Corona spaltet: „Lasst es uns nächstes Jahr bitte anders machen!“
Seit Monaten gehen Zehntausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zu protestieren. Dabei geht es immer auch darum, welche massiven gesellschaftlichen Einschränkungen wir in Kauf nehmen, welche Folgen eine Gesellschaft in und auf Distanz nach sich ziehen.
Aber es geht auch darum, wie man zu diesen Corona-Demonstrationen steht. Längst haben die beinharten „Urteile“ kaum noch etwas mit der Wirklichkeit der ProtagonistInnen zu tun, also mit denen, die sich daran beteiligen, die neu dazugekommen sind, die sich noch nicht entscheiden können.
Auf der eine Seite scheinen jene zusammen zu stehen, die im Großen und Ganzen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen, zum Teil aus ganz tiefer Überzeugung, zum Teil aus Gründen, die darauf verweisen, dass die Pandemie in anderen Ländern noch viel schlimmer gemanagt wird. Wie viele einfach nur das machen, was angesagt ist, also einfach nur den Sanktionen aus dem Weg gehen wollen, ist interessanterweise gar nicht „erforscht“. Wo man doch ansonsten so viele Umfragen macht … warum nicht die, die den „autoritären Charakter“ der Zustimmung erfasst und evaluiert? Politisch reicht diese Zustimmung von rechts-oben mit mitte-links, von FAZ bis taz und jW, von CSU/DU bis zur Partei DIE LINKE, von zivilgesellschaftlichen bis hin zu antirassistischen und antifaschistischen Gruppierungen.
Obgleich die Gründe für die Zustimmung eine gewisse Spannbreite aufweisen, sind sie sich – soweit ausmachbar – sehr einig in der Gegnerschaft zu denen, die als „QuerdenkerInnen“ auf die Straße gehen. Sie rücken geradezu eng zusammen, wenn es um die Verächtlichmachung dieser Proteste geht. Leicht psychiatrisierend werden sie als „Aluhutträger“, als „Schwurbler“ als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Von dieser Grundanamnese aus ist es ganz leicht, das passende draufzusatteln. Die einen sehen in den „Querdenkern“ ein Aufmarsch von Halb/Viertel-Nazis, in jedem Fall eine politische Nähe, eine fehlende Distanz zu ihnen.
Im Prinzip will man damit ausdrücken, dass dieser Protest „indiskutabel“ ist, womit sie ihre Weigerung zum Ausdruck bringen, sich mit den sehr verschiedenen Positionen auseinanderzusetzen, die in dem Protest gegen die Corona-Politik zum Ausdruck kommen.
Wenn man den sehr löchrigen Überblick wagt, dann brauchen die „Corona-BefürworterInnen“ die Nazis in den Reihen der „Querdenker“ mehr, als die übergroße Mehrheit deren, die sich daran beteiligt.
Aber selbst dann, wenn man zu dem Schluss käme, es handele sich bei den „Querdenkern“ um eine autoritäre, konformistische „Revolte“, die hinter erkämpfte und errungenen Rechte zurückfällt, dann wäre es doch erst recht die Sache dieser KritikerInnen, eine antiautoritäre Revolte ins Leben zu rufen, die also nicht nur die bestehenden (Grund-)Rechte verteidigt, sondern über sie (und deren verfasste Bedingtheit) hinausgeht und weist! Warum machen all die linken KritikerInnen der „Querdenker“ nicht genau dies? Wer und was hälst sie davon ab?
Dass es in jeder Bewegung, in jedem Protest rechte und linke Antworten und Theoreme gibt, dass jeder Protest in seiner Bewegung eine Entscheidung treffen muss, für die man sich einmischen muss, ist eigentlich eine banale Selbstverständlichkeit.
Dass es auch bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen noch lange nicht ausgemacht ist, welche Richtung der Protest einschlägt, dass jeder Protest, gerade in seinen Anfängen darum ringt, nur zum Zustand „davor“ zurückzukehren oder eben auch den Zustand „davor“ in Frage zu stellen, ist eine der wesentlichen Kippunkte einer Bewegung.
Wie das aussehen kann, hat eine Demonstration gegen die Corona-Politik am 26. Dezember 2021 in Berlin gezeigt. Dort haben die Synchronsprecherin Giovanna Winterfeldt und die Schauspielerin Miriam Stein eine Rede gehalten, die die Berliner Zeitung dankenswerter Weise dokumentiert hat.
Ich möchte ein paar Auszüge daraus zitieren, in der Hoffnung, dass ihr die Redebeiträge der Beiden in ganzer Länge lesen wollt:
Giovanna Winterfeldt:
„(…) Ich verrate euch etwas. Ich habe keine Angst vor Corona. Nicht, weil es das nicht gibt, das habe ich nie behauptet, und ich persönlich kenne auch niemanden, der das behauptet. Ich habe keine Angst davor, weil ich mich mit den Zahlen und den wichtigen Bezugsgrößen und Daten auseinandergesetzt habe und für mich entschieden habe, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben.
Ich habe auch keine Angst vor der Impfung, obwohl ich tatsächlich einige Impfschäden im familiären Umfeld sowie im erweiterten Bekanntenkreis mitbekommen habe.
