Fußnote 114 – Methode und Inhalt Broder. Von Markus Mohr

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Fußnote 114 – Methode und Inhalt Broder

Thomas Haury und Klaus Holz haben im Herbst 2021 ein Buch unter dem eigentümlichen Titel: „Antisemitismus gegen Israel“ vorlegt. Eigentümlich deshalb, weil Antisemitismus gegen einen Staat gar nicht die Definition von Antisemitismus erfüllt. Der Antisemitismus als solcher richtet sich immer zuerst und primär gegen Juden als Juden. Mit Verlaub: Wer bereit ist klar und scharf zu denken, der weiß selber, dass „gegen Israel“ zu sein, kein gültiges Merkmal des Antisemitismus sein kann. Doch hier zeigen sich Holz und Haury bereits im Vorwort kreativ, wo sie behaupten: „So gilt zu Recht als ein Kennzeichen der antisemitischen Israelfeindschaft, dass der Staat Israel delegitimiert wird.“ (14) Wie bitte? Das hört sich doch ganz nach dem Sound der von Nathan Scharanski politisch interessiert zusammen geramschten Drei-D-Definition an. Dem israelischen Innenminister galten Aussagen, die Israel dämonisieren, delegitimieren, oder doppelte Standards an das Handeln seines Staates anlegen, der Einfachheit halber als antisemitisch. Dabei kann gerade Scharanski in der Konfiguration von doppelten Standards in der politischen Arena als ein ausgefuchster Experte gelten: Während er von der Palästinensischen Autonomiebehörde als Voraussetzung für Friedensgespräche eine Demokratisierung ihrer Strukturen einforderte, wurden von ihm in den 1990er Jahren die Friedensverhandlungen mit dem autokratisch regierten Jordanien vorbehaltlos befürwortet. Aber auch so geht Politik, welche Politik verfolgen nun Haury und Holz mit ihrem Werk? Aus ihrer Sicht sind es fünf politische bestimmte Gruppen, die auf ihre Weise mit Israel als Staat nicht klar kommen und das eben auf antisemitische Weise: Linke Personen, Parteien und Gruppen aus dem Spätstalinismus bis hinein in die westdeutsche linksradikal-antiimperialistische Szene der 1970/80er Jahre; Islamistien; Antirassistische Gruppen und TheoretikerInnen; Christen für und wider Israel und nicht ganz zu vergessen: die Neue Rechte.

Ein besonderes Anliegen ihres Projektes besteht dabei darin, wie sie in der Einleitung nicht müde werden zu betonen, dem Ansatz einer „hermeneutischen Antisemitismuskritik“ zu folgen. Sie nennen das einen „sinnverstehenden Zugang“ mit dem es gerade nicht um ein „Abprüfen von Merkmalen“ gehe, sondern um das hermeneutische Nachvollziehen und Offenlegen von Sinnkonstruktionen.“ (S. 29) Gerade in den Streits um Antisemitismus erklären sie es in noblen Worten zu der wissenschaftlichen Aufgabe, die „>Potentiale der Uneindeutigkeit< (…) zu reflektieren und – soweit dies empirisch ausgewiesen und theoretisch begründet gelingen mag – in eindeutigen Einsichten und im Verstehen der Uneindeutigkeiten aufzuheben.“ Für die Verfasser gilt hier: „Hermeneutik ist nicht erst am Ziel, wenn sie eine einzige Wahrheit angibt. Sie ist überdies an Positionierung wenig interessiert. Sie zielt auf ein reflektiertes, explizit ausgewiesenes Verstehen.“ (S. 13) Hört! Hört! Das ist wahrlich smart formuliert. Und so erklären es Haury und Holz zu ihrem ernsthaften Anliegen gerade bei den meinungsstark ausgetragenen Antisemitismusdebatten bei denen lediglich ein „Streit um einige Textpassagen“ geführt werde eben „solche >Textpassagen<“ nicht einfach auf Vorurteile abzuklopfen, „sondern sie tiefenscharf in ihrem kulturell verankerten Sinn zu verstehen.“ Deshalb, so sagen es Holz und Haury, sei doch eine hermeneutische, d.  h. sinnverstehende Analyse für die Antisemitismusforschung konstitutiv. (S. 12) Am Ende ihrer Abhandlung formulieren sie das sogar als einen wissenschaftlichen Imperativ: „Ohne aufmerksame Hermeneutik kann Antisemitismusforschung nicht gelingen!“ (S. 353) Nun denn, das sind schöne Absichten, die man gerne liest. Vielleicht auch deshalb hat das Buch zwischenzeitlich auch schon ein paar positive Rezensionen abgefischt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glaubte der Rezensent durch ihr Buch „einen erhellenden und sehr lesenswerten Beitrag“ entdeckt zu haben. (FAZ v. 26.1.22) Der Verfassungsschutz-Intellektuelle Armin Pfahl-Traughber, ein Kollege von Holz aus dem beim Bundesinnenministerium angesiedelten „Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus“, sah „in der Gesamtschau (…) ein reflexionswürdiges Werk“ vorliegen, bei dem „die inhaltliche Kontroverse“ lohne. (hagalil.com v. 18.1.22) Peter Ullrich sieht in dem Buch „grundlegende Tendenzen aufgespürt“ die dann auch „gedeutet“ worden seien. So erweise es sich als eine „Fundgrube von Hypothesen, die die weitere Forschung befruchten werden und nicht ignoriert werden können, und zugleich „als ethischer Kompass für die politische Debatte im Geist eines linken Universalismus“ funktionieren. (lernen-aus-der-geschichte.de vom 23.2.2022) Für den Rezensenten auf dem Wissenschaftsportal H-Soz-Kult sei von Holz und Haury „ein beeindruckendes Werk verfasst (worden), dem eine breite Rezeption zu wünschen ist.“ (H-Soz-Kult vom 31.3.2022) Und Udo Wolter sieht durch Holz und Haury „die >pandemische Präsenz< des israelbezogenen Antisemitismus in all seinen Varianten mit eindrucksvoller Materialfülle“ belegt, und weiß den Verfassern darüber hinaus zu bescheinigen, das sie eben das „theoretisch komplex in den modernen Antisemitismus“ einzuordnen wissen. (iz3W v. April 22)

