke einen bedeutsamen Anteil, zumindest der Teil, der öffentlich vernehmbar die Corona-Maßnahmen im Großen und Ganzen befürwortete bzw. nicht genug davon kriegen konnte (Zero-Covid-Kampagne bis „Wir impfen euch alle“). Dieser vernehmbare Teil der Linken tat nichts, um sich vor die Sanktionierte zu stellen und sie taten nichts, um sich deren Kritik zu stellen. In diesem Zusammenhang spricht der italienische Philosoph Giorgio Agamben von einer „kompletten Komplizenschaft“.
Dieses Hetzklima, gegen die sich nicht einmal die Linke stellte, ist grundsteinlegend für die sich anschließende kleinlaute Vorkriegszeit.
Man will sich jetzt noch mehr raushalten, man will nicht zwischen den Fronten zerrieben werden, wobei selbst dieses Bild eine Übertreibung darstellt. Denn eine andere Front als die Kriegsbefürworterfront hat zurzeit kein politisches Gewicht.
Wie im Corona-Kontext gilt jede Abweichung von Kriegskurs als Verrat, als eine politische Form der Desertation, die mit Verachtung, Ausschluss und Sanktionsdrohungen verbunden ist.
Politikwissenschaftler und Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal Michael Klundt bilanziert dies so:
„Vermutlich hat sich ein ziemlich autoritärer Charakter im super-liberalen Gewand voll entfaltet, ein buchstäblicher ‚Extremismus der Mitte‘, der sich momentan auch gegen kriegskritische Intellektuelle wie Krone-Schmalz, Guérot, Ganser, Zuckermann u.a. mit aller zensierenden Gewalt auszutoben scheint und damit Meinungsfreiheit und demokratischen Streit bekämpft. Da hatte Adorno wahrscheinlich schon Ende der 1950er Jahre recht: Viel gefährlicher als offene Neo-Nazis waren und sind nach dem Zweiten Weltkrieg selbst ernannte Demokraten, die ihre eigene Faschisierung übersehen. Ich sehe bei den Verantwortlichen – mit kleinsten Ausnahmen – null Prozent Selbstkritik und 100 Prozent Empathie – allerdings nur mit sich selbst, nicht mit ihren Opfern. Das ist schon bemerkenswert, aber durch die Kriegseskalation ist das schon fast wieder von fast allen vergessen.“ (NDS vom 11. Februar 2023)
Frieden mit dieser (imperialen) Weltordnung zu machen, bedeutet Krieg (im Inneren und Äußeren)
Mit ein wenig Abstand lässt sich ein bedeutsamer Unterschied zwischen der Denunziation von KritikerInnen der Corona-Politik als „Coronaleugnern“ und „Verschwörungstheoretikern“ und „Putinversteher“ ausmachen, für die man jene markiert, die die deutsche Beteiligung am Krieg an der Seite des ukrainischen Regimes kritisieren.
So etwas wie einen „Gesundheitsnotstand“ hat zuvor niemand von uns erlebt. Es gab folglich keine Maßstäbe, keine Erfahrungen, die einem dabei halfen, den Ernst der Lage und die notwendigen Schritte, ihr zu begegnen, einzuschätzen. Hinzu kam die ganz konkrete Angst, selbst ein Todesfall zu werden. Was dabei übertrieben war und in Kauf genommen wurde, was unbeabsichtigt und in bester Absicht geschehen war, konnte man mittendrin schwer auseinanderhalten.
Doch nach zwei Jahren Corona-Ausnahmezustand hat man sehr wohl eindeutige Belege dafür, dass zahlreiche massive Einschränkungen keine medizinische Berechtigung hatten, dass die Kritik an der Pandemiebekämpfung (dazu gehört die maximale Priorisierung der „Impfstrategie“) berechtigt und wichtig war.
Bis heute höre ich von Linken, die sich politisch geäußert haben, keine nachdenkliche Rückschau, keine Entschuldigung gegenüber jenen, die bereits sehr früh genau das sagten, was heute sang- und klanglos eingestanden wird. Nicht einmal die bescheidene Größe des Ethikrates hat dieser Teil der Linken, der zumindest Fehler eingeräumt hatte.
Aber, wie gesagt, niemand von uns konnte damals die Gefahr sicher einschätzen.