Ich erwische mich jedoch in letzter Zeit ab und zu dabei, dass ich Angst habe vor meiner Regierung. Vor der Unbarmherzigkeit, mit der sie gerade Menschen wie mich, die ihre Vorgehensweise kritisieren, mutwillig diffamiert und kleinredet. Sie mit Begriffen wie Verschwörungstheoretiker, Schwurbler und Aluhutträger betitelt und ihnen so das Recht abspricht, gehört zu werden. Beiträge und Berichte zensiert. Algorithmen so umbaut, dass Beiträge, die kritisch sind, automatisch gelöscht werden. Das ist nicht in Ordnung. Liebe Regierende: Ihr müsst uns gerecht werden, nicht andersrum!
Ich stehe heute nicht hier, weil ich mich selbst gern reden höre, sondern um all den Menschen meine Hand zu reichen, die Angst haben. Nicht vor einem Virus oder einer Impfung, sondern davor, Gesicht zu zeigen. Davor, die eigene Meinung laut auszusprechen. Weil ihnen eingeredet wurde, sie würden dann mit Nazis Seite an Seite gehen. Mit Schwurblern. Mit Menschen unterster Schublade. Seht euch um. Wir sind keine Nazis. Wir sind keine Schwurbler. Wir sind Eltern. LehrerInnen. ÄrztInnen. Pflegekräfte. Handwerker. Wir sind schwarz, weiß … wir sind bunt und divers.
Und wir haben das Recht, hier zu sein und zu sagen, dass wir mit den Maßnahmen und Regulationen der Politik so nicht einverstanden sind. Dass niemand sich zu etwas zwingen lassen muss, was er oder sie nicht will. Mir wurde beigebracht, dass nur ich alleine darüber entscheiden darf, was ich mit meinem Körper mache und was nicht. My body – my choice! Oder? Wir haben das Recht, Fragen zu stellen, und wir haben verdammt noch mal die Pflicht, unsere Kinder vor den Fehlern der Regierenden zu schützen. (…)“
Miriam Stein:
„Das ist mein zweiter Versuch, eine Rede zu schreiben, denn die erste hat so geklungen, als hätte ich Lösungen parat. Und ehrlich gesagt, habe ich die gerade leider nicht. (…) Ich fasse es nicht, in welcher Geschwindigkeit sich unsere Welt, unser Leben in dieser kurzen Zeit verändert hat. Wie angstgesteuert wir alle geworden sind. Jeder auf seine Art. Die einen haben Angst vor Corona, die anderen vor der Impfpflicht. Manche haben Angst vor den Ungeimpften, viele haben Angst, ihren Mund aufzumachen oder Angst vor der Regierung. Und ich habe Angst vor dem Schlechten, das all die Maßnahmen zurzeit in uns Menschen zum Vorschein bringen.
Es macht mir Angst, wenn ich sehe, wie wir uns instrumentalisieren lassen. (…) Es geht für mich schon lange nicht mehr um die Frage „geimpft oder ungeimpft“, sondern es geht darum, wie wir gemeinsam leben wollen. (…) Ich will, dass meine Kinder selbstbestimmt, in einer freien, liberalen Gesellschaft aufwachsen dürfen. Mit Politikern und Politikerinnen, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzen, die den wissenschaftlichen Diskurs fördern, statt ihn zu unterbinden, die in ein gesamtheitliches Gesundheitssystem investieren, anstatt nur auf die Pharmaindustrie zu setzen, und die versuchen, BürgerInnen in einer Notsituation ihre Ängste zu nehmen, anstatt Angst zu schüren und sie hochzuhalten. Das ist nämlich etwas, dass ich den Politikern wirklich vorwerfe. Dass sie uns absichtlich Angst machen, mit Hilfe einiger Medien. (…) Ich habe mir monatelang anhören müssen, dass meine Ängste absurd und unbegründet seien. Nein, Kinderimpfungen wird es nicht geben, wozu auch? Wie kommst du darauf, dass man seinen Job verlieren könnte, nur, weil man nicht geimpft ist? 2G? Nein, Testen ist doch sogar besser. Eine Impfpflicht – Quatsch! Leider sind meine Ängste bereits fast alle real geworden.
(…) Meine Mama hat immer gesagt: ‚Die Freiheit eines Menschen hört da auf, wo die eines anderen beginnt.‘ Und das finde ich auch. Aber meine und eure Freiheit hört nicht da auf, wo die Angst eines anderen beginnt. Lasst uns gemeinsam friedlich zusammen mehr werden. Danke.“
Wolf Wetzel 4. Januar 2022
Quellen und Hinweise:
Corona spaltet: „Lasst es uns nächstes Jahr bitte anders machen!“ Berliner Zeitung vom 28.12.2021
Ist die Verhinderung einer Querdenkerdemonstration ein Akt des Antifaschismus? (zusammen mit der Staatsgewalt). Falscher Focus, falscher Feind. Ein Beitrag, der zwischen beiden Stühlen genügend Platz findet: https://wolfwetzel.de/index.php/2021/04/17/falscher-fokus-falscher-feind/
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