Da werden Holz und Haury aber einige Blumen auf ihre Publikationsvita gestreut. Über diese Suaden haben sie sich bestimmt sehr gefreut. Das soll jetzt auch mal reichen. Mit den nachfolgenden schlichten Bemerkungen, zentral fokussiert auf das Kapitel: „Antiimperialistischer ‘Antizionismus’ in der neuen Linken Westdeutschlands“, (S. 143 – 161) soll gar nicht erst eine „inhaltliche Kontroverse“ mit Holz und Haury und schon gar nicht „eine breite Rezeption“ zu ihrem Buch angestrebt werden. Gerade dieses Kapitel erschien mir überhaupt nicht erhellend zu sein. Wenn man denn hier von einer Fundgrube sprechen kann, so drängt sich eher der Eindruck von zwielichtig erhobenen Quellenbefunden auf, die mit dem Ziel generiert wurden, die außer-institutionelle Linke der 1970er und 1980er Jahre in der Bundesrepublik noch einmal nachträglich als irgendwie antisemitisch zu dämonisieren und zu delegitimieren. Gleichwohl können die nachfolgenden quellenkritisch inspirierten Betrachtungen unter Umständen dafür nützlich sein, zu dem Buch eine paar „grundlegende Tendenzen“ aufzuspüren. Also: Was hat es hier bloß mit der von einem Rezensenten unterstellten „eindrucksvollen Materialfülle“ auf sich und wie mag das von Holz und Haury „theoretisch komplex in den modernen Antisemitismus“ eingeordnet worden sein?

In dem Opening Statement zu diesem Kapitel sprechen Haury und Holz zunächst Klartext:

Auch in dem weit gefächerten Spektrum der neuen Linken der westlichen Länder äußerte sich von Ende der 1960er Jahre bis Ende der 1980er Jahre ein vehementer, antiimperialistisch begründeter >Antizionismus<, der weithin ein Antisemitismus gegen Israel war.“ (S. 143)