Ganz anders verhält es sich mit der Zustimmung, mit dem Schweigen zu der deutschen Kriegsbeteiligung an dem Krieg in der Ukraine. Die älteren von uns haben den Vietnam-Krieg (aus der Entfernung) mitbekommen und sind darüber mitpolitisiert worden. Man weiß um die Kriegslügen, die den „Verteidigungsfall“ begründen sollten. Man weiß heute mehr als genug, welche Verbrechen dort begangen wurden. Man weiß, dass es nicht um die Freiheit der Menschen ging, sondern um Aufrechterhaltung der US-dominierten Weltherrschaft. Das wiederholte sich mit dem ersten Irak-Krieg der US-Alliierten 1991. Man führte angeblich Krieg gegen einen Diktator Hussein. Tatsächlich war es ihr „Hundesohn“, den sie an die Macht gebracht hatten. Nicht die Diktatur war ihr Problem, sondern die Tatsache, dass das irakische Regime nicht (mehr) nach der Pfeife des „Weltpolizisten“ tanzte.
Deutlich näher (geografisch und politisch) war der „Kosovo“-Krieg 1999, den die deutsche Bundesregierung maßgeblich gewollt hatte. Heute weiß man ganz sicher und unbestritten um die Kriegslügen (von der Erfindung vom KZ in Pristina bis hin zu einem angeblichen „Hufeisenplan“, der eine ethische Säuberung vorgesehen haben soll), um die vorgetäuschten „Friedensverhandlungen“ in Rambouillet, die eine einzige Farce waren.
All dieses Wissen (und mehr) haben wir, um den Krieg, die Gründe, die Interessen und Motive in diesem Krieg in der Ukraine einzuordnen und abzuwägen. Und fast noch schneller als erwartet, lässt die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel alle wissen, dass die Verhandlungen und die abgeschlossenen Abkommen Minsk I und II (2014/2015) nur einem Ziel dienten: Der neuen, an die Macht geputschten ukrainischen Regierung „Zeit zu geben … um stärker zu werden“, um die Abkommen zu brechen.
Man kann sagen: Rambouillet lässt grüßen.
Wer jetzt gerne Angela Merkels Gedächtnis für löchrig halten möchte, dem möchte ich – ganz aktuell – den Ex-Präsidenten Frankreichs François Hollande zur Seite stellen. Er wurde in einem Interview mit The Kyiv Independent am 28.12.2022 gefragt:
The Kyiv Independent: In einem Interview mit der deutschen Zeitung ‚Die Zeit‘ sagte Angela Merkel über die Minsker Protokolle: ‚Es war offensichtlich, dass der Konflikt eingefroren werden würde, dass das Problem nicht gelöst war, aber es hat der Ukraine nur wertvolle Zeit verschafft‘. Glauben Sie auch, dass die Verhandlungen in Minsk dazu dienten, den russischen Vormarsch in der Ukraine zu verzögern?
François Hollande: Ja, Angela Merkel hat in diesem Punkt Recht. Die Minsker Vereinbarungen haben die russische Offensive für eine Weile gestoppt. Es war sehr wichtig zu wissen, wie der Westen diese Atempause nutzen würde, um weitere russische Versuche zu verhindern. (…) Seit 2014 hat die Ukraine ihre militärische Position gestärkt. Die ukrainische Armee war in der Tat völlig anders als die von 2014. Sie war besser ausgebildet und ausgerüstet. Es ist das Verdienst der Minsker Vereinbarungen, der ukrainischen Armee diese Möglichkeit gegeben zu haben.
Und wer nur einer Stimme Glauben schenken will, die von ganz oben kommt, der kann die Worte des NATO-Generalsekretär Stoltenberg vom 13 Februar 2023 wirken lassen:
„Wie wichtig es war, dass die NATO seit 2014 die größte Verstärkung unserer gesamten Verteidigung seit einer Generation durchgeführt hat. Weil der Krieg nicht letztes Jahr Februar begann, es begann 2014.“
Ich bezweifle also entschieden, dass das jetzige Schweigen etwas mit fehlenden Einschätzungen und Einordnungen zu tun hat. Die Propaganda auf ukrainischer und westlicher Seite lässt sich genauso klar durchschauen, wie die russische Propaganda.
Die Lage in der Ukraine ist also nicht komplizierter, als in allen vorangegangenen Kriegen der letzten 20 Jahre.
Es geht also ganz und gar nicht darum, wie man zu „Putin“ steht, zumal „Putin“ ein geschätzter Partner wäre, mit und ohne nackten Oberkörper zu Pferde, wenn er wie sein Vorgänger Jelzin dem Westen alles zu Füssen legen würde. Zumal „Putin“ in den letzten Jahren nur mit denen Karten spielt, die der Westen seit Jahrzehnten ausspielt, wenn es um es hegemoniale Ansprüche geht, wenn man Unruhen in anderen Ländern schürt und unterstützt, um dann eine unliebsame Regierung zu stürzen. Wenn also irgendwer „Putin“ nahesteht, dann sind es die westlichen Staaten, die „Putin“ all das vorwerfen, was für sie seit Jahrzehnten selbstverständlich ist.