In der Folge parallelisieren sie dann „die gleichen antiimperialistischen bzw. antisemitischen Muster (die) für die Deutung Israels veranschlagt wurden.“ (S. 144) Allerdings schreiben sie für die BRD zu der Neuen Linken unter Hinweis auf ein „disparates und sich schnell veränderndes Spektrum von Gruppierungen und Strömungen“ dass es „schwierig (sei) generelle Aussagen über „den Antizionismus in der >Linken< zu treffen.“ (S. 144) Das ist doch ein bisschen verwirrend, liegt hier womöglich eine sprachliche Unschärfe vor? Für Haury und Holz ist doch der Antizionismus „weithin ein Antisemitismus gegen Israel“. Tertium non datur, oder etwa doch nicht? Wenn aber das so stimmt, warum lassen sie dann in Bezug auf den Antizionismus in der BRD dann die engagiert vorgenommene Gleichsetzung mit dem Antisemitismus weg? Einerseits sollen in dem antiimperialistisch begründeten Antizionismus „die gleichen antiimperialistischen bzw. antisemitischen Muster für die Deutung Israels veranschlagt“ worden sein. Anderseits erscheint es ihnen dann doch ein bisschen „schwierig (zu sein) generelle Aussagen über >den Antizionismus< in der >Linken< zu treffen.“ Wie passt das bloß zusammen fragt man sich da. Aber Holz und Haury sind pfiffig und bedienen sich dann in der Folge eines heute in der Berliner Republik prominent gewordenen Publizisten. Sein Name: Henryk Broder. Es sei doch dieser Studienabbrecher gewesen, so schreiben sie in der Fußnote 114, der einmal im Jahr 1976 eine „erste nicht beachtete Kritik“ am Antisemitismus der Linken formuliert habe. Und dabei verweisen sie auf einem von diesem im Juni 1976 im Geschäftsbereich des Bundesinnenministerium publizierten Aufsatz in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (S. 145) In der Folge dient ihnen eben dieser Aufsatz zu „Antizionismus – Antisemitismus von links?“ immer wieder als Quelle für Zitate von Gruppen und Personen der radikalen Linken aus dieser Zeit. (Fußnoten 128; 129; 145) Nun: Der besagte Aufsatz beginnt mit zwei Zitaten aus dem Völkischen Beobachter und dem Neuen Deutschland. Broder schreibt hier: „Am 9. August 1938 erschien der Völkische Beobachter, das Kampf-Blatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands mit der Schlagzeile: >In Prag regieren die Juden!< Fast auf den Tag genau 30 Jahre später, am 21. August 1968 erschien das Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Neues Deutschland, mit einer ganz ähnlichen Artikelüberschrift: >In Prag regieren die Zionisten!<“ Broder erschien die „Parallelität der Ereignisse […] erschreckend offensichtlich“, da in „beiden Fällen (…) stimmungsmäßig die >Befreiung< Prags vorbereitet“ worden sei, „1938 von den dort angeblich regierenden Juden, 1968 von den Zionisten, die in der Hauptstadt der CSSR die Macht an sich gerissen haben sollten.“ Der Feind sei „1968 zwar etwas anders etikettiert als 1938, das Ressentiment jedoch […] das gleiche geblieben.“ Mit der Analogie kennzeichnet er eine „Entwicklung, die begrifflich vom Antisemitismus zum Antizionismus und politisch von rechts nach links“ führe. Von Broder wurden die beiden markanten, unmissverständlich interpretierten Zitate im Unterschied zu vielen anderen nicht nachgewiesen. Allerdings wurden die Veröffentlichungsdaten im Text unter Verweis auf eine „Schlagzeile“ und eine „Artikelüberschrift“ benannt. Lange Rede, kurzer Sinn: Beide von Broder prominent in seinem 1976 verfassten Beitrag eingeführten Zitate waren von ihm nicht etwa gefälscht, sondern sind von ihm schlicht erfunden worden. Es hat sie nie gegeben. Und mit dieser Methode generierte Broder in dem Aufsatz eine Blütenlese antizionistisch motivierter Stellungnahmen, für die er seinen Angaben nach „einige hundert Artikel aus etwa einem Dutzend linker Periodika ausgewertet“ haben will. Dabei diagnostiziert er an der antizionistischen Propaganda das Problem, dass sie sich „keine übertriebenen Sorgen um die historische Richtigkeit“ ihrer Aussagen mache. Für den erfindungsreichen Broder war es evident, dass es für den westdeutschen Antizionismus seiner Zeit überhaupt nicht darauf ankomme, „dass etwas stimmt, sondern nur das es passt.“ Hier ist allemal zu seinen Gunsten zu unterstellen, dass er wirklich sehr genau wusste, wovon er sprach. Anderseits: „Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden“, sagt ein geflügeltes Wort des Philosophen Giordano Bruno und das ist zweifellos hier am Beispiel der von Broder gezielt gegen die Linke ins Spiel gebrachten vermeintlich eineiigen Zitatzwillinge der Fall. (FN 1)

Holz und Haury nehmen eben das Broder aber „nicht wirklich krumm“ wie man umgangssprachlich so sagt. Und so berufen sie sich für ihre Darstellung in großer Unbefangenheit auf seine Expertise. So schreiben sie unter Quellenverweis auf den besagten Broder-Aufsatz: „Schon seit seinen ersten Anfängen sei der Zionismus nur die >Ideologie äußerst reaktionärer jüdischer Kapitalisten< gewesen, der daraus entstandene Staat nichts anderes als ein >imperialistischer Brückenkopf gegen die nationalen Befreiungsbewegungen< den der Zionismus als >Heimstätte aller Juden< tarnen wolle. Israel durfte kein >normaler Nationalstaat< sein, sondern sei ein >künstliche Gebilde<.“ (S. 149) Holz und Haury beglücken uns hier als Beleg mit zwei Fußnoten: „128 >Zionismus, Imperialismus und palästinensische Revolution< S. 3; Arbeiterkampf 1973 (zit. n. Broder, >Antizionismus – Antisemitismus von links?< S. 40); Nahostgruppe Freiburg „Internationale Solidarität“ Freiburg 1988. Zur Schweiz s. Späti, Die schweizerische Linke, S. 197 ff“. Zur Fußnote 129 liest man: „Arbeiterkampf 1975 (zit. n. Broder, „Antizionismus – Antisemitismus von links?“ S. 42).“

Tja, wie das immer so ist mit den vielfältigen Kettenbelegen in den Fußnoten. Es ist wahrscheinlich eine blöde Frage und von Haury und Holz etwas zuviel verlangt, darauf zu bestehen einfach mal zu erfahren wer in Sachen Antisemitismus was wann wo genau und an welchen Ort gesagt haben soll. So ist man hier ein bisschen über diesen undeutlich generierten Kettenbeleg verwirrt. Holz und Haury wollen doch mit ihren LeserInnen nicht etwa wie Broder blinde Kuh spielen? Für zwei etwas zeitaufwendige Nach-Recherchen reichte aber dann doch die Zeit. Zunächst zu Broder. Tatsächlich finden sich in seinem Aufsatz auf den von Haury/Holz zitierten Seiten zwei Erwähnungen von Aussagen aus der Zeitung Arbeiterkampf aus den Jahren 1973 und 1975 – natürlich ohne Datums- und Seitenangaben. Bekanntlich umfasste der Arbeiterkampf sowohl im Jahrgang 1973 und 1975 mehrere hundert eng bedruckte Din-A3-Seiten. Erwarten denn nun Holz und Haury, dass man als neugieriger Leser diese beiden Jahrgänge nach den von ihnen von Broder übernommen Zitaten absucht? Von dem Broder von dem man durch seine beide ersten Zitate in dem besagten Aufsatz nur weiß, dass es sie niemals gegeben hat? Ansonsten ergibt ein Vergleich der von Holz und Haury unter Berufung auf Broder generierte wie belegte Aussage: „Israel durfte kein >normaler Nationalstaat< sein, sondern sei ein >künstliches Gebilde<“ das sie einer Überprüfung nicht standhält. Broder spricht hier unter Bezug auf den „Arbeiterkampf 1975“ in seiner Fußnote 60 an keiner Stelle von „normaler Nationalstaat“ vice versa >künstliche(s) Gebilde“. Stattdessen schimpft er dort über eine „antizionistische Karikatur“, die die prominenten israelischen Politiker Yitzhak Rabin, Golda Meir und Moschee Dayan in wenig vorteilhafter Weise zeichnet – wie es nun einmal Karikaturen eigen ist.

Auch so weiter misstrauisch geworden, habe ich nach dem von Holz und Haury mehrfach für ihre Zitate angeführte Veröffentlichung eines ohne Autor, Ort und Jahr angegebenen Textes namens : „Zionismus, Imperialismus und palästinensische Revolution“ gesucht. Immerhin findet man hier im Quellenverzeichnis folgenden Hinweis: „Zionismus, Imperialismus und palästinensische Revolution“, Rote Presse Korrespondenz 5 (1982) (S. 380). Nun: Die Zeitung Rote Presse Korrespondenz hat es tatsächlich ab dem Jahre 1969 in West-Berlin gegeben, sie hat jedoch im Verlaufe des Jahres 1975 ihr Erscheinen eingestellt: Ob es sein kann das Holz und Haury, wie der auch von ihnen in dem Kapitel mehrfach als Beleggeber herangezogene Wunderhistoriker Wolfgang Kraushaar, dazu in der Lage sind, Ausgaben von Zeitungen zu rezipieren, die niemals gedruckt und damit auch nicht erschienen sind? Das wäre allerdings auch eine Form die Methode Broder in gewiefter Weise fortzuführen! Glücklicherweise bestätigte sich der schreckliche Verdacht, dass nun auch Holz und Haury directemang dazu übergegangen sein könnten, nicht nur Zitate, sondern gleich ganz neue Texte zu erfinden, nicht. Als schnelle Antwort auf meine direkte Nachfrage beim Verlag nach einer Ausgabe der Roten Presse Korrespondenz aus dem Jahr 1982 (!) antwortete mir Haury stante pede in einer mail, dass es sich hier um einen von ihm als ärgerlich bezeichneten Tippfehler im Quellenverzeichnis gehandelt habe. Richtig habe es hier heißen müssen, dass es den Beitrag „Zionismus, Imperialismus und palästinensische Revolution“ in der Roten Presse Korrespondenz tatsächlich im 2. Halbjahr 1973 gegeben hat. Diese Auskunft war korrekt, Bingo und Puh! So weiß man wenigstens hier nun doch ein bisschen mehr.