Was tun?
Ich bin kein politischer Träumer oder strategischer Optimist. Aber es lohnt sich, an der Vorstellung zu arbeiten, dass es so etwas wie eine weltweite Anti-Vietnam-Bewegung geben muss, die sich jeder Kriegslogik verweigert, um Platz für eine Gesellschaftsvorstellung zu schaffen, in der eine „Dame“ und ein „König“ keine Macht mehr über Leben und Tod der namenlosen Massen haben.
Die Erinnerung an die breiten, millionenhaften, internationalen Anti-Vietnam-Proteste ist nicht unbedacht. Der Krieg gegen Vietnam dauerte Jahre. Trotz unglaublicher Opfer auf Seiten des Vietcongs konnte dieser (militärisch) nicht gewinnen, und die US-Armee durfte nicht verlieren. Einer der weltweit wichtigsten Siege war folglich nicht-militärischer Art, denn die US-Regierung verlor den Krieg zu Hause und (fast) in der ganzen Welt. Diese Niederlage an der „dritten Front“ bekam einen Namen: Das „Vietnam-Syndrom“.
Wenn es verdammt schlecht läuft, wird dieser längst globale Krieg irgendwann militärisch entschieden. Ob wir es überleben? Niemand kann das vorhersagen.
Wenn es gut läuft, muss er politisch entschieden werden – nicht von den Militärpolitikern, sondern von all jenen, die endlich begreifen, dass sie auf keiner der beiden Seiten kämpfen und/oder frieren wollen.
Die bisherigen Proteste sind inhaltlich ausgesprochen verwaschen und irgendwie immer richtig: Kein Krieg … Nieder mit den Waffen. Diplomatie. Verhandlungen … Ein zeitloser Pazifismus.
Ein mitreißender Protest wird eine eigene politische Richtung entwickeln müssen. Er muss den Alltag hier angehen, die eigene Handlungsmacht wiederentdecken, anstatt in aller Sinnlosigkeit „vernünftige“ Forderungen an „andere“ zu richten.
Ein mitreißender Protest wird mehr als „Frieden“ rufen. Er muss Stellung zu den Lebensverhältnissen hier nehmen, die mit der Kriegsbeteiligung ans „Eingemachte“ gehen. Es geht dabei um mehr als um die 200 Milliarden an „Kriegskrediten“, die 100 Milliarden für die eigene Militärweltmacht, die Wumms-Politik, die allesamt aus denen herausgepresst werden muss, die mit diesem Krieg in der Ukraine nichts zu tun haben. Dieser Krieg wird mehr kosten, als die Heizung ein wenig herunterzudrehen.
Dieser Krieg wird uns vor die größte Herausforderung stellen, der wir alle – seit Jahren – aus dem Weg gehen. Wenn wir in einer „kannibalischen Weltordnung“ (Jean Ziegler) leben, dann geht es nicht länger darum, sich einen guten Menschenfresser auszusuchen.
Dann macht es auch ganz wenig Sinn, die Kriegsparteien zu Friedensverhandlungen einzuladen, sondern mit alle unseren Möglichkeiten, hier, für eine Kriegsuntauglichkeit zu sorgen, im sozialen, politischen und im ganz praktischen Sinn.
Wolf Wetzel
ein ergänzter Beitrag, veröffentlicht im Magazin Overton am 8. Februar 2023: https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/vom-krieg-gegen-das-virus-bis-zum-krieg-gegen-putin/
Quellen und Hinweise
Zeit-Interview mit Ex-Kanzlerin Merkel vom 7. Dezember 2022: https://archive.ph/O1CYX#selection-2187.0-2211.411
Hollande: ‘There will only be a way out of the conflict when Russia fails on the ground’, vom 28.12.2022: https://kyivindependent.com/national/hollande-there-will-only-be-a-way-out-of-the-conflict-when-russia-fails-on-the-ground
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Kapital-Verbrechen mit und an Corona, Wolf Wetzel: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/11/22/kapital-verbrechen-mit-und-an-corona/
Lehrer zur Corona-Debatte: Wieso haben wir nicht protestiert? Wo ist die Aufarbeitung? Alexander Wittenstein, Berliner Zeitung vom 26.1.2023: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/lehrer-zur-corona-debatte-wieso-haben-wir-nicht-protestiert-wo-ist-die-aufarbeitung-li.310701
Corona-Aufarbeitung: „Ich halte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss für dringend nötig“, Michael Klundt, NDS vom 11. Februar 2023: https://www.nachdenkseiten.de/?p=93663
NATO Secretary General pre-ministerial press conference, 13 FEB 2023: https://www.youtube.com/watch?v=Cyy1gPk_8rg&t=1723s
Wolf Wetzel
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