Doch noch einmal zurück zu den mit Verweis auf Broder unterfütterten Quellenbelegen. Hier ergreifen Holz und Haury die günstige Gelegenheit die Aussage: „Israel (sei) ein >mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde< mit >parasitären Charakter<“ wie folgt zu skandalisieren: Es „bleiben nicht einmal Stereotype tabu, die postnazistisch offen als nazistisch zu Tage lagen.“ (S. 151) Hier haben sich Holz und Haury mal wirklich an einer eindeutigen „Positionierung“ probiert, wie sie es formulieren würden. Stimmt die aber auch? Die Zitate werden wie folgt nachgewiesen: „145 Arbeiterkampf Januar 1975, konkret 28.6.1973 (beide zit. Broder, >Antizionismus – Antisemitismus von links?< S. 42.)“ Überprüft man das bei Broder, so weist dieser den mutmaßlich „parasitären Charakter“ von Israel nicht aus dem „Arbeiterkampf Januar 1975“ sondern aus der Kommunistischen Volkszeitung und das sogar mit der Datumsangabe vom 14. November 1974 nach. Was hat es aber nun mit dem eigentümlich knappen Hinweis gleich auf eine ganze Ausgabe der Zeitschrift konkret von Ende Juni 1973 auf sich? Hat es denn dafür keinen Autor gegeben? Von wo genau mag nur das besagte Zitat auf die von Broder zusammen gebastelte Abschussliste antizionistischer Stilblüten der frühen 1970er Jahre geraten sein?

Eine Überprüfung, für die Holz und Haury keine Zeit fanden, ergab, dass es sich dabei um einen namentlich gekennzeichneten Leitartikel des damaligen konkret-Herausgebers Klaus Rainer Röhl handelt. Dort findet sich das von Broder inkriminierte Zitat. Wenig überraschend aber doch wahr: In dem Röhl-Artikel standen neben dem von Broder herausgerissen und von Holz und Haury so gerne übernommenen Zitat auch noch ein paar mehr Zeilen. Noch ein jeder Soziologe der auf sich hält, muss einfach wissen, dass noch ein jeder Leitartikel immer ein bisschen länger ist als seine Zitate daraus. Genau soetwas stellt sich dann doch als ein ganz vorzüglicher Leckerbissen für eine sinnverstehende hermeneutisch inspirierte Lektüre dar! Genau dafür haben sich doch Holz und Haury in ihrem Vorwort stark gemacht: Eine Hermeneutik die „auf ein reflektiertes, explizit ausgewiesenes Verstehen“ ziele. Und dort hatten sie ja auch noch hoch und heilig versprochen eben „solche >Textpassagen<“ nicht einfach auf Vorurteile abzuklopfen, „sondern sie tiefenscharf in ihrem kulturell verankerten Sinn zu verstehen.“ Prima, das ist auch ganz meine Meinung, auf geht`s!

In dem Beitrag verwahrte sich Röhl gegen eine Attacke aus der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ die seine Zeitschrift als „antijüdisch“ markiert hatte. Hier weist Röhl unter anderem auf „die Empfindlichkeit“ hin „die die deutsche Öffentlichkeit zurecht gegenüber allen Rückfällen in die antisemitische Vergangenheit“ hat. Dagegen macht er geltend, dass er zusammen mit einer Reihe von „Emigranten und Überlebenden, den Verfolgten und Gegnern des Nationalsozialismus (…) die wir in der Schule dreimal täglich >die Juden sind unser Unglück< gehört hatten, wir, die wir den tiefen Schock von Auschwitz durch Arbeit für Versöhnung und Frieden überwinden und aufarbeiten wollten“ in seiner Zeitung klar Position bezogen habe: man habe hier „gegen die Rassenkommentatoren und Reichsrundfunkräte gegen die SS-Führer und KZ-Baumeister gegen die Nazigeneräle und Naziprofessoren die Nazidichter und Nazikarikaturisten, gegen Globke und Kiesinger, Oberländer und Lübke und gegen den einstmals antisemitischen Karikaturisten Hicks (angekämpft), dessen Bilder nun über den Leitartikeln der WELT platziert sind – in denen Israels Kriegskunst gepriesen wird.“ An diese Zeile assoziiert Röhl dann die besagte Passage die in Gänze wie folgt lautet: „Denn Israel, jener zum militaristischen Alptraum verkommene Traum von dem Land der Juden, jenes mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtete künstliches Gebilde, nach eigenen Worten (Moshe Dayans) auf den Trümmern arabischer Dörfer errichtet, (…) jener von einer Militärkaste beherrschte Staat Israel, nicht das israelische Volk war es, das uns trennte, als Verständigungspolitik vom Kalten Krieg sich unterscheidet, Sozialismus vom Kapitalismus. Waren hier die Fronten klar, herrschte dort größte Verwirrung: Die gleichen Leute, die die Partei der Judenvergaser gewählt hatten, die Massenmörder bezahlt hatten, ihnen gedient hatten, ihnen nicht in den Arm gefallen waren, unterstützen jetzt die Nachfahren der Verfolgten lautstark beim Abwerfen von Napalmbomben und beim Vernichten arabischer Dörfer.“ (FN 2)

Ja kann es denn sein, dass es diese ausführlich zitierten Zeilen sind, aus denen geradewegs „postnazistische Stereotype“ nur so heraus purzeln, die „offen als nazistisch zu Tage“ liegen, wie es uns die Hermeneutik-Experten Holz und Haury weismachen wollen? Der hier von Röhl eingeschlagene argumentative Kompass ist doch erkennbar antinazistisch-antiimperialistisch konfiguriert. Dabei differenziert er sogar zwischen dem „von einer Militärkaste beherrschten Staat Israel“ und dem israelischen Volk, was schon mal weder seine Argumentaion noch ihn selbst als antisemitisch noch als Antisemiten qualifiziert. Der Hinweis auf das „geraubte Land“ ist indirekt mit einer mutmaßlichen Aussage des damaligen israelischen Verteidigungsministers Dayan belegt, und der Begriff des „geschnorrten Geldes“ greift eine Formel aus dem Sprachschatz des Jiddischen auf, die es schon lange vor dem Nationalsozialismus gegeben hat. Und in Bezug auf die Formel, die Israel als Staat als ein „künstliches Gebilde“ markiert, sei die Gegenfrage an alle hermeneutisch Interessierten erlaubt: Welche Staaten auf der Welt wurden von der Redaktion der Zeitschrift konkret Zeit ihres Bestehens jemals als ein „natürliche Gebilde“ beschrieben, womöglich die aus Trizonesien hervorgegangene Bundesrepublik? Anders formuliert: Noch ein jeder Staat kann nichts anderes sein als ein künstliches Gebilde, siehe hier zum Beispiel die DDR, die es nicht mehr gibt. Ja, so tiefenscharf in ihrem kulturell verankerten Sinn kann man die hier vorgestellten Zeilen verstehen und interpretieren, wenn man denn dazu bereit ist, dafür die Zeit, die vorurteilsfreie Neugierde und das Engagement dafür aufzubringen. Evident ist hier allerdings, dass Holz und Haury in dem Antisemitismus-Kapitel zu der Neuen Linken der 1970er/80er Jahre auf jede Form der Hermeneutik und „Sinnverstehen“ pfeifen. Im vollen Vertrauen auf die Dignität des „Autodidakten“ Broder beteiligen sie sich mit der Methode des Verdunkelns, des Erfindens, und der Falschbehauptung gemeinsam mit diesem daran das Subjekt der Begierde als antisemitisch abzuschiessen. Jedenfalls ist hier von ihrer Seite schlicht Pustekuchen in Sachen „aufmerksamer Hermeneutik“, auch so funktioniert ihr ethischer Kompass in dieser Angelegenheit, so einfach wie wahr.

Dabei hätten Haury und Holz eigentlich schon allein aus der jüngsten Gegenwart davor gefeit sein müssen, von Broder-Abhandlungen die Finger zu lassen. Hinzuweisen ist hier auf das von der grünen Politikerin Claudia Roth zu Broder-Texten Ende Oktober 2019 öffentlich ausgesprochene Verdikt, diesen namentlich als einen „Stichwortgeber“ zu benennen, „deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht.“ (FN 3) Eine dazu von Broder gegen Roth vor dem Oberlandesgericht Dresden (OLG) angestrengte Klage hat dieser Ende April 2020 mit Pauken und Trompeten verloren. Zu dem Urteil von Roth zu Broder stellte das OLG nach der Beweiswürdigung „in der Gesamtschau“ fest, dass sich daraus „ein Tatsachenkern“ ergebe. (FN 4)

Warum aber waren Holz und Haury noch im Jahre 2021 so frei sich trotzdem der Broderschen Philippika gegen die radikale Linke aus dem Jahre 1976 zu bedienen? Dafür können zwei Gründe angeführt werden:

  1. Thomas Haury hatte sich in seinem wohl ersten veröffentlichen Pamphlet zu einer mutmaßlichen „Logik des Antizionismus“, die für ihn schon damals – man ahnt es bereits – natürlich „zum Antisemitismus“ führt, vielfältig aus Broder-Texten bedient. Es erschien 1992 im Freiburger ca ira Verlag, der als eine zentrale intellektuelle Drehscheibe der sich durch die Befürwortung des Golf-Krieges der USA gegen den Irak in den frühen 1990er Jahren formierenden Antideutschen gelten kann. Der Antisemitismusforscher Peter Ullrich hat dieses Pamphlet noch einmal jüngst in einer Besprechung gewürdigt: „Haury konstatiert eine strukturelle Affinität zwischen Antiimperialismus und antisemitischem Weltbild, die in der Übertragung auf den Nahostkonflikt auch zu einer inhaltlichen Affinität würde. Dieses Konzept wurde später als >struktureller Antisemitismus< zu einem zentralen Topos der antideutschen Diskurse.“ Sein Beitrag gelte „mittlerweile als ein Klassiker der Kritik des Antizionismus innerhalb der westdeutschen Linken.“ (FN 5)

Der von Haury zunächst mit lediglich 12 Fußnoten publizierte Text findet sich zwischenzeitlich in einer leicht überarbeiteten Fassung für Kommunismus im Netz. Der Verfasser war hier so freundlich nun knapp über 100 Fußnoten nachzutragen. Dabei erhält Broder mit seinen Schriften die Ehre von Haury 19 mal in die Fußnoten als Beleg herangezogen zu werden – selbstredend frei von stets umständlichen quellenkritischen Erörterungen. (FN 6) Mit Haury hat Broder wirklich einen gläubigen Leser seiner Schriften gefunden. Wissenschaftsoziologisch ließe sich hier von einer engen strukturellen Verklammerung Broderscher Wissenbestände mit denen von Haury sprechen. Jedenfalls kann gesagt werden, dass sich die tückisch verfertigten Broderschen Suren auch lebensbiographisch tief in die Vita des Wissenschaftlers Haury eingraviert und nunmehr in das vorliegende Buch weiter geschrieben haben.

  1. Holz und Haury bedienen sich bei dem Broder der 1970er Jahre auch deshalb, weil sie in Bezug auf das Verhältnis von radikalen Linken zu Israel auch seine heutigen politischen Prämissen teilen. Dabei hätte ihnen eigentlich bekannt sein müssen, dass es sich bei Broder spätestens seit seinem Aufritt vor der Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland Ende Januar 2019 um einen Politikberater dieser Partei handelt. In seiner Rede brachte er jeden Begriff von Faschismus – vielleicht auch in guter Kenntnis der ,soweit bekannt, ganz anständigen Familienvita des KZ-Kommandanten Rudolf Höß – auf Benimmregeln und Tischmanieren herunter: „Man legt die Füße nicht auf den Tisch, man rülpst nicht beim Essen, und man nennt die zwölf schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen >Vogelschiss<“. Irgendeine Form von Antisemitismus dieser halbfaschistischen Gruppierung wurden dabei von Broder gar nicht angesprochen, stattdessen beglückwünschte er die AfD-Bundestagsabgeordneten klar, deutlich und unmissverständlich mit den Worten: „Ich finde es prima, dass Sie das Existenzrecht Israels bejahen.“ Na, wer sagt es denn! (FN 7)

Wie man es auch dreht und wendet, einen „Antisemitismus gegen Israel“ mochte Broder der AfD – im Unterschied zu der radiaklen Linken im Westdeutschland der 1970er Jahre – nicht andichten. Wenn Holz und Haury in ihrem Buch zwar durchaus zutreffend von einem „weit verbreiteten postnazistischen Antisemitismus innerhalb der Partei“ sprechen (S. 321), so ändert auch das nichts daran, dass nicht von einem „Antisemitismus gegen Israel“ durch die AfD wie auch durch die wesentlichen Protagonisten der Neuen Rechten gesprochen werden kann. Eben diese sehen in einem wehrhaften und stets kriegsbereiten Israel ein Bollwerk des gewohnt „freien Westens“ gegen die „islamische Gefahr“. Die feste Treue zu Israel lässt sich leicht in den Reden von Alexander Gauland, aber auch in Form des eigenständigen BDS-Verbotsantrags der AfD im Bundestag Ende April 2019 nachlesen, in dem vor allem auf den islamisierten Antisemitismus rekurriert wird. (FN 8) So fällt diese politische Richtung eigentlich aus dem Themenbereich heraus, den der Titel des Buches umreißt, denn eine Postion „gegen Israel“ findet in den Führungsgremien der AfD definitiv keine Fürsprache.

Haury und Holz stehen in ihrer Abhandlung historisch blind vor der Tatsache, dass es in der Geschichte der BRD in der Form von Westdeutschland als Nachfolgestaat von Trizonesien auf der politisch rechten Seite in dem politischen Establishment immer eine geostrategisch opportune wie den psychischen Haushalt der Nazi-Täter entlastende Pro-Israel-Positionierung gegeben hat. Hier ließen sich allerdings antisemitische Grunddispositionen immer auch leicht mit antikommunistischen Formen des Ressentiments produktiv verknüpfen. Keine geringeren als Konrad Adenauer, Hans Globke und Franz Josef Strauß – unterstützt von Pressefiguren wie Gerhard Löwenthal und Axel Springer – stehen exemplarisch für die über Jahrzehnte in der BRD herrschende – und in Sachen Israel vielfältig machtstrategisch interessiert verlogene Politik – gegen die nebenbei auch die Revolte der 1968er-StudentInnen aufbegehrt hat. Aber an der sich auch zu Lasten der Palästinenser vollzogenen Pro-Israel-Politik von Adenauer und Strauß haben letztlich weder Broder noch Haury und Holz heute auch nicht das geringste auszusetzen. Und auch so sind sie heute in ihrer mit den geeigneten Mitteln der Verdunkelung betriebenen Kritik an der radikalen Linken in der BRD der 1970/80er Jahre politisch vereint.

Markus Mohr

 

Holz, Klaus, Thomas Haury, Antisemitismus gegen Israel. Hamburg 2021 ISBN 978-3-86854-355-1, € 35

 

Für anregende Diskussionen und instruktive Hinweise zu dem Buch bedanke ich mich bei Klaus Wernecke und Gerhard Hanloser

 

(FN 1) Vgl. M. Mohr, Stille Post im Kalten Krieg / Wie Simon Wiesenthal, der BND, die Zeitschrift >Tribüne< und der Publizist Henryk M. Broder eine antisemitische Überschrift im >Neuen Deutschland< von 1968 erfanden, in: Neues Deutschland v. 25.8.2018, S. 23 , URL: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1098394.linke-und-antisemitismus-stille-post-im-kalten-krieg.html

(FN 2) Klaus Rainer Röhl, Ist Konkret antijüdisch? in: konkret Nr. 27 v. 28.6.1973, S. 6

(FN 3) Margit Hufnagel, Künast und Roth: „Manches geht nicht spurlos an dir vorbei“ / Renate Künast und Claudia Roth werden im Internet angefeindet wie nur wenige andere Frauen, in: Augsburger Allgemeine v. 20.10.2019, URL: https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Doppel-Interview-Kuenast-und-Roth-Manches-geht-nicht-spurlos-an-dir-vorbei-id55752401.html

(FN 4) OLG Dresden Beschluß (in der Streitsache H. Broder gegen C. Roth) v. 28.4.2020, URL: https://www.damm-legal.de/olg-dresden-zum-fliegenden-gerichtsstand-bei-online-artikeln-einer-lokalzeitung-vorsicht-bei-farbenfrohen-pressedarstellungen

(FN 5) Peter Ullrich, (Besprechung) Léon Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg 1992, auf: Rosa-Luxemburg Stiftung Webside v. 31.8.2021, URL: https://www.rosalux.de/news/id/44879/leon-poliakov-vom-antizionismus-zum-antisemitismus-freiburg-1992

(FN 6) Thomas Haury, Logik des Antizionismus, in: Léon Poliakov, Vom Antizionismus zum Antisemitismus / Mit einem Vorwort von Detlev Claussen, Freiburg 1992, S. 125 – 159. Siehe auch: T. Haury, Logik des Antizionismus, auf: Rote Ruhr Universität Bochum, (o.J.), URL: http://rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Haury_Logik.pdf

(FN 7) H.M. Broder, Diese Rede hielt Henryk M. Broder vor der AfD-Fraktion, auf: Welt-online v. 30.1.2019, URL: https://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article187962993/Henryk-M-Broders-Rede-vor-der-AfD-Bundestagsfraktion.html

(FN 8) Vgl. Alexander Gauland, (Rede zum Antrag: 70 Jahre Gründung des Staates Israel – In historischer Verantwortung unsere zukunftsgerichtete Freundschaft festigen) in: BT-Pl-Prot 19/29 v. 26.4.2018, S. 2623 (B); Vgl. Dr. Alice Weidel, Dr. Alexander Gauland und (AfD)-Fraktion, Antrag: BDS-Bewegung verurteilen – Existenz des Staates Israel schützen, BT-Drs. 19/9757 v. 29.4.2019